Im Februar hatte ich hier im Blog zur Diskussion gestellt, wie sich Europa angesichts des brutalen Verhaltens von Trump verhalten wird, inwiefern es seine Eigenständigkeit entwickeln oder eher unterwürfig auf die Gnade des Hegemons hoffen wird.

Vermutlich ist es noch zu früh, um das zu beurteilen zu können, aber Weichen werden auch jetzt schon gestellt. Und man gewöhnt sich an das eine oder andere, die „Normalisierung“ des Unnormalen vollzieht sich hinterrücks und oft unbemerkt.

Für manche war beispielsweise die Rede von Vizepräsident Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz, in der er den Europäern einen Kübel Jauche übergekippt hat, indem er die Versuche zur Eindämmung des Rechtspopulismus als eigentliche Gefahr für Europa erklärt hatte, ganz normal. Für Hubert Aiwanger etwa war sie eine Gelegenheit zur Solidaritätserklärung gegenüber dem Trumpismus, statt den „europäischen Werten“.

Viel Aufmerksamkeit hat kürzlich auch das Verhalten des NATO-Generalsekretärs Rutte gegenüber Trumps Egomanie erregt. Er schrieb ihm:

„Herr Präsident, lieber Donald,
ich gratuliere dir und danke dir für dein entschlossenes Handeln im Iran, das wirklich aussergewöhnlich war und was sich sonst niemand getraut hat zu tun. Das macht uns alle sicherer.
Du wirst heute Abend in Den Haag einen weiteren grossen Erfolg feiern. Es war nicht einfach, aber wir haben sie alle auf 5 Prozent gebracht!
Donald, du hast uns zu einem wirklich sehr wichtigen Moment für Amerika und Europa und die Welt geführt. Du wirst etwas erreichen, was KEIN amerikanischer Präsident in den letzten Jahrzehnten zustande gebracht hat.
Europa wird in hohem Masse dafür bezahlen, und das sollte es auch, und es wird dein Sieg sein. Ich wünsche dir eine gute Reise und wir sehen uns beim Dinner Seiner Majestät!
– Mark Rutte”

Peinlich? Lustig? Geschickt? Übertrieben? Von allem etwas? In der Politik und den Medien finden sich alle denkbaren Auslegungen des Vorgangs. Welchen „Werten“ sich Rutte verpflichtet fühlt, ist unklar, er hat seine moralische Beweglichkeit mehrfach unter Beweis gestellt. „Realpolitik“, würden manche sagen, „machiavellistischer Opportunismus“ andere.

Als Trump den Iran angriff, vielleicht angesichts der Israel-Vernichtungsphantasien des Regimes in Teheran sogar begründbar, erklärte Merz, er sehe „keinen Grund“, die USA für den Angriff zu kritisieren. Außen- und Verteidigungsminister haben sekundiert. Musste Merz das so formulieren? Sieht er wirklich „keinen Grund“? Keine politischen Gründe, keine völkerrechtlichen? Er hätte ja in der Abwägung aller Gründe durchaus zum Schluss kommen können, dass er den Angriff für richtig hält, aber ob er Gründe abgewogen oder unreflektiert gesprochen hat, weiß man nicht. Nimmt man ihn wörtlich, hat er nichts abgewogen.

Hinter solchen Verhaltensweisen steckt das machtpolitische Dilemma, in dem sich die EU und Deutschland befinden: Die USA sind unstrittig die Führungsmacht des Westens, „Westen“ im Sinne des Gegenpols zu Russland und China. Führungsmacht der liberalen Demokratien sind die USA nicht mehr, das stellt Trump täglich unter Beweis, mit Angriffen auf die Justiz, die Presse, die Wissenschaft oder Nichtweiße. Ein verlässlicher Bündnispartner sind die USA auch nicht mehr, sie bedrohen vielmehr ihre Verbündeten mit territorialen Forderungen. Putin und Trump, wo genau ist in der Frage der Unterschied? Dass Putin nicht unser Bündnispartner ist?

