Postliberalismus in den USA

Gerade gehen Meldungen durch die Medien, dass die USA auch von europäischen Firmen die Beendigung von Diversity-Programmen fordern. Der amerikanische Kulturkampf kennt, wie auch früher schon, keine Grenzen.

Zur Erklärung trägt neben der imperialistischen Prägung der USA ein zweiter Impuls bei. „Project 2025“, an dem sich die neue Administration orientiert, verfolgt auch eine konservative Frontstellung gegen den Liberalismus. Der Mentor von Vance, Patrick Deneen, sieht den Liberalismus als gescheitert an. Er habe seine Versprechungen, allen Menschen ein besseres Leben zu verschaffen, nicht einhalten können. Für das Scheitern des Liberalismus macht Deneen die Freisetzung der Menschen aus ihren gemeinschaftsfördernden Traditionen verantwortlich, wie sie insbesondere auch in den Bestrebungen nach Selbstbestimmung von Frauen, Queer-Personen oder in den USA von Menschen mit schwarzer Hautfarbe zum Ausdruck kommt.

Liberale Leerstellen

Unschwer kann man hier das berühmte Böckenförde-Diktum heraushören:

„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“

Und Böckenförde hat auch gesehen, was droht, wenn es dem freiheitlichen, säkularisierten Staat nicht gelingt, sein soziales Kapital zu regenerieren:

„Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“

Dass die „westlichen Werte“ erodiert sind, auch das Versprechen auf „Wohlstand für alle“ nicht so ohne Weiteres als eingelöst gelten kann, wird man kaum bestreiten können. Das macht die Enttäuschung vieler Menschen und ihre Hinwendung zu anderen „Wertesystemen“ verständlich. Aber man kann nicht zurück in die weltanschaulichen Prägungen des 19. Jahrhunderts oder noch früherer Zeiten, ohne autoritär zu werden. Der liberale Staat ist in der Tat ein Wagnis. Mit Nietzsches Zarathustra gesprochen:

„Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch, — ein Seil über einem Abgrunde. Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-dem-Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches Schaudern und Stehenbleiben.“

Vor ein paar Monaten hatte ich hier auf einen Beitrag von Timothy Snyder in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ verwiesen, der den halbierten Freiheitsbegriff unserer liberalen Gesellschaften beklagt. In der aktuellen Ausgabe der „Blätter“ ist ebenfalls wieder ein Artikel, der diesen Topos aufgreift, von Carlotta Voß, einer Politikwissenschaftlerin, die über Thukydides promoviert hat. Der griechische Autor ist bis heute ein Stichwortgeber der politischen Theorie, für viele im Sinne einer autoritären Führung des Volkes. Carlotta Voß beschreibt den Einfluss, den Patrick Deneen und die „postliberale Bewegung“ mit ihren konservativ-katholischen Orientierungen auf die aktuelle amerikanische Administration hat und wie diese Strömung die politische Debatte moralisch auflädt. Die Leerstelle des Liberalismus wollen die Postliberalen mit Werten einer „natürlichen Ordnung“ füllen, von den Geschlechterrollen bis zur Vaterlandsliebe. Auch das brüchige, für manche gebrochene Wohlstandsversprechen wird von den Postliberalen auf der ideologischen Ebene explizit adressiert, mag auch die realpolitische Umsetzung hintangestellt bleiben.

Antiliberalismus in Russland

Kurioserweise hat all das ein Spiegelbild in Russland. Dort propagiert Putin ebenfalls traditionelle Werte wie „Männlichkeit“, „Familie“ oder „nationale Größe“ und bemüht wie vor der russischen Revolution die orthodoxe Kirche mit überkommenen Glaubensinhalten als heldentodverherrlichende Staatskirche. Den Westen sieht er als dekadent, moralisch haltlos und schwach, Russland in einer missionarischen, weltrettenden Rolle. Die „Philosophie“ dazu liefert Alexander Dugin. Ein Wohlstandsversprechen wird hier nicht bemüht, für das gute Leben muss die Größe Russlands reichen.

Die Zukunft?

