Hier kommt der 2. Teil der Delphin-Verhaltensforschung.
Ein eher düstere Seite der GroßenTümmler…
Kindsmord bei Großen Tümmlern vor Schottland
Große Tümmler sind nicht immer so nett, wie uns „Flipper“ vorgegaukelt hat. Sie können sogar richtig aggressiv werden.
Das ist für Delphinforscher nicht neu: „Common bottlenose dolphins (Tursiops truncatus) are well-known for their overtly aggressive behavior (Herzing et al . 2003, Blomqvist and Amundin 2004, Coscarellaand Crespo 2009).” beginnt Robinson seine Publikation.
Die Nachweise für innerartliche Aggressionen dieser Delphine sind deutlich: Zahnspuren, die dieser Spezies zugeordnet werden können. Die Analyse von Zahnspuren je nach Körperregion, Alter und Geschlecht der Tiere gibt Aufschluss über die Umstände und Ursachen der Bisse. Aggressionen kommen in verschiedenen Situationen vor: Bei der Paarung, bei sexueller Nötigung in der Paarungszeit (coercion), bei verschiedenen sozialen Interaktionen und durch anthropogene Faktoren.
Zu den aggressiven Verhaltensweisen zählt die akustische Drohung und körperliche Gewalt wie Beißen, Schläge mit der Fluke oder Rammstöße mit dem Körper. Diese Verhaltensweisen sind durch verschiedene Beobachtungen an unterschiedlichen Delphinpopulationen weltweit zweifelsfrei belegt – Robinson zitiert umfangreiche Quellen, allen voran Denise Herzig, die Grande Dame der Delphin-Verhaltensforschung.
Die körperliche Gewalt ist massiv und ohne Fairplay: Parsons et al . (2003) hatten beschrieben, dass zwei kleinere Große Tümmler eine Allianz bildeten und ein anderes, einzelnes erwachsenes Männchen bewusstlos geschlagen haben.
Infantizid („Kindsmord“) berührt uns Menschen dabei (aus moralischen Gründen) am stärksten: Es gibt mehrere Beobachtungen, bei denen erwachsene Männchen neugeborene Jungtiere solange misshandelten, bis sie starben. In mehreren Fällen konnte bei gestrandeten Tieren die Todesursache „Infantizid“ nachgewiesen werden: Die angespülten Jungtiere zeigen durch Knochenbrüche und Zahnspuren, woran sie gestorben sind.
Robinson beschreibt detailliert einen Vorfall aus der schottischen Nordsee-Tümmler-Population. Diese nordatlantischen Tiere sind mit bis über 4 Metern Länge deutlich größer als ihre Verwandten vor Florida und sind für ihren ruppigen Umgang mit kleineren Walen bekannt.
Außerdem ist die Population gut untersucht, die einzelnen Tiere und Gruppen per Photo-Identifikation erfasst. Der Autor hat direkt beobachtet, wie es in einer Gruppe aus Delphinen zu Unruhe kam und ein großes Männchen ein neugeborenes Kalb stieß, unter Wasser drückte und zwischen die Kiefer nahm. Die Mutter, ein junges Weibchen, versuchte, sich zwischen ihr Kalb und das Männchen zu stellen, scheiterte aber. Die Mutter hatte zum ersten Mal ein Kalb, das nur wenige Tage alt sein konnte, da das Weibchen vier Tage vorher noch ohne Kalb beobachtet wurde.
Die anderen Tiere der Gruppe umkreisten das geschehen, allerdings ohne einzugreifen.
Das Kalb überlebte in diesem Fall die massiven Schläge zunächst, strandete aber später und verstarb kurz danach. Die Autopsie ergab schwere Verletzungen der Wirbelsäule, die sehr wahrscheinlich von dem Angriff stammten.
Die Erklärung für das Verhalten ist vermutlich, dass die Männchen so Nachwuchs von Rivalen töten: „[…] the driving factor behind this behaviour seems to be the elimination of rival offspring to increase reproductive success” (Dunn et al . 2002).“. Das ist von verschiedenen Säugetierarten bekannt und hat seinen Ursprung in der Zusammensetzung und Organisation von Gruppen.
In der Moray Firth-Population, werde derartige Infantizide durch mehrere kooperierende erwachsene Männchen oder einzelne Männchen verübt. Sie laufen aber immer nach dem gleichen Schema ab: Gezielte Verfolgung, wiederholtes Rammen, aus dem Wasser werfen und unter Wasser drücken der verfolgten Neugeborenen.
Die Moray Firth-Delphin-Bullen führen solche tödliche Attacken auch gegen die kleineren Schweinswale durch (Ross, Wilson: Violent Interactions between Bottlenose Dolphins and Harbour Porpoises; 1996). Ähnliche aggressive Verhaltensweisen wurden bei anderen Populationen Großer Tümmler und bei anderen Spezies wie Tucuxi-Delphinen (Sotalia guianensis) beobachtet.
Mein Kommentar:
Viele Menschen betrachten Wale sehr positiv als „edle Wilde“ und plädieren vehement für Walschutz. Wale sind die heiligen Kühe der Umweltschutzbewegung.
Auch ich bin für den Schutz der Wale und ihres Lebensraums. Ich habe phantastische Erlebnisse mit den Tieren gehabt und freue mich über jeden Meeressäuger, den ich sehe. Ich rede nicht nur über Meeresschutz, sondern bemühe mich um eine möglichst ökologisch verträgliche Lebensweise. Ich respektiere meine Mitgeschöpfe – egal wie viele Beine und Flossen sie haben oder ob ich ihnen Intelligenz und Bewusstsein zuerkenne.
Aber die Quasi-Heiligsprechung der Wale und insbesondere der Delphine geht mir manchmal etwas zu weit. Es sind wilde Tiere, die unsere Moralvorstellungen nicht teilen.
Ich bin nicht sicher, ob ich bei Walen (und anderen Tieren) “coercion” mit sexuelle Nötigung übersetzen kann und sollte oder dieser Terminus dem (un)menschlichen Miteinander vorbehalten bleiben sollte. Diese Diskussion wollte ich in diesem Artikel auch nicht führen, denn sie führt vom eigentlichen Inhalt weg. Inhaltlich trifft es auf jeden Fall zu.
Quelle:
Kevin P. Robinson: Agonistic intraspecific behavior in free-ranging bottlenose dolphins:Calf-directed aggression and infanticidal tendencies by adult males; MARINE MAMMAL SCIENCE, 30(1): 381–388 (January 2014); DOI:10.1111/mms.12023
kostenfrei zugänglich unter:
https://www.academia.edu/2896329/Kevin_P._Robinson._Agonistic_behaviour_in_a_North_Sea_bottlenose_dolphin_community_directed_intraspecific_aggression_by_adult_males_towards_calves._Marine_Mammal_Science_30_1_381-388#)
Alle anderen genannten Zitate sind in dieser Publikation vollständig aufgeführt.
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