„Ocean-Clean-up“ ist ein ambitioniertes Projekt zum „Aufräumen“ des Plastik-Mülls in den Meeren.
Es wird zurzeit heiß debattiert.
Was steckt hinter dem Projekt und der kritischen Diskussion?
Das Plastik-im-Ozean-Problem (marine debris)
Marine debris ist Müll, der nicht biologisch abgebaut werden kann (Gregory, 2009).
Seit 1940 ersetzen synthetische Materialien zunehmend die natürlichen Materialien bei Fischernetzen, Angelleinen und den unterschiedlichsten Gegenständen des täglichen Gebrauchs. Sie kosten weniger, sind leichter und länger haltbar (Laist & Liffmann, 2000). Dieser Trend hält immer noch an. So hat die Verschmutzung – nicht nur – der Ozeane mit Müll rapide zugenommen (Gregory, 2009).
Mittlerweile ist „Marine debris“ eines der wichtigsten Themen im Meeres-Umweltschutz, denn es hat gewaltige Auswirkungen auf viele Tierarten und letztendlich auch auf die Menschen. Damit wird die Meeres-Müll-Problematik auch zunehmend in der Öffentlichkeit diskutiert.
Marine debris schadet den Meesbewohnern
Marine debris gefährdet und tötet Tiere durch
- Entanglement: Die Tiere verfangen sich in Netzen, Plastiktüten und anderen Plastikteilen und ertrinken, verlieren Gliedmaßen oder verhungern.
Ein einziges Geisternetz (Netz, das sich losgerissen hat) zieht eine gewaltige Schneise der Verwüstung durchs Meer, in ihm sterben Wale, Vögel, Haie und ganze Fischschwärme. - Verschlucken: Die Tiere halten Plastik für Nahrung und füllen ihre Mägen oder die ihrer Küken damit. Letztendlich verhungern sie an einem mit Plastik gefüllten Magen.
- Ersticken: Plastik setzt sich in den Luftwegen Luft atmender Meerestiere wie Wale, Robben, Schildkröten oder Vögeln fest.
- Die chemischen Auswirkungen des sich zersetzenden Plastiks wie die Schwächung des Immunsystems oder abnehmende Fruchtbarkeit sind dabei noch gar nicht erfasst.
Der Marine debris-Experte Laist schätzte schon 1997, dass mindestens 1 Million Seevögel und 100.000 Meeressäuger (Wale, Robben, Seekühe) an Marine debris sterben (Laist, 1997). Mittlerweile dürften diese Werte deutlich höher liegen.
Der Meeres-Müll schadet auch unserer Gesundheit
Die Kunststoff-Partikel verwittern unter dem Einfluß von Salzwasser und UV-Strahlung und zerfallen in immer kleinere Partikel. Schließlich sind sie so klein, dass sie vom Plankton als Nahrung oder mit der Nahrung aufgenommen werden. Mikroorganismen können die Kunststoffe nicht vollständig zersetzen. Die mikroskopisch kleinen Reste verbleiben in den Ozeanen. Die Plastik-Partikel sind in der gesamten Nahrungskette nachweisbar und werden entlang der trophischen Stufen immer weiter angereichert.
Kunststoffe geben bei ihrer Zersetzung giftige und hormonell wirksame Zusatzstoffe wie Weichmacher, Flammschutzmittel und UV-Filter ab.
Die wirtschaftliche Bedeutung des Meeres-Plastiks wie Behinderungen der Schifffahrt oder der Fischerei soll hier nicht weiter erörtert werden. Aber sie ist mittlerweile ein Faktor von erheblicher finanzieller Bedeutung.
Verteilung des Plastik-Mülls im Ozean:
Der Müll ist nicht gleichmäßig verteilt, sondern sammelt sich in gewaltigen Müll-Strudeln im offenen Ozean. Mittlerweile gibt es fünf gigantische Strudel, die wie
Plastikkontinente im Meer schwimmen und bereits eigene Ökosysteme sind. Der größte von ihnen ist der Nord-Pazifik-Strudel – er ist doppelt so groß wie Deutschland.