Was nun? Wie sollen liberale Gesellschaften aussehen, die Böckenfördes Warnung zur Kenntnis nehmen, nicht mehr auf die abgestandenen Sprüche von gestern wie „Leistung muss sich wieder lohnen“ setzen oder den Weihnachtsbaum für den Inbegriff einer „Leitkultur“ halten, Gesellschaften, die mit Wolf Biermann fragen, „das soll nun alles gewesen sein, das bisschen Fußball und Führerschein“?

Die FDP in Deutschland hatte darauf keine Antworten. Lindner ist zuletzt außer der Bewahrung der Schuldenbremse und „mehr Musk und Milei wagen“ nichts zur Zukunft des Landes eingefallen. Das war angesichts von Deneen und Dugin, von Vance und Putin, zu wenig. Leute wie Musk orientieren sich zwar sicher weniger an Deneen als an Murray Rothbard und Seinesgleichen, aber libertärer Radikalismus will nur die Freiheit der Superreichen, nicht von uns allen, das ist kein demokratisches Konzept, sondern ein elitär-autoritäres – und da treffen sich dann durchaus recht unterschiedliche Strömungen des politischen Denkens in einer gemeinsamen Galionsfigur namens Donald Trump.

Ergo, was nun?

Kommentare (36)

  1. #1 hto
    30. März 2025

    ” … den Liberalismus als gescheitert an. Er habe seine Versprechungen, allen Menschen ein besseres Leben zu verschaffen, nicht einhalten können.”

    Selbstverständlich wie natürlich, ist daran nicht das parlamentarisch-lobbyistische Marionetten-Theater der nun “freiheitlichen Demokratien” schuld!? 😉

  2. #2 hto
    wo der geistige Stillstand ...
    30. März 2025

    “Ergo, was nun?”

    Abwarten, Tee trinken und weiter wie gehabt??? 😉

  3. #3 Ron
    30. März 2025

    Was nun? Mir fallen auch nur Phrasen wie Bildung und Aufklärung, tatsächlicher Wille und fachliche Kompetenz zum Angehen der realen gesellschaftlichen Probleme, ethische Neuorientierung ein.
    Die USA sind aber bereits verloren, die Menschen des “land of the free” geben ihre Menschenrechte freiwillig her und gehen freiwillig aus den absurdesten und dümmsten Gründen in eine faschistische Diktatur, die nur nach viel Leid und hartem Kampf wieder überwunden werden wird. Die Ursachen dafür, was da gerade passiert, müssen schnellstmöglich ermittelt werden, damit andere Länder und Regionen daraus lernen und Gegenmaßnahmen ergreifen können. Immerhin steht zu befürchten, dass es hierzulande einschlägige Interessengruppen zum Nachahmen motivieren könnte, wenn in den USA zb angewandter Rassismus und die Unterdrückung von Frauen tatsächlich gelingt.

  4. #4 Volker Birk
    https://blog.fdik.org
    30. März 2025

    Grundpfeiler des Liberalismus sind Eigenverantwortung und Redefreiheit.

    Das Gegenteil davon sind Zwangsmassnahmen, Cancel Culture und Zensur in all ihren Formen.

    Ich empfehle erst mit diesen Begriffen klar zu kommen, indem man sie gegen die eigenen Glaubenssätze hält:

    Wo ertrage ich, dass Menschen anders denken als ich selbst? Wie gut gehe ich damit um, dass Menschen Dinge sagen, die ich für falsch halte? Inwiefern akzeptiere ich, dass Mitmenschen nicht das tun, was ich für alle für das beste halte?

    Wer damit gut umgehen kann, und nur das Argument für ein gutes Mittel hält, Mitmenschen mit anderen Haltungen als der eigenen zu begegnen, der zeigt tatsächlich liberale Haltung.

    Trump ist eine Reaktion auf die antiliberale Haltung, nicht deren Ursache.

    Die Angst vor “Putin” ist lächerlich.

  5. #5 hto
    30. März 2025

    Es gab schon zur Zeit von Raum für Eigenverantwortung keinen Liberalismus 🙂

  6. #6 Spritkopf
    30. März 2025

    Timothy Snyder und seine Frau sowie der Faschismus-Forscher Jason Stanley haben den USA und ihren Lehrstühlen an der Yale-Universität übrigens den Rücken gekehrt und sind nach Kanada ausgewandert. Und sie nennen explizit die Wahl von Trump und das Abgleiten der USA in den Faschismus als mitauschlaggebende Gründe.

