Urwal aus Peru

Urwal aus Peru

„Sensationsfund – Wal in der Wüste“ lauten die Schlagzeilen dieser Tage.
Mal wieder eine Überschrift, die haarscharf an den Fakten vorbeigeht.
Ein Walfossil in der peruanischen Wüste ist nämlich kaum eine Sensation, die gibt es dort reichlich.
Die eigentliche Sensation ist, dass dieser fossile Wal schon 40 Millionen Jahre alt ist!
Aber das können natürlich nur Insider wissen.
Zum Ende dieses Artikels hin werden Sie übrigens erfahren, dass diese Walsensation eher eine Ente ist – er ist nämlich gar kein Erstfund. Er ist nur besser vermarktet worden als der zuerst publizierte peruanische Urwal.

„Wale in der Wüste“ ist eines meiner Lieblingsthemen.
2001/2002 durfte ich im Hessischen Landesmuseum mit an der Wüstenausstellung arbeiten. Und weil Wale nun einmal mein Lieblingsthema sind, hatte ich dazu den Vortrag „Wale in der Wüste“ angeboten.
Der scheinbare Widerspruch war ein schöner Aufhänger für einen Überblick über die Evolution meiner kleinen Lieblinge. Und der Titel war nicht halb so originell, wie ich damals im ersten Überschwang dachte. Bei meinen Recherchen fand ich gleich mehrere Artikel mit der gleichen Überschrift.
Der Titel ist einfach griffig –Paradoxon und Alliteration gleichzeitig, und dann noch informativ.

Sehr kurzer Überblick über Walfossilien in Wüsten

Zum Einstieg ein sehr kurzer Überblick über Walfossilien in Wüsten:
Die zurzeit ältesten Wal-Fossilien sind etwas mehr als 50 Millionen Jahre alt, also aus  dem frühen Eozän, und wurden im heutigen Pakistan und Indien gefunden:
Himalayacetus, Pakicetus und Ambulocetus sind sehr frühe Wale. Sie waren etwa wolfsgroß, gehören aber zu den Huftieren (Auch die heutigen Wale sind eine Gruppe innerhalb der Paarhufer!).
Diese ältesten Waltiere lebten noch amphibisch, hatten aber schon deutliche Anpassungen an das Wasserleben. Sie werden in der Lebensweise und Fortbewegung mit heutigen Ottern verglichen: Verkürzte Beine und ein langer kräftiger Schwanz zum Rudern, das Gebiss ist zum Fangen glitschiger Nahrung im Wasser geeignet. Allerdings haben sie schon erste Umbildungen in der Ohrregion, was sie von anderen reinen Landbewohnern unterscheidet.
Die Wiege der Wale stand definitiv am Fuße des heutigen Himalaya. Zu Lebzeiten der Urwale schwappten dort die warmen Wellen des Tethys-Meeres an den Strand.

Dorudon atrox in Wadi al Hitan

Dorudon atrox in Wadi al Hitan


Wadi al Hitan: Von der Kinderstube zum Friedhof

In der Sahara gibt es dann die spektakuläre ägyptische Fossilienfundstelle Wadi al Hitan (Das Tal der Wale) in der Fayoum-Oase.
Das Tal der Wale in der nördlichen Sahara war vor Urzeiten eine seichte Lagune der Tethys. Im späten Eozän, vor etwa 41 bis 35 Millionen Jahren, tummelten sich hier viele Wale.
Die bekanntesten sind der große Basilosausrus isis und der kleine Dorudon atrox. Da viele Dorudon-Skelette und zahlreiche sehr junge Tiere gefunden wurden, vermuten die Paläontologen, dass die Lagune eine Art Kinderstube war. Aus der Kinderstube ist einer der bedeutendsten Wal-Friedhöfe geworden.
Die ägyptischen Urwale waren schon voll aquatisch, hatten aber z. B. noch kleine Hinterbeine und das typische Urwal-Gebiss mit unterschiedlich geformten Zähnen.
Basilosaurus cetoides, ein enger Verwandter des ägyptischen  Basilosaurus isis, ist auch im heutigen Nordamerika in Alabama gefunden worden.

