Eigentlich ist es keine Neu– sondern eine Wiederentdeckung.
Der Zweizahnwal Mesoplodon hotaula war nämlich 1963 schon einmal beschrieben worden!
Das allererste Exemplar strandete vor über 50 Jahren an der Küste Sri Lankas: Am 26. Januar 1963 war der 4,5 Meter lange Schnabelwal bei Ratmalana nahe Colombo angespült worden. Ein Weibchen, mit spitzer Schnauze und blaugrauer Haut. Der Direktor des National Museums von Ceylon, P.E.P (Paulus) Deraniyagala, beschrieb den Wal als seine neue Art und nannte ihn Mesoplodon hotaula – „hotaula“ bedeutet auf Singhala „spitzer Schnabel“.
1965 nahmen sich andere Wissenschaftler den Schädel noch einmal vor und entschieden, dass es doch keine neue Art sei, sondern das gestrandete Tier zu der bereits bekannten Art M. ginkgodens gehöre. M. gingkodens (mit gingkoförmigen Zähnen) ist der Japanischen Schnabelwal – ebenfalls ein sehr seltener Meeresbewohner und erst 1958 beschrieben.
Dann lag der Sri lanka-Schädel mit der spitzen Schnauze in der Museumssammlung und geriet erst einmal in Vergessenheit.
Bis um 2010 nach neuen Funde und Sichtungen Gerüchte aufkamen, dass M. hotaula doch eine eigene Art sein könne.
2012 haben Wal-Experten dann erstmal die Unterschiede zwischen den beiden Schnabelwalen deutlich beschrieben: M. hotaula war insgesamt ein bisschen kleiner, die Zähne waren breiter als lang, die Färbung war etwas anders und es gab genetische Unterschiede. Dann wurde noch eine Weile diskutiert, ob es sich um zwei verschiedene Arten oder nur Unterarten handelt (s. u. 8).
“Nun stellt sich heraus, dass Deraniyagala doch Recht hatte und der Schädel einzigartig ist. Er ist mit dem Japanischen Schnabelwal, Mesoplodon gingkodens, sehr eng verwandt, aber es sind definitiv unterschiedliche Arten.“ sagt Dr. Merel Dalebout in der Pressemitteilung.
Merel hat als erste Wissenschaftlerin die molekularen Befunde mit den morphologischen zusammengeführt (s. u. 2). Sie hatte damit die wichtigste Datenbasis für die Zweizahnwale geschaffen, nach der grundlegenden anatomischen Arbeit von John Joseph Curtis Moore (s. u. 3) von 1966!
Sie ist damit DIE Expertin für diese wenig erforschten Waltiere.
Sie und ihre Kollegen haben die neuen Untersuchungsergebnisse zu Mesoplodon hotaula, nun im Marine Mammal Science veröffentlicht:
Merel L. Dalebout et al: Resurrection of Mesoplodon hotaula Deraniyagala 1963: A new species of beaked whale in the tropical Indo-Pacific. (s. u. 1).
Zahnwale (fast) ohne Zähne
Viele Mesoplodon-Arten sehen sich äußerlich zum Verwechseln ähnlich.
Mit ihrem schlanken Körper, der elegant gebogenen Finne und dem langen Schnabel wirken sie wie zu groß geratene Delphine. Die elegante dunkelgraue Hautfarbe hat einige dunkle Tupfen, die meisten Tiere tragen zusätzlich dunkle Augenringe.
Obwohl sie Zahnwale sind, brechen nur bei erwachsenen Männchen im Unterkiefer zwei Zähne durch. Das sind dann allerdings manchmal richtige Hauer. So kommen sie zu ihrem Namen „Zweizahnwale“. Diese Zahnwale (fast) ohne Zähne sind trotzdem gute Jäger, sie saugen ihre Beute – Fische und Tintenfische – einfach ein. Alle Schnabelwale leben und jagen im offenen Ozean, sie tauchen extrem tief.
Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal sind zwei Zähne im Unterkiefer, die nur bei erwachsenen Männchen durchbrechen. Bei Weibchen und Jungtieren bleiben die Zähne im Zahnfleisch verborgen.
Abgesehen von den Zähnen kann die Artzugehörigkeit dieser Wale über kleine Details des Schädels, wie etwa die Form der Nasenbeine (Nasalia), bestimmt werden. Um diese Details zu finden und sie millimetergenau zu vermessen und zu vergleichen, muss man sehr genau wissen, wo man sucht und wie sie vermisst. Die Nasenbeine liegen in diesem Fall nämlich auf dem Scheitel. (Auf dem Bild rechts ist der Schädel von vorn zu sehen. Die beiden Nasenlöcher sind weit oben – getrennt durch die senkrechte Nasenscheidewand, die Nasenbeine liegen darüber).
Daneben ist natürlich die molekularbiologische Analyse hilfreich.
Walverwandtschaften – was für Spezialisten
Bei allen Neubeschreibungen der Mesoplodon-Arten wurden alle Daten (Zähne, Schädelmorphologie und molekulare Daten) abgeglichen, nur so war eine exakte Einsortierung der einzelnen Tiere möglich.
Die aktuelle Neubeschreibung basiert auf der sorgfältigen Untersuchung von 7 Walschädeln, die in Sri Lanka, den Gilbert Inseln (bei Kiribati), dem Palmyra Atoll in den Northern Line Islands nahe Hawai’i, den Malediven und den Seychellen gestrandet waren. Sie waren in ganz unterschiedlichen Sammlungen gelandet: im Smithsonian National Museum in Washington DC, bei der Island Conservation Society der Seychelles, an der Universität von Auckland, New Zealand.