    Wenn ich die Wortwahl richtig in Erinnerung habe, sagte Jason Stanley ungefähr, dass eine Lehre für Juden aus der Nazi-Zeit gewesen sei, dass je früher man emigriere, desto besser und einfacher sei es.

  7. #7 Ron
    30. März 2025

    Faschismus: Die ideologisch motivierten Säuberungen staatlicher Positionen und Onlineauftritte sowie Museen erinnert nicht von ungefähr an Berufsverbote, Bücherverbrennungen und entartete Kunst. Da werden ganz stumpfsinnig alte playbooks nachgeäfft.

  8. #8 Joseph Kuhn
    31. März 2025

    Die Freiheit zu gehen

    “Jason Stanley, dessen Bücher über den Faschismus weltweit rezipiert werden, drückt es in aller Deutlichkeit aus: Er wolle seine Kinder nicht in einem Land aufwachsen sehen, das auf dem Weg in eine faschistische Diktatur sei.

    (…)

    Und Yale? Die Universität, die Snyder und Stanley so lange prägten, schweigt. Als Vizepräsident J. D. Vance Snyder öffentlich diffamierte – flankiert vom zustimmenden Elon Musk –, blieb eine Verteidigung von Seiten der Hochschule aus.”

    https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/wegen-trump-politik-nach-kanada-intellektuelle-verlassen-usa-93656493.html

    Es wird Leuten wie Vance & Co. vermutlich nur ein “gut so” abringen.

  9. #9 Staphylococcus rex
    31. März 2025

    Es gibt Unterschiede zu 1933, damals war die physische Existenz bedroht. Derzeit ist es “nur” die berufliche und wirtschaftliche Existenz, teilweise auch die online-Existenz. Des Ziel ist in jedem Fall die Gleichschaltung und der langfristige Machterhalt.

  10. #10 Staphylococcus rex
    31. März 2025

    @Volker Birk#4, so wie Sie über Redefreiheit sprechen, nehme ich an, dass Sie und ich darunter verschiedene Dinge verstehen. Eine sehr schöne Erklärung über die Grenzen der Meinungsfreiheit gibt es im folgenden Spiegel-Artikel:

    “Es gibt seit Langem letztinstanzliche Rechtsprechung, die nachweislich unwahre Tatsachenbehauptungen (»Die Erde ist eine Scheibe«) eben nicht unter den grundgesetzlichen Schutz der Meinungsfreiheit nimmt, einfach, weil sie keine Meinungsäußerung darstellen, sondern die Behauptung falscher Tatsachen. Damit sind solche Äußerungen nicht verboten, aber vom Grundgesetz geschützt sind sie eben auch nicht. Wer dafür in der Debatte einen drüber kriegt, kann sich mithin nicht in diese elende Robin-Hood-Pose des Rächers der Entrechteten werfen und jammern: Es ist doch Meinungsfreiheit. Ist es nicht, weil: Ist ja keine Meinung.”
    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/friedrich-merz-und-schwarz-rot-die-debatte-um-luegenverbote-a-c859bdd3-3062-40c4-a7d3-625fec18b777

    • #11 Joseph Kuhn
      31. März 2025

      @ Staphylococcus rex:

      Wobei in Deutschland nicht nur falsche Tatsachenbehauptungen den Schutz der Meinungsfreiheit nicht in Anspruch nehmen können, auch manche echte “Meinungen” nicht, z.B. Beleidigungen.

      Wie Trump & Co. Meinungsfreiheit ausbuchstabieren, kann man derzeit ständig in den Medien lesen: ihre eigene gilt, alles andere ist Lüge und wird nach Möglichkeit gecancelt. Dass Vance die Chuzpe hatte, bei der Münchner Sicherheitskonferenz die Europäer über Meinungsfreiheit zu belehren, ist bemerkenswert.

      Dieser einseitige Umgang mit der Meinungsfreiheit ist übrigens beiden Fraktionen der Trump-Administration, der libertären und der postliberalen, gemeinsam.

  11. #12 Petrolhead
    31. März 2025

    Timothy Snyder und seine Frau sowie der Faschismus-Forscher Jason Stanley haben den USA und ihren Lehrstühlen an der Yale-Universität übrigens den Rücken gekehrt und sind nach Kanada ausgewandert.

