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Die Zeitschrift GEO hat gerade darauf aufmerksam gemacht, dass chinesische Wissenschaftler:innen glauben, Biomarker für Einsamkeit gefunden zu haben. Grundsätzlich ist klar, dass Einsamkeit da, wo sie – als zunächst soziale Situation – individuelle Krankheitssymptome provoziert, auf der physiologischen Ebene repräsentiert sein muss. Die Wissenschaft hat gezeigt, dass Einsamkeit mit vielen körperlichen und psychischen Störungen in Zusammenhang steht, kausal in beiden Richtungen, insofern sind grundsätzlich auch Biomarker für Situationen, in denen Einsamkeit pathogen wird, plausibel.

Die Studie selbst mögen Fachleute bewerten, sowohl mit Blick auf die medizinischen Parameter als auch mit Blick auf die Statistik. Da wurde viel mit viel korreliert, wie belastbar das ist, übersteigt meinen Horizont als einfacher Datenhandwerker und die medizinische Relevanz der untersuchten Biomarker kann ich genauso wenig beurteilen.

Ob sie Einsamkeit in ihrer Vielfalt überhaupt gut bestimmt haben? Aber ich habe einen anderen Punkt. Die Autor:innen schreiben vollmundig:

„The exploration of the peripheral physiology through which social relationships influence morbidity and mortality is timely and has potential implications for public health.”

Welche potentiellen Folgen für Public Health meinen sie? Wie gesagt, dass Einsamkeit in Zusammenhang mit vielen Krankheiten steht, ist bekannt. Dass viele Menschen einsam sind und Einsamkeit eine Public Health-Herausforderung darstellt, ebenfalls. Dass eine soziale Situation da, wo sie pathogen wirkt, physiologische Niederschläge haben muss, ist naturwissenschaftlich alternativlos, wenn man nicht an Geister glaubt. Ergo, was bedeutet dann die Identifikation von Biomarkern über die Grundlagenforschung hinaus, konkret für Public Health, wie die Autor:innen schreiben? Man wird ja kaum Menschen, die sich einsam fühlen, aber bei denen die Biomarker unauffällig sind, sagen, du bildest dir deine Einsamkeitsgefühle nur ein. Messen kann hier Fragen nicht ersetzen.

Im Diskussionsteil des Artikels heißt es:

„The plasma proteome can help bridge the link between social relationships and morbidity and mortality. Comprehending the biology underlying the impact of social relationships on health, particularly the peripheral changes preceding disease, may provide new opportunities for targeted prevention and for effective intervention.”

Der erste Satz stimmt, Grundlagenforschung ist immer gut. Aber was ist dran an den Perspektiven für „targeted prevention“ und „effective intervention“? Die Studie erlaubt auf der Basis ihrer massenstatistischen Korrelationen keine prognostisch belastbare Aussage für einzelne Menschen. Eher müsste man einen Nocebo-Effekt befürchten: „Wir haben bei Ihnen bedenkliche Biomarker für eine drohende Herz-Kreislauferkrankung entdeckt, wenn Sie nicht aufhören, einsam zu sein, könnten Sie sterben.“ Medizinisch keine gute Strategie, das hat schon beim Rauchen nicht geklappt. Geht es also um die Entwicklung von Diagnostika? Oder gar um die Pille gegen Einsamkeit: „Einmal Sozialibin am Tag und Sie fühlen sich wie unter Freunden“? Haben wir dafür nicht schon Alkohol und neuerdings auch Cannabis, mit bekannten Nebenwirkungen?

Wie dem auch sei. Biomarkerforschung hat was. Ich warte auf die Identifikation von Biomarkern für Dummheit, in der Hoffnung, dass man auf dieser Basis einen Impfstoff entwickeln kann. Oder wenigstens gezielt wirkende Hirnstimulanzien.

Kommentare (6)

  1. #1 Volker Birk
    https://blog.fdik.org
    13. Februar 2025

    Lieber Joseph

    Dummheit kann man immer nur die eigene bekämpfen – Vorzugsweise, indem man über Texte und Positionen, die einen emotional abstossen, nachdenkt und sie nicht einfach zur Seite wischt.