Plastikpartikel sind in jeder Tiefe zu finden, bis hinein in die Tiefsee. Die mit Abstand höchste Konzentration schwimmt allerdings auf der Wasseroberfläche, direkt an der Wasser-Luft-Grenzefläche.
Ocean-Clean-up: Lösung für die Plastikflut (marine debris)?
Ocean-Clean-up ist die Planung eines gigantischen Bauwerks mitten auf dem Ozean.
Es wäre die größte künstliche Struktur auf den Ozeanen und soll die Flut des Plastik-Mülls verringern. Ein großer Teil des Plastikmülls treibt an der Wasseroberfläche. Ocean-Clean-up besteht aus einem Turm und gewaltigen Armen, die auf der Wasseroberfläche liegen. Mit den Armen würde der auf der Oberfläche des Ozeans treibende Müll abgeschöpft. Diese Arme sind so gebaut, dass sie auch kleine Müllpartikel großflächig mit abschöpfen.
Die Idee „Ocean-Clean-up“
Der junge Niederländer Boyan Slat stellte 2012 bei einem TEDxDelft-Talk seine Idee, diese Müllstrudel gezielt abzuschöpfen, vor.
Eine 100 Kilometer lange Anlage aus schwimmenden Barrieren.
An einem am Meeresboden verankerten „Turm“ hängen je zwei 50 Kilometer lange Arme. Die Arme sind in einem 120°-Winkel angeordnet und bilden einen Trichter, sie reichen bis unter die Wasseroberfläche. Die Strömung soll Plastikmüll in den Trichter weiter zum Zentrum der Anlage treiben, dort wird er in einer großen Plattform gesammelt und komprimiert. Schließlich holt ein Schiff den komprimierten Müll ab, um ihn an Land zu recyceln. Über das Recycling sollen die Kosten der Anlage teilweise gedeckt werden. Die Machbarkeitsstudie errechnet dabei einen Betrag von 317 Millionen Dollar.
Wie realitätsnah ist Ocean-Clean-up?
Die Idee hört sich zunächst gut an.
Aber:
Ist das Projekt in seiner jetzt geplanten Form durchführbar?
Kann es effektiv Plastikmüll aus dem Ozean entfernen?
Welche negativen Folgen könnte der Einsatz von Ocean-Clean-up auf die Meeresbewohner haben?
Auf marinedebris.info haben Ozean-Experten “Ocean-Clean-up” diskutiert:
Ihre wichtigesten Kritikpunkte:
1. Ungenügende praktische Erprobung der Methode
Slat hat vor den Azoren bereits eine kleine Versuchsanlage gestestet.
Wissenschaftler halten sie jedoch für absolut unzulänglich.
Die Meeresforscherinnen Martini und Goldstein meinen, dass dabei weder die Strömungsverhältnisse realistisch waren noch der Beifang an Tieren und Pflanzen überprüft wurde.
2. Zweifel an der Stabilität der Anlage
Stiv Wilson zweifelt an der die Stabilität der geplanten Anlage. Die Versuchsstudie und die Planung der Anlage unterschätzen Seegang, Stürme und Meeresströmungen.
3. Besiedlung und Verkrustung der Anlage durch Meerestiere
Auf einem Bauwerk im Ozean siedeln sich sehr schnell Organismen an, sie würden die Müll-Fangarme verkrusten und unbrauchbar machen.
4. Direkte Auswirkungen auf Meerestiere
Das Abschöpfen von Partikeln von der Meeresoberfläche würde auch die dort lebenden Organismen treffen. Vor allem die treibende Welt des Planktons in den Grenzschichten (Neuston und Pleuston), wie etwa die Blaue Flotte.
Ob sich andere Organismen dort verheddern könnten, ist noch nicht geklärt.
Auch die Tiere, die das Plastik selbst als Lebensraum nutzen, würden mit abgeschöpft.
Meine Einschätzung: Lob und Kritik
Boyan Slat und seine Mitstreiter haben ein ambitioniertes Projekt angeschoben und brillant vermarktet. Unter Nutzung ihres jugendlichen Elans und der modernen Medien.
Insgesamt erscheint das Projekt für diese Dimension fast naiv, es ist in vielerlei Hinsicht zu wenig durchdacht.
