Zwei große Augen, ein Furcht erregender Schnabel und acht kräftige Arme: Der schauerliche „Kraken“ streckt seine langen Arme aus den Tiefen des Nordmeeres bis in unsere Zeit.
Cephopods-on-paradeGerade heute gab es gleich mehrere Meldungen rund um die Tintenfische.
Vom Fressen und Gefressen-werden und ein Blick zurück in die Naturgeschichte des Nordmeeres.
Ein paar Kraken-Geschichten für einen schmunzelnden Start ins Wochenende.
Das Bild „Cephopods on parade“ stammt von NOAA., wo es heute eine ‎OctopusFriday‬ photobomb! gab: „Cephopods on parade! In Washington Canyon, we saw several octopods and squid. Here, a small octopus is photobombed by a squid. (Image courtesy of NOAA Okeanos Explorer Program, Our Deepwater Backyard: Exploring Atlantic Canyons and Seamounts.)”

Golf von Mexiko: Hai isst Riesenkalmar-Häppchen

Tintenfische leben zwar in allen Weltmeeren und landen auch regelmäßig auf der menschlichen Speisekarte, dennoch bekommen die wenigsten Menschen ein lebendiges Exemplar zu Gesicht.
Schon gar nicht einen Riesenkalmar!
Zwei Fischer haben gerade im Golf von Mexiko 100 Meilen vor Matagorda (Texas) so eine Begegnung erlebt: Ein großer Kalmar trieb leblos an der Wasseroberfläche, im Takt der Wellen.
Aufgrund der weißlichen Färbung hielten sie es zunächst für eine Plastiktüte: “It looked like a white trash bag in the water,” sagte Michael Belvin. Zu zweit zogen sie das seltsame „Ding“ aus dem Wasser. Es war ein 10 Fuß langer und 200 Pfund schwerer Kalmar. Das Tier war bereits tot. Ein kleiner Riesenkalmar, wie der Biologe des Houston Zoo Aquarium Supervisor Mike Concannon erklärte. Ein ungewöhnlicher Fund, so nahe an der Küste. Er vermutet, dass das Tier krank oder verletzt an die Wasseroberfläche aufgestiegen war.
Der halbe Körper fehlte. Die Zahnspuren am Tintenfisch deuten laut Belvin daraufhin, dass hier ein Makohai herzhaft abgebissen hat.

Seattle: Krake erwürgt Hai

Im Aquarium von Seattle lebten in einem großen Becken viele große Meerestiere überwiegend glücklich und zufrieden miteinander.
Nur die kleinen Hundshaie hatten irgendwie Pech: Einer nach dem anderen verstarben sie über Nacht, die Aquarienwärter fanden ihre leblosen Körper am nächsten Morgen auf dem Boden des Beckens.
Wer war der Täter?
Schließlich stellte man eine Kamera auf, um herauszufinden, welches Untier dort in der Nacht sein Unwesen trieb.
Der Krake war´s!
Pazifische Kraken sind große, kräftige Tiere, ihre Arme können bis zu vier Metern Spannweite haben. Allerdings war bisher nicht bekannt, dass sie Haie meucheln.

Hier ist das Beweis-Video

Riesen-Kopffüßer frisst Ichthyosaurier?

Der Paläontologe Mark A. S. McMenamin vermutet, dass es schon in der Trias sehr gefräßige Tintenfische gab.
Er interpretiert eine Fossil-Fundstelle mit den Überresten von mindestens neun Shonisauriern im Berlin–Ichthyosaur State Park als Überreste von Kopffüßer-Mahlzeiten. Die Anordnung der Reptil-Fossilien ist schon ungewöhnlich.
Shonisaurus war eine der größten Fischechsen, die je durch die Urzeitmeere schwamm: Erwachsene Tiere wurden 15 bis 21 Meter lang Das entspricht einem heutigen Pottwalbullen! Dementsprechend groß müsste der Kopffüßer gewesen sein, der die Ichthyosaurier gefangen und in seine Höhle verschleppt hat. Jedenfalls deutlich größer als alle heutigen bekannten Kalmare und Kraken.
McMenamin bezieht sich bei seinen Forschungsergebnisse u. a. auf die „Trias-Kraken-Hypothese“ des berühmten deutschen Paläontologen Adolf Seilacher.
Seine Deutung des Fossilfunds hat allerdings einen Schönheitsfehler: Es gibt weltweit keinen Nachweis für einen Kopffüßer, der auch nur annähernd eine entsprechende Größe erreicht oder erreicht hat.
(Quelle: Mark A. S. McMenamin: “Unusual arrangements of bones at ichthyosaur state park in Nevada” (Hier geht es zum  Download))
(Fachkollegen haben sich zu McMenamins Interpretation sehr kritisch geäußert. Mich hat die hat er auch nicht überzeugen können – aber ein interessantes Gedankenspiel ist es sicherlich. Falls Interesse besteht, kann ich die zitierte Publikation noch einmal als gesonderten Beitrag bringen).

The-KrakenDer Kraken des Bischof von Bergen – Dichtung und Wahrheit

Der Name „Kraken“ kommt aus dem Norwegischen. Erik Pontoppidan – Theologe, Historiker und Autor- hatte 1755 in seinem Werk Det forste Forsorg paa Norges Naturlige Historie. Kopenhagen 1752 („Versuch einer natürlichen Historie von Norwegen. Mumme, Kopenhagen, Flensburg 1753–1769) dieses sagenhafte Ungeheuer beschrieben.
Der einprägsame Name blieb an dem Tierchen hängen, heute steht „Krake“ im Deutschen immer noch für achtarmige Tintenfische. Ihre 10-armigen Verwandten sind die Kalmare.

Vom Monster zum Literatur-Star

Tintenfische sind Respekt einflößende und wehrhafte Wesen mit acht oder zehn Armen aus einem fremdartigen Lebensraum. Jules Verne hat aus den bis dahin nahezu unbekannten Wirbellosen mit den ausdrucksstarken Augen erstmals literarische Stars gemacht. Mit ihrem Gewirr an Tentakeln und der übermenschlichen Reaktionsschnelligkeit sind sie optimale Gegenspieler für wackere menschliche Helden.
Kopffüßer leben im Meer, das zu Jules Vernes Zeiten noch viel unerforschter und Furcht einflößender war als heute, schließlich hatte die Erforschung des nassen Lebensraums gerade erst begonnen. Der Ozean war den Menschen des 19. Jahrhunderts fremder, als es für uns heute das Weltall ist.

Nautilus und Riesenkrake

Nautilus und Riesenkrake

Das Image der Tintenfische hat sich seit Jules Vernes Zeit grundlegend geändert: Wir wissen heute, dass Kraken und Kalmare hochintelligent sind und ein ausgeklügeltes Sozialverhalten haben. Aus seelenlosen Schreckenstieren sind gewitzte Spielkameraden, leidenschaftliche Liebhaber und intelligente Wesen geworden. Experimente im Meer und in Aquarien haben mittlerweile nachgewiesen, dass Kraken sehr einfallsreich und lernfähig sind: Sie stemmen Aquariendeckel hoch, um zu entfliehen und schaffen es,  Schraubverschlussgläser zu öffnen, um an das darin liegende Futter zu kommen. Manche – wie der Krake Paul – arbeiten nebenberuflich sogar als Fußballorakel.
Durch ihre Kommunikationsfähigkeit und Problemlösungsstrategien haben sie mittlerweile hohe Sympathiewerte erreicht. Sie sind immer noch anders und geheimnisvoll, aber auf eine weitaus positivere Weise. Trotz ihrer Kommunikationsfähigkeit leben Kraken außerhalb der Paarungszeit allein. Nur zur Paarung treffen sich Männchen und Weibchen zu einem ausgedehnten Liebesspiel – immer eine Armeslänge auf Abstand.
(Dieser Text ist ein Auszug aus meinem Essay: „Jules Verne, die Tintenfische und der Steampunk“. Steampunk ist eine retrofuturistische Science Fiction-Richtung und der Krake ist ein wichtiges Symboltier.)


Zum Weiterlesen:

Richard Ellis: “Seeungeheuer – Mythen, Fabeln und Fakten“

EDW Lynch: “Kraken: A New Book About The Science of Squid”
Rezension auf dem Blog “Laughing Squid”

https://www.wired.com/2014/09/fantastically-wrong-legend-of-the-kraken/

Kommentare (12)

  1. #1 Gerhard
    12. September 2014

    Danke für den Beitrag.
    Es macht immer wieder Eindruck, Beispiele zu sehen, daß überlegene Jäger auch Opfer sein können.

  2. #2 nihil jie
    12. September 2014

    Danke auch für den interessanten Blog-Artikel.

    Was ich erstaunlich finde ist, dass diese Kraken die getöteten Haie scheinbar nicht essen. Sind das reine Territorialkämpfe ?

  3. #3 Dampier
    12. September 2014

    Cool, Kraken-Freitag. Ist das jetzt jeden Freitag? Ich freu mich drauf.