    Bei der Dummheit anderer hilft nur der Versuch des Herausführens aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit.

    Freundliche Grüsse
    VB.

  2. #2 Alisier
    13. Februar 2025

    Einsamkeit und Isolation ist inzwischen ein riesiges Problem in der chinesischen Gesellschaft: die Selbstmordrate gerade unter jungen Menschen steigt kontinuierlich, auch wenn es dazu keine verlässlichen Statistiken gibt, respektive geben darf.
    Eine sehr gute Bekannte von mir ist Schulleiterin und ist zunehmernd entsetzt über die hohe Anzahl von SchülerInnen, die sich das Leben nehmen.
    Einsamkeit, Druck, Perspektivlosigkeit, Gefühl der Leere……wohl noch ein bisschen verschärft im Vergleich zur Situation hierzulande.
    Ich sehe diese Biomarkergeschichte als (hilflosen?) Versuch, irgendwie darauf zu reagieren.
    Denn öffentlich darüber zu diskutieren und das Ganze wirklich zu thematisieren ist schlechterdings nicht möglich.

    • #3 Joseph Kuhn
      13. Februar 2025

      @ Alisier:

      Danke, interessanter Hinweis, dass die Studie womöglich auch als Reflex auf die aktuelle Situation in China zu sehen ist.

  3. #4 Alisier
    13. Februar 2025

    Ich weiß nicht wieso Sie sich immer wieder mit derlei Einwürfen hier verewigen möchten Herr Birk.
    Es geht nicht um Sie und ich finde Ihre Ergüsse besonders bei diesem Thema lediglich unangenehm selbsbezogen und unangemessen.

  4. #5 Christian
    13. Februar 2025

    „Wir haben bei Ihnen bedenkliche Biomarker für eine drohende Herz-Kreislauferkrankung entdeckt, wenn Sie nicht aufhören, einsam zu sein, könnten Sie sterben.“

    Den Satz muss ich mir an die Wand hängen. Ich sehe mich als von der schizoiden Persönlichkeitsstörung betroffen – Einsamkeit ist mir ein wichtiges Bedürfnis. Allein, die Folgen machen mich kaputt.

  5. #6 Mein Name ist Hase
    13. Februar 2025

    Einige Anmerkungen:
    #2: Teilnehmer kamen von der UK Biobank, die chinesische Forschungsgruppe hat lediglich “supported”und publiziert (42,000 adults aged 40-69 years)
    Insgesamt aus österreichischer Sicht eine “Nonanet”-Studie. Menschen als soziale Wesen werden krank, wenn sie nicht ausreichend konstruktiven Umgang mit anderen Menschen haben….aber woran hat et jelegen?

    Geht es bei solchen KI-geführten Studien überhaupt um klassischen Erkenntnisgewinn und Anwendbarkeit in der Praxis oder um Publikationen um des Publizierens Willen? Dass Einsamkeit das Immunsystem schwächt, ist seit spätestens 2015 klar (zB. Proceedings of the National Academy of Sciences (2015; doi:10.1073/pnas.1514249112). Auch ist klar – und wird auch in der aktuellen Studie erwähnt – dass die Korrelation zwischen Einsamkeit und Mortalität zu 66 % depressiven Symptomen zugeordnet werden kann: vereinfacht gesagt ist nicht die Einsamkeit das Problem, sondern die Depressio (Henne-Ei-Problemschon klar!). Auch klar ist eine genetische Korrelation zwischen Einsamkeit und Depression( r  = 0,63), die fast der genetischen Korrelation zwischen Einsamkeit und sozialer Isolation ( r  = 0,65) entspricht , was auf ein signifikantes gemeinsames Auftreten dieser Phänotypen hindeutet. Dann wurden nicht alle zirkulierenden Proteine gemessen, obwohl die in dieser Studie verwendete Proteomik-Plattform Olink eine umfassende Messung des menschlichen Proteoms ermöglicht???
    Spoiler: die maßgeschneiderten Intervention bestehen darin, dass GP ihre Awareness gegenüber dem Problem erhöhen und Patienten danach fragen und generell auf das Problem hinweisen…