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In gut drei Wochen wird der Bundestag neu gewählt. In den Medien und Talkshows hören wir, dass diesmal die Demokratie auf dem Spiel steht – und die AfD bei 23 %, durch Zuspruch von Musk höckeübertönend normalisiert. Inhaltlich geht es meist um Migration. Keine Frage, dazu würde man gerne von den Parteien wirklich gute Konzepte hören, Konzepte, die erwünschte Zuwanderung, Integration, Asylverfahren und europäische Solidarität miteinander verbinden.

Außerdem würde man gerne mit den Parteien, wenn es so ernst um die Demokratie steht, darüber reden, was noch alles dazu gehört, um die liberale Demokratie zu stärken, darüber, was sie für die Bürger:innen verteidigungswert macht. In der aktuellen Ausgabe des SPIEGEL listet Dirk Kurbjuweit eine Agenda mit 11 Punkten auf, mit denen man den Autoritären begegnen solle. Leider hat er dabei eine Politik für ein gutes Leben ganz vergessen. Ceterum censeo: bezahlbare Mieten, menschenwürdige Pflege, intakte Infrastruktur. Beispielsweise. Vielleicht in manchen Milieus nicht so wichtig?

Nur, diesmal sind die Parteien, zumindest in München und Umgebung, nicht so leicht auf der Straße ansprechbar. Es gibt Plakate mit nichtssagenden Sprüchen, „Zuversicht“ steht dann drauf, oder „Zusammen“, oder „Schönreden ist keine Wirtschaftsleistung“, oder es gibt gleich nur ein Gesicht mit Namen. Bei Merkels „Sie kennen mich“ ging das, aber wer kennt Herbert Franzlechner? Stände mit Wahlkämpfer:innen habe ich bisher noch nicht gesehen, nicht mal vergangenen Samstag auf dem Marienplatz in München, wo sie sonst immer arglosen Passanten auflauern.

Falls das andernorts auch so ist: Will man nicht mit den Bürger:innen reden? Oder nur in kontrollierten Fernsehformaten, wie Habecks Küchentischgesprächen oder gestern in der ZDF-Sendung „Wie geht’s Deutschland?“: Bürger:innen in der Videokachelwand und Spitzenpolitiker:innen am Gaming-Pult, die Sprüchlein gut eingeübt?

Oder kommt der Straßenwahlkampf (auch in München) noch? Ich fände das gut, nicht wegen der Luftballons und Kugelschreiber, die kriegt man auch von seiner Krankenkasse, sondern weil es wirklich nicht gut um die Demokratie steht.

Kommentare (30)

  1. #1 Alisier
    29. Januar 2025

    Ich las zuerst flüchtig “Straßenkampf”.
    Nach der Grenzüberschreitung gerade könnte uns dieser eventuell blühen……nein, eher nicht.
    Das schlafwandlerische Zugucken und mit der Schulter zucken gehört eher zur deutschen Art.
    Und den Straßenwahlkampf gab es letzten Samstag hier durchaus. Mit vielen geschickt ausweichenden Passanten.
    Bloß keine Diskussionen.

    • #2 Joseph Kuhn
      29. Januar 2025

      @ Alisier:

      „gehört eher zur deutschen Art“

      Essentialistische Behauptungen zur „deutschen Art“ sollte man sich gerade im Zusammenhang mit dem Höhenflug der AfD verkneifen. Manche von denen buchstabieren die „deutsche Art“ ganz anders.

      Es passt auch nicht, wenn man ins europäische Ausland schaut, von Frankreich bis Italien, mit rechtspopulistischen Parteien mit großer Akzeptanz in Teilen der Bevölkerung.

      Und weiter: Mit solchen Bemerkungen wertet man das demokratische Engagement der Mehrheit ab, das sich z.B. im letzten Frühjahr in Massendemonstrationen artikuliert hat und suggeriert stattdessen einen falschen Fatalismus. Aus einer „deutschen Art“ könnten die Deutschen (wer gehört da eigentlich dazu, wer nicht?) schließlich nicht heraus.

  2. #3 Alisier
    29. Januar 2025

    @ Joseph Kuhn
    Hast ja Recht.
    Dennoch befürchte ich, dass gerade etwas zur Normalität wird, das zum großen Problem für viele wenn nicht fast alle werden könnte.
    Und ich empfinde diese Gesellschaft, in der ich seit langem gerne lebe als recht träge.
    Andere sagen müde.

    • #4 Joseph Kuhn
      29. Januar 2025

      @ Alisier:

      Ja, man muss eine Normalisierung des rechtspopulistischen Mindsets konstatieren. Und derzeit „lohnt“ es sich zudem aus Sicht vieler Menschen nicht, die liberale Demokratie zu verteidigen, weil sie mit Blick auf ihre Mieten, Jobs usw. glauben, nichts davon zu haben.

