Mal wieder Wal-Taxonomie vom Feinsten:
In „Mitogenomic insights into a recently described and rarely observed killer whale morphotype“ beschreiben Foote, Morin, Pitman et al den Nachweis einer subantarktischen Orca-Unterart (Polar Biology , June 2013): Orcinus orca, Type D!
Orcas oder Schwertwale sind weltweit verbreitet.
Dieser große Delphinartige mit dem plakativen Schwarz-Weiß-Muster und dem Grinsen eines Tyrannosauriers kommt vor allem in den gemäßigten und kalten Zonen der irdischen Ozeane vor.
Wie ist es möglich, dass heute noch neue Wal-Arten oder Unterarten entdeckt werden?
Und welche Bedeutung hat die Entdeckung einer neuen Walart?
Orcas sind schon sehr lange bekannt.
Zunächst fielen sie den Walfängern als Konkurrenten bei der Jagd auf große Wale auf und bekamen dementsprechend den Beinamen „Mörderwal“ oder „Killerwal“.
Durch die intensive Erforschung der Schwertwale seit den 70-er Jahren vor British Columbia kam bald heraus, dass die „Mörderwale“ ein unglaublich faszinierendes Sozialverhalten haben.Aus reißenden Bestien wurden echte Sympathieträger. Die lautstark schnatternden und pfeifenden Orcas vor der kanadischen Pazifikküste mit ihrer Vorliebe für pazifischen Lachs ergaben ein neues Bild: verspielt, intelligent, kommunikativ.Die nordpazifischen Schwertwale werden heute aufgrund ihrer äußeren Gestalt (Morphologie), Kommunikation und ihres Verhaltens in drei Populationen aufgeteilt, die sich nicht vermischen, sondern vielmehr aus dem Weg gehen.
Die Orcas in der abgelegenen Antarktis sind lange Zeit weniger im Fokus der Walforscher gewesen. Sie sind einfach zu klein in Relation zu der schweren See um den südlichen Kontinent herum und darum sehr schwierig zu entdecken. In den turbulenten 40., 50. und 60. Breitengraden um den Südkontinent herum („Screaming Sixties“, „Furious Fifties“ und „Roaring Fourties“) sind die Tiere lange Zeit fast unbemerkt geblieben.
Erst durch intensivere Beobachtungen in letzter Zeit ist deutlich geworden, dass sie offensichtlich signifikante Unterscheide zu ihren Artgenossen in höheren Breitengraden zeigen: Die antarktischen Tiere sind grundsätzlich kleiner, haben eine schmalere, sichelförmige Rückenflosse und eine fast knollenförmig abgesetzte Melone. Der weiße Fleck hinter den Augen ist sehr klein und scharf umrissen.
Solche Details an Tieren fallen nur geschulten Augen auf, die durch Erfahrung und Hintergrundwissen diese spezifischen Merkmale sicher erkennen und einordnen können.
Der Verdacht, dass die antarktischen Schwertwale eine eigene Untergruppe sind, war den Wal-Wissenschaftlern schon vor längerem gekommen.
1955 war in Neuseeland eine Gruppe von gleich 17 dieser ungewöhnlich aussehenden Tiere gestrandet, ihre Schädel kamen in eine Museumssammlung. Lange Zeit sind sie für eine Mutation gehalten worden, bis 2004 eine ganze Reihe von Photos auftauchte: Die Orcas auf den Photos hatten exakt die gleichen ungewöhnlichen Merkmale wie die 1955 gestrandeten Tiere.
Seit diesem Zeitpunkt betrachteten Pitman und seine Kollegen diese Orcas als eigenen Morphotypus: Typ D oder subantarktischer Orca.
Ihre weitere gezielte Untersuchung ergab das Verbreitungsgebiets der Wale, schließlich führten sie mit den Skeletten der Strandungsfunde von 1955 eine genetische Analyse an insgesamt durch.
Das Ergebnis: Typ D ist eine eigene Unterart!
Die DNA-Analyse hatte ergeben, dass dieser Orca-Zweig sich schon vor schätzungsweise 390.000 Jahren vom Rest der Orca-Sippschaft abgespalten haben muss. Die Typ-D-DNA unterscheidet sich deutlich von der anderer Orca-Gruppen und deutet auf eine lange eigene Entwicklung in der Abgeschiedenheit des Südozeans hin. Die Unterschiede sind so groß, dass Foote, Morin, Pitman et al diesen Morphotypen als eine neue Unterart postulieren.
Und damit gibt es nun eine neue Unterart: Orcinus orca Type D
Diese Arbeit ist auch mal wieder ein Plädoyer für den Wert und Erhalt von Museumssammlungen, wie die Autoren betonen.
Schließlich sind in den letzten 20 Jahren mit Hilfe der Museumsarchive regelmäßig neue Walarten nachgewiesen worden.
Da mich Taxonomie brennend interessiert, schreibe ich natürlich auch gern darüber:
„meertext: Der Bahamonde-Schnabelwal – ein mysteriöses Phantom aus der Tiefsee?“
„meertext: Neue Delphin-Art vor Australien entdeckt!“
(Diese beiden Beiträge befinden sich im “meertext”-Archiv. Das ist der alte Teil meines Blogs, den ich seit 2010 bis zum Umzug zu den National Geographic-Science-Blogs beitrieben habe.)
Die Entdeckung dieser Unterart hat unmittelbare Auswirkungen auf Belange des Artenschutzes: Arten dürfen nicht in ihrer Gesamtheit betrachtet werden, vielmehr müssen Unterarten und Populationen in ihrer Existenz berücksichtigt und geschützt werden. Dabei geht es jeweils um wesentlich kleinere und regional eingegrenzte Bestände, die viel verwundbarer und anfälliger für Störungen sind.
Bettina Wurche
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