    .

    Wenn der vierte Wissenschaftler die Segel streicht, haben die in den USA gar keinen mehr.

  12. #13 libre
    Salzbzurg
    31. März 2025

    Zu allem bisherigen Bla-Bla-Bla auch das noch

    … Wenn der vierte Wissenschaftler die Segel streicht, haben die in den USA gar keinen mehr.

    Geht’s noch dümmer?
    Ja/nein, Trump kann es zumindestens noch dreister – Kanada und Grönland waren da wohl nur Vorboten:

    “Trump deutet Kandidatur für dritte Amtszeit an”: https://www.merkur.de/politik/trump-deutet-kandidatur-fuer-dritte-amtszeit-an-der-verfassung-zum-trotz-zr-93659455.html

    Für mich war Trump bisher eher eine Ausnahmeerscheinung im Rahmen der demokratischen Spielregeln, aber hier wird’s brenzlich. Da wechsle auch ich ins dezidierte Anti-Trump Lager.

  13. #14 Joseph Kuhn
    1. April 2025

    @ Petrolhead, @ libre:

    Adrian Kreye schreibt zu den drei Emigranten in der Süddeutschen:

    “Wenn mit Marci Shore, Timothy Snyder und Jason Stanley gleich drei prominente Geisteswissenschaftler die USA verlassen, ist das ein Alarmsignal. Intellektuelle sind in politischen Systemen so etwas wie einst der Kanarienvogel im Kohlebergwerk, der noch vor den Menschen stirbt, wenn giftige Gaste austreten.”

    Etwas peinlich die Einlassung des Präsidenten der TU München, der um Emigranten wirbt:

    “Allerdings gehe es nicht darum, möglichst viele Personen zu holen: ‘Wir konzentrieren uns auf die absolute Weltspitze in strategisch wichtigen Fachbereichen, die exzellent zur TUM passen würden.’“

    Als humanitäres Signal wird man diese Humankapital-Rationalität kaum werten können. Um technokratische Verkümmerungen des Denkens möglichst zu vermeiden, hatte man nach dem zweiten Weltkrieg den Technischen Hochschulen geistes- und sozialwissenschaftliche Zweige angefügt:

    “In seiner Eröffnungsrede zur TU Berlin im April 1946 betonte der für den britischen Sektor Berlin verantwortliche General E. P. Nares, dass jeder Bildung, ob technisch oder humanistisch, das Ideal einer verantwortlichen Haltung gegenüber der Gesellschaft zugrunde liegen müsse.”

    Eine vergessene Lehre der Geschichte?

    Mit Harvard hat Trump übrigens schon die nächste Uni auf der Disziplinierungsliste. Nebenbei will er sich um Ticketpreise bei Rockkonzerten kümmern. Wo wird das alles enden?

  14. #15 Alisier
    Esch sur Alzette
    1. April 2025

    @ Joseph Kuhn
    Ich bin gerade in meiner alten Heimat unterwegs, wo für einen sehr gut funktionierenden öffentlichen Nahverkehr in sehr guten und bequemen Bussen und Bahnen nichts bezahlt werden muss, wo auch die Pflege- und Sozialsysteme extrem gut aufgestellt sind, und dennoch gibt es die lokale AfD (heißt hier ADR).
    Gut, sie hat bei den letzten Wahlen nur 10% der Stimmen bekommen, legt aber gerade in Punkto Radikalisierung und Stimmen richtig massiv zu.
    Was da gärt in allen möglichen Gesellschaften ist ziemlich komplex, und die Unzufriedenheit basiert oft auf Dingen die kaum direkt greifbar sind, denke ich.
    Nach sehr vielen Gesprächen in den letzten Tagen, auch in Frankreich zeigt sich mir ein merkwürdiges Bild, und nach dem Le Pen-Urteil rechnen viele mit einer Art Bürgerkrieg light.
    Meine These ist schon länger, dass die Unzufriedenheit, die zu Auswüchsen wie Trump, Rassemblement National, AfD oder Ähnlichem führt auf einer gefühlten Leere basiert, die viele Menschen früher so nicht spürten. Viele fühlen sich verloren, nicht mehr irgendwo eingebunden, nicht mehr sicher, obwohl es ihnen z.B. finanziell nicht unbedingt schlechter geht als ihren Eltern.
    Und das kann man allein über Geld wahrscheinlich nicht lösen.
    Ich denke mal bei der anstehenden langen (vielleicht sehr langen: in Deutschland 3,5 Stunden Verspätung mit ICE bei der Hinfahrt) Zugfahrt weiter darüber nach.
    Sobald ich jenseits der deutschen Grenze war hörten Probleme und Verspätungen übrigens wie durch ein Wunder auf. Ist übrigens immer so.