  3. #5 Robert
    29. Januar 2025

    Und am Freitag wird über das „Zustrombegrenzungsgesetz“ abgestimmt. Menschen als gefährlicher Strom, gegen den man sich schützen muss. Mir wird bang.

    Es war ja oft genug zu lesen, dass die Demokratie zu schützen Aufgabe eines jeden Einzelnen wäre. Kandidaten im Wahlkampfmodus sind davon offenbar ausgenommen.

    Denn die Unkenrufe vom rechten Rand kennt man ja und kann sie einordnen. Aber wenn Politiker vermeintlich vertrauenswürdiger Volksparteien falsche Tatsachen verbreiten, Gesetze fordern, die gegen nationales und internationales Recht verstoßen, eine Retorik der Verunmenschlichung benutzen, dann schaden sie der Demokratie weitaus mehr.

    Am schlimmsten empfinde ich das Vorgaukeln, es gäbe für komplexe Herausforderungen einfache Lösungen (man müsse quasi nur wollen). Was ist, wenn Merz auch scheitert? Sei es an Gerichten oder einfach der Realität (wo sind die zehntausenden Grenzpolizisten, die hunderttausenden Plätze in Haftanstalten?). Dann ist für Viele kein Versprechen einer demokratischen Partei noch glaubwürdig.

  4. #6 DH
    29. Januar 2025

    Ist ein bißchen aus der Mode gekommen aber es gibt nach wie vor riesige Probleme mit Lobbyismus und anderen Einflußnahmen auf die etablierte Politik, AfD inklusive.
    Aus lauter Angst vor rechts wird da oft ein falscher Schulterschluß propagiert mit Leuten aus den etablierten Parteien, denen die Demokratie selber herzlich egal ist und die letztlich die Tür geöffnet haben für Kräfte aus allen Richtungen die das dann eben besser können mit dem Demokratieabbau.
    Es muß kein schlechtes Zeichen sein, daß die Etablierten von vielen nicht mehr gestützt werden und nicht jeder Rechtspopulist ist antidemokratisch.
    Auf der Straße könnte aber mehr passieren, das stimmt, leider sind es oft die Rechten die dort die Deutungshoheit haben, auch weil sich die “Demokraten” nicht selten als dümmer herausstellen als ihre Herausforderer (wie auch in vielen öffentlichen Debatten haben wir hier oft einen Wettbewerb nach unten).
    Hätten etablierte Kräfte gute Konzepte, sähe die Sache ganz anders aus, ob sie das auch mehrheitlich wollen, bleibt aber dahingestellt.

  5. #7 hto
    30. Januar 2025

    @DH: “Ist ein bißchen aus der Mode gekommen aber es gibt nach wie vor riesige Probleme mit Lobbyismus und anderen Einflußnahmen auf die etablierte Politik …”

    🙂 Haha, die etablierte Politik IST Lobbyismus.

  6. #8 Naaja
    30. Januar 2025

    Ich habe die Grünen nun solange gewählt, wie ich wählen durfte. Oft mit Bauchschmerzen über bestimmte Positionen. Diese „Zuversicht“ ist allerdings so dämlich und inhaltslos, dass ich diesmal nicht die Grünen wählen werde.

    • #9 Joseph Kuhn
      30. Januar 2025

      @ Naaja:

      Es ist diesmal wirklich schwer.

      Die Art und Weise, wie die Parteien gerade um die Migration streiten, macht es nicht leichter. Merz nehme ich ab, dass er nach den letzten Anschlägen ernsthaft besorgt ist, ernsthafter als nach den rechten Anschlägen, wenn ich das so boshaft dazusagen darf, aber ihm musste klar sein, dass er mit seinem Antrag der AfD die Bühne eines Erfolgs bietet, für nichts. Es war kurzsichtig. Und die anderen, so hat man den Eindruck, instrumentalisieren wiederum diesen Merzschen Patzer auf ihre Weise. Da hat AfD-Baumann sogar in gewisser Recht, wenn er Merz vorhält, das sei kein “Kanzlerformat” gewesen.

      ——————–
      Nachtrag: Jetzt stellt sich auch noch Merkel gegen Merz. Sie wirft ihm mehr oder weniger unverblümt fehlende staatspolitische Verantwortung vor. Das klingt fast wie Scholz im November letzten Jahres, als er gegen Merz und Lindner vorbrachte, in der aktuellen Situation brauche man “verantwortungsbewusste Politikerinnen und Politiker, (…) keine Spieler und keine Zocker”. Was für ein Fiasko.

