“Narwhals are real“ – diese faszinierende Erkenntnis beschäftigt gerade die Twitter-Community.
Ja, natürlich gibt es Narwale.
Das weiß doch jedes Kind.
Jedenfalls jedes Kind, das mal in den Bunter Kinder Kosmos-Band „Tiere in Eis und Schnee“ geguckt hat. Oder ein anderes adäquates Machwerk zur Aufklärung über Viecher und ihre Marotten.
Dachte ich jedenfalls.
Ich bin gerade vom Gegenteil überzeugt worden. Raptorendame schrieb auf Twitter: “”Narwhals are real” auf Twitter suchen und… Naja. Lest selber.”
(Ein Dank an Raptorendame für den Tipp).
Offenbar geht es um Whale-Content – mein Kerngeschäft!
Unter dem Hashtag
https://twitter.com/search?q=Narwhals%20are%20real&src=typd
fand ich folgende Einträge (und noch viel mehr):
• kelli @xxxxxx : “Its almost 2015 and the fact that narwhals are real still completely blows my mind.”
• jazz @xxxxx: „Narwhals are real”
• Noora @xxxxxx: “Hi. My name is Noora. I’m 31. I just learned narwhals are real. (I thought they were made up like unicorns because horn!) #liveandlearn”
• samantha @xxxxx: Fun fact narwhals are real! I thought they were mythical like unicorns or centaurs! #noway #tweetsat2am
• emily cox @xxxxx: “Narwhals are real animals…. Mind blown”
• Daniel Bonar φφκα @xxxxx: “Today I explained to two family members that, yes, Narwhals are real animals.”
etc. pp.
Diese Tweets sagen mir eine ganze Menge über die Twitterer:
1. Statt „Narwhal“ innerhalb von ca 5 Sekunden zu recherchieren, nahmen sich die Twitterer lieber die Zeit, ihr eigenes profundes Unwissen festzustellen und zu kommunizieren.
2. Die meisten Twitterer waren auch nach dem Feststellen ihrer Wissenslücke nicht in der Lage, diese zu schließen, sondern twitterten weiterhin Blödsinn.
Z. B., dass der Narwal ein HORN habe. Hat er nämlich nicht. Sondern einen ZAHN!
3. Soziale Netzwerke machen zwar nicht zwangsläufig blöd, können aber die Verbreitung der Dummheit unter Gleichgesinnten fördern.
4. Manche Twitterer vermuteten gar eine Narwal-Konspiration:
#narwhalconspiracy.
Dazu unten me( e )hr.
Über den Narwal selbst sagten die meisten Tweets eher weniger, allerdings posteten manche immerhin ein Bild.
Um alle weiteren Zweifel auszuräumen, bekommt der kleine Wal mit dem großen Zahn jetzt einen Auftritt auf „meertext“.
Darf ich vorstellen?
Monodon monoceros.
Der einhörnige Einzahn.
Oder das einzahnige Einhorn?
Der Einzahn, der an das mystische Einhorn erinnert.
Horn? Zahn!!!!!!
Der Narwal (Monodon monoceros) ist ein 4 bis 5 Meter langer Zahnwal und lebt in der Arktis. Er gehört, gemeinsam mit dem Weißwal (Beluga, Delphinapterus leucas), zu den Gründelwalen. Beide Meeressäuger scheuen nicht das Leben an der Packeisgrenze und tauchen auch in Rissen und Löchern im Meereis (Polynjas) auf.
Bei der Geburt sind Narwale dunkelgrau, später grau-braun gesprenkelt und im Alter werden sie meist heller. Sie werden immerhin 40 Jahre alt.
Der Körper ist gedrungen, der Kopf ist rundlich – ohne Schnabel. Eine Rückenflosse fehlt und die Schwanzflosse ist ungewöhnlich geformt: Der hintere Rand beider Flukenhälften ist stark konvex gebogen.
Ihr wichtigstes Erkennungsmerkmal ist der „Stoßzahn“: Bei Männchen wächst der linke Eckzahn im Oberkiefer zu einer langen, spiralig gedrehten Struktur aus. Bis zu 2, 70 Meter lang.
Einen solchen Zahn gibt es bei keiner anderen Walart!
Ansonsten besteht die Bezahnung dieser arktischen Zahnwale aus einem weiteren Zahn, der meist im Zahnfleisch verborgen bleibt. Selten wächst er zu einem zweiten „Stoßzahn“. Noch seltener entwickeln auch Weibchen lange Zähne. Weitere Zähne werden nur embryonal angelegt, Narwale kauen nicht. Stattdessen nehmen sie ihre Beute wahrscheinlich saugend auf und schlucken sie als ganzes. Wie fast alle anderen Wale auch.
Dass es sich bei dem „Speer“ um einen Eckzahn und keinen Schneidezahn handelt, geht aus seiner Position hervor: Er wächst aus dem Maxillar-Knochen. Die Schneidezähne des Oberkiefers wachsen dagegen immer aus dem Prämaxillar-Knochen. Außerdem sind die Eckzähne (Caninen) von Säugetieren dafür bekannt, seltsame und große Strukturen zu werden.
Die Bedeutung des speerartige, spiralig gedrehten Narwalzahns beschäftigt Wissenschaftler immer wieder, es gibt verschiedene Hypothesen dazu. Davon werden zwei ernsthaft diskutiert:
1. Der Zahn ist mit Sinnesorganen gespickt und offenbar ein hydrodynamischer Sensor.
Martin Nweeia ist Experte für Biomaterialwissenschaften und restorative Zahnheilkunde an der Harvard School für Zahnmedizin (HSDM) und hat die Zähne lebender Narwale untersucht. Mitten in dem stabilen Zahn ist ein Hohlkanal, in dem Nerven und Blutgefäße liegen. Der „Stoßzahn“ soll wie eine Membran mit einer sensiblen Oberfläche arbeiten und Veränderungen in Wassertemperatur, -druck und die Konzentration chemischer Substanzen registrieren.
In diesem Interview erzählt er ausführlich von seinen Expeditionen mit Inuit-Jägern und seinem Team – sie haben lebende Wale gefangen und untersucht!
Diese Theorie hört sich interessant an.
Vor allem ist interessant, dass es sich um Forschungen am lebenden Wal handelt, denn nur so können komplexe neurophysiologische Analysen am lebenden Gewebe durchgeführt werden.
Meine persönliche Meinung: Nicht alle Narwale haben einen solchen Zahn. Was machen diejenigen ohne diesen speziellen Zusatz-Sensor? Der Zahn kann also keinen wesentlichen Vorteil im evolutiven Sinne bringen, sonst würden nicht so viele Wale – z. B. fast alle Weibchen – ohne diese Spezialausrüstung herumschwimmen.
2. Der Zahn ist ein Statutssymbol und wird von den Männchen bei Kommentkämpfen eingesetzt.
Männchen kreuzen die Zähne wie Fechter ihre Degen, das ist in Bildern und Filmen belegt. Manchmal bricht dabei sogar ein Zahn ab. Dabei kommt es zu Verletzungen, die Narben hinterlassen. Aber: Dieser Kommentkampf ist sehr kontrolliert, es geht keinesfalls darum, den Gegner schwer zu verletzen oder gar aufzuspießen und zu töten!
In diesem National Geographic-Video ist das gut zu sehen:
Der Einsatz des Zahns im Kommentkampf ist für mich die wahrscheinlichste Erklärung. Für nahezu alle geschlechtsdimorphen Besonderheiten wie Zähne, Hörner, Geweihe und andere Merkmale. Und da diese Fechter des Eismeeres in kleinen Gruppen leben, ergibt es auch Sinn.
Die Aussage, dass die Länge des Stoßzahns in Relation zur Größe der Testikel steht, verursacht mir Unbehagen. Denn: Die Größe der Testikel dürfte sich im Laufe eines Wallebens verändern. Und nur, weil ein Narwal betagt ist und die Testikel sicherlich kleiner sind, als in seiner sexuellen Blütezeit, dürfte der Zahn kaum wieder schrumpfen. Und warum tragen dann auch manche Weibchen diese langen Zähne? Solche scheinbar einfachen Forschungsergebnisse betrachte ich mit größter Vorsicht.