 Walfossilien-Paradies Peru

An den Küsten Südamerikas sind viele Fossilienfundstellen mit phantastisch erhaltenen Meereslebewesen zu finden. Schon Darwin hatte beobachtet, wie sich der Meeresboden dort erhebt und sich so seine Gedanken zur Erdgeschichte gemacht.
Die heutige Pazifikküste ist schon sehr lange Pazifikküste. Dicht vor dem Strand  wird der Ozean schnell tief. Durch die Hebung des Meeresbodens werden ehemalige Küstenabschnitt mitsamt ihrer Sedimente und abgelagerten Lebensreste angehoben. Die Skelette sind offenbar unter sehr günstigen Bedingungen schnell ins Sediment eingesunken und waren so vor Aasfressern und Witterung geschützt.
Ein Paradies für Paläontologen!

Walfossilien aus Peru gibt es viele, vor allem die aus der Pisco-Formation 200 km nördlich von Lima sind bekannt. Die Wale lebten dort vor 14 und 3.5 Millionen Jahre gemeinsam mit Robben, Haien, Pinguinen und marinen Faultieren (!) in einem kalt gemäßigten Meer.
Die Fossilien sind außergewöhnlich gut erhalten: Die Schädel sind oft noch dreidimensional und die Skelette erstaunlich vollständig. Dazu kommt die Weichteilerhaltung – bei einigen Bartenwalen sind versteinerte Barten überliefert, das ist weltweit einzigartig. Ein Pinguin ist sogar mitsamt seiner versteinerten Federn gefunden worden.
Diese herausragend gute Fossilerhaltung liegt u. a. an der spezifischen Zusammensetzung des Sediments und an dem Wüstenklima.

Die versteinerten Wale der Pisco-Formation sind Barten- und Zahnwale, die fast alle den heute lebenden Familien zugeordnet werden können. Besonders spektakulär sind die Funde, die über die Entwicklung der Pott- und Schnabelwale Auskunft geben. Beide Familien sind ausgewiesene Hochwasserbewohner und Tieftaucher, sie leben weitab der Küsten und ihre Fossilien sind dementsprechend sehr selten.
Zuletzt kam die Pisco-Formation (und Oliviert Lambert) mit Livyatan melvillei in die Schlagzeilen: ein basaler Pottwal mit bis zu 36 Zentimeter großen Zähnen.

Die neuen Funde: Urwale in Peru

Das Pisco-Ica-Basin zieht sich entlang der Pazifik-Küste und beinhaltet eine Kette von 14 Fundstellen, die zwischen 14 und 3.5 Millionen Jahre alt sind.

Basilosaurus

Basilosaurus

Die jetzigen Wal-Funde aus der Ocucaje-Wüste im Süden Perus sind deutlich älter: 40 Millionen Jahre.
Das ist wirklich eine Sensation!
Es handelt sich um die ersten Urwal-Funde in Peru!

Vor 40 Millionen Jahren waren Wale schon vollständig zum Meeresleben übergegangen. Aber sie waren noch urtümlich – ihre Schädel hatten die Nüstern an der „Nasenspitze“ und die Zähne sind typisch „urwalig“. Das Gebiss ist in zwei Abschnitte aufgeteilt, die hinteren Zähne haben zwei Wurzeln (die im Kiefer stecken) und sind länglich-dreieckig mit grob gezacktem Rand. Der vordere Gebissteil besteht aus kegelförmigen Zähnen (im Video ist einer davon deutlich zu sehen), die vorderen Zähne fehlen vollständig.
Der ganze Schädel (ohne Unterkiefer) ist sehr gut und dreidimensional erhalten. Die Bauweise ist typisch für Archaeoceten: Der kleine Hirnschädel und die Kiefer gehen ineinander über. (Bei modernen Zahnwalen sind sie durch den Telescoping-Process voneinander entkoppelt.). Der Hirnschädel ist klein und nicht gerundet.
Das Urwalgebiss unterscheidet sich beträchtlich vom heutigen Zahnwal-Gebiss mit seinen gleichförmigen, meist kegel- oder spatelförmigen Zähnen.
Der in Videos und auf Photos vorgestellte Schädel ist kein Einzelfund: „There is probably a greater number of fossils in the sand but it takes high-tech equipment to locate and recover them,” erzählt César Chacaltana den Journalisten.
Der Walschädel hat noch keinen Namen, es wird keine Publikation erwähnt und überhaupt gibt es so gut wie keine weiteren Informationen zum Fund oder seiner wissenschaftlichen Bearbeitung.

