Zwischen 1989 und 1998 haben Biologen der US-amerikanischen Umweltbehörde NOAA die Schwertischfänger in den US-Gewässern (Georges-Bank vor Massachusetts) begleitet. Die Observer (Beobachter) haben gewissenhaft notiert, was außer Schwertfischen noch in die Netze ging.

Ihr Ergebnis:
Mehr als 1100 marine Säugetiere starben in den treibenden Todeswänden.
Darunter waren auch 46 Schnabelwale.
Aufgrund der sehr hohen Beifangzahlen an Meeressäugern wurden die Driftnets an der Georges-Bank 1998 verboten.

Jetzt gibt es eine neue Publikation dazu:
Frederick W. Wenzel;
Pamela T. Polloni et al:Food habits of Sowerby’s beaked whales (Mesoplodon bidens) taken in the pelagic drift gillnet fishery of the western North Atlantic”; Fish. Bull. 111:381–389; 2013, doi: 10.7755/FB.111.4.7).
Diese neue Publikation ist für mich interessant, denn es geht um das Nahrungsspektrum von Sowerby-Zweizahnwalen, einer im Nordatlantik lebenden Schnabelwalart.
Meine kleinen Lieblinge….

Sie sind eigentlich gar nicht so klein.
Sowerby-Zweizahnwale (Mesoplodon bidens) leben in offenen Nordatlantik und werden bis zu 5,00 (Weibchen) und 5,50  (Männchen) Meter ang. Sie halten sich allerdings weniger an der Oberfläche auf, sondern vielmehr über lange Zeiträume in größeren Tiefen. Darum ist über sie und andere Schnabelwalarten sehr wenig bekannt. Die meisten Informationen stammen von toten Tieren.
(Mehr dazu weiter unten).

Sowerby-Zweizahnwale (Mesoplodon bidens) als Beifang in Treibnetzen
Wenzel und seine Kollegen haben nun die Mageninhalte von 8 Sowerby-Zweizahnwalen aus dem westlichen Nordatlantik untersucht.
Insgesamt waren 10 Tiere in Netzen verendet, ein 11. war tot gestrandet. Die Mägen waren allerdings leer, bzw. teilweise leer.

Schockierend: Gleich 10 dieser eher seltenen Tiere sind in Fischernetzen verendet!

Interessant: Ihre Speiseliste unterscheidet sich beträchtlich von älteren Forschungsergebnissen.

 

Was isst der Sowerby-Zweizahnwal?
Das Ergebnis der Wal-Speiseliste war für mich überraschend: Lange galten alle Schnabelwale als ausgeprägte Tintenfischfresser, so auch die Zweizahnwale (Mesoplodon) (Mead, J. G. 1989. Beaked whales of the genus Mesoplodon. Pages 349-430 in S. H. Ridgway and R. Harrison, eds. Handbook of marine mammals. Volume 4.).
Erst neue Untersuchungen hatten ein Nahrungsspektrum von überwiegend Fischen ergeben. 2011 hatte Pereira et al (Diet of mid-Atlantic Sowerby’s beaked whales Mesoplodon bidens) publiziert, dass 10 vor den Azoren gestrandete M. bidens überwiegend meso- und benthopelagische Fische gefressen hatten
Die jetzt beschriebenen 8 Tiere hatten zu 98,5 % Fische im Magen.
Der Tintenfischanteil lag bei nur 1,5 %.

Der Mageninhalt ist für Walforscher extrem interessant, denn er sagt etwas über den Lebensraum der Tiere aus.
Die gefressenen Fische sind meso- und benthopelagisch. Mesopelagisch umfasst den offenen Ozean zwischen 200 und 1000 Metern Tiefe. Benthopelagisch bedeutet, sie leben in dem Wasserbereich über dem Grund, ohne Tiefenangabe.

Die Fische mit Leuchtorganen zeigen schon an, dass es hier eher um Tiefwasser-Spezies geht. Leucht- und Laternenfische leben in größeren Meerestiefen, in die nur noch sehr wenig Tageslicht eindringt. Die Tiefsee ist der Tummelplatz der bioluminiszenten Wesen, die dort ihr ganz eigenes Leuchtballett veranstalten.
Tief tauchende Wale wie Pott-und Schnabelwale umgehen die mangelhafte Sicht mit ihrer Echolokation. Sie machen sich mit Schall ein akustisches Bild der lichtlosen Tiefe – Fische und Kalmare haben keine Chance.

Das beutspektrum umfasst mindestens 31 Arten von 15 Familien von Tiefwasserfischen:
Moridae (Tiefseedorsche; 37.9% der Beute), Myctophidae (Laternenfisch; 22.9% der Beute), Macrouridae (Grenadierfische, „Ratten“; 11.2% der Beute), und Phycidae (Gabeldorsche; 7.2% der Beute) kamen in allen 8 Mägen vor.
Dazu wurden noch die Reste anderer Tiefwasserfische wie etwa Vipernfische enthalten.
Die gefressenen Fische waren schätzungsweise zwischen 4 und 27 cm lang.

