Pufferfish-Warning

Die griechischen Behörden warnen seit 2008 vor dem Kugelfisch

Der Hasenkopf-Kugelfisch Lagocephalus scleratus (GMELIN, 1789) sieht mit seinen hervorstehenden Augen und den nach vorn vorstehenden, hasenartig wirkenden Zähnen irgendwie knuffig aus.
Trotzdem gerät er gerade in die Schlagzeilen, weil er angeblich äußerst gefährlich ist.
Welche wissenschaftlichen Fakten stehen hinter den Horrormeldungen aus dem Mittelmeer?

Die Familie der Kugelfische (Tetraodontidae Bonaparte, 1832) besteht aus fast 190 Arten. Ihre Größe liegt zwischen 2 Zentimetern beim Erbsenkugelfisch (Carinotetraodon travancoricus) bis zu 120 Zentimetern beim Riesenkugelfisch (Arothron stellatus).

Kugelfische leben weltweit in tropischen und subtropischen Meeren, oft über Korallenriffen oder Seegraswiesen. Ihr Hauptantrieb ist nicht, wie bei fast allen anderen Fischen, die Schwanzflosse, stattdessen propellern sie mit den Brustflossen für den Vortrieb. Nicht sehr schnell, aber extrem wendig.
Ihren wissenschaftlichen Name verdanken die Fische ihrem hoch spezialisierten Gebiß: Tetraodontidae bedeutet „Vierzähner“. Kugelfische haben vier Zähne, die im Ober- und Unterkiefer zu einer Kauleiste verwachsen und mechanisch extrem belastbar sind. Mit diesen Zähnen knacken sie Schnecken, Muscheln und können auch Steinkorallen anknabbern.
Die Schuppen sind zu Stacheln umgebildet und liegen normalerweise eng am Körper an. Bei Gefahr bläst der Fisch sich zu einer Kugel auf. Dazu schluckt er viel Wasser in den dehnbaren Magen – und dann wird der ganze Fisch eine runde Sache. Die Stacheln stehen dann dornartig vom Körper ab. Das bringt hungrige Beutegreifer dazu, um diese  Stachelkugel lieber einen Bogen zu schwimmen. Sie würde den Räubern im Maul steckenbleiben und sie schwer verletzen oder gar töten.

Tetrodotoxin TTX – ein hoch potentes Nervengift

Kugelfische haben noch eine zweite starke Abwehr: Tetrodotoxin (TTX) – ein starkes Nervengift, das nach ihnen benannt ist:
Die Wirkung dieses Giftest beschreibt der Toxikologe, Dietrich Mebs folgendermaßen: Die Lähmung befalle das äußere Nervensystem, gehe also nicht vom Gehirn aus. „Das heißt: Ich kriege das bei vollem Bewusstsein mit.” Zuerst verschwindet das Gefühl unter anderem in den Fingerspitzen. Dann greift die Lähmung um sich. Sobald sie die Atemmuskulatur erreicht, besteht akute Lebensgefahr. Einzige Rettung: künstliche Beatmung.” (Web.de, Stand 15.08.2015.)
Dieter Mebs ist Experte für Fischgifte und hat das Buch “Gifte im Riff” geschrieben.:
„Wenn Atmung und Kreislauf schnell genug durch Notfallmaßnahmen in Gang gehalten werden, klingt die Giftwirkung innerhalb etwa 24 Stunden ab und die Opfer erleiden keinen bleibenden Schaden.“ ergänzt Wikipedia noch.

Das Gift ist in den inneren Organen des Fisches und der Haut enthalten, nicht jedoch im Muskelfleisch. Bei der Zubereitung ist äußerste Vorsicht angeraten, Japanische Fugu-Köche erhalten dafür eine spezielle Ausbildung. Trotzdem fordern Kugelfisch-Mahlzeiten jedes Jahr Todesopfer, vor allem in Südostasien.
In sehr geringer Konzentration soll TTX bei Menschen einen Rausch auslösen. Dieser Rausch ist allerdings ein kulinarisches Russisches Roulette, denn die Schwelle zur tödlichen Dosis ist sehr niedrig.

Bei Delphinen hingegen scheint es in gewissen Kreisen, vor allem bei jungen Männchen, eine Frage des Life-Style zu sein, an Kugelfischen zu lecken und sich damit einen Rausch zuzulegen (Delphin-Verhaltensforschung: Halbstarke Delphine im Kugelfisch-Drogenrausch).

