Der Referentenentwurf des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) liegt nun in einer Fassung vom 8.4.2024 vor, im Umfang stark reduziert. Darin kommen die von Karl Lauterbach noch vor vier Wochen beim Kongress Armut und Gesundheit in Berlin als „substantieller Beitrag“ zur Verringerung sozial bedingter Ungleichheit vorgestellten Gesundheitskioske und Gesundheitsregionen erst einmal nicht mehr vor.

Ob Lauterbach der Kritik der Krankenkassen an der Verwendung von Versichertengeldern für öffentliche Aufgaben nachgekommen ist oder den Klagen der Kommunen über fehlende Kofinanzierungsmittel, ob er Widerstand der Länder im Bundesrat befürchtet hat oder welche Gründe auch immer er hatte – man weiß es wieder einmal nicht.

Vielleicht sollte man das Gesetz jetzt auch umbenennen. Für den Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune“ gibt es eigentlich keinen guten Grund mehr. Zu dem Thema steht in Teil A des Referentenentwurfs („Problem und Ziel“) nur noch:

„Mit dem Ziel, die Kommunen besser in die Lage zu versetzen, eine starke lokale Versorgungsinfrastruktur aufzubauen, wird die Gründung kommunaler medizinischer Versorgungszentren (MVZ) erleichtert.“

Ansonsten enthält der Entwurf vom 8.4.2024 wie schon frühere Entwurfsfassungen ein Sammelsurium an unterschiedlichsten Vorhaben. Eine gesundheitspolitische Linie ist nicht mehr erkennbar. Der prominente zweite Absatz in Teil A regelt die Sitzungsform von Gremien:

„Nachdem es den Organen der Sozialversicherungsträger (unter anderem Krankenkassen) gesetzlich ermöglicht wurde, Sitzungen mit Beschlussfassungen auch in hybrider und digitaler Form durchzuführen, soll die Zulässigkeit dieser modernen Sitzungsformate rechtssicher auch für andere Selbstverwaltungsorgane und -gremien nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch verankert werden. Dies stärkt die Funktionsfähigkeit der betreffenden Selbstverwaltungsgremien und ermöglicht eine effizientere Durchführung ihrer Sitzungen.“

Der Entwurf des GVSG war schon bisher kein Dokument einer prioritätengeleiteten Gesundheitspolitik. Jetzt wirkt es, als würde in einen Korb einfach nur noch hineingeworfen, was an Themen gerade auf dem Tisch liegt. Ich fände als Titel für das Gesetz daher „Frühjahrsblumenstraußgesundheitsthemensammelsuriumgesetz (FBSGTSG)“ passender und sehe erwartungsfreudig den Überraschungen im nächsten Entwurf entgegen.

—————-
Nachträge:
1. In der ersten Fassung des Blogbeitrags hatte ich im ersten Satz vom „dritten“ Referentenentwurf gesprochen. Der dritte war aber schon.
2. Die Primärversorgungszentren, die auch die kommunale Versorgung stärken sollten, sind ebenfalls nicht mehr im Entwurf.

Kommentare (11)

  1. #1 Blumenfrau
    13. April 2024
  2. #2 Beobachter
    13. April 2024

    Man wird, wenn man mit offenen Augen und Ohren durchs Leben geht, zwangsläufig zum Zyniker – aus Verzweiflung darüber, was man Gutes (auch angesichts des medizinischen Fortschritts) in einem Gesundheitswesen für Alle tun könnte, wenn es politisch gewollt wäre – es aber nicht getan bzw. nicht mal geplant wird.

  3. #3 Beobachter
    13. April 2024

    Nachtrag zu # 2:

    Oder:
    Es machen auch viele Leute einfach Augen und Ohren zu und wollen/können zu all den Missständen und Fehlentwicklungen (in unserem Gesundheitssystem) nichts (mehr) sagen – wie die “Drei Affen”:

    https://www.wissen.de/woher-stammt-das-sinnbild-der-drei-affen-die-nichts-sehen-hoeren-und-sagen

  4. #4 DS
    Kiefersfelden
    13. April 2024

    Zu #1:

    ….stimmt nicht ganz, Blumenfrau: in den bisherigen Entwürfen des GVSG war angekündigt, dass es ein Förderprogramm für zusätzliche Medizinstudienplätze geben sollte, welches von der GKV zu finanzieren gewesen wäre. Damit wäre erneut eine gesellschaftliche Aufgabe, die auch gesellschaftlich zu finanzieren wäre, der GKV aufgedrückt worden.