  15. #16 Alisier
    Esch sur Alzette
    1. April 2025

    P.S.
    Sehr viele nicht unbedingt rechts wählende, gut situierte Menschen, die ich z.T. über 40 Jahre kenne, aber sehr lange nicht gesehen hatte, sind jetzt antiliberal in Deinem Sinne eingestellt.
    Vor 20 Jahren waren sie es noch nicht.
    Wir haben damals schon über ähnliche Themen diskutiert.

  16. #17 Ron
    1. April 2025

    Mein Erklärungsansatz für die gegenwärtige tiefe individuelle Unzufriedenheit in der Bevölkerung: das völlige Fehlen von intensiven sozialen Beziehungen (zB Freunde, Partnerschaft, Familie) und einem erfüllenden und sinnstiftenden Privatleben (zB Hobby, Begegnung, Unterstützung, Dialog, Neugier, Entdeckung, Abenteuer). Aus meiner Sicht haben die Menschen verlernt, einige haben es niemals gelernt, diese Dinge aktiv selbst zu gestalten. Die Folgen sind bekannt: Vereinsamung, Realitätsflucht, Realitätsferne, Angst, Frust, Hass, Sehnsucht nach Autoritäten usw.

  17. #18 RPGNo1
    1. April 2025

    Gebt Amerikas Spitzenforschern eine neue Heimat!

    Ein Gastbeitrag von Nicola Fuchs-Schündeln, Ulrike Malmendier, Monika Schnitzer, Moritz Schularick, Achim Truger, Georg Weizsäcker, Martin Werding und Cornelia Woll

    US-Spitzenforscher leiden unter der Trump-Regierung. Deutschland sollte sie mit einem ambitionierten »Meitner-Einstein-Programm« ins Land locken. Es würde die hiesige Innovationskraft stärken.

    https://archive.is/EwN0J

    • #19 Joseph Kuhn
      1. April 2025

      @ RPGNo1:

      Ob man Spitzenforscher „locken“ sollte, womöglich auf Kosten der Karrierechancen junger europäischer Nachwuchskräfte?

      Und warum werben wir z.B. nicht um ganz normale amerikanische Ärzte, die vielleicht auch Angst haben und die wir auch gut brauchen könnten?

  18. #20 naja
    1. April 2025

    Meine Erklärung ist die Globalisierung, wie sie gelebt wird. Zum Vorteil der Finanzmärkte und zum Nachteil der Massen. Je entgrenzter, desto weniger Einfluss und Gewicht hat der einzelne Bürger mit seinen Anliegen. So erkläre ich mir auch den Rechtsruck und die Feindlichkeit gegenüber Migranten, die das Sinnbild der Globalisierung zu sein scheinen.

  19. #21 Alisier
    ICE
    1. April 2025

    @ Ron
    Da gehe ich mit.
    Das sind auch meiner Meinung nach wichtige Gründe.

  20. #22 Alisier
    ICE
    1. April 2025

    @ naja
    Auch Deine Gründe scheinen mir einleuchtend.

  21. #23 Staphylococcus rex
    2. April 2025

    Das Böckenförde-Diktum (siehe Einleitung) stellt eine wichtige und hochaktuelle Frage: Mit welchen Kräften wird eine Gesellschaft zusammengehalten und wie stark sind diese Kräfte?

    Die Religion kann den Zusammenhalt zwischen den Menschen stärken, sie kann aber auch eine Gesellschaft spalten, wenn sie machtpolitisch missbraucht wird, Beispiele sind der 30-jährige Krieg und später die belgische Revolution 1830 mit der Abspaltung Belgiens. Die nachlassende Bedeutung der Religion ist aus meiner Sicht nicht bedauerlich, sondern eine historische Notwendigkeit.