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A sampling from sandy bottoms on the coast of Rhodes Island in the southeastern Aegean Sea with a large number of Lagocephalus sceleratus individuals (Kalogirou et al 2012)

Kugelfische im Mittelmeer

Durch den Suezkanal sind schon immer tropische und subtropische Faunenelemente in das Mittelmeer eingewandert. Vor allem im östlichen Mittelmeer sind bereits viele Neozoen (eingewanderte Tiere) aus dem indischen Ozean heimisch geworden. Viele von ihnen fallen den meisten Menschen nicht auf und sind auch keine Bedrohung. Der Hasenkopf-Kugelfisch ist jetzt allerdings möglicherweise ein problematischer Zuwanderer.
Das Fachbuch “Biodiversity Enrichment in a Diverse World” (edt. Gbolagade Akeem Lameed, ISBN 978-953-51-0718-7, Published: August 29, 2012 under CC BY 3.0 license. © The Author(s).) hat den inasiven Fischarten im Mittelmeer ein eigenes Kapitel gewidmet:  “The Ongoing Shift of Mediterranean Coastal Fish Assemblages and the Spread of Non-Indigenous Species” von Stefanos Kalogirou, Ernesto Azzurro and Michel Bariche  (DOI: 10.5772/50845 – open access). Daraus stammt auch das Photo links.

Bedeutet dieser Fisch eine akute Gefahr für Urlauber im Mittelmeer?

Vorwurf 1.: Seine starken Zähne können Metall, Finger und anderes durchbeißen.
Natürlich kann er mit seinen kräftigen Zähnen theoretische einen Finder oder Zeh abbeißen.
Aber dafür müsste man ihm erst mal den Finger oder Zeh in das sehr kleine Maul stecken.
Außerdem lebt er in 10 bis 100 Meter Tiefe. Da kommt normalerweise kaum ein Urlauber hin.
Der Fisch greift von sich aus keine Menschen an.

Vorwurf 2: Der Fisch ist sehr giftig. Tetrodotoxin ist ein hochpotentes Nervengift.
Problematisch ist, dass der Hasenkopf-Kugelfisch offenbar mittlerweile einen größeren Anteil am Fang einiger Fischer im östlichen Mittelmeer bildet. Sein Fleisch ist nahezu grätenfrei und schmeckt sehr gut.
Bereits 2008 berichtete die WAZ vor Beginn der Sommerferien über das Auftauchen des Hasenfisches vor der türkischen Küste und zitierte den Meeresforscher Mehmet Gökoglu von der Mittelmeer-Universität in Antalya: Er hätte sich kürzlich an die türkische Öffentlichkeit gewendet, „um seine Landsleute vor dem Besucher aus dem Roten Meer zu warnen. Gökoglu hat beobachtet, dass türkische Fischer den Kugelfisch aus dem Wasser ziehen und dass der grätenarme, wohlschmeckende und billige Fisch in den Wintermonaten auf so manchem Teller in Antalya landete. Im Sommer könnte ein solcher Schmaus in türkischen Küchen und den Touristen-Restaurants an der türkischen Mittelmeer- und Ägäisküste tödliche Folgen haben.“

Der Fisch ist aufgrund seiner Silberstreifen, des auffallenden Kopfes und der nicht zu übersehenden Stacheln gut erkennbar, die meisten Fischer sollten mittlerweile von ihm gehört haben und um seine potentielle Gefährlichkeit wissen.
Sollte er dennoch auf dem Fischmarkt oder gar im Restaurant auf einem Teller landen, besteht allerdings wirklich ernsthafte Gefahr.
Darum ist Urlaubern zu empfehlen, keine unbekannten Fische zu kaufen und zuzubereiten oder selbst geangelte unbekannte Fische zu verzehren.
Der Hasenkopf-Kugelfisch soll sein Toxin nur im Sommer produzieren bzw. enthalten. Im Winter ist er, so Gökoglu, ungiftig. Diese Aussage kann ich nach meiner kurzen Literaturrecherche nicht bestätigen und würde vom Verzehr dieses Fisches lieber generell absehen.

