Napfschnecken der Art Patella vulgata haben Zähnchen, die das stärkste Material im Tierreich sind – das haben Wissenschaftler der Universität Portsmouth gerade nachgewiesen.
Damit löst der Schneckenzahn die Spinnenseide als stärkstes biologisches Material ab.
Die Schnecken tragen ihre Zähne übrigens auf der Zunge.

Patella-vulgata-(Wikipedia)Patella vulgata ist die Gemeine Napfschnecke, sie lebt an den westeuropäischen Küsten. Die nachtaktive Schnecke raspelt Algenrasen ab und hat einen festen Weidegrund, den sie sogar gegen andere Patellen verteidigt.
Diese eher unscheinbaren Meeres-Weichtiere sind tough und mögen es hart: sie saugen sich auf festen Untergründen fest, gern auch in Brandungszonen. Selbst die stärkste Welle spült sie nicht vom Fels: Ihr Fuß hat eine ungeheurer Saugkraft. Richtig festgesaugt, schließt die napfförmige Schale die Schnecke nach außen ab und bildet einen extrem guten Schutz gegen Austrocknung oder Gefressenwerden. Die Tiere sind dann nur mit Gewalt von ihrem Untergrund zu lösen.
Übrigens: In der mediterranen Küche sind sie beliebt, z. B. als „Lapas“ (Rezept s. u.).

Schnecken haben in der Mundöffnung eine Raspelzunge, die Radula. Sie ist ein chitiniges Band und – je nach Art – mit bis zu 200 horizontalen Reihen mit jeweils 2 bis 6 Zähnchen besetzt. Die Radula sitzt in der Radulatasche, die Drüsen enthält und wächst ständig nach. Die Drüsensekrete bestehen u. a. aus chitinähnlichen Glykoproteinen; Odontoblasten bilden neue Zähne. Jedes Beißerchen besteht aus einer Basalplatte, einem Mittelteil und einer Spitze – letztere wird mit Mineralsalzen besonders gehärtet.

Angeblich ist das Abschaben der Algen durch die eiserne Zunge mit einem Stethoskop oder sogar mit dem bloßen Ohr sogar zu hören.

Structure of the common limpet tooth (Patella vulgata). (a) Optical image of the tongue-like radula containing bands of teeth along a length of many centimetres. (b) Scanning electron micrograph of the teeth groupings with each tooth length approximately 100 μm. High-magnification electron microscopy images of the tooth cusp show (c) the changing orientation of the nanofibrous goethite in the chitin matrix and (d) the high anisotropy of the composite at the anterior and posterior edges owing to alignment of the goethite, note the mineral fibre length of approx. 3 μm, with (e) close-up of the tooth indicating the distinct phases of the goethite ‘reinforcing fibre’ and the chitin ‘matrix’ highlighting the structural resemblance to a fibre-reinforced composite material with an average fibre diameter of approx. 20 nm. Adapted from reference [12]. (Online version in colour.)

Structure of the common limpet tooth (Patella vulgata). (a) Optical image of the tongue-like radula containing bands of teeth along a length of many centimetres. (b) Scanning electron micrograph of the teeth groupings with each tooth length approximately 100 μm. High-magnification electron microscopy images of the tooth cusp show (c) the changing orientation of the nanofibrous goethite in the chitin matrix and (d) the high anisotropy of the composite at the anterior and posterior edges owing to alignment of the goethite, note the mineral fibre length of approx. 3 μm, with (e) close-up of the tooth indicating the distinct phases of the goethite ‘reinforcing fibre’ and the chitin ‘matrix’ highlighting the structural resemblance to a fibre-reinforced composite material with an average fibre diameter of approx. 20 nm. Adapted from reference [12]. (Online version in colour.)

Die geniale Nanostruktur der Napfschneckenraspel

Der Superzahn aus dem Tierreich ist ein Kompositmaterial mit Nanostrukturen: In die weiche Proteinmatrix werden harte Goethit-Nanofasern eingelagert. Dieser Verband führt zu einer gemessenen Festigkeit von 3 bis 6.5 GPa (GigaPascal).

