Die lange, dunkle Jahreszeit beginnt. Höchste Zeit, neben dem Lieblings-Lese-Sessel einen verlockenden Bücherstapel anzulegen. Und die langen Abende dann mit einem Pott Tee in die Papierwelten einzutauchen.
Heute stelle ich ein paar Bücher mit Kraken und Kalmaren vor, vor allem populärwissenschaftliche Lektüre steht dabei im Vordergrund.

Bernhard Kegel: “Der Rote” (2007)
Eines der ganz wenigen Bücher, die ich kenne, in dem Kopffüßer die Hauptrolle spielen.
Der Zoologe Pauli versucht, mit einem Neuseeland-Aufenthalt über den Tod seiner Frau hinwegzukommen. Nach einem Seebeben findet er den Strand voller Tiefseetintenfische – und in einer nahen Bucht einen lebenden, gigantischen Kopffüßer. Schnell gibt es Gerüchte über ein Seeungeheuer, die andere Wissenschaftler und einen sinistren Kryptozoologen auf den Plan rufen.  Pauli steckt in einer Zwickmühle: Soll er dieses einmalige Tier schützen oder es benutzen, um wissenschaftlichen Ruhm zu erlangen?
Der Biologe und Autor Kegel schreibt eine Mischung aus SF und Sciene, die nur ein kleines Bißchen über den  Stand der Wissenschaft hinaus geht. Sehr sachkundig und lesenswert. Seine Hauptfiguren sind immer ein bißchen sperrig und tun sich mit ihrer Außenwelt schwer. Und: es gibt immer gute Musik :  ) Ich lesen seine Bücher gern.
Mehr zu diesem Buch mit vielen Literaturangaben zu Kopffüßern:
https://www.bernhardkegel.de/bernhardkegel/sites/2009/rote_lit.php?id=1260380351465

Tracy Chevalier: “Zwei bemerkenswerte Frauen” (2010)
“Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebt in dem südenglischen Küstenort Lyme Regis die später als erfolgreiche Fossiliensammlerin berühmte Mary Anning. Sie ist das Kind einer armen Familie […] und lernt das Sammeln von Kuriositäten, wie die Ammoniten und andere Fossilien genannt werden, von ihrem Vater.
Elizabeth Philpot, eine gebildete junge Frau aus gehobenen Kreisen, wird nach der Heirat ihres Bruders gemeinsam mit den ebenfalls unverheirateten beiden Schwestern aus London nach Lyme Regis abgeschoben. Die intellektuell ausgehungerte Elizabeth sucht in dem Küstenort nach einer sinnvollen Beschäftigung und “entdeckt” dabei die Fossilien an den Stränden und Steilküsten für sich.” (meertext: Rezension: Zwei bemerkenswerte Frauen […])
Das Highlight dieses historischen Romans sind die Aufsehen erregenden Funde von Ichthyosaueriern. Aber die Ammoniten, fossile Kopffüßer, kommen auch in großer Anzahl vor. Darum ist auf dem Einband der deutschen Ausgabe auch ein goldener Ammonit geprägt, der mich auf das Buch überhaupt aufmerksam machte.

Jules Verne: “20.000 Meilen unter dem Meer
Der Klassiker darf hier nicht fehlen.
Verne schreibt auf dem Stand des damaligen Wissens über  Kraken und Kalmare als tumbe Wirbellose, die nur ans Fressen denken. Der dramatische Kampf mit dem Riesenkraken ist dramaturgisch exzellent inszeniert und eine wichtige Szene. Einer der frühesten Auftritte von Kopffüßern in der Belletristik.
Obwohl er den Riesenkraken als Monster agieren lässt, bleibt er in einem realistischen Rahmen.
Ganz im Gegensatz zu anderen Vertretern der phantastischen Literatur, wie etwa Lovecrafts “Airkraken”.

Richard Ellis: “Riesenkraken der Tiefsee(2002)
Die aufregende Suche nach den letzten unbekannten Wesen unserer Welt. Ellis schreibt populärwissenschaftlich gern über die Getüme und Ungetüme unserer Ozeane – auf dem Stand der neuesten Wissenschaft und leicht lesbar.

Roger T.Hanlon  & John B. Messenger: “Cephalopod Behaviour” (1996)
Cambridge University Press, Cambridge
Ein Lehrbuch, das auch für interessierte Laien gut lesbar ist und unglaublich interessante Informationen bietet.
Es ist didaktisch ausgezeichnet strukturiert, der umfangreiche Inhalt läst sich durch die kurzen Abschnitte gut verdauen.