Hier hat ein Angler den silbergestreiften und gepunkteten Fisch am Haken (das Video ist leider nur auf Griechisch, ohne Übersetzung):

Der Hasenkopf-Kugelfisch – eine invasive Art auf dem Vormarsch

Der Hasenkopf-Kugelfisch ist 2003 erstmals im östlichen Mittelmeer gesichtet worden.
Er fühlt sich wohl im warmen Mittelmeer und breitet sich schnell aus, mittlerweile ist er vor Spanien angekommen.
Solche zugewanderten Arten heißen „invasive Arten“, die tierischen Neubürger sind Neozoen.
Die griechische Meeresbiologin Maria Corsini-Foka dokumentiert die steigende Anzahl der Sichtungen bzw. des Fangs dieser Kugelfische. Einer ihrer Arbeitssschwerpunkte ist „Biology, distribution, environmental and socioeconomic impact of alien species in the Aegean Sea and Eastern Mediterranean, linking to climatic changes“ – und Lagocephalus sceleratus ist einer von drei invasiven Fischen, die von dem Seawatchers-Projekt „Invasive Fishes“ besonders kritisch beobachtet werden.

Deniz Yagliogu, Cemal Turan, Deniz Erguden und Mevlut Gurlek geben in „Range expansion of silverstripe blaasop, Lagocephalus sceleratus (Gmelin, 1789), to the northeastern Mediterranean Sea (2011 BIHAREAN BIOLOGIST 5(2): pp.159-161, Article No.: 111204) einen detaillierten Überblick über Sichtungen und die potentielle Gefahr des Hasenkopf-Kugelfisches, dabei belegen sie auch die ersten beiden nachgewiesenen Todesopfer in Israel und im Libanon.

2012 hatte die FAO (Food and Agriculture Organisation) eine erste umfassende  Einschätzung von Wissenschaftlern zu seiner fischereilichen und möglichen Gefahr verfasst. Das Fazit der Autoren Manal R. Nader, Shadi Indary und Layal Ephrem Boustany ist: “Among the most devastating species to both fisheries and habitats is the aggressive predatory puffer fish Lagocephalus sceleratus. The fish bio-concentrates Tetrodotoxin (TTX), a very potent poison making the fish unmarketable and poses a great risk to human health if consumed. In addition, L. sceleratus has been recorded to destroy fishing nets and lines leading to economic losses for fishers.”
Die Autoren raten aufgrund der Giftigkeit und der daraus resultierenden möglichen todbringenden Vergiftung menschlicher Konsumenten von einer fischereilichen Nutzung zurzeit dringend ab. Sie empfehlen aber, dass eine Nutzung des Fisches und seines Toxins in der Pharmazeutischen Industrie in Erwägung gezogen werden solle. So könnten die Fischer, die das unerwünschte, weil unverkäufliche Tier im Netz haben, auch finanziell entschädigt werden. (Nader M., Indary S., Boustany L., 2012. FAO EastMed The Puffer Fish Lagocephalus sceleratus (Gmelin, 1789) in the Eastern Mediterranean. GCP/INT/041/EC –GRE –ITA/TD-10).

Fischpanik im Sommerloch

Dr. Ralf Bülow machte mich auf den Hasenkopf-Kugelfisch-Artikel auf Focus-Online aufmerksam – dafür noch einmal ein herzliches Dankeschön!
Meine weitere Recherche ergab in der gesamten deutschsprachigen Presselandschaft den immer wieder gleichen Artikel mit dem ausführlichen Zitat zum TXX von Mebs und der Nennung von Maria Corsini-Foka ohne ein weiteres Zitat. Nur Focus war noch auf die Idee gekommen, zusätzlich Timo Moritz, den Ichthyologen des Meeresmuseums in Stralsund, zu zitieren. Der dann auch prompt deeskalierte, weil der vorgeblich todbringende Meeresbewohner tiefer lebt, als die meisten Touristen im Mittelmeer kommen werden und der Fisch bei Gefahr normalerweise flüchtet.

Eine direkte Bedrohung für Urlauber an der spanischen, italienischen und griechischen Mittelmeerküste ist der Hasenkopf-Kugelfisch wohl kaum. Aber vielleicht sorgt er für ein zusätzliches kleines Prickeln und eine spannende Urlaubsanekdote.

Kommentare (17)

  1. