Unter Wasser für die Wissenschaft: 1914 wurde auf einer österreichischen Werft und im deutschen Auftrag die zwölf Meter lange „Loligo“ gebaut. Sie war das erste Forschungs-U-Boot der Welt, kam aber nie zum Einsatz und ist heute fast vergessen.
Er war ein Sponsor wie aus dem Bilderbuch: Paul Schottländer, geboren 1870 in Breslau, Gutsbesitzer, Bankier und einer der reichsten Deutschen, außerdem als promovierter Zoologe ein großer Freund der Wissenschaft. 1911 zählte er zu den Gründern der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der Vorläuferin der Max-Planck-Gesellschaft, und stiftete ihr gleich ein Forschungsinstitut, eine meeresbiologische Station in der Hafenstadt Rovigno – dem heutigen Rovinj – an der Adria.
Schottländer hatte noch andere Ideen. Schon Anfang 1911 träumte er von einem Unterseeboot für Forschungszwecke und erhielt im März 1912 sogar einen Termin bei Kaiser Wilhelm II., um ihm die Pläne zu erläutern. Vermutlich im gleichen Jahr begann die Danubius-Werft in Fiume mit dem Bau des zwölf Meter langen Schiffs; der technische Entwurf stammte vom jungen österreichischen Ingenieur Marcell Klein, der in Berlin studiert hatte.
Heute heißt Fiume Rijeka und gehört wie Rovinj zu Kroatien; bis 1918 war die Stadt aber der wichtigste Schiffbauplatz der österreich-ungarischen Doppelmonarchie und ihrer Kriegsmarine. Nach Fertigstellung des Druckkörpers gelangte das U-Boot von Paul Schottländer und Marcell Klein in die ebenfalls in Fiume sitzende Whitehead-Werft, wo die umfangreiche Ausrüstung hinzukam. Im Sommer 1914 war die „Loligo“ – der Name ist das lateinische Wort für Kalmar – so gut wie einsatzbereit.
Das Boot verdrängte 50 Tonnen, besaß einen Elektromotor und bot Platz für drei Mann Besatzung und drei Passagiere, Forscher oder Taucher. Diese konnten durch zwei Schleusen unter Wasser aussteigen und auf dem Meeresgrund umherwandern; die maximale Tauchtiefe der „Loligo“ betrug 50 Meter. Die Insassen schauten durch dicke Fenster im Bug und in den beiden Türmen nach außen, wobei ein von innen bedienbarer Scheinwerfer die Umgebung erhellte.
Ursprünglich wollte die Whitehead-Werft am 15. September 1914 das U-Boot an Paul Schottländer übergeben, was der Ausbruch des I. Weltkriegs zunichte machte. Nun interessierte sich die österreichische Marine für die „Loligo“. Sie prüfte den Einbau eines Benzinmotors und eine Bewaffnung mit kleinen Torpedos, verwarf das Konzept aber am Ende wieder. Nach dem Kriegseintritt von Italien 1915 überlegte das österreichische Heer einen Einsatz im Gardasee, doch auch daraus wurde nichts.
Das Boot verbrachte den Krieg zum größten Teil im Trockendock der Whitehead-Werft. 1918 wurde es in den österreichischen Hafen Pola transportiert, wo es dann italienischen Truppen in die Hände fiel. Diese gaben die „Loligo“ dem rechtmäßigen Eigentümer Paul Schottländer zurück, und der verkaufte es an einen Schrotthändler. Über den Verkaufspreis finden sich in den Quellen unterschiedliche Angaben, sicher ist jedenfalls, dass vom Schiff kein Schräubchen mehr erhalten ist.
So endete eine der bemerkenswertesten Konstruktionen der Marinegeschichte. Paul Schottländer starb 1938 in seiner schlesischen Heimat, Marcell Klein konnte im selben Jahr noch rechtzeitig vor den Nazis aus Österreich fliehen. Sein Sohn, der sich später Manfred Clynes schrieb und heute in Kalifornien lebt, wurde 1960 durch eine ganz andere Idee weltberühmt: Zusammen mit Nathan S. Kline erfand er den Cyborg, einen Zwitter aus Mensch und Maschine.
Dr. Ralf Bülow
Ein ganz herzlicher Dank an Dr. Ralf Bülow für dieses submarine Schmankerl! Dieser Gastbeitrag hat eine Bildunsglücke bei mir geschlossen und passt ganz wunderbar auf meertext!
Herr Dr. Bülow ist Wissenschaftshistoriker, wir hatten uns bei einer Veranstaltung der Phantastsischen Bibliothek Wetzlar getroffen. Er ist dort u. a. in dem genialen Projekt “Future Life” aktiv, über das ich schon kurz hier berichtet hatte.
BW
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