Bei diesen Tieren ist es nicht ungewöhnlich, dass eine Artbeschreibung auf so wenigen Exemplaren basiert. Die anatomischen und molekularbiologischen Befunde sind trotzdem eindeutig.
Die Probennahme für die DNA-Analyse war nicht ganz einfach: Nur von einem Tier konnten die Wissenschaftler eine Gewebeprobe von guter Qualität nehmen. Für die Beprobung der anderen Exemplare mussten sie die Walknochen anbohren, die Knochen gaben nur noch kurze DNA-Abschnitte her – sie waren schon nahezu subfossil.
Die Zweizahnwale (Mesoplodon) gehören zur Familie der Schnabelwale (Ziphiidae).
Bis jetzt sind 15 verschiedene Mesoplodon-Arten identifiziert worden. Sie machen den größten Teil der Schnabelwale aus, die jetzt, nach der „Wiederentdeckung“ von M. hotaula, insgesamt 22 Arten umfassen.
Gerade die Zweizahnwale haben in den letzten zwei Jahrzehnten mehrfach für Überraschungen gesorgt.
Obwohl sie gar nicht so klein sind (immerhin zwischen 3,5 und 6 Meter Körperlänge), werden werden immer wieder neue Arten entdeckt und beschrieben:
– Peruanischer Schnabelwal (M. peruvianus) südöstlicher Pazifik, Erstbeschreibung 1991 (s. u. 4)
– Perrin-Schnabelwal (M. perrini) nordöstlicher Pazifik, Erstbeschreibung 2002 (s. u. 5 )
– Bahamonde-Schnabelwal (Mesoplodon traversii), Südpazifik (s. u. 6 ).
Für die meisten Menschen ist die Artzugehörigkeit seltener Wale, die kaum ein Mensch jemals lebendig zu sehen bekommt, wahrscheinlich keine sehr spannende Frage.
Aber für Wal-Leute ist es sehr wichtig!
Denn: Die Artzugehörigkeiten und ihre Verwandtschaftsverhältnisse erzählen wichtige Details über Evolution, Verbreitung und andere intime Informationen aus dem Leben der geheimnisvollen Tieftaucher.
Zwei Arten nicht sauber auseinander zu halten, ist für einen Zoologen genauso schlimm, wie zusammen geworfene Elstar und Cox Orange-Äpfel für einen Obsthändler.
Auch spannend: Keine andere Wal-Gattung hat so viele Arten wie Mesoplodon, sagt Merel im Interview.
Einem Whaloholic erzählt das viel über Evolution und Artbildung in den Ozeanen unserer Erde. Zum Beispiel, dass die Ozeane für die Meeresbewohner nicht eine einizige, zusammenhängende Fläche sind, sondern dass sie durch Strömungen, Wasserkörper, submarine Canyons und Berge und Becken unterteilt sind. Das hat wieder Auswirkungen auf den Artenschutz. Aber das ist eine andere Geschichte…
Quellen:
1. Merel L. Dalebout, C. Scott Baker, Debbie Steel, Kirsten Thompson, Kelly M. Robertson, Susan J. Chivers, William F. Perrin, Manori Goonatilake, R. Charles Anderson, James G. Mead, Charles W. Potter, Lisa Thompson, Danielle Jupiter, Tadasu K. Yamada. Resurrection of Mesoplodon hotaula Deraniyagala 1963: A new species of beaked whale in the tropical Indo-Pacific. Marine Mammal Science, 2014; DOI: 10.1111/mms.12113
2. Dalebout, M.L. 2002 Species identity, genetic diversity and molecular systematic relationships among the Ziphiidae (beaked whales). PhD thesis, School of Biological Sciences, University of Auckland, Auckland, New Zealand.
3. Joseph Curtis Moore: Diagnoses and distribution of beaked whales of the genus Mesoplodon known from North American waters. In: Whales, Dolphins and Porpoises University of California Press, 1966, S. 32–61
4. Julio C. Reyes, James G. Mead, Koen Van Waerebeek: A new species of beaked whale Mesoplodon peruvianus sp. n.(Cetacea: Ziphiidae) from Peru. In: Marine Mammal Science, Band 7, Nr. 1, 1991, S. 1–24, doi:10.1111/j.1748-7692.1991.tb00546.x.
5. Merel L. Dalebout et al.: A new species of beaked whale Mesoplodon perrini sp. n.(Cetacea: Ziphiidae) discovered through phylogenetic analyses of mitochondrial DNA sequences. In: Marine Mammal Science, Band 18, Nr. 3, 2002, S. 577–608, doi:10.1111/j.1748-7692.2002.tb01061.x.
6. Anton L. Helden et al.: Resurrection of Mesoplodon traversii (Gray, 1874), senior synonym of M. bahamondi Reyes, Van Waerebeek, Cárdenas and Yañez, 1995 (Cetacea: Ziphiidae). In: Marine Mammal Science, Band 18, Nr. 3, 2002, S. 609–621.doi:10.1111/j.1748-7692.2002.tb01062.x
7. https://www.redorbit.com/news/science/1113064408/whale-species-discovered-study-stranded-cetaceans-020514/
8. Dalebout, M. et al. (2012) A Newly Recognised Beaked Whale (Ziphiidae) in the Tropical Indo-Pacific: Mesoplodon hotaula or M. ginkgodens hotaula. Report to the Scientific Committee of the International Whaling Commission. SC/64/SM3
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