“The “Dolphin Rape” Myth” – der Mythos der Delphin-Vergewaltigung ist ein Dauerbrenner in den Medien.
Regelmäßig erzählen Schwimmer, Taucher und Schnorchler, wüste Geschichten über sexuelle Belästigung bis hin zur versuchten Vergewaltigung.
Was steckt dahinter?
Flipper : Taucher -> 1:0
Wenn ein Mensch im Wasser von einem Delphin umgeschwommen und angerempelt wird, ist das an sich schon beängstigend. Wale sind uns Menschen in ihrem flüssigen Element haushoch überlegen. Dazu kommt, dass sie trotz ähnlicher Körpergröße ein ungleich höheres Gewicht haben: Ein 1,9 Meter großer Mensch sollte zwischen 72 und 92 Kilogramm wiegen.
Die häufigsten Interaktionen von Menschen mit Delphinen geschehen mit Großen Tümmlern (Tursiops truncatus). Manche Bestände, Familien oder auch einzelne Tiere kommen küstennah vor und suchen manchmal von sich aus die Nähe zu Fischern, Booten oder Schwimmern und Tauchern.
Ein 2 bis 3,9 Meter langer Großer Tümmler (Tursiops truncatus) wiegt zwischen 150 und 200 Kilogramm. Mit zunehmender Länge steigt das Körpergewicht der Wale rasant an, sie bestehen nur aus Muskeln, ihre Flossen sind hart wie Bretter. Ein Wal ist an keiner Stelle weich und kuschelig.
Durch diese Ausgangssituation dürfte jeder normale Mensch im Wasser selbst gegenüber einem mickrigen Delphin einen gehörigen Minderwertigkeitskomplex entwickeln. Wenn der Kleinwal dann auch noch eine unübersehbare Erektion zeigt, kommt noch eine irritierende sexuelle Komponente dazu. Der Wal ist uns im Wasser haushoch überlegen und Delphine können auf jeden Fall ruppig werden.
Aber dann von einer Vergewaltigung oder dem Versuch dazu zu sprechen, ist einfach nicht korrekt.
Der Themenkomplex „Delphine/Wale-Verhaltensbiologie-Intelligenz“ ist für meinen Geschmack zu emotional und zu unreflektiert anthropozentrisch aufgeheizt.
Ich hatte in „Delphin-Verhaltensforschung (2): Von Schwammtauchern und Kindsmördern“ schon den Begriff Sexual Coercion eingeführt und kurz über das Thema berichtet.
Im Kontext mit einer Vortragsvorbereitung bin ich gerade noch einmal in das Thema eingetaucht und stelle die Ergebnisse hier kurz vor.
Vor allem der Blog „Justin Gregg“ von Justin Gregg ist da recht hilfreich – es geht um Delphine, Verhaltensbiologie, Intelligenz und andere Themen. Justin Gregg ist ein Psychologe und Research Associate im Dolphin Communication Project – dabei geht es um die Großen Tümmler vor Sarasota, Florida, im Golf von Mexiko.
Sexual coercion und sozio-sexuelles Verhalten
Das zentrale Problem ist natürlich zunächst die Definition: „Vergewaltigung“ beinhaltet, dass keine Einwilligung des Opfers vorliegt. Weiterhin kann noch eine besondere Bedrohung und Erniedrigung des Opfers hinzukommen (Eine umfassende Definition ist z. B. hier zu finden).
Gregg meint, der Terminus “Vergewaltigung” (Rape) könne auf keine Verhaltensweise angewendet werden, die jemals bei Delphinen beschrieben worden ist.
Zunächst ist bei Delphinen (und auch anderen Tieren) schwerlich zu erkennen, inwieweit eine Einwilligung vorliegt oder nicht. Weiterhin ist der Begriff der Vergewaltigung mit moralischen und juristischen Implikationen verbunden – Tierforscher verwenden diesen Terminus darum seit den 80-er Jahren nicht mehr. Die korrekte Bezeichnung für die aggressive Begattung eines Männchens gegenüber einem Weibchen ist „erzwungene Kopulation“ (forced copulation). Solche erzwungenen Kopulationen sind von Enten, Eidechsen, Orang-Utans, Schimpansen, Affen, Eichhörnchen, Fruchtfliegen und anderen Spezies bekannt.
Aber nicht von Delphinen.
Allerdings sind einige recht ruppige sexuelle Verhaltensweisen von Delphinen bekannt.
Sexual coertion (“sexuelle Nötigung”)
Sexual coercion beschreibt den Einsatz von Gewalt, Bedrohung Schikanen und anderen Zwangsmitteln von Männchen zur Durchsetzung der Kopulation. (Sexual coercion in animals is the use of violence, threats, harassment, and other tactics by males to help them forcefully copulate”).
Smuts, Barbara B. Male Aggression and Sexual Coercion of Females in Nonhuman Primates and Other Mammals: Evidence and Theoretical Implications. Advances in the Study of Behavior 22 (1993)
Sexual coertion ist in einigen Delphin-Populationen beobachtet worden, etwa in der schottischen Nordsee-Population (s. u.) oder im australischen Shark Bay (s. u.).
Aber nicht in Sarasota.
Socio-sexual behaviour und Mounting (Aufreiten)
Dabei geht es um alle Verhaltensweisen, in denen Männchen ihren Penis an den Körpern anderer Tiere reiben bzw. in Körperöffnungen einführen, die aber nicht der Reproduktion dienen. Hier kann ein beiderseitiges Einverständnis vorliegen, muss aber nicht.
Delphine paaren sich Bauch an Bauch: Meistens nähert sich das Männchen von unten und dreht sich dann in die richtige Position. In jeder anderen Position ist die Paarung ausgeschlossen.