Darum nehmen Meereswissenschaftler es jetzt auch detailliert auseinander, um zu zeigen, dass das Marine debris-Problem wesentlich komplexer und komplizierter ist.
Ich kann beide Seiten verstehen – die ambitionierten jungen Erwachsenen, die endlich ein Problem angehen möchten, und die erfahrenen Älteren, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung wissen, daß alles komplizierter ist, als es auf den ersten Blick erscheint.
Aber warum nutzen hier nicht beide Seiten die Stärken des anderen?
Slat und sein Team wissen, wie man eine Idee zum Nutzen der marinen Ökosysteme in die Öffentlichkeit bringt und viele Menschen mobilisiert, es zu unterstützen und zu finanzieren. Slat hat ein globales Problem gewaltigen Ausmaßes avisiert und einen Lösungsansatz erdacht. Er hat seine Lösung verständlich vorgestellt und viele Menschen aktiviert, dieses Ziel zu unterstützen.
Die Meereswissenschaftler und andere Experten wiederum wissen, dass es nicht eine große Lösung geben kann, sondern eher mehrere kleine. Sie könnten zielgerichtet verschiedene Lösungen entwickeln, wie Müll an Flussmündungen abgeschöpft werden kann oder welches Instrumentarium in welcher Dimension auf offener See besser geeignet wäre.
Kooperation statt Aktionismus und „Kaputt-reden“ – das wäre doch mal ein lohnenswertes Ziel.
Ganz sicher bin ich mir allerdings, dass es so etwas nicht zum Nulltarif geben wird. Slat hat wirklich „schöngerechnet“. Und da würde ich mir wünschen, dass ein weit voraus denkender Mensch mit einem großen Finanzvolumen dafür ein Projekt auslobt. Ein internationales, interdisziplinäres Projekt, das junge und ältere Menschen an einen Tisch bringt und etwas Großartiges zum Wohle unserer Meere plant und umsetzt.
Und was kann jeder selbst tun?
Jeder Verbraucher kann seinen Anteil am globalen Marine debris-Problem selbst verringern.
Das Umweltbundesamt empfiehlt dazu:
- „Verwenden Sie keine Peelings, Duschgels und Zahnpasten, die Kunststoffe (zum Beispiel Polyethylen) enthalten.
- Werfen Sie Müll nicht achtlos weg, sondern stets in den Mülleimer. Nehmen Sie alles wieder mit, was Sie für den Strandtag oder das Picknick im Freien eingepackt haben.
- Kaufen Sie langlebige Produkte – so schonen Sie wertvolle natürliche Ressourcen und vermeiden Müll. Nutzen Sie plastikfreie Verpackungen wie Papiertüten für Brot oder Obst und Gemüse, Mehrwegflaschen oder noch besser Glasflaschen aus der Region und eigene Textiltragetaschen für den Einkauf.
- Trennen Sie Ihren Müll. Nur so ermöglichen Sie, dass Plastik und andere Stoffe überhaupt recycelt werden können.
- Beteiligen Sie sich an freiwilligen Säuberungsaktionen an Küsten, Stränden und Flussufern.“
In Hamburg lädt z. B. die Meeresschutzorganisation Deepwave e. V. zum Strandsäubern ein. - Werfen Sie von Schiffen aus keinen Abfall ins Meer.
Quellen:
https://www.theoceancleanup.com/problem.html
Gregory, Murray R. (2009): Environmental implications of plastic debris in marine settings—entanglement, ingestion, smothering, hangers-on, hitch-hiking and alien invasions
https://rstb.royalsocietypublishing.org/content/364/1526/2013
Laist, D. W. (1997) Impacts of marine debris: entanglement of marine life in marine debris including a comprehensive list of species with entanglement and ingestion records. In Marine debris, sources, impacts, and solutions (eds J. M. Coe & D. B. Rogers), pp. 99-139. New York, NY: Springer-Verlag.
Laist, D.W. and Liffmann, M. (2000) Impacts of Debris: Research and Management Needs, Issue Papers of the International Marine Debris Conference, Aug 6-11, 2000. Honolulu, Hawaii.
https://www.unep.org/regionalseas/marinelitter/publications/docs/plastic_ocean_report.pdf
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