Vor 15 Jahren hatten Jan Rehmann und Thomas Wagner den Sammelband „Der Angriff der Leistungsträger“ veröffentlicht. Anlass war ein Artikel von Peter Sloterdijk in der FAZ, unter dem Titel „Die Revolution der gebenden Hand“, bis heute auf seiner Internetseite abrufbar. Sloterdjik rief damals allen Ernstes zum „antifiskalischen Bürgerkrieg“ auf. Die sogenannten „Leistungsträger“, gemeint waren damit nicht die Verkäufer:innen im Supermarkt, die Pflegekräfte im Altenheim oder die Handwerker:innen in der Autowerkstatt, sondern Seinesgleichen und die noch etwas besser Verdienenden, sollten doch besser keine Steuern zahlen. Man müsse der „nehmenden Hand“ des Sozialstaats die Mittel entziehen, schon allein der kommenden Generationen wegen:
„Die größte Gefahr für die Zukunft des Systems geht gegenwärtig von der Schuldenpolitik der keynesianisch vergifteten Staaten aus. Sie steuert so diskret wie unvermeidlich auf eine Situation zu, in der die Schuldner ihre Gläubiger wieder einmal enteignen werden – wie schon so oft in der Geschichte der Schröpfungen, von den Tagen der Pharaonen bis zu den Währungsreformen des zwanzigsten Jahrhunderts. (…) Die nehmende Hand greift nun sogar ins Leben der kommenden Generationen voraus – die Respektlosigkeit erfasst auch die natürlichen Lebensgrundlagen und die Folge der Generationen.“
Genau so ist es gekommen, würden manche sagen. Andere warten noch auf die sozialstaatsinduzierte Apokalypse. Sloterdijk hatte zumindest seinen früheren Assistenten Marc Jongen mental erfolgreich für eine AfD-Karriere ausgestattet. Dort galt es schließlich, den nationalen Sozialisten um Höcke einen neoliberalen Kontrapunkt entgegenzusetzen. Der Konflikt der beiden Flügel in der AfD ist derzeit ruhiggestellt, man will erst einmal das System aus den Angeln heben, abgerechnet – untereinander und auch sonst – wird dann zum Schluss.
Vom neoliberalen Flügel haben sich dennoch immer mehr aus der AfD verabschiedet, zu penetrant wurde der braune Geruch. Manche finden sich in neuen Klüngelgruppen wieder, zusammen mit anderen „echten Liberalen“. „Team Freiheit“ heißt eines dieser Grüppchen, angeführt von der früheren AfD-Chefin Frauke Petry und dem von der AfD 2020 ins Amt gehobenen 4-Wochen-Ministerpräsidenten Thüringens Thomas Kemmerich. Der war bis vor kurzem in der FDP. Die ist aber bekantlich vorerst ihrer disruptiven Energie zum Opfer gefallen. Jetzt also „Team Freiheit“.
Das Programm ist dasselbe wie damals: Schluss mit Steuern, Schluss mit dem Sozialstaat, wer arm ist, der möge auf „Nächstenliebe“ vertrauen:

Nächstenliebe ist sicher eine der hervorstechendsten Charaktereigenschaften neoliberaler Ideologen. Vermutlich lehnen ihre Lobbyvereine, z.B. der Verband „Die Familienunternehmer“, deswegen die Erbschaftssteuer so vehement ab – ihren Nächsten soll es an nichts fehlen. Auch eine Art der Generationengerechtigkeit.
Die „Stunde der Raubtiere“ (Giuliano da Empoli) hat nicht nur international geschlagen, auch innenpolitisch sind wir wieder in einer Situation, in der sich die „Leistungsträger“ zum Angriff ermutigt fühlen. Sie wollen den Sozialstaat nicht, sie wollen keine Solidarität, keine Rechte auf Teilhabe. Sie wollen Ellenbogenfreiheit. Ein mildtätiger Euro für nichtabschiebbare Stadtbildzumutungen ist natürlich immer im Budget.



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