    Kann man deinen Essay irgendwo im ganzen lesen?

    grz
    Dampier

  4. #4 Bettina Wurche
    12. September 2014

    @ Gerhard: Hier kann man nur sagen: Size matters.
    Haie fressen natürlich genauso gern Tintenfische, sie dürfen bloss nicht zu groß sein.

    @ nihil je: Das habe ich mich auch gefragt. Der Hai war zum Fressen auf jeden Fall zu goß, Octopusse können da höchstens kleine Stückchen abbeißen. Und es wurde im Beitrag leider nicht gesagt, ob das passiert ist.
    Außerdem ist es keine Freiland-Beobachtung. Die Möglichkeit, dass die Viecher sich im Aquarium einfach nicht ausweichen konnten, besteht.

    @ Dampier: Das schaffe ich nicht jeden Freitag : )
    Sooo viel Neues finde ich da nicht immer.
    Ich weiss nicht so recht, ob der Essay über Jules Verne und den Steampunk auf “mmertext” passt.
    Ich plane gerade den Ausbau meiner Homepage um eine neue Kategorie – da wären die SF-Geschichten dann besser untergebracht.
    Aber danke für Dein Interesse, ich kann Dir das pdf auch einfach zuschicken. Dann kannst Du es auf jeden Fall lesen.

  5. #5 user unknown
    https://demystifikation.wordpress.com/2014/09/12/the-large-pendulum/
    13. September 2014

    Mich wundert, dass man bei mehreren toten Tieren nicht an den Spuren feststellte, wer der Täter war.

    Dann frage ich mich, wie denn jetzt der Hai getötet wurde – ertränkt ja kaum. Die Kiemen zugehalten, also erstickt? Das Rückrat gebrochen? Einen Witz erzählt, über den sich der Hai totgelacht hat?

  6. #6 Tobias
    13. September 2014

    Wenn der Kraken-Freitag in Serie geht, schau ich gern regelmäßig vorbei.

  7. #7 inge schuster
    13. September 2014

    Sehr hübsche Geschichte!

    jetzt beginne ich den mythologischen Kampf des Herakles gegen die riesige, neunköpfige Hydra mit anderen Augen zu sehen.

  8. #8 Dampier
    13. September 2014

    Bettina, vielen Dank für den Essay!

    Hier ist noch eine interessante Krakenstory:

    https://www.zeit.de/digital/internet/2014-09/nrol-39-logo-krake

    In dem Zusammenhang frage ich mich gerade, ob die negative Konnotation z.B. in “Datenkrake” auf das ursprüngliche Ansehen des Kraken als Monster zurückzuführen ist, oder einfach nur auf die langen Arme …

  9. #9 nihil jie
    13. September 2014

    @Bettina Wurche

    Das klingt zumindest plausibel. Vielleicht nehmen die Kraken die Haie als eine potenzielle Bedrohung wahr. Dennoch erstaunlich wie mutig sie sind. So ein Angriff könnte ja auch total daneben gehen und scheint recht riskant zu sein. Aber das ist nur eine reine menschliche Einschätzung. Die Kraken werden die Situation bestimmt anders als ein Mensch einschätzen.

  10. #10 Bettina Wurche
    13. September 2014

    @ nihil jie und @ user unknown: Die Beweggründe des Kraken werden wir nie erfahren. Territorialverhalten käme auf jeden Fall in Frage. Der Krake hat den Hai so gebeutelt, verdreht und gequetscht, dass der Knorpelfisch schwere innere Verletzungen davongetragen haben kann. Den Sektionsbericht habe ich leider nicht gesehen. Es kann schon sein, dass auf der rauen Haihaut keine Saugnapfabdrücke zu sehen waren

  11. #11 Bettina Wurche
    13. September 2014

    Danke für den link, Dampier – köstlich.
    Bei “Datenkrake” denke ich an das alte, unfreundliche Monsterimage im Sinne der Hydra.(Danke, Frau Schuster, da ist bestimmt eine Parallele).
    Ein Datenkrake hat nicht nur lange Arme mit Saugnäpfen sondern auch noch eine absolut finstere Absicht. Damit stammt das Vieh eher aus der Mythologie als aus dem Meer.

  12. #12 rolak
    14. September 2014

    ok ok, heute ist bereits Sonntag, dafür liegt das Original bei 2neo in der Vergangenheit, dafür wieder bei 2info in der Zukunft: Einer der statement-Abgebenden in ‘Wie Tiere denken, 1:Wahrnehmng’ trägt Themengerechtes.