Appeasement gegenüber Trump dürfte so unwägbar sein wie Appeasement gegenüber Putin. Keine Vereinbarung ist verlässlich. Was Trump heute verspricht, kann morgen Makulatur sein, wenn er wieder etwas zum Drohen braucht, einen Einsatz für einen „Deal“. Aber was sind die Alternativen? Sich von den USA lossagen ist keine gute Alternative, gerade wenn Russland, unter revanchistischen Phantomschmerzen seines geschrumpften Imperiums leidend, Osteuropa destabilisieren will. Man kann zwar die Meinung vertreten, dass Russland keinen großen Krieg mit der NATO, auch nicht mit den europäischen NATO-Staaten will, aber reicht es nicht, wenn es in Osteuropa, wie amerikanische think tanks es gelegentlich den USA für den Nahen Osten nahegelegt haben, die Strategie verfolgt „wir können keine neue Ordnung schaffen, aber Chaos, und so verhindern, dass es eine Ordnung gegen uns gibt“?

Die Bundesregierung, Europa und die NATO stecken in einem echten Dilemma. Wie sie sich verhalten, hat Einfluss auf die innere Verfassung der europäischen Länder, auf die Balance zwischen „Kriegstüchtigkeit“ und Sozialstaatlichkeit, auf die Glaubwürdigkeit ihrer „Werte“ gegenüber der eigenen Bevölkerung wie gegenüber dem „globalen Süden“, darauf, wie sie von der „systemischen Konkurrenz“, also China und Russland gesehen werden, und natürlich, wie Trump mit ihnen umgeht. Keine einfach Aufgabe. Aber gewiss eine, deren Lösung eng mit der Zukunft der Demokratie in Europa zusammenhängt.

Wir, die Bürger:innen, sind in diesem Dilemma auch gefragt: Ist uns die liberale Demokratie etwas wert? Oder ist sie uns egal, weil sie, wie rechte Ideologen um Curtis Yarvin oder Hans-Hermann Hoppe sagen, ihre Versprechen eh nicht erfüllt und zudem ökonomisch ineffizient ist? Ist China nicht tatsächlich erfolgreicher? Und wenn die „Demokratie“ der Preis für billigere Autos ist, dann sei es eben so? Und das auch dann noch, wenn es die billigeren Autos eines Tages nur noch für Personen mit gutem „social score“ gibt, oder der richtigen ethnischen Zugehörigkeit? Man wird ja schon nicht zu den „anderen“ gehören?

Wo verläuft die Grenze zwischen Diplomatie und Selbstaufgabe? Das Dilemma der Politik ist auch unser Dilemma. Wofür stehen wir, vielleicht etwas versteckt hinter notgedrungen netten Worten gegenüber einem gar nicht netten Schulhofschläger, zur Not aber auch entschieden, wenn es darauf ankommt, nach innen wie nach außen?

Kommentare (10)

  1. #1 hto
    2. Juli 2025

    “Das Dilemma der Politik ist auch unser Dilemma.”

    Wir “leben”/vegetieren in einer Zeit, wo schlimma imma geht, siehst Du hier:

    “Der Fossilismus kann nicht alleine militärisch besiegt werden. Er ist stärker als Kapitalismus und Sozialismus” 😉

  2. #2 Mr. Orange
    2. Juli 2025

    Man hofft erkennbar, dasser spätestens in drei Jahren Geschichte ist. Solange verspricht man ihm alles, wie einem verwöhnten Kind.

  3. #3 schorsch
    2. Juli 2025

    Ein verwöhntes Kind mag man windeln, aber man kriecht ihm nicht liebedienerisch in den Arsch. Marc Rutte hat ganz gewiss nicht gewindelt.

  4. #4 Robert
    2. Juli 2025

    Die effektivste Verteidigung der Demokratie wäre, wenn der Staat endlich seine verdammten Aufgaben erfüllen würde. Seit 20 Jahren herrscht Wohnungsnot und sie wird immer schlimmer. Die Schere zwischen arm und reich öffnet sich immer weiter. 45 Superreiche besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung und jeder vierte deutsche Haushalt hat überhaupt keine Ersparnisse.

  5. #5 RPGNo1
    2. Juli 2025

    Man kann zwar die Meinung vertreten, dass Russland keinen großen Krieg mit der NATO, auch nicht mit den europäischen NATO-Staaten will, aber reicht es nicht, wenn es in Osteuropa, wie amerikanische think tanks es gelegentlich den USA für den Nahen Osten nahegelegt haben, die Strategie verfolgt „wir können keine neue Ordnung schaffen, aber Chaos, und so verhindern, dass es eine Ordnung gegen uns gibt“?

    Der Initiator des Stellungnahme ist Johannes Varwick, dem schon seit langem (nicht zu Unrecht, wie ich meine) ein realitätsfernes und apologetisches Verhalten gegenüber Putin und Russland nachgesagt wird.

    https://www.merkur.de/politik/geheimdienst-chef-warnt-vor-putin-vorbereitung-fuer-krieg-gegen-nato-93778411.html

    Damit soll es auch mit OT gewesen sein.

  6. #6 Staphyloccus rex
    2. Juli 2025

    Appeasement ist in erster Linie Ausdruck asymmetrischer Machtverhältnisse und hat für die weniger gewaltbereite Seite den Zweck Zeit zu gewinnen. In dieser Hinsicht ist für mich dieser Begriff weder positiv noch negativ besetzt. Viel wichtiger ist die Frage, wofür die gewonnene Zeit genutzt wird.

    Wenn es dazu dient Lieferketten neu zu ordnen, die eigene Machtposition in einem Konflikt zu stärken (Aufrüstung) und die eigenen Reihen zu schließen, dann ist der Zeitgewinn gut investiert. Wenn dagegen es auf eine Kapitulation hinausläuft, sollte man es auch so benennen.

    Im Jahr 1938 war aus meiner Sicht der Hauptgrund der Beschwichtigungspolitik der Westalliierten der Umstand, dass die eigene Bevölkerung nach dem ersten Weltkrieg immer noch kriegsmüde war und die Zeit bis zum 01.09.1939 notwendig war, um der eigenen Bevölkerung die Sinnlosigkeit einer Beschwichtigung Hitlers vor Augen zu führen. Militärisch wäre eine frühe Konfrontation aus Sicht der Westalliierten von Vorteil gewesen, Deutschland war zu jenem Zeitpunkt noch nicht wirklich kriegsbereit.

    Ein erfolgreiches Auftreten der EU gegenüber Trump oder Putin erfordert eine innere Geschlossenheit und die Bereitschaft der Bürger die dafür notwendigen Opfer zu bringen. Und bis dahin heißt es gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

    Die Äußerungen von Merz zum Angriff auf den Iran halte halte ich für falsch, aber das würde diesen Beitrag bei weitem sprengen.

  7. #7 Staphylococcus rex
    2. Juli 2025

    Was den Angriff auf den Iran betrifft, aus vökerrechtlicher Sicht gibt es dazu einen guten Beitrag auf Tagesschau.de:
    https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/us-angriff-voelkerrecht-100.html

    Das Gewaltverbot in internationalen Beziehungen ist ein sehr schwerwiegendes Gut und es sollte gute Begründungen geben, wenn man sich darüber hinwegsetzt. Beim Angriff der USA auf den Iran habe ich derartige Begründungen nicht gehört, obwohl es durchaus Begründungen gegeben hätte.

