Am 27. Februar 2022, drei Tage nach Putins Angriff auf die Ukraine, hat Bundeskanzler Scholz die „Zeitenwende-Rede“ gehalten:
„Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents. (…) Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor. Im Kern geht es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf, ob wir es Putin gestatten, die Uhren zurückzudrehen in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts (…). Er zertrümmert die europäische Sicherheitsordnung, wie sie seit der Schlussakte von Helsinki fast ein halbes Jahrhundert Bestand hatte.“
Putin handelt nach der Maxime von Clausewitz: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Anders als Putin hat Trump – zumindest bisher – keine militärischen Mittel eingesetzt, um seine Ansprüche durchzusetzen. Noch setzt er nur Drohung und Erpressung ein. Aber auch damit dreht er die Uhren zurück in die Zeit, als die Großmächte sich nahmen, was sie wollten. Mehr noch: Anders als im 19. Jahrhundert gibt es heute ein Völkerrecht, das das willkürliche Verschieben von Grenzen verbietet. Es interessiert ihn nicht.
Trumps und Putin denken in den gleichen Kategorien. Sie haben die Macht, sich über die Regeln hinwegzusetzen und sie tun es. Dass die USA als westliche Führungsmacht das nun selbst gegenüber den eigenen Verbündeten so handhaben, markiert ebenso wie Putins Krieg, trotz aller Unterschiede, ebenfalls eine Zeitenwende. Die vielzitierten „westlichen Werte“ sind Geschichte, sie haben auch propagandistisch ausgedient. Die Rede von Scholz geht dann weiter mit diesem Satz über Putin:
„Er stellt sich auch ins Abseits der gesamten internationalen Staatengemeinschaft.“
Das hört man bisher mit Blick auf Trump nicht. Für Orban, Meloni und andere tut Trump das auch nicht, ihnen gehört Grönland nicht. Auch von „Zeitenwende“ im transatlantischen Verhältnis wird nicht gesprochen, obwohl nicht wenige Trumps Vorgehen vermutlich so bewerten. Die Regierungen der Welt wissen noch nicht, wie sie mit der neuen Situation umgehen sollen.
In den Medien drehen sich die Diskussionen aktuell vor allem darum, inwieweit man Trump entgegenkommen sollte, z.B. bei den Rüstungsausgaben. Trump fordert 5 % Anteil am BIP, das „könne sich jeder leisten“. Der grüne Kanzlerkandidat Habeck hat 3,5 % angeboten. Warum, weiß niemand, es geht zu wie auf dem Basar. Aber vielleicht hat Trump bei seiner Forderung das richtige Stichwort mitgeliefert, vielleicht steckt im Gefühl, was „wir uns leisten können“, die verdrängte eigentliche Frage: Was bedeutet das für die europäischen Wohlfahrtsstaaten und was will man künftig eigentlich mit so viel Ressourcen verteidigen – Wohnungsmangel, Pflegenotstand, kaputte Infrastrukturen und in Deutschland vielleicht noch die Autoindustrie?
Darüber wird bislang nicht offen diskutiert. Auch die mediale Diskussion ist ins 19. Jahrhundert zurückgekehrt und auf geopolitische und geoökonomische Aspekte fokussiert. Natürlich ist es wichtig, das zu thematisieren, auch mit Blick auf die Folgen dafür, wie man jetzt eigentlich noch Putins Ansprüche auf die Ukraine oder Xis Ansprüche auf Taiwan zurückweisen will. Nur weil man sie nicht akzeptiert, basta? Dafür dann 5 % Rüstungsausgaben?
Wenn sich der demokratische Diskurs im Austausch von Feldherrenperspektiven erschöpft, ist auch die deliberative Demokratie am Ende. Dann bestimmen wirklich Trump, Putin, Xi, Musk & Co. darüber, wie wir leben wollen, oder besser gesagt, leben werden.
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Nachtrag:
Im Jahr 2023 wären 5 % Anteil Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt 209 Mrd. Euro gewesen, oder 46 % des Bundeshaushalts. 3,5 % wären 146 Mrd. Euro gewesen, oder 32 % des Bundeshaushalts.
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