    Warum sollen Medizinstudienplätze aus Mitteln der (noch einigermaßen) solidarisch finanzierten Krankenversicherung bezahlt werden? Da wäre der Systembruch, welchen wir jetzt bereits bei der Finanzierung der Pflegeausbildung haben, fortgeführt worden.
    Ausbildung und Studium in Pflege und Medizin sind genau so zu finanzieren, wie die Ausbildung der Bankkauffrau und das Studium der Rechtswissenschaften: aus Steuermitteln!

    Insofern ist diese Anpassung im Referentenentwurf für mich okay.
    Gleichwohl hat Joseph Kuhn recht: eine gesundheitspolitische Linie ist hier nicht (mehr) erkennbar.

    • #5 Joseph Kuhn
      13. April 2024

      @ DS:

      So ganz kann ich nicht folgen. Die Ausbildung einer Bankkauffrau wird doch (vom Berufsschulunterricht abgesehen) nicht aus Steuermitteln finanziert, sondern durch die Ausbildungsbetriebe?

      Und die Pflegeausbildung: Die Finanzierung läuft über die Ausgleichsfonds, die im Wesentlichen von den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen refinanziert werden, in Bayern sind auch der Freistaat und die Pflegekassen dabei.

      Oder habe ich Ihren Punkt einfach nicht verstanden?

      Dass reguläre Studienplätze nicht von der GKV zu finanzieren sind, da sind wir uns natürlich einig.

  5. #6 Joseph Kuhn
    13. April 2024

    Schneller Minister, langsames Social Media Team?

    Die neue Version des Referentenentwurfs kursiert in den Medien, aber auf der Serviceseite des Ministeriums ist noch der alte Stand der Dinge zu den Gesundheitskiosken, mit der Ankündigung von 1.000 Kiosken und der geteilten Finanzverwortung von Kassen und Kommunen.

    Die Suchfunktion auf der Seite des BMG liefert als aktuellsten Eintrag zum Thema ein Interview mit Lauterbach vom 21.1.2024. Dort finden sich Sätze für die Geschichtsbücher:

    “Gesundheitskioske würden zu einer deutlich besseren Versorgung in den ärmsten Stadtteilen Deutschlands führen. Für 200 Kioske rechnen wir mit Kosten von circa 50 Millionen Euro. Langfristig soll es 1000 Kioske geben. Das ist ein Bruchteil der Gesamtausgaben für Krankenhäuser. Halten Sie das wirklich für unverhältnismäßig? Ich nicht. Ich halte es sogar für ein Gebot der Nächstenliebe, dass wir dort hingehen, wo die Ärmsten der Armen derzeit keine Versorgung haben.”

    Ob man das “derzeit” jetzt als “auch künftig” lesen muss?

    Angeblich sollen die Kioske, wie die Streichung der Homöopathie, im “parlamentarischen Prozess” wieder ins Gesetz verhandelt werden, liest man mancherorts. Ich bin gespannt.

  6. #7 RGS
    13. April 2024

    „Angeblich sollen die Kioske, wie die Streichung der Homöopathie, im “parlamentarischen Prozess” wieder ins Gesetz verhandelt werden, liest man mancherorts. Ich bin gespannt.“

    Ob der aktuelle Gesundheitsminister als gewiefter Stratege in Erinnerung bleibt oder als … ist n Vergessenheit gerät, werden wir sehen. Wenn ich wetten müsste würde ich auf … wetten.

  7. #8 DS
    Kiefersfelden
    14. April 2024

    Zur Finanzierung der Ausbildung in den Gesundheitsberufen:

    Um folgen zu können, gerne noch eine weitere Ergänzung zu meinen schnell formulierten Gedanken bzgl. meines ersten Posts dazu. In der Tat: im “normalen” dualen System der beruflichen Bildung in Deutschland (Grundlage ist hier das Berufsbildungsgesetz, BBiG) wird die praktische Ausbildung von den Betrieben und die theoretische Ausbildung an den Berufsschulen vom Staat finanziert. Eine Berufsschule im dualen Bildungssystem ist zu 100% aus staatlichen Mitteln (= Steuergeldern) finanziert.