Und hier noch ein besonderes Schmankerl zum Schmunzeln:
Brian Kesinger: “Walking Your Octopus: A Guidebook to the Domesticated Cephalopod”
  ( 2013)
Octopusse erleben gerade  ein großes Revival als Ikonen des Steampunks, einer retrofuturistischen SF-Richtung.
Das liebevoll illustrierte Buch zeigt Szenen aus dem Leben der Victoria Psismall und ihrem Land-Octopus Otto.
“The lavishly illustrated book is now available for pet lovers, octopus owners and art aficionados everywhere.”

Viel Spaß beim Schmökern!
Und: Gibt es noch weitere Kopffüßer-Literatur?
Ich bitte um weitere Buchtipps!

Kommentare (14)

  1. #1 Gerhard
    7. November 2014

    Das Buch von Brian Kiesinger scheint ja ein richtiges Fundstück für Liebhaber von Illustrationen zu sein.
    Der Cephalopod könnte ja nicht mein Ped-Tier sein, aber wenn man sich an die Anblicke eines Goliath Birdeater gewöhnt hat, wie unlängst im Phyletischen Museum in Jena geschehen, dann klingt die Beschreibung dort, daß sich die Bewegung der Beine ” hufbewehrt” anhören, direkt lieblich an.

  2. #2 Chemiker
    7. November 2014

    „20000 Meilen unter dem Meer“ ist wirklich ein interessantes Bucht, nicht nur wegen des Riesenkraken.

    Ich finde es interessant, daß der Umweltschutzgedanke darin immer wieder angesprochen wird, aber die unterschiedlichen Meinungen dazu letztlich nicht zu einer Synthese führen.

    Wenn Nemo das Aussterben der Barten­wale durch Bejagung beklagt und im gleichen Kapitel ein Gemetzel an ant­arkti­schen Pott­walen anrichtet, dann sieht mir das so aus, als ob Verne sich selbst nicht sicher war, was seine Position ist.

    Gab es denn im 19. Jahrhundert bereits eine gesellschaft­liche Diskussion über Meeres­ökologie und Natur­schutz, oder war Verne da seiner Zeit voraus?

  3. #3 rolak
    7. November 2014

    Land-Octopus Otto

    In “Die Zukunft ist wild” gibts abschließend ein schön schräges Szenario, in dem Kopffüßler die beherrschenden Land-Tiere sind. Inklusive des nächsten Kandidaten für Intelligenz, iirc.

  4. #4 Bettina Wurche
    8. November 2014

    Danke, rolak – das Buch ist auch wirklich klasse.
    Ich persönlich halte es aber gerade bei den Tintenfischen für zu spekulativ.

  5. #5 Bettina Wurche
    8. November 2014

    @ Chemiker: Absolut d´accord zu Nemo. Er ist sehr widersprüchlich.
    Die Pottwale als Zahnwale galten als böse, die Bartenwale als friedlich. das sehen wir heute anders.
    Allerdings haben wir heute das Problem mit den Orcas: erst waren sie böse (weil sie andere Wale reißen), dann waren sie lieb (“Free Willy”) und jetzt wissen die Walschützer nicht mehr so recht weiter: Orcas reißen die Kälber der hoch bedrohten Nordkaper und anderer geschützten Wale.

    Der Naturschutzgedanke wird erstmals von Michelet in “La mer” formuliert. Michelet prophezeit als Folge der industriellen Revolution den Niedergang der Kabeljau- und Walbestände. Und hat ja dann leider recht behalten. Michelet war aber ein Intellektueller und sicher nicht sehr verbreitet, Verne hat ihn aber garantiert gelesen, denn “La mer” erschien vor „20000 Meilen unter dem Meer“ und ist bis heute sehr lesenswert. Manche Kapitel sind befremdlich (er beschreibt das Meer mit seinen Strömungen als einen lebenden Organismus), andere sind topaktuell, wie etwa die Folgen der Industrialisierung für die natürlichen marinen Ressourcen. Es ist vo ca 10 jahren im mare-Verlag neu aufgelegt worden.
    Hier geht es zum e-book:
    https://www.gutenberg.org/ebooks/23279

  6. #6 Bettina Wurche
    8. November 2014

    @ Gerhard: das Buch ist ein bibliophiles Vergnügen. Kesingers Octopus-Stories sind unter Steampunkern gerade sehr in. Eine Freundin von mir baut gerade das Kostüm nach und wird sich auch noch mit einem Octopus ausstatten.
    Goliath birdeater? Nö, das ist auch nichts für mich.