Das Einhorn des Meeres
In historischen Zeiten wurden Narwalzähne natürlich für Einhorn-Hörner gehalten und zu den entsprechenden exorbitanten Preisen gehandelt. Schließlich wollte jeder Fürst für sein Naturalienkabinett das Horn des mystischen Tieres haben. Und das Pulver vom Horn des Einhorns war eine beliebte Getränkezutat der Mächtigen, denn es sollte vor Gift schützen.
Auch heute noch haben Narwalzähne einen hohen Handelswert. In Europa, wo der Handel mit Teilen von marinen Säugetieren verboten ist, dürfen sie nicht mehr ver- und gekauft werden.
Das ist auch richtig so, denn der Bestand der Tiere ist nicht sehr groß.
Muktuk – mjam,mjam?
Leider sind immer noch im Rahmen des Aboriginal Whaling, also für den traditionellen Walfang der indigenen Völker, Quoten zum Fang für Narwale freigegeben.
In früheren Zeiten waren Meeressäuger in den arktischen Gebieten eine wichtige Nahrungsressource.
Dabei wurde stets das ganze Tier verwendet.
Wirklich alles.
Aufgrund der speziellen Beschaffenheit der Haut kann Walhaut nicht gegerbt und zu Leder verarbeitet werden. Dafür war sie eine begehrte Nahrung und unter dem Namen Maktaaq, Maktaq oder Mattak bzw. in englisch-phonetischer Schreibweise als Muktuk bekannt. Muktuk ist die Haut mit der darunter liegenden elfenbein- bis rosafarbenen Fettschicht. Diese fette Leckerei wurde von Nar-, Weiß- und Grönlandwalen in Blöcken aus den Tieren herausgeschnitten und luftgetrocknet oder gefroren gelagert.
Das Wichtigste ist der extrem hohe Vitamin C-Gehalt dieses Gewebes. Ausgerechnet Walhaut hat eine höhere (L-(+)-Ascorbinsäure-Konzentration als Zitrusfrüchte! Damit war sie ein besonders wichtiges Lebensmittel gegen Skorbut und andere Mangelkrankheiten.
Inuit betrachten sie auch heute noch als Leckerbissen, der Geschmack soll an den von Nüssen oder geschälten Mandeln erinnern.
Heute ist das Töten und Essen von Narwalen keine gute Idee mehr, denn
– es ist schlecht für den Narwal-Bestand.
– das Narwalfleisch ist sehr hoch mit Schadstoffen belastet. Die Tiere stehen weit oben in der Nahrungskette und reichern Quecksilber, Blei, Cadmium, PCBs und andere Schadstoffe über einen langen Zeitraum an. Gerade in Fettgewebe lagern sich besonders viele Schadstoffe ab.
Mehr zu den gesundheitlichen Folgen von Walfleischkonsum gibt es unter „meertext: 7 gute Gründe, keinen Wal zu essen“.
Beide Gründe treffen natürlich auch auf die anderen arktischen Walarten zu.
Eine Hamburgensie: Die Narwalin mit zwei Zähnen
In der Schausammlung des Zoologischen Museums in Hamburg ist ein Narwalschädel mit zwei Zähnen zu bewundern. Das Tier wurde 1684 von Kapitän und Walfänger Dirk Petersen erlegt und war nachweislich ein Weibchen!
Die Narwal-Verschwörung
Manche Leute meinen, es gäbe gar keine Narwale. Sondern nur von Walen verschluckte Einhörner.
Auch eine interessante Hypothese.
Da würde mich allerdings mal interessieren, seit wann Einhörner so lange die Luft anhalten können. Na?
Mehr zur großen Narwhal Conspiracy auf Twitter und auf Facebook:
https://twitter.com/hashtag/narwhalconspiracy?src=hash
https://www.facebook.com/pages/The-Narwhal-Conspiracy-Theory/598094980227410
Mehr zum Narwal:
https://www.simplyscience.ch/teens-liesnach-archiv/articles/der-narwal-das-einhorn-der-meere.html
https://narwhalnewsnetwork.com/pictures-of-narwhals1/
Mit sehr guten Bildern!
PS: Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein frohes neues Jahr!
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