Nach einer ziemlich langen Recherche bin ich dann auf Folgendes gestoßen:
Der neue Fund ist mitnichten die angebliche Weltsensation.
2011 publizierten Uhen, Pyenson et al: “New Middle Eocene Whales from the Pisco Basin of Peru (Journal of Paleontology 85(5):955-969. 2011
doi: https://dx.doi.org/10.1666/10-162.1
Darin beschreiben sie nicht weniger als DREI Urwale!
Zwei Basilosauridae und einen Protocetidae.

Die entscheidende Information bekam ich aus einem Blogeintrag, in dem Pyenson die Funde beschreibt: “Our team discovered three different kinds of archaeocetes from strata several dozens of meters below a volcanic ash bed. Volcanic ash is especially useful for geochronologic dating, which allowed us to determine a minimum age estimate with high precision using the sophisticated laboratory setup at the Berkeley Geochronology Center. As a result, we knew that the fossil whales we discovered were no younger than 36.61 million years old, and likely a few million years older.” (Sehr lesenswert!)

Ob nun der erste peruanische Urwal 2011 oder 2013 in das Licht der Weltöffentlichkeit schwamm, ist eigentlich auch unerheblich.
Denn fest steht:
Die Geschichte der Urwale und ihrer Verbreitung sowie der eozänen Ökosysteme im Ost-Pazifik muss neu überdacht werden.

 

Weitere Quellen:

Olivier Lambert, Giovanni Bianucci, Klaas Post, Christian de Muizon, Rodolfo Salas-Gismondi, Mario Urbina & Jelle Reumer: The giant bite of a new raptorial sperm whale from the Miocene epoch of Peru. Nature Band 466: S. 105–108, 1. Juli 2010.
doi:10.1038/nature09067
Julia A. Clarke1, Daniel T. Ksepka2,3, Rodolfo Salas-Gismondi4, Ali J. Altamirano4, Matthew D. Shawkey5, Liliana D’Alba5, Jakob Vinther6, Thomas J. DeVries7, Patrice Baby8,9: Fossil Evidence for Evolution of the Shape and Color of Penguin Feathers; Science 12 November 2010: Vol. 330 no. 6006 pp. 954-957
DOI: 10.1126/science.1193604

 

Kommentare (11)

  1. #1 Bloody Mary
    19. September 2013

    Macht Freude, das zu lesen! Spannend und ganz neu (also, für mich).

  2. #2 Mike Macke
    20. September 2013

    Was ich noch gerne wissen würde: Die (einige) Urwale werden anscheinend (Basilo)-saurus genannt: Ist das ein “Versehen”, weil sie zuerst zu den Sauriern gezählt und erst später als Säuger erkannt wurden? Oder gibt es dafür andere Gründe?

  3. #3 Bettina Wurche
    20. September 2013

    Die Vermutung ist richtig. Das Tierchen wurde mitten im Saurier-Goldrausch entdeckt und aufgrund der Größe und fiesen Zähne gleich als Seeschlange verkauft. Erst später hat ein Zoologe den Schädel genauer angesehen und das Säugetier erkannt.
    Das ist eine herrliche , hanebüchene Geschichte, die ich immer gern erzähle.
    Da würde ich gern etwas weiter ausholen – am besten schreibe ich mal einen Beitrag dazu. O. k.?
    Aber erst nächste Woche – an diesem Wochenende ist erst mal Raumfahrt angesagt.

  4. #4 Jaque de Roek
    20. September 2013

    > Auch die heutigen Wale sind eine Gruppe innerhalb der Paarhufer!
    Das klang für mich als absoluten Biologie-Laien auf den ersten Blick so absurd, dass ich nun nachfragen muss:
    Ist eine Gruppe innerhalb der Paarhufer oder neben denselben, wie Wikipedia im Artikel über Cetartiodactyla behauptet, gemeint?
    Mir ist klar, dass die ganze Systematik keine harte Wissenschaft ist, kann man die Frage insofern als umstritten bezeichnen?
    Oder ist die Wikipedia hier schlicht falsch informiert?

  5. #5 Alderamin
    21. September 2013

    Ok, womit sich meine erste Frage schon erledigt hat.

    Ich hab’ noch ein paar:
    – Kann man an den Fossilien eigentlich nachvollziehen, wie die Atemöffnung von der Schnauzenspitze zur Oberseite des Kopfes gewandert ist?