Dieses Video zweier hawaiianischer Spinner-Delphine (Stenella longirostris) zeigt eine echte Paarung:
Das Umschwimmen, Streicheln und Reiben zwischen Delphinen beiderlei Geschlechts, das nicht der Reproduktion/Kopulation dient, ist eine sozio-sexuelle Verhaltensweise. Der Hautkontakt und die Berührungen sind Ausdruck eines sozialen Verhaltens von in einer Gruppe lebenden Säugetieren.
Nach Gregg gibt es dafür eine ganze Reihe von möglichen Erklärungen: es kann zum Intensivieren und Vertiefen der sozialen Bindungen oder Freundschaften dienen oder auch zum Dampf ablassen, zum Bestrafen von Rivalen oder einfach zum Zeitvertreib. Es ist im Einzelfall sehr schwierig herauszufinden, was einem Delphin dabei durch den Kopf geht. Aber es hat sicherlich nichts mit einer echten Paarung zu tun.
Er bringt als Beispiel für die Verwechslung von „Sozio-sexuellem Verhalten“ und „Paarung“ ein Video, das auf Youtube steht und beschriftet ist mit: „Two male dolphins and one female mating at SeaWorld Orlando. July 16, 2009“. Beim genauen Hingucken wird schnell deutlich, dass hier drei Männchen ein feucht-fröhliches Spiel veranstalten. Kein Weibchen ist daran beteiligt. Und wie eine Paarung sieht es absolut nicht aus.
Die meisten Videos (z. B. auf Youtube), die das Etikett „Mating“ tragen, zeigen genau dieses Verhalten. Die Delphine schwimmen umeinander, reiben sich aneinander, es sind Erektionen zu sehen…aber keine echte Paarung. Und offenbar ist den Personen, die die Filme dann mit Text unterlegen, auch nicht immer das Geschlecht der einzelnen Tiere deutlich. Darum sind solche Amateur-Aufnahmen immer mit Vorsicht zu genießen, sie können mißverständlich und falsch interpretiert sein.
Mounting oder Aufreiten ist bei Säugetieren verschiedenster Spezies ein übliches Verhalten.
Auch unter Delphinen ist es weit verbreitet – bei beiden Geschlechtern und Tieren aller Altersgruppen. Es kommt auch vor, dass Weibchen bei Männchen aufreiten und Jungtiere bei ihren Müttern. Die möglichen verhaltensbiologischen Erklärungen reichen von spielerischem Verhalten und Bestätigen von Freundschaft bis zu Dominanz- und Aggressions-Verhalten.
Letztendlich ist es die gleiche Verhaltensweise wie die, die ein domestizierter Hund zeigt, der den Fuß seines Besitzers „bespringt“.
Wenn ein Delphin in dieser Weise einen Schwimmer belästigt, kann es ruppig werden; schließlich haben die kleinen Wale haben Kraft und Schwung. Aber es kann keinesfalls eine zielgerichtete Kopulationsabsicht seitens des Delphins unterstellt werden.
Fazit
Gregg ist grundsätzlich dagegen, „sexual coercion“, Socio-Sexual behavior und „mounting“ als Synonym für „Vergewaltigung“ zu nutzen. Dieses entsetzliche, brutale und das Opfer erniedrigende Verhalten mit einem schrulligen Verhalten von Delphinen gleichzusetzen, würde die Brutalität herunterspielen und trivialisieren.
Das dolphins are rapists–Mem ist zwar sehr plakativ und garantiert Aufmerksamkeit – ob als Hashtag oder als T-Shirt-Aufdruck. Aber es ist falsch.
Und die Verhaltensweisen von Delphinen sind auch ohne diese zusätzliche Sensationsheischerei eine Beobachtung wert – jedes Mal, wenn ich einen oder mehrere Delphine sehe, eine Mutter mit ihrem Kalb oder eine ganz Gruppe ums Schiff, fühle ich mich reich beschenkt.
Sarasota Dolphin Research Program
Die Delphine in der flachen, warmen Sarasota Bay vor Florida werden seit den 1970-er Jahren erforscht, damit ist das Sarasota Dolphin Research Program eines der ältesten Delphin-Forschungsprojekte der Welt. Hier lebt ein großer Bestand von mehreren Generationen Großen Tümmlern (Tursiops truncatus) und bietet landnah die Möglichkeit, das Familienleben und die Beziehungen der Kleinwale zueinander über lange Zeit hinweg zu studieren. Neben Forschung sind natürlich der Delphinschutz und auch die Wissensvermittlung über diese ganz besonderen Meeressäuger wichtige Punkte. Nur Tiere, deren Bedürfnisse und Umwelt wir kennen, können wir schützen. Darum ist die Erforschung und Sammlung von biologischen (Alter, Fortpflanzung), verhaltensbiologischen (Mutter-Kind-Verhalten, Gruppenstrukturen), ökologischen (wieviel Nahrung brauchen sie und was fressen sie) sowie von tiermedizinischen Daten maßgeblich für den Delphinschutz, in der Sarasota Bay und anderswo. Weiterhin werden hier Maßnahmen zum Delphinschutz wie Regulierungen der Schifffahrt oder Touristik erarbeitet und erprobt. Ganz wichtig ist auch, dass in der Sarasota Bay die Delphin-Rettung bei Strandungen und Unfällen sowie die medizinische Versorgung und Pflege verunglückter Kleinwale durchgeführt und weitervermittelt wird. Davon profitieren auch die Delphine anderer Populationen, auch außerhalb der USA.
Zum Weiterlesen:
Sarasota Dolphin Research Program
Delphin-Verhaltensforschung (2): Von Schwammtauchern und Kindsmördern
Delphin-Verhaltensforschung: Halbstarke Delphine im Drogenrausch
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