In der Gesundheitsversorgung wird vieles über Bundesrecht gesteuert, etwa durch die Sozialgesetzbücher. Teilweise gilt das auch für die Prävention, wenn man z.B. an den Infektionsschutz denkt oder die präventiven Leistungen der Sozialversicherungsträger. Das ist grundsätzlich auch sinnvoll, es soll schließlich keinen regionalen Flickenteppich sozialstaatlicher Leistungen geben. Gleichwertige Lebensverhältnisse haben gem. Art. 72 (2) GG sogar Verfassungsrang.
Allerdings darf das nicht dazu führen, dass regionale Bedarfslagen und Besonderheiten aus dem Blick geraten. Aus diesem Grund wird seit einiger Zeit wieder vermehrt die kommunale Ebene als Mitgestalter ins Spiel gebracht. Beispielsweise wollte Karl Lauterbach im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz kommunale Verantwortlichkeiten durch Instrumente wie „Gesundheitskioske“ oder „Primärversorgungszentren“ stärken, die auf kommunale Initiative hin eingerichtet werden sollten. Es kam dann bekanntlich anders.
Dass die Rolle der Gesundheitsämter als Public Health-Akteure vor Ort überdacht werden sollte, ist dabei keine neue Erkenntnis. Läuserechen und Schuleingangsuntersuchungen sind schon lange nicht mehr der Horizont des Handelns des ÖGD. Immer wieder werden dabei „Koordination“ und „Steuerung“ als wichtige Aufgaben des ÖGD auf der kommunalen Ebene genannt. Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement hatte solche Aufgaben bereits 1998 in einem wegweisenden Papier zur Reform des ÖGD in den Vordergrund gestellt und der Soziologe Christian von Ferber hat ebenfalls schon vor 30 Jahren nachdrücklich mehr „Regiekompetenz“ der Gesundheitsämter gefordert. Diese Idee ist seitdem immer in der Diskussion geblieben – und leider oft zur gedankenlosen Floskel verkommen.
Was kann „kommunale Regiekompetenz“ des ÖGD konkret bedeuten? Der ÖGD kann ja z.B. nicht die Bedarfsplanung und die Sicherstellungsaufträge im ambulanten und stationären Bereich übernehmen (wobei, was kaum jemand weiß, z.B. in Bayern der Sicherstellungsauftrag für die stationäre Versorgung auf dem Papier tatsächlich bei den Landkreisen liegt). So ein Systemwechsel wäre zwar wirklich „disruptiv“, wie es neudeutsch oft hoffnungsvoll heißt, aber auch destruktiv. Das kann der ÖGD schlicht nicht, dazu fehlt ihm das Know How, der personelle und organisatorische Apparat und nicht zuletzt der Rechtsrahmen.
Trotzdem ist der Weg, die Gesundheitsämter stärker in die gesundheitliche Daseinvorsorge vor Ort einzubinden, richtig. Das haben auch die Länder 2018 mit dem neuen Leitbild für den ÖGD noch einmal bestätigt. Wie kann man also hier jenseits ritueller Beschwörungen der gängigen Buzzwords weiterkommen? Gestern gab es bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention dazu eine Diskussionsveranstaltung, in der zu Recht auf die Instrumente der Gesundheitsberichterstattung (mit regionalen Daten) und der kommunalen Gesundheitskonferenzen hingewiesen wurde.
Ich könnte mir vorstellen, dass man sich hier an der Strategie der EU „Offene Methode der Koordinierung (OMK)“ orientieren könnte, die für eine ähnliche Problemkonstellation entwickelt wurde: Die EU hat in manchen Politikfeldern, u.a. der Gesundheit, nur sehr eingeschränkte Eingriffsbefugnisse. Gleichwohl besteht Koordinationsbedarf zwischen den Mitgliedsstaaten. Die EU hat vor diesem Hintergrund indirekte Steuerungsinstrumente, z.B. statistische Vergleiche, Benchmarks, Lernen voneinander usw. in den Mittelpunkt gestellt. Das könnte analog auch auf der kommunalen Ebene systematisch verfolgt werden, unterstützt durch Handlungshilfen übergeordneter Institutionen wie der Landesgesundheitsämter oder des BIÖG.
Der ÖGD soll das Gesundheitswesen schließlich nicht verstaatlichen, aber er soll kompetenter Partner und Mitgestalter in einem modernen pluralistischen Gesundheitswesen sein, nicht das fünfte Rad am Wagen. Ohne ausreichende Ressourcen werden die Gesundheitsämter aber auch diese Rolle nicht übernehmen können. Es geht um Systemgestaltung, nicht um eine Sparidee.



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