  7. #10 hto
    30. Januar 2025

    @Naaja

    Aaaha, dann sind wir also gleichalt, aber nicht gleich …sinnig, denn ich habe die Grünen nur einmal gewählt und dann habe ich nix mehr gewählt, nachdem ich damals den posten- und positionsgeilen Mobismus der Realos gegen die Fundis erlebt habe.

  8. #11 RPGNo1
    30. Januar 2025

    Auf dem Marktplatz von Ravensburg waren an den vergangenen drei Samstagen stets folgende drei Parteien mit Ständen anwesend: SPD, Grüne und Volt. Die restlichen Parteien sind hingegen noch auf Tauchstation.

    Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die FPD (Freiheitliche Partei Deutschlands) Partei mit dem gelben, blauen, magentafarbenen Logo nicht in den Bundestag kommen darf. Denn mit ihrem opportunistischen Verhalten bei der gestrigen Bundestagssitzung hat sie sich von Ursprung als liberal bzw. Bürgerrechtspartei fürs erste verabschiedet und ist den Bezeichnungen “frei” und “demokratisch” nicht würdig.

    *Polemik Ende*

    • #12 Joseph Kuhn
      30. Januar 2025

      @ RPGNo1:

      Immerhin drei Parteien. Mit Grünen und SPD lässt sich wunderbar über politische Moral diskutieren, bei den Grünen und ihrem “Ein Mensch – ein Wort”-Wahlkampf bietet sich beispielsweise der Fall Gelbhaar an, bei der SPD und dem Kanzler, der ständig erklärt, wem er jetzt nicht mehr traut, der CumEx-Warburg-Sumpf. Manch einer erinnert sich ja noch daran.

      Mit Lindner muss man Nachsicht haben. Nachdem er von Musk so schmählich abgewiesen wurde, läuft er jetzt eben Merz hinterher, dem Scheinriesen der Wirtschaftskompetenz.

  9. #13 Alisier
    30. Januar 2025

    Ok…..was sollte aus Sicht der hiesigen Leser und des Bloggers auf Wahlplakaten denn so draufstehen?
    Ich persönlich könnte auf Plakate gut und gerne verzichten und finde sie meist sinnfrei und letztendlich sinnlos.
    Inhalte zu vermitteln ist komplex und sollte eben nicht plakativ bis zum Nichts heruntergebrochen werden.

    • #14 Joseph Kuhn
      30. Januar 2025

      @ Alisier:

      “Ok…..was sollte aus Sicht der hiesigen Leser und des Bloggers auf Wahlplakaten denn so draufstehen?”

      Gute Frage. Mir ging es eigentlich mehr um die Wahlkampfstände in München und Umgebung, aber was auf die Plakate sollte, wäre auch eine Diskussion wert. “Wir wissen auch nicht weiter, weder in der Wohnungspolitik, noch in der Pflege, noch bei der Migration”, wäre ehrlich, aber vermutlich auf der No-go-Liste der Wahlkampfstrategen ganz oben.

  10. #15 hto
    wo "Wer soll das bezahlen?" ...
    30. Januar 2025

    Wie wäre es mit:
    Gerecht-befriedete Gemeinschaft und Demokratie braucht den Verstand zu Vernunft und Verantwortungsbewusstsein im Gemeinschaftseigentum, OHNE wettbewerbsbedingt-konfuse Symptomatik, klappt’s auch mit Klimawandel und Globalisierung!!!

    Sollte auf den Plakaten von SPD und Grünen stehen
    🙂

  11. #16 Staphylococcus rex
    30. Januar 2025

    @ Alisier, ich bin vollkommen dabei, Wahlplakate können keine komplexen Inhalte vermitteln. Soweit ich das verstehe, sollen sie dies auch nicht. Sie dienen in erster Linie als Trigger für eine bedingte Konditionierung. Potentielle Anhänger sollen bestärkt werden, bei Unentschlossenen soll Zweifel gesät werden, die abschreckende Wirkung auf Wähler des konkurrierenden Lagers wird billigend in Kauf genommen.

    Ein Wahlplakat an einer Hauptverkehrsstraße wird nur für Sekundenbruchteile wahrgenommen und erreicht in dieser Zeit nur das Unterbewußtsein. Der Text auf dem Wahlplakat richtet sich deshalb auch nicht an den Verstand, sondern an das Unterbewußtsein. Eine Lehre aus der Wiederwahl Trumps ist die Tatsache, dass im Zweifelsfall der Bauch (Ängste, Ressentiments etc.) den Verstand überstimmt.

    • #17 Joseph Kuhn
      30. Januar 2025

      @ Staphylococcus rex:

      “Sie dienen in erster Linie als Trigger für eine bedingte Konditionierung.”