    – Weiß man, wie die Bartenwale entstanden sind? Gibt’s für den Übergang auch fossile Belege?

    Man liest öfters über Basilosaurus, aber von anderen fossilen Walen (außer Ambulocetus) habe ich vorher noch nichts gehört.

    Auf die Story über die Namensgebung des Basilosaurus freue ich mich. Und bzgl. Raumfahrt: wo erscheint der Artikel denn, hier?

  6. #6 Bettina Wurche
    21. September 2013

    @ Jaque de Roek: Ja, es hört sich etwas seltsam an.
    Aber gerade die alten Fossilien (Pakicetus, Rhodocetus, Ambulocetus) haben da sehr weitergeholfen. Bei einem von ihnen hatte Gingrich den Astragalus (Sprungbein) gefunden und beschrieben. Dieser Knochen an der Fußwurzel bildet bei Artiodactyla (Paarhufern) eine Art doppelte Rolle, den es nur und ausschließlich in dieser Gruppe gibt.
    Außerdem paßten Gingrichs Befunde ausgezeichnet zu embryologischen, serologischen und verschiedenen anderen Befunden (Form der Plazenta,…) und auch zu den neuen, seriösen molekularbiologischen Befunden.
    Darum hat man schließlich beide zusammengefaßt als Cetartiodactyla.
    Das ist eine sehr saubere Multivarianzanalyse gewesen, bei der alles paßt.
    Ich betrachte Systematik übrigens durchaus als harte Wissenschaft. Vor allem der Abgleich von paläontologisch-anatomischen und molekularbiologischen Ergebnissen ist sehr erfolgreich. Aber es muss halt sauber und umfassend gearbeitet werden.

  7. #7 Bettina Wurche
    21. September 2013

    Ach so: Ich denke, die entsprechenden Wikipedia-Artikel sind recht ordentlich : )

  8. #8 Bettina Wurche
    21. September 2013

    @ Alderamin:
    Die Bartenwale sind wohl im Zuge der Veränderungen im Südozean aufgekommen, seit ca 40 Mio Jahren. Die ersten hatten noch Zähne, dann allmählich wird die Bezahnung weniger. Wenige Fossilien, die Südhalbkugel hat halt viel Ozean – da gibt es wenig Fossilfundstellen. Und in der Antarktis liegen sie unter Eis.
    Die ältesten Bartenwale sind vor allem in Australien gefunden worden.

    Hier ist eine gute Publikation dazu:
    https://www.bio.sdsu.edu/faculty/BERTA_files/Berta_Demere2009_Evolution.pdf

    In meinem Archiv ist noch etwas zu Walfossilien:
    Stichworte: Groß-Pampau und Livyatan melvillei
    https://blog.meertext.eu/tag/fossile-wale/
    Da geht es beide Male um modernere fossile Wale.

    Der direkte Übergang zwischen Urwalen und Zahn- und Bartenwalen ist – soweit ich weiss – bisher nicht direkt belegt.

    Die Verlagerung der äußeren Nasenöffnungen von der Schnauzenspitze auf den Scheitel ist durch die einzelnen Schädelfunde gut belegt. Der größte Teil der Verlagerung passierte schon bei den Urwalen. Bei Dorudon sind sie schon auf der Hälfte des langgezogenen Schädels.
    Bei Zahnwalen sind sie dann auf dem Scheitel und in die Echolokation eingebunden.

    Ich bin morgen auf einem Raumfahrtevent in Köln. Bin schon seeeehhhhr gespannt. Falls ich es scahffe, etwas zu schreiben, wird es hier erscheinen. Mal gucken, ob sich eine gute Story auftut. : )

  9. #9 Alderamin
    21. September 2013

    @Bettina

    Danke für die Antworten. Und vor allem: Danke für die Info über den Tag der Luft- und Raumfahrt in Köln, den hatte ich das letzte Mal verpasst und diesmal hätte ich es ebenso. Da ich nicht weit entfernt von Köln wohne, werde ich also morgen auch da sein. 🙂

  10. #10 Jens
    Lima
    11. Oktober 2013

    Kleine Korrektur: die Wüste Icas liegt südlich von Lima, nicht nördlich.

  11. #11 Bettina Wurche
    11. Oktober 2013

    Danke. Natürlich – war mein Verschreibserling, in den Zeitungsberichten und natürlich in den Publikationen steht es richtig.