    Bei den Gesundheitsberufen sieht es anders aus: hier werden die Kosten der theoretischen Ausbildung und die Kosten der praktischen Ausbildung zum überwiegenden Teil *nicht* aus Steuermitteln beglichen, sondern direkt wie indirekt aus Beitragsmitteln der GKV und der Pflegeversicherung. Indirekt, indem sog. “Ausbildungszuschläge” erhoben werden, die zwar die ausbildenden Pflegeeinrichtungen zunächst zahlen, aber dann gegenüber den Kranken-/Pflegekassen wieder geltend machen können. Beispiel für Krankenhäuser und Zitat dazu: “Im Krankenhausbereich ist der Ausbildungszuschlag Teil der allgemeinen Kostenaufstellung, die das Krankenhaus für die Patientenschaft gegenüber dessen Krankenkasse in Abrechnung bringt.”
    Für 2024 ist dies gem. § 10 Abs. 2 Satz 2 PflAFinV ein Ausbildungszuschlag je [sic!] voll- und teilstationärem Fall in Höhe von 136 EUR, welchen die Beitragszahlenden (und eben nicht die Steuerzahlenden…) über ihre Kassen tragen.

    Um dieses dem Berufsbildungssystem der BRD eigentlich wesensfremde Prinzip umzusetzen, bedarf es nicht nur zahlreicher ordnungspolitischer Grundlagen (Gesetze, Verordnungen, Richtlinien…), sondern auch eines zusätzlichen Verwaltungsapparats. Einen kleinen Eindruck für Bayern bekommt man hier: https://www.paf-bayern.de/

    Der Vollständigkeit halber möchte ich noch erwähnen, dass o.g. Aussagen für die nach dem Pflegeberufegesetz ausgebildeten Berufe gelten (= Gesundheits- und Krankenpflege, Altenpflege). Für die Mehrzahl der weiteren Gesundheitsberufe gibt es noch viel mehr Sonderregelungen, die zu einem nicht unrelevanten Teil auf einer Eigenfinanzierung durch die Auszubildenden (hier auch gerne “Schülerinnen und Schüler” genannt) basieren.

    Ich will mit diesem Thema nicht langweilen und höre schon auf…

    Schlusssatz dazu: Fakt ist, dass die Sonderstellung der Ausbildung der Sozial- und Gesundheitsberufe in Deutschland seit vielen Jahrzehnten zu einer erheblichen Schlechterstellung gegenüber den Ausbildungen nach dem BBiG führt, die Auszubildenden selbst und die Beitragszahlenden der GKV belastet. In meiner ersten Diplomarbeit im Jahr 1993, die ich zur “Aus-, Fort- und Weiterbildung” in den Pflegeberufen schrieb, konnte ich dies schon ausführen. Daher resultiert wohl meine Leidenschaft und leidet nach wie vor mein – so was altmodisches habe ich noch – Gerechtigkeitsempfinden 😉

    • #9 Joseph Kuhn
      14. April 2024

      @ DS:

      Danke für die Ergänzungen. Das Thema könnte man durchaus weiterdiskutieren. Sind bei den Pflegekräften die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen letztlich nicht so etwas wie die Ausbildungsbetriebe – wenn auch die Ausbildungsverhältnisse anders geregelt sind?

      Ich habe dazu keine eigene Expertise und auch nichts recherchiert. Falls Sie dazu einmal einen Gastbeitrag hier schreiben wollen: gerne. Sie wissen ja, wie Sie mich erreichen.

  8. #11 Joseph Kuhn
    18. April 2024

    Positionspapier des AOK-Bundesverbands

    Der AOK-Bundesverband hat ein Positionspapier zur Neugestaltung der regionalen Versorgung vorgelegt:

    https://www.aok.de/pp/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=15553&token=af725e6d4a02094a5108cd311f9b65aad2fb7a8e&download=

    Es greift die in Lauterbachs viertem GVSG-Entwurf gestrichenen kommunalen Instrumente wieder auf.