    Als erstes sollte eine derartige Regel für beide Seiten gelten. Der Iran hat in der jüngeren Geschichte sich mehrfach einseitig über das Gewaltverbot hinweggesetzt. Die Besetzung der amerikanischen Botschaft (und deren Duldung und Instrumentalisierung durch die iranische Regierung) zu Beginn der islamischen Revolution war ein klarer Bruch des Völkerrechts. Aktuell muss man sagen, dass die Angriffe der Huthi-Rebellen aus dem Jemen auf Israel und auf den Schiffsverkehr ohne die aktive Unterstützung des Irans unmöglich wären. Etwas überspitzt kann man die Huthi-Rebellen als inoffizielle Söldnertruppe des Iran bezeichnen. Somit wäre der Iran nicht nur Unterstützer von Hamas und Hisbollah, sondern auch aktive Kriegspartei.

    Ich bin kein Spezialist für das Völkerrecht, aber aus meiner Sicht loten derzeit alle Konfliktparteien die Grauzonen des Völkerrechts aus. Merz hätte auch sagen können, dass die Opferrolle des iranischen Regimes nicht wirklich glaubhaft ist und dabei ohne moralische Wertung beide Seiten zur Mäßigung aufrufen können.

  8. #8 Doe
    4. Juli 2025

    ….Rex
    gut, dass du den Verlauf der Geschichte im Längsschnitt
    betrachtest.
    Von Selbstaufgabe war in Deutschland noch nie die Rede. Nur mal ein kurzer Blick zurück in das Jahr 1991.
    Die innerdeutsche Grenzen war gefallen.
    Und was tat die mit Stolz erfüllte Regierung, sie schuf neue Grenzen auf dem Balkan. Leider etwas aus dem Focus geraten. Herr Genscher drängte auf die Auflösung Jugoslawiens und erkannte im Alleingang Kroatien und Slowenien als eigenständige Staaten an, gegen den Willen der anderen EU – Länder.
    https://www.dw.com/de/kroatien-kann-anerkennen-s%C3%BCnde-sein/a-19351653

    also Nix mit Selbstaufgabe !
    Und der nächste Schritt erfolgte etwa 10 Jahre später, diesesmal mit der Zustimmung der EU, und der bezog sich auf den Staat Ukraine….diese Geschichte lässt sich unterschiedlich beurteilen…..und sie ist bis heute aktuell.
    Und die Krönung dabei, Deutschlands Verhältnis zu Rußland wurde auf eine finanzielle Basis gestellt. Gemeint ist dabei die Ostseepipeline.
    Wieder Nix mit Selbstaufgabe.

    Dann folgte die “Zeitenwende”.
    Ob man die als Diplomatie betrachten soll ?

    Und in diesem Jahr, auch keine Selbstaufgabe, die Waffenindustrie boomt, der Aktienkurs von Rheinmetall erhöhte sich sehr stark.
    Schon wieder keine Selbstaufgabe.

    Was hat jetzt die USA mit alldem zu tun ?
    Die versucht an diesem Geschäft mitzuverdienen, genauer , sie übernimmt dabei die Führung.

    Den Kommentar dazu, den sollen andere übernehmen.

  9. #9 Joseph Kuhn
    8. Juli 2025

    Netanjahu schlägt Trump für Friedensnobelpreis vor

    “Sie haben ihn verdient, und Sie sollten ihn bekommen.”

    https://www.zeit.de/politik/2025-07/benjamin-netanjahu-donald-trump-friedensnobelpreis-weisses-haus

  10. #10 Doe
    8. Juli 2025

    zu #9
    Passt !
    Selbstaufgabe kommt für Israel nicht infrage.
    Für Herrn T. auch nicht.
    Was dazwischen liegt, das kann man mit “Diplomatie” beschönigen.
    Google schreibt dazu:”Diplomatie ist die Kunst und Praxis, Beziehungen zwischen Staaten, Gruppen oder Einzelpersonen durch Verhandlungen und Kommunikation zu pflegen und zu gestalten, um Interessen zu wahren und Konflikte friedlich zu lösen.

    Anmerkung: Wieder Nix mit dem Sommerloch.