Noch ein Clou: Die Bruchfestigkeit des Materials ist unabhängig von der Größe der Struktur. Das ist ungewöhnlich, denn normalerweise nimmt die Bruchfestigkeit mit der Größe ab.
Das könnte daran liegen, dass die Konstruktion der Napfschnecken-Zähne primär aus mineralischen Nanofasern besteht, die zwar viele Mikrometer lang sind, aber einen Durchmesser von nur wenigen 10 Nanometern haben.
Dieser geringe Durchmesser macht die Komposit-Nanostruktur im Molluskenmund offenbar unanfällig gegen Schwachstellen im Material. Diese Stabilität ist ein großer Vorteil gegenüber industriell hergestellten Strukturen, wie Gao et al in ihrer Veröffentlichung “Materials become insensitive to flaws at nanoscale: Lessons from nature” beschrieben hatten (s. u.).

Wie kommt das Goethit in die Schneckenzunge?

Goethit – Nadeleisenerz oder Brauner Glaskopf – hat einen Eisen-Gehalt von bis zu 62 % und eine Härte von 5 bis 5,5 Mohs. Das Mineral ist im Normalzustand antiferromagnetisch. Übrigens: Es gibt auch magnetische Mollusken: Käferschnecken bauen Magnetit in ihre Zunge ein. Goethit bildet sich durch Oxidation in terrestrischen Eisenerzlagerstätten oder auch in ozeanischen Hydrothermal-Systemen.
Die Schnecke nimmt das Eisenerz wahrscheinlich mit ihrer Algen-Nahrung auf oder schluckt eisenhaltiges Sediment. Dann werden die Goethit-Partikel in die Radula-Bezahnung eingebaut.

Dass ausgerechnet eine Napfschnecke den deutschen Dichter-Chef auf der Zunge trägt, ist schon eine schöne Anekdote.

Quellen:

“Extreme strength observed in limpet teeth”; Asa H. Barber , Dun Lu , Nicola M. Pugno
Royal Society journal Interface
DOI: 10.1098/rsif.2014.1326 Published 18 February 2015

“Materials become insensitive to flaws at nanoscale: Lessons from nature”; Huajian Gao, Baohua Ji,  Ingomar L. Jäger, Eduard Arzt and Peter Fratzl; Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, v.100, 5597-5600 (2003)

Zubereitung von Napfschnecken (glutenfrei!):
https://medcookingalaska.blogspot.de/2008/11/humble-limpet-petalida-treasure-of-sea.html

Kommentare (12)

  1. #1 MartinB
    26. Februar 2015

    Toll.
    Aber im paper steht was von “tensile strength” – das ist die Zugfestigkeit. Sonst macht auch der Vergleich mit Spinnenseide wenig Sinn, denn die kann man nicht auf Druck belasten, weil es Fasern sind.

  2. #2 meregalli
    26. Februar 2015

    Diese Napfschnecken sind auch schnell: 1480 km/h !

    Man findet sie nicht selten als Bewuchs u.a. auf den Schiffschrauben. Hat sie sich da 20 cm weit entfernt von der Achse angesiedelt, wird sie bei 2000 U/min mit ca 1440 km/h mitgeschleudert, bei 18 Knoten Reisegeschwindigkeit kommen dann noch 40 km/h dazu.

    Will man sie nach dieser Spritztour bei der Unterwasserreinigung abkratzen, gelingt das im Unterschied zu anderen Bewuchstieren wie Seepocken oder Kalkröhrenwürmern praktisch nicht. Die Haftung ist unvermindert fest.

    Ich schließe daraus, dass ihnen das Ganze auch noch Spaß macht.

    Unklar ist mir, wie die Fischer diese Schnecken mit unversehrtem Gehäuse zur Lapasmahlzeit abernten.

  3. #3 rolak
    26. Februar 2015

    Mußte sofort an den Metall/Biologie-thread von MartinB denken – er ist ja auch schon auf Besuch gekommen…
    Ist das nun so, daß die Schnecken aus ihrem Napf das eisenhaltige Essen mümmeln und daraus NanoFasern stricken?

  4. #4 Eheran
    26. Februar 2015

    “Hat sie sich da 20 cm weit entfernt von der Achse angesiedelt, wird sie bei 2000 U/min mit ca 1440 km/h”
    Die Rechnung will ich dann bitte mal sehen, wie daraus Überschallgeschwindigkeit wird.