    Eine weitere Form des Zusammenhalts sind gemeinsame Werte, z.B. das “niemals wieder” nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus. Diese Werte werden verkörpert vom historischen Gedächtnis. Dieses historische Gedächtnis hat zwei Komponenten, die kollektiven Erinnerungen der Zeitzeugen und zusätzlich die kollektiven Prägungen der Nachkommen der damaligen Betroffenen. Wenn die unmittelbaren Zeitzeugen wegsterben, hat dies auch einen Einfluss auf die Stärke des historischen Gedächtnisses.

    Sprache bzw. Nationalität ist ein wichtiges Bindemittel, deshalb existieren die meisten Staaten als Nationalstaaten. Die ethnische Bereinigung gemischter Bevölkerungsgebiete hat in der Vergangenheit zu viel Leid geführt, deshalb ist das Konzept der Nation nicht uneingeschränkt positiv zu sehen.

    In der Vergangenheit haben expansionistische Staaten ihre Unterschichten gezielt eingebunden, sei es das Prinzip “Brot und Spiele” bei den Römern oder die “Volksgemeinschaft” und die “Kraft durch Freude” Bewegung im dritten Reich. Auch wenn Trump DEI-Programme verteufelt, das Prinzip “Brot und Spiele” ist ein Inklusionsprogramm für die eigenen Unterschichten und wenn Trump aktuell die Tickets von Konzerten billiger machen möchte, geht dies punktuell in diese Richtung.

    Damit eine Gesellschaft funktioniert, braucht sie einen inneren Zusammenhalt und ein Miteinander der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Genau dies wird aber durch rechte Populisten zerstört, wenn sie ihre Programme auf Wut und Angst aufbauen. “Brot und Spiele” ist billiger als ein echtes Sozialprogramm mit sozialem Wohnungbau und echter Bildungsreform. Deshalb tun sich die demokratischen Kräfte derzeit wohl so schwer.

  22. #24 Staphylococcus rex
    2. April 2025

    In einer Gesellschaft wird es immer unterschiedliche Meinungen geben, das ist kein Problem, wenn diese Meinungsverschiedenheiten in der Diskussion geklärt werden können. Eine Diskussion setzt aber voraus, dass über die grundlegenden Fakten Einigkeit besteht, dies wird aktuell aber zu einem immer größeren Problem. Fakten werden oftmals nicht mehr akzeptiert und durch gefühlte Wahrheiten ersetzt.

    Ein perfektes Beispiel ist die aktuelle Verurteilung von Le Pen. Die nachgewiesene Veruntreuung von öffentlichen Geldern ist eine Straftat und da darf es keinen Prominenten-Bonus geben. Der Entzug des passiven Wahlrechts ist selten, aber das Gesetz ist in Frankreich nicht neu. Im Normalfall fällt ein verurteilter Ex-Abgeordneter aus den Listenplätzen für die nächste Wahl, hier reguliert sich das System selbst. Nur bei verurteilten Spitzenpolitikern versagt diese Selbstregulierung und nur dort ist unabhängig von der Parteizugehörigkeit eine Aussetzung des passiven Wahlrechts zusätzlich erforderlich:
    https://www.tagesschau.de/inland/regional/nordrheinwestfalen/wdr-le-pen-urteil-politologin-zu-rechtspopulisten-und-opfer-narrativen-100.html

    Es gibt keine Sonderbehandlung von Le Pen. Dies einem Anhänger ihrer Partei (oder der AfD) klar zu machen, dürfte sehr schwer fallen, ein Faktenchecker hilft nichts, wenn die grundlegenden Fakten nicht akzeptiert werden.

