Ein kleiner Krebs am Stiel ohne Laufbeine und Augen, der Haie anfällt?
Das ist einen Blog-Eintrag wert!
Entenmuschel-Kolonien überkrusten brandungsumspülte Felsen oder Hafenanlagen am Meer.
Oberflächlich betrachtet erinnern sie durch die feste, zweiklappige Schale an eine MuschelEntenmuscheln stellen normalerweise für Wirbeltiere keine Gefahr dar. Sie sind genauso lecker wie andere Krebse und werden von Wirbeltieren gern verspeist. In Spanien sind sie übrigens eine teure Delikatesse.
Aber einige von ihnen haben den Spieß umgedreht und sind Wirbeltier-Parasiten geworden.
Und manche parasitieren nun ausgerechnet an einer Tiergruppe aus Top-Prädatoren: Die Entenmuschel Anelasma squalicola – ein Krebs mit Stiel – fällt Haie an!
Die Verwandtschaft der Entenmuscheln war lange ungeklärt, bis Darwin auf der „Beagle“-Expedition im marinen Plankton ihre Larven entdeckte und beschrieb: Entenmuscheln sind Krebse!
Sie haben einen zweiklappigen Panzer, der sich schließen und öffnen lässt – wie eine Muschelschale.
Kein Auge, kein Mund, weder Bein noch Flosse geben Aufschluss darüber, zu welcher Tiergruppe diese Brandungsbewohner gehören.
Entenmuscheln siedeln auf hartem Untergrund an, mit einem Stiel verankern sie sich fest. Wenn sie ihre Schalen öffnen, können sie die sechs Paar Cirren – filigrane, fein gefiederte Beinchen – in die Strömung halten und filtrieren Plankton aus dem vorbeiströmenden Wasser.
Der Stiel ist der umgewandelte vordere Teil des Kopfes. Ein Herz haben sie übrigens nicht, dafür aber einen Penis, Hoden, Eierstöcke und Eileiter – sie sind Zwitter.
Der wissenschaftliche Name der Tiergruppe greift diese Beinchen auf: Entenmuscheln gehören, wie Seepocken, zu den Cirripedia, den Rankenfußkrebsen. .
Im Englischen heißen sie Goose-barnacle – Gänse-Seepocke.
Darwin und der Krebs am Stiel
Charles Darwin hatte Anelasma bereits in seiner großen Publikation von 1851 beschrieben und scharfsinnig analysiert, dass dieser Rankenfüßer wie ein Parasit gebaut war.
Er hatte Recht!
Dass der kleine Laternenhai schwer an seiner Parasitenfracht trägt und auch ein Wirt von Anelasma ist, ist nicht neu. Trotzdem war bisher nur wenig über die genauen Lebensumstände des Parasiten bekannt.
Das änderte sich erst, als der Biologe Henrik Glenner von der Universität Bergen einen großen Bestand des Kleinen Schwarzen Dornhais (Etmopterus spinax) vor der norwegischen Küste entdeckte.
Die Haiart gehört zu den Laternenhaien (Etmopterinae) und lebt im östlichen Atlantik vor Island und Norwegen bis nach Kamerun, auch in der nördlichen Nordsee und dem östlichen Mittelmeer. Im Bauchbereich trägt der Kleine Schwarze Dornhai Leuchtorgane – sein englischer Name ist Velvet belly lanternshark und etwas plakativer als der deutsche.
Die kleinen Haie sind Tiefwasserbewohner und leben meist zwischen 200 und 500 Metern Wassertiefe, kommen aber auch bis in 2.490 Meter Tiefe vor. Der Kleine Schwarze Dornhai wird nicht befischt darum ist er nicht sehr bekannt.
Diese Tiefsee-Haie vor der norwegischen Küste sind von der Parasiten-Entenmuschel Anelasma befallen.
Anelasma frisst mit dem Fuß
David John Rees von der Universität Bergen und seine Kollegen haben durch das umfangreiche Untersuchungsmaterial nun herausgefunden, dass diese Entenmuschel wirklich ungewöhnlich ist!
Der Hai-Parasit hat keine harte Außenschale, seine Rankenfüße sind nur klein, und wohl ohne Funktion, der Mund und Verdauungstrakt sind leer. Allerdings sieht Anelasma im Gegensatz zu anderen parasitierenden Entenmuscheln, die ihren Bauplan vollständig verändert haben, immer noch überwiegend wie eine Entenmuschel aus. Sogar der Mantel ist erhalten geblieben, nur eben ohne Schale.
Dafür ist sie bei der Nahrungsaufnahme einen eigenständigen Weg gegangen.
Der Parasit dringt tief ins Hai-Gewebe ein und verankert sich dort mit seinem „Fuß“ (Pedunculum). Der Fuß ist höchst ungewöhnlich mit Fortsätzen versehen, die wie Korallenäste aussehen. Mit diesen Filamenten verwurzelt sich der Krebs fest und tief im Hai, allerdings gibt es keine unmittelbare Verbindung zum Verdauungstrakt. Anelasma absorbiert Nährstoffe aus dem Wirt direkt über das Wurzelgeflecht des Stiels.
David John Rees und seine Kollegen haben noch eine Menge Fragen:
Wie ist Anelasma zu einem Hai-Parasiten im östlichen Atlantik geworden, wenn ihr nächster Verwandter die Entenmuschel Capitulum mitella an der Küste des Indo-Pazifiks ist, wie die DNA-Analyse ergeben hat?
Nun ja, wahrscheinlich gehen die beiden seit etwa 120 Millionen Jahren getrennte Wege, in dieser Zeit können viele dazwischen lebende Verwandte ausgestorben sein, so dass heute nur noch Reliktvorkommen an zwei weit auseinander liegenden Orten existieren.
Aber wie umgeht Anelasma das Immunsystem des Hais?
Die kleinen gestielten Krebse sitzen tief im Hai-Gewebe und zapfen dort den Nährstoff-Strom an. Aber es gibt keine Entzündungen oder andere Immunreaktionen beim Hai. Der Parasit wird offenbar als Teil des Körpers wahrgenommen.
Wie konnte sich das Pedunculum als Organ zur Aufnahme von Nährstoffen entwickeln?
Und wieso siedelt sich immer ein Pärchen dieses Krebses auf einem Hai an?
Wo die Tiere doch Zwitter sind.
Und als Larven nacheinander auf ihrem Wirt ankommen, um sich dort festzusetzen.
Der kleine Krebs am Stiel und seine ungewöhnliche Lebensweise werfen noch viele Fragen auf und bergen noch so einige Geheimnisse.
Video: Die Octonauten und der kleine Laternenhai
Zur Illustration gibt e s hier noch einen Film mit den Octonauts, einer englischen Trickfilmserie für Kinder.
In “Octonauts and the Dwarf Lanternshark“ (Series 1 – Episode 44) helfen die Octonauts einem kleinen „tiny, tiny shark“ mit leuchtendem Bauch: Sie befreien ihn von der störenden Seepocke auf seinem Rücken. Die Seepocke (engl barnacle) soll die parasitierende Entenmuschel (goose barnacle) sein. Abgesehen von dieser winzigen Verwechslung ein ganz schön anspruchsvoller Content für einen Kinderfilm.
Und very british : )
Quellen:
Rees, Noever, Hoeg, Ommundsen & Glenner. 2014. On the Origin of a Novel Parasitic-Feeding Mode within Suspension-Feeding Barnacles. Current Biology. https://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2014.05.030
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