    Zum einen dreht eine Schiffsschraube wohl kaum mit 2000U/min, zum anderen müsste die Schnecke dann noch 2m von der Welle entfernt wachsen, dass die Rechnung aufgeht. Tatsächlich sind es ~100U/min bei größeren Schiffen und damit in 20cm Abstand ganze 7,5km/h.

  5. #5 meregalli
    26. Februar 2015

    Ja, danke, hab mich um eine Zehnerpotenz geirrt.
    Kam mir ja auch spanisch vor.
    Die 2000 U/min passen für eine Yacht schon.
    150 km/h für eine Schnecke sind aber auch nicht schlecht.
    In Mathematik war ich immer schon eine Null.
    Nimm die überzählige Null als Unterschrift.

  6. #6 MartinB
    26. Februar 2015

    @rolak
    Das Eisen liegt hier aber ja nicht metallisch vor, wenn ich das richtig sehe…

  7. #7 rolak
    27. Februar 2015

    nicht metallisch

    Nein nein, MartinB, das ist auch nicht zu sehen und dann wäre der Querverweis deutlich deutlicher geworden – doch seit Deinem Artikel damals erinnert jede noch so schwache Andeutung in Richtung des Themas an die gestellte Frage.

  8. #8 Bettina Wurche
    27. Februar 2015

    @ rolak, MartinB: zum Eisen:
    Die Schnecke nimmt mit der Nahrung EisenOXID auf:
    “The cusps are hardened with a combination of silicon and crystalline iron oxide. […] The author of the discovery suggests that the iron may come from iron-rich algal foods or from dissolution of ingested iron-containing sediment particles in the gut. Lowenstam 1962 Science 137: 279.”
    https://www.asnailsodyssey.com/LEARNABOUT/LIMPET/limpRadu.php

    Wie dann ganz genau das Eisenoxid bzw. Goethit in die Zahnspitzen (cusp) kommt, ist nicht geklärt.

    Natürlich kommen Goethit u. a. Stoffe nicht in der Form “Metall” mit all seinen Eigenschaften vor – wie MartinB auch beschrieben hat, sondern sind in kleinsten Partikeln in einer Matrix aus Proteinen eingebaut. Z. B. in Schneckenzungen. Oder Magnetit im Hirnbereich von Wirbeltieren, etc.

  9. #9 Bettina Wurche
    27. Februar 2015

    @ meregalli: Ich erinnere mich an ein Napfschnecken-Projekt am Mittelmeer – die Biologen haben die Napfschnecken überlistet. Man muss sich anschleichen und verhindern, das man einen Schatten auf die Schnecke wirft, dann sind die Tierchen ahnungslos und lassen sich pflücken.

    Man kann sie aber auch einfach mit einem Löffel oder einer Messerklinge abhebeln:

    oder
    https://britishseafishing.co.uk/limpets/

  10. #10 Bettina Wurche
    27. Februar 2015

    @ MartinB: Ich habe für “tensile strength” mit “Bruchfestigkeit” übersetzt. Im Versuchsaufbau steht, dass “Strain” gestetet wurde – “Belastung”. Aber der Einsatz des “dog bone” weist dann auf Zugfestigkeits-Tests hin, es geht um die Fasern. Du hast recht.

  11. #11 meregalli
    27. Februar 2015

    @ bw
    Danke für die Anleitungen.
    Das Video entbehrt nicht einer unfreiwilligen Komik a la “Monty Phytons dying limpets”.
    Ich hab die Dinger nie ohne Gehäusezerstörung runtergekriegt.

  12. #12 Bettina Wurche
    27. Februar 2015

    @ meregalli: Definitiv. Studienkollegen hatten auf einer Exkursion ein Napfschnecken-Projekt und wolltendas Weideverhalten der Tierchen untersuchen. Sie ahben sie mit Nagellack markiert und dann die Bewegungen dokumentiert. Außerdem haben sie herausgefunden, dass man die Viecher überlisten kann: Wenn man sich von hinten anschleicht und aufpasst, dass der eigene Schatten nicht auf die Schnecke fällt, kann man die Tiere blitzschnell greifen und problemlos hochnehmen.
    Cooles Projekt.
    Könnte man auch 1:1 in Monty Python übernehmen. Als Zoologe ist man eh immer sehr schnell eine wandelnde Steilvorlage für Witze.
    Aber wir schießen dann einfach mit Biologenhumor zurück : )