Wie analysiert man einen Wal-Mageninhalt?
Ein Mageninhalt besteht aus Nahrung in unterschiedlichen Verdauungsstadien.
Das bedeutet, dass es teilweise verflüssigter Nahrungsbrei ist. Fisch in unterschiedlichen Verwesungsstadien riecht durch die Einwirkung von Magensaft übrigens nicht wesentlich besser. Also ein Fall für das Nasslabor, Gummistiefel und Handschuhe.
Angedaute Organismen sind äußerlich schwierig zu identifizieren, darum haben die Wissenschaftler die harten Bestandteile  zur Identifikation genutzt: Die Otolithen (Gehörsteine) und Kieferknochen der Fische und die Schnäbel der Tintenfische.
Dazu wird der Mageninhalt gespült und die harten Teile herausgesammelt.
Otolithen, Knochen und Schnäbel sind artspezifisch, dazu gibt es mittlerweile regelrechte Kataloge.
So kann man sie recht sicher bestimmen. Artspezifisch und mit Altersbestimmung, denn die Otolithen haben meist oft jährliche Wachstumsringe.

Treibnetze – Todesfalle (nicht nur) für Wale
Die pelagischen Treibnetze waren an der Südseite der George-Bank entlang des Kontinentalschelf-Abhangs positioniert, weil dort reiche Fischgründe sind. Die Wale waren aus den gleichen Gründen dort unterwegs.

Die 10 Sowerby-Zweizahnwale sind Beifang aus dem Schwertfischfang zwischen 1989 bis 1998. Insgesamt betrug der Beifang an Schnabelwalen aller Arten 46, insgesamt kamen mehr als 1100 Meeressäuger (also Robben und Wale aller Größen) durch die Netze ums Leben.

Diese Wale wurden überhaupt wissenschaftlich untersucht, weil Beobachter der US-amerikanischen Umweltbehörde NOAA an Bord der Fischereifahrzeuge waren

Aufgrund der sehr hohen Beifangzahlen an Meeressäugern wurden die Treibnetze an der Georges-Bank 1998 verboten.

Der Impact der Fischerei auf Wale und Robben ist weltweit beträchtlich. Die Zahl der Beifänge liegt weit über der Zahl der im Walfang direkt getöteten Tiere.
Alle Versuche, Netze „walsicher“ zu machen – etwa durch Pinger (akustische Signalgeber) – sind bisher fehlgeschlagen.

Nur das Verbot bestimmter Fischereimethoden und das Ausweisen von Meeresschutzgebieten könnte Abhilfe schaffen

Auch in Deutschland etwa besteht dringender Handlungsbedarf, da vor allem in der Ostsee eine erschreckend hohe Anzahl der unter strengem Schutz stehenden Schweinswale als Beifang in Fischernetzen endet. Leider ist bis heute nichts passiert.

Wie macht ein Wal sich unsichtbar?
Schnabelwale sind eigentlich gar nicht so klein – aber auch ein mehrere Meter lange Wal ist im Ozean leicht zu übersehen.
Vor allem, wenn er den größten Teil seines Lebens fern der Küsten verbringt, gern tief taucht und Begegnungen mit Menschen lieber vermeidet. Die delphinförmigen Zweizahnwale sind nicht auf Begegnungen mit Menschen aus, sie tauchen ab, sowie sie Schiffe hören – lange bevor sie von den Schiffen aus gesehen werden.

Ich habe in der Antarktis bei unserem Wal-Survey 1996/97 selbst erlebt, wie wir eine Zweizahnwal-Art niemals vom Schiff aus gesehen haben, aber zweimal vom Helikopter aus. Beide Sichtungen verliefen so, dass das jeweils einzelne Tier  unter der Oberfläche schwamm und beim Überfliegen in die Tiefe glitt, ohne die Fluke zu zeigen oder eine Spur an der Wasseroberfläche zu hinterlassen. Vom Schiff aus wäre er unsichtbar geblieben.

Alle Schnabelwalarten sind immer noch wenig erforscht. Die meisten Kenntnisse stammen von den wenigen toten Exemplaren, die noch lebend oder schon tot an den Küsten stranden. Oder aus den längst vergangenen Zeiten des Walfangs. Schnabelwale haben nämlich ein ähnlich kostbares Kopföl wie Pottwale und sind deshalb zeitweise „gefischt“ worden.
Daher stammen auch die meisten Daten über Vorkommen, Ernährung, Größe,…

Bestandsschätzungen gibt es nicht, die Datenlage ist einfach zu dünn („Data Deficient“ lautet die Einschätzung der IUCN („Rote Liste“)).
Allerdings ist aus Vergleichen mit anderen Walarten anzunehmen, dass sie aufgrund ihrer Größe und ihres langsamen Wachstums ziemlich alt werden, sich eher selten fortpflanzen und die Bestände nicht sehr groß sind.
Schließlich brauchen Tiere dieser Größe mit ihrem gewaltigen Appetit ein recht großes Revier.
Darum dürften auch wenige in Fischernetzen verendete Tiere schon negativ für die Gesamtpopulation sein.

Mehr über Schnabelwale:
Geheimnisvolle Schnabelwale – von Entenwalen und Zweizahnwalen

Der Bahamonde-Schnabelwal – ein mysteriöses Phantom aus der Tiefsee?

Kommentare (1)

  1. […] Meertest stellt einen Artikel vor in dem es um die seltenen Sowerby-Zweizahnwale geht. […]