      Dann wäre das Ziel eine bewusstlose Reaktion der Wähler:innen. Derartiges wäre bei manchen Parteien vielleicht durchaus erwünscht, aber so funktionieren Menschen gottseidank nicht und Wahlplakaten fehlen auch alle Voraussetzungen für eine bedingte Konditionierung.

  12. #18 Alisier
    30. Januar 2025

    @ Staphylococcus rex
    Ich stimme Dir zu.
    Ein Grund mehr, das mit den Wahlplakaten zu lassen.
    Trump, das wandelnde Wahlplakat sollte uns darin bestärken es mal wieder mit Inhalten zu versuchen.
    War immer schon schwierig, bleibt aber dennoch wichtig um Populisten nicht gänzlich das Feld zu überlassen.

  13. #19 Alisier
    30. Januar 2025

    @ Joseph Kuhn
    Der Begriff Konditionierung, so wie er definiert ist, passt in der Tat nicht.
    Trotzdem halte ich St. rexens Beschreibung für brauchbar und in großen Teilen für zutreffend.

    • #20 Joseph Kuhn
      30. Januar 2025

      @ Alisier:

      Dass sich die Texte auf den Plakaten “nicht an den Verstand” richten, ist sicher richtig, nachdenken darf man über das Zeug nicht. Ob sie im “Unterbewusstsein” (was immer das sein soll) mehr Erfolg haben?

  14. #21 Naaja
    Magdeburg
    30. Januar 2025

    Ich erwarte von den Grünen mehr als “Zuversicht”. Das könnte von einem Priester kommen, der die letzte Ölung verabreicht.

  15. #22 Alisier
    30. Januar 2025

    @ Naaja
    Gut.
    Ich hatte die Frage schon gestellt: was sollten sie denn, extra für Dich, draufschreiben?

  16. #23 RGS
    30. Januar 2025

    Was mich stört ist der Begriff „illegale Migration“.
    Was soll damit gemeint sein?
    Jemand, der hier einen Asylantrag stellt ist legal hier.

    Laut Our World in data hat Deutschland 2020 4% illegale Migranten gehabt: 650.000 von 15,8 Mio. Migranten in Deutschland insgesamt.
    https://ourworldindata.org/countries-measure-immigration-accurate-data

  17. #25 Naaja
    31. Januar 2025

    “Alisier
    30. Januar 2025
    Ok…..was sollte aus Sicht der hiesigen Leser und des Bloggers auf Wahlplakaten denn so draufstehen?
    Ich persönlich könnte auf Plakate gut und gerne verzichten und finde sie meist sinnfrei und letztendlich sinnlos.
    Inhalte zu vermitteln ist komplex und sollte eben nicht plakativ bis zum Nichts heruntergebrochen werden.”

    Gern ein paar mögliche Slogans:

    “Homöopathie ist Scharlatanerie”
    “Klimapolitik ist sinnvolle Vorsorge”
    “Politik wie bei Trump – nein Danke”
    “Erneuerbare Energie – na klar!”
    “Graffitis sind Sachbeschädigung”

    Braucht es noch mehr?

  18. #26 Alisier
    31. Januar 2025

    @ Naaja

    Danke für die Vorschläge!
    Es sollte allerdings verständlich sein, dass Parteien keine Slogans aufhängen die Teile der Wählerschaft abschrecken könnten.
    “Horoskope sind unsinniger Mist!” so wie “Sämtliche Religionen sind den Hirnen von Menschen entsprungen und sollten viel weniger Bedeutung haben!” würde ich z.B. gerne lesen.
    Allerdings verstehe ich auch warum mit derlei Wahrheiten nicht geworben wird.
    WählerInnen sind schreckhafte Gesellen. Niemand möchte sie verprellen.

  19. #27 Naaja
    31. Januar 2025

    Das erwarte ich von anderen Parteien auch nicht. Allerdings haben die Grünen ja einen höheren Anspruch an sich selber.

  20. #28 Joseph Kuhn
    1. Februar 2025

    Wahlkampfstandgespräche

    Heute waren auch Stände in Dachau besetzt. Habe mit den anwesenden Parteien über die Bundestagsabstimmungen zur Migrationspolitik gesprochen, und dazu passend, lokalpolitisch über ein Denkmal in Dachau mit unguter Inschrift.

    Ich halte solche Gespräche für wichtig, und habe den Eindruck, dass alle Parteien an ihrer kommunikativen Kompetenz arbeiten sollten: Man sollte die Bürger:innen nicht nur missionieren wollen, sondern offen ins Gespräch gehen. Muss man manchmal üben, und wollen natürlich.

  21. #29 PDP10
    6. Februar 2025

    Aus aktuellem Anlass:

    Ich bin der Kandidat!

    Als ob es Heute gewesen wäre …

  22. #30 Jolly
    7. Februar 2025

    @PDP10

    Herrlich – immer wieder.