  23. #25 Frank Wappler
    https://debate.evaded--is.factuality.denied
    2. April 2025

    Staphylococcus rex schrieb (#10, 31. März 2025):
    > [ Nikolaus Blome schrieb (31.03.2025, 13.49 Uhr) https://www.spiegel.de/politik/deutschland/friedrich-merz-und-schwarz-rot-die-debatte-um-luegenverbote-a-c859bdd3-3062-40c4-a7d3-625fec18b777 ]

    Es gibt seit Langem letztinstanzliche Rechtsprechung, die nachweislich unwahre Tatsachenbehauptungen (»Die Erde ist eine Scheibe«)

    … Oder womöglich noch heimtückischer z.B.:
    »Die Länge eines sich bewegenden Stabes kann durch gleichzeitiges Ablesen der beiden Enden bestimmt werden.«

    eben nicht unter den grundgesetzlichen Schutz der Meinungsfreiheit nimmt, einfach, weil sie keine Meinungsäußerung darstellen, sondern die Behauptung falscher Tatsachen. Damit sind solche Äußerungen nicht verboten, aber vom Grundgesetz geschützt sind sie eben auch nicht. Wer dafür in der Debatte einen drüber kriegt, kann sich mithin nicht in diese elende Robin-Hood-Pose des Rächers der Entrechteten werfen und jammern […] (Hervorhebung: FW.)

    In welcher Debatte ?!? …

  24. #26 RPGNo1
    2. April 2025

    @Staphylococcus rex

    Danke für den Link zur Tagesschau. In einem Punkt möchte ich dem Interview jedoch widersprechen bzw. ergänzen. Nicht nur die Rechtspopulisten/-radikalen/-extremisten schreien laut Zeter und Mordio.

    Die Linkspopulisten schimpfen ebenso rum, wie z.B. Yanis Varoufakis, der wortgewaltigen Wirtschaftswissenschaftler und kurzzeitige griechische Finanzminister, Unterstützer von Syriza, Gründer von ΜέΡΑ25.

    When Turkey’s courts ban Erdogan’s frontrunning Presidential opponent, the liberal mind rebels and rejects forthwith Erdogan’s argument that the law is the law. When France’s courts do they same, the liberal mind rejoices & parrots the law is the law. Mind-boggling hypocrisy!

    https://bsky.app/profile/yanisvaroufakis.bsky.social/post/3lloeygmz222h

    Fühlt sich da jemand ertappt? Wer weiß, wer weiß! 😉

  25. #27 naja
    3. April 2025

    @ RPGNo1
    Meinst du Erdogan ist weniger Korrupt als Imamoglu?

    Die Leute regen sich über die Türkei auf, weil der korrupteste von allen der Sultan vom Bosporus höchstpersönlich ist.

    Das ist in der Türkei das Problem. Wenn Gesetz ist Gesetz gelten würde, wäre Erdogan schon lange weg.

  26. #28 RPGNo1
    3. April 2025

    @naja

    Was hat es damit zu tun, ob Erdogan oder Imamoglu korrupt sind? Varoufakis vergleicht Äpfel mit Birnen.

    Le Pen wurde in einem rechtsstaatlichen Verfahren vor einem unabhängingen Gerichts für schuldig befunden. Imamoglu wurde unter vorgeschobenen Gründen von einer Justiz inhaftiert, die Erdogan hörig ist.
    Oder anders:
    Imamoglu wurde aus politischen Gründen gesperrt, während Le Pen gesperrt wurde, weil sie gegen das Gesetz verstoßen hat.

  27. #29 hto
    wo die Suppenkaspermentalität ...
    3. April 2025

    “Wenn Gesetz ist Gesetz gelten würde, wäre Erdogan schon lange weg.”

    @RPGNo1
    Da muss ich naja mal recht geben, auch wenn das nur ein zynischer Scheinausbruch / Schadenfreude von naja ist 😉

  28. #30 Staphylococcus rex
    3. April 2025

    Kleine Ergänzung: Strafe und Straftat müssen in einem Bezug zueinander stehen. Wenn Le Pen unter Alkohol Auto gefahren wäre, dann wäre der Entzug des passiven Wahlrechts fragwürdig. Aber Le Pen hat die Gelder in ihrer Funktion als als Vorsitzende ihrer Fraktion im EU-Parlament veruntreut. Wenn ihr deshalb eine “Abklingzeit” von 5 Jahren verordnet wird, mag dies zwar als harte Strafe erscheinen, ist aber prinzipiell gerechtfertigt und angemessen.

