Kragenhai 2015 (SETFA)

Kragenhai 2015 (SETFA)

“Jurassic shark! Fishing trawler crew discover terrifying prehistoric beast with 300 TEETH among their catch!”
Ein Hai wie eine Seeschlange – und dann noch ein Relikt aus dem Erdmittelalter?
Eine vollmundige Sensationsmeldung, garniert mit dem Bild eines grauslichen Meeresviechs.
Extra blutrünstig mit blutverschmiertem Maul.

Vor Australien ist einem Fischtrawler ein 2 Meter langer Kragenhai ins Netz gegangen.
South East Trawl Fishing Association (SETFA)-Mitarbeiter Simon Boag gab der Presse ein begeistertes Interview.

Der „Monster-“ und “Nie-zuvor-gesehen”-Status

Mr Boags Aussage “[…] this was the first sighting of the species alive by humans.” ist nicht richtig.
2007 gab es reichlich Aufregung um Filmaufnahmen eines vor Japan gefangenen Kragenhais:

2011 schwamm vor South Carolina noch ein Tier vor die Kamera:

 

Ein ungewöhnlicher Gast aus der Tiefe

Die schlangenartigen, schokobraunen Tiefseetiere existieren heute in einer Gattung mit zwei Arten. Der Kragenhai Chlamydoselachus anguineus (Garman, 1884) ist schon 1884 (!) wissenschaftlich beschrieben worden.
(Garman, S. 1884 (17 Jan.): An extraordinary shark. „Bulletin of the Essex Institute“ v. 16: 47-55)
2009 folgte dann mit dem Südafrikanischen Kragenhai Chlamydoselachus africana (Ebert & Compagno, 2009) die zweite Art.

Kragenhai-Präparat-(Johannes-Maria-Schlorke-–-Fotografie)

Kragenhai-Präparat-(Johannes-Maria-Schlorke-–-Fotografie)

Die Kragenhaie sind gemeinsam mit den Kammzähnerhaien (Hexanchidae) die Ordnung Hexanchiformes – namengebend sind ihre 6 Kiemenspalten! Die meisten rezenten Haie haben nämlich nur 5 davon.
Die Hexanchiformes gelten wegen dieses basalen Merkmals als die urtümlichste Gruppe der Haie.
Die erste Kiemenspalte umläuft den Kopf fast vollständig, dadurch kommt es zu dem „Kragen“ und dem Trivialnamen.

Ein Kragenhai sieht ganz anders aus als etwa ein Hochseehai. Die schnellen Jäger der Hochsee haben aufgrund ihrer perfekten Hydrodynamik eine charakteristische „Torpedo“-Silhouette. Grundhaie wie Katzenhai oder Ammenhai hingegen haben viel längere, schlangenähnlichere Körper. Der Kragenhai ist also ein typischer Grundhai – Schnelligkeit ist hier nicht das oberste Gebot. Auch die Anzahl der Flossen ist anders als beim Otto-Normal-Hai.
Zu dem länglichen Körper und der schlängelnden Fortbewegung kommt noch die stumpfe runde Kopfform.

Das Maul ist sehr groß und reicht über mehr als die Hälfte des Schädels – dadurch wirkt der Kopf reptilartig. So kommt der Knorpelfisch zu seinem französischen Trivialnamen requin lézard = „Eidechsenhai“.
Die etwa 300 Zähne sind in 25 Reihen angeordnet, 13 im Ober- und 12 im Unterkiefer.
Mehrere Reihen von Zähnen hintereinander, von den die jeweils vorderste im Einsatz ist und regelmäßig ersetzt wird – das ist ein typisches Hai-Merkmal. Dieses sogenannte Revolvergebiss gibt es heute in vielen Spezifikationen. Die meisten Haie haben 7 Reihen Zahn-Reihen.
Kragenhai-Zähne sind gleichförmig (=homodont), das ist eher ungewöhnlich: „Die Zahnkrone wird von drei etwa gleich langen, schlanken, zurück gebogenen Spitzen gebildet, an der Zahnbasis können kleinere Spitzen entwickelt sein. Die Einzelzähne haben einen großen Seitenabstand zueinander.“