  7. #7 Jeannette
    Frankfurt
    11. November 2014

    Darf es auch Lyrik sein? Alfred Lord Tennysons Gedicht ‘The Kraken’ in einer der möglichen deutschen Übersetzungen:
    “Unter dem Donner der Oberfläche, in den Tiefen des abgründigen Meeres schläft der Kraken seinen uralten, traumlosen, ungestörten Schlaf. Bleiche Reflexe bewegen sich rund um seine dunkle Gestalt; riesige Schwämme, von tausendjährigem Wachstum, blähen sich auf seinem Rücken, und in den von bleichem Licht durchschimmerten Tiefen kommen unzählige große Polypen aus geheimen Winkeln und wundersamen Grotten hervor und versetzen mit riesenhaften Armen die grünliche Stille in Aufruhr. Seit Jahrhunderten ruht er dort, und er wird weiter ruhen — wobei er sich im Schlafe von gigantischen Meerwürmern nährt —, bis das Feuer des Jüngsten Gerichts den Abgrund erwärmt. Dann wird er brüllend heraufkommen, ein einziges Mal vor den Augen der Menschen und der Engel erscheinen, um an der Wasseroberfläche zu sterben.” –

    Aber das Original ist noch beeindruckender.

  8. #8 Bettina Wurche
    11. November 2014

    @ Jeannette: Krakenpösie – herrlich : ))
    Möchte vielleicht noch jemand einen Kraken-Haiku ergänzen?

  9. #9 Jeannette
    11. November 2014

    Pfeilschnell durchs Wasser
    den Kopf voran – dann plötzlich
    ein höckriger Stein.

  10. #10 Pilot Pirx
    16. Dezember 2014

    Besorg Dir mal “Krakentang” von Carlos Rasch.
    DDR-SF mit ganz viel Kraken :).
    Natürlich von unserer damaligen Weltsicht und der Zeit geprägt. Aber vermutlich auch deswegen nicht mal uninteressant. Spannend fand ich es damals allemal.

  11. #11 Bettina Wurche
    17. Dezember 2014

    @ Pilot Pirx: Danke für den Tipp! Hört sich gut an.
    Die allermeisten SF-Geschichten sind stark beeinflußt von der Soziologie, in der sich der Autor bewegt oder von der er sich absetzen möchte. SF ist immer ein Spiegel der Gesellschaft, ob im Buch oder Film – ob in Verne, verschiedenen russischen Autoren oder Star Trek.

  12. #12 Alderamin
    17. Dezember 2014

    @Bettina

    Was unterscheidet eigentlich Ammoniten von Nautiliden (Perlbooten)? Erstere sind ja bekanntlich ausgestorben, aber letztere leben noch, sind ebenso Kopffüßer und haben ebenso eine Schale. Besteht da eine Verwandtschaft oder ist das Zufall, parallele Evolution? Aus den beiden Wikipedia-Artikeln zu den jeweiligen Tieren geht das nicht hervor.

  13. #13 Bettina Wurche
    19. Dezember 2014

    @ Alderamin: Ja, beide sehen sich auf den ersten Blick ziemlich ähnlich. Allerdings gehören sie beide recht unterschiedlichen Linien der Tintenfische an. Ihre Ähnlichkeiten sind also eher konvergente Entwicklungen.
    Ammoniten und Nautiliden unterscheiden sich vor allem an der Lage des Siphos. Dazu sind sie unterschiedlich aufgerollt und haben sehr unterschiedliche Lobenlinien (Kammerung).
    Ich finde diesen Artikel dazu ganz gut:
    https://www.steinkern.de/steinkern-fuer-kids/996-steinkern-de-fuer-kinder-ammonit-und-nautilus-aehnlich-und-doch-nicht-gleich.html

    Heutige Perloboote haben einen Schnabel, Ammoniten hatten Aptychen – das sind recht unterschiedliche Konstruktionen.
    Leider ist von Ammoniten nur sehr wenig über die Weichteile bekant. Der Aufbau von Auge, Herz und Fortpflanzungsorganen wären wichtige systematische Hinweise.
    Nur über den Kieferapparat ist mittlerweile etwas mehr bekannt:
    https://blog.meertext.eu/2011/02/01/ammoniten-%E2%80%93-uralt-und-topaktuell/

  14. #14 Alderamin
    20. Dezember 2014

    @Bettina

    Vielen Dank für die Links. Den ersten finde ich für Kinder ein wenig anspruchsvoll, aber für mich gerade richtig 🙂

    Und toller Artikel auf Spiegel online. Respekt.