  29. #31 Frank Wappler
    3. April 2025

    Staphylococcus rex schrieb (#24, 2. April 2025):
    > […] Diskussion setzt aber voraus, dass über die grundlegenden Fakten Einigkeit besteht […]

    Grundlegender als fertige Fakten sind allerdings die (jeweiligen) Festsetzungen, wie eventuelle Fakten ggf. überhaupt ermittelt (bzw. “gefertigt”) werden sollten und könnten. Eine Diskussion kann demnach als erfolgreich gelten, wenn Rechenschaft darüber gegeben und erhalten wurde, wer welche solche Festsetzungen gewählt bzw. akzeptiert hat. (Wenn immerhin so viel erreicht wurde, ist es am verträglichsten, bis auf Weiteres das Thema zu wechseln …)

    > […] ein Faktenchecker hilft nichts, wenn die grundlegenden Fakten nicht akzeptiert werden.

    Ein Faktenchecker kann (auch) prüfen, ob die (jeweils) gewählten bzw. akzeptierten Festsetzungen zur Ermittlung eventueller Fakten Gewissen-haft befolgt wurden.
    (Gewissen-Haftigkeit bleibt allerdings Voraussetzung für Diskussions-Erfolge.)

  30. #32 naja
    3. April 2025

    @ RPGNo1
    Da bin ich ganz bei Dir.

  31. #33 Joseph Kuhn
    7. April 2025

    Trumps Demokratieabbau

    In der Süddeutschen ist heute ein Interview mit dem in den USA lehrenden Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller, leider hinter der Paywall. Seine These: “Demokratien gehen nicht am Volk zugrunde, sondern an Eliten.”

    Und: “Trump versteht das wahrscheinlich alles gar nicht, aber er hat das Vakuum geschaffen, in dem ein von niemandem autorisiertes Herumexperimentieren am offenen Herzen von Staat und Gesellschaft möglich wird.” Müller spielt hier auf die Ideen von Leuten wie Peter Thiel oder Elon Musk an, sich vom Staat und seinen aus der gesellschaftlichen Entwicklung resultierenden Verfahren und Regeln zu befreien und nach eigenem Gutdünken ganz neu anzufangen.

  32. #34 Joseph Kuhn
    16. April 2025

    Strömungen

    “Dark Enlightenment”: https://en.wikipedia.org/wiki/Dark_Enlightenment

    Dazu passend: Interview mit Steven Pinker in der Süddeutschen (leider hinter der Paywall): „Das ist die komplette Verachtung der Wissenschaft“

  33. #35 Staphylococcus rex
    16. April 2025

    Ein besonders krasses Beispiel an Mißachtung rechtsstaatlicher Prinzipien ist im Getöse der letzten Tage etwas untergegangen:
    https://www.spiegel.de/ausland/donald-trump-regierung-laesst-offenbar-lebende-einwanderer-in-datenbank-fuer-tote-eintragen-a-d05cb97e-101f-4d1f-b535-0165be996783

    Der Entzug der Sozialversicherungsnummer führt dazu, dass die betroffene Person nicht mehr legal arbeiten kann und keine Sozialleistungen beziehen kann. Letztendlich sind die betroffenen Personen vogelfrei. Eine derartig schwerwiegende Strafe ist aus meiner Sicht vergleichbar dem Entzug der Staatsbürgerschaft und wäre nur nach einer Einzelfallprüfung als Beschluß eines Gerichts akzeptabel, keinesfall aber als behördliche Anordnung. Das ist jetzt “nur” ein kleiner Testballon, die massenhafte Anwendung wird offensichtlich vorbereitet.

    Die Krokodilstränen von DT beim Entzug der passiven Wählbarkeit der regulär verurteilten Straftäterin Le Pen wirken da etwas deplatziert.

  34. #36 Joseph Kuhn
    13. Mai 2025

    Die gute alte USA

    »Barbie war als Militärberater tätig, die Befehle erteilte die CIA«, sagt Caballero, der ab Ende der Siebzigerjahre regelmäßig Kontakt mit Barbie hatte. Der habe »bei Umstürzen mitgeholfen, wenn sie dem amerikanischen Interesse dienten«, sagt Caballero. »Er war in Argentinien aktiv, er hatte ein Netzwerk von Kontakten, um die Dinge zu machen, die die CIA selbst nicht machen konnte.«

    https://www.spiegel.de/panorama/justiz/klaus-barbie-wie-der-nazi-schlaechter-zum-koks-kartell-in-bolivien-gelangte-a-9092099d-59e1-4a62-afb5-ae31012adfcc