Kragenhai--Detail-Zähne-(Johannes-Maria-Schlorke-–-Fotografie)

Kragenhai–Detail-Zähne-(Johannes-Maria-Schlorke-–-Fotografie)

Die nadelspitzen, stark nach hinten gebogen gebogenen Zähne erinnern an einen Fangkorb. Perfekt geeignet, um glitschige Tintenfische oder Fische festzuhalten, um sie dann im Ganzen zu verschlucken. Das Verschlingen ganzer Beutetiere ist übrigens weder für Haie noch für andere Wasserbewohner ungewöhnlich. Und auch für viele Landbewohner nicht.
Die Nahrungsaufnahme der Kragenhaie ist von Sanforda Moss in “Feeding Mechanisms in Sharks“ analysiert worden. Sie hat sich mit der Evolution der Kiefer-Mechanik von Haien beim Fressen beschäftigt. Den Mechanismus der Nahrungsaufnahme der Kragenhaie ordnet sie bei den eher ursprünglichen Entwicklungen ein.

Über die Lebensweise dieser Tiere ist insgesamt noch wenig bekannt.
Das ist nicht überraschend für Tiere aus der Tiefe des Meeres ohne fischereiwirtschaftliche Bedeutung.
Auch zum Verbreitungsgebiet gibt es nur fragmentarische Fakten.
Zur Populationsstärke gibt es dementsprechend noch gar keine Daten.

Es gibt bisher zu wenige Informationen, um ihn direkt in eine der Gefährdungsstufen „Critically Endangered“, „Endangered“ oder „Vulnerable“ einzusortieren. Aber es ist zu befürchten, dass, sowie es mehr Informationen gibt, genau dort landen wird. Darum wird er auf der Roten Liste unter „Near Threatened (NT)“ geführt („A taxon is Near Threatened when it has been evaluated against the criteria but does not qualify for Critically Endangered, Endangered or Vulnerable now, but is close to qualifying for or is likely to qualify for a threatened category in the near future.”)

PS: Ein ganz herzliches Dankeschön an Johannes für die beiden herrlichen Photos des Kragenhai-Präparats aus dem Meeresmuseum Stralsund (johannes-maria schlorke fotografie)!

Der Kragenhai-Hype – eine mediale Evolution

Seit der Jahrtausendwende gibt es alle paar Jahre einen Kragenhai-Haipe.
Pardon: Hype.
Woran liegt das?
Diese Häufung von Sichtungsberichten in jüngerer Zeit dürfte mehrere Gründe haben.
Erstens sind mittlerweile so viele Fischarten in so großen Bereichen der Ozeane abgefischt und dezimiert, dass die Fischerei auf der Jagd nach Beute in immer größeren Tiefen fischt.
Dazu kommt, dass die medialen Zugänge auch für Fischer sehr viel einfacher geworden sind.
Ein besonders aufregender Fischfang um 1950 hatte vielleicht eine Chance auf eine kleinen Beitrag im Fischerboten oder einer ähnlichen fachspezifischen Publikation mit kleiner Verbreitung.
Damit blieben diese Fänge vor der Öffentlichkeit meistens verborgen. Nur sehr selten kam solch ein ungewöhnliches Tier bis in ein Museum.
Heute hat fast jeder Fischer ein Handy mit Photomöglichkeit und kann seinen Fang schnell dokumentieren und weiterschicken. Ein gutes Bild von einem „grauslichen Viech“ trägt so eine Story dann sehr schnell in die Medien weiter. Die immerwährend hungrig und in schneller Taktung nach der nächsten Sensation fischen.

“It’s a freaky thing. I don’t think you would want to show it to little children before they went to bed.” – auch hier irrt Mr. Boag. Nach meinen Erfahrungen finden Kinder so etwas wahn-sin-nig spannend. Wenn man es ihnen richtig erklärt.

Das Bild des verletzten Tieres mit dem blutverschmierten Maul sieht sehr reißerisch aus.
Für mich zeigt es weniger den angeblichen Blutdurst des Hais, als vielmehr die Verschwendung von Meerestieren in der Fischerei.
Der Hai liegt in seinem eigenen Blut. Für die Fischerei ist er unerwünschter Beifang, die nicht kommerziell verwertet werden kann und auf dem Abfallhaufen landet.
Also: Es ist de facto ein seltener Fang.
Und ich finde es sehr bedauerlich, dass dieses Tier in einem Fischernetz landete.
Ich hätte ihm noch ein langes Leben in der dunklen Tiefe des Ozeans gewünscht.

Der Kragenhai – ein lebendes Fossil?

Der Begriff „Lebendes Fossil“ ist von Darwin eingeführt worden.
Darwin hatte damit Organismen bezeichnet, deren Bauplan sich über einen erdgeschichtlich langen Zeitraum –also viele Jahrmillionen – nicht oder nur wenig verändert hat.
Vor allem Tierarten, die in unzugänglichen Lebensräumen existieren, können manchmal überraschend „altmodisch“ aussehen. Der Kragenhai, Nautilus oder der Quastenflosser Latimeria sind gute Beispiele dafür.
Aus heutiger Sicht sollten wir diesen Begriff nicht mehr benutzen.

Denn heute wissen wir:
Alle drei genannten Tiere waren vor 60 bzw. 80 Millionen Jahren weit verbreitet. Heute kommen sie nur noch in großen Meerestiefen vor und – jedenfalls Nautilus und der Latimeria – in geographisch eng umrissenen Arealen. Sie sind Reliktvorkommen.
Um in diesen Tiefen leben zu können, haben sie sicherlich andere physiologische Anpassungen als ihre Ahnen. Aber diese „soft skills“ wie physiologische Spezifikationen oder verhaltensbiologische Sonderheiten können wir an Fossilien nicht nachweisen.
Aber wir dürfen es annehmen.
Denn in der Evolution gibt es keinen Stillstand.
Hier regiert die Rote Königin!
Aber das ist eine andere Geschichte…

Den Begriff „Lebende Fossilien“ sollten wir heute jedenfalls nicht mehr benutzen. Er hat Darwin für seine Überlegungen zur Evolution gute Dienste geleistet und darf nun in den Ruhestand eingehen. Auch unsere Konzepte der Biologie sind einer Evolution unterworfen.
Darwins Erbe wird dadurch nicht geschmälert.

Kommentare (5)

  1. #1 Gerhard
    23. Januar 2015

    Danke für den wieder mal spannenden Bericht.
    Der “Kragenhai” war mir zwar ein Begriff, hatte aber im Detail dazu nichts gelesen.

  2. #2 rolak
    23. Januar 2015

    erste Kiemenspalte umläuft den Kopf fast vollständig, dadurch kommt es zu dem „Kragen“

    Na sowas – bisher war ich der Meinung, das läge an der heller gefärbten Region hinter den Kiemen, analog zum Kragenbär… (Das ist kein Gegenargument, nur Verwunderung über ‘Daten’genese aus dem Nichts)

    Pardon: Hype.

    Nix da: ‘Haipe’ ist besser.

  3. #3 Bettina Wurche
    25. Januar 2015

    @ Gerhard: Ich war von dem Video von 2007 völlig begeistert – wesentlich mehr wusste ich aber auch nicht.
    Und da ist noch einiges zu forschen, denn die Relikt-Verbreitung lässt mich serh vermuten, dass da noch mehr Arten/Unterarten dahinterstecken.
    Eine Art im Nordatlantik, angeblich die gleiche im Indopazifik und im Südatlantik eine andere? Das sieht für mich eher danach aus, als ob im Indo-Pazifik noch eine noch nicht beschriebene herumschwimmt. Bin sehr gespannt, was da noch so herauskommt.

  4. #4 Bettina Wurche
    25. Januar 2015

    @ rolak: Die Begründung für den Trivialnamen war mir auch neu – auf einigen Bildern sieht das Tierchen mit der Riesenkiemenspalte aber wirklich aus, als es einen Kragen umhat.
    Tja, manchen Kalauern kann ich einfach nicht widerstehen : )

  5. […] Der Kragenhai – Jurassic Shark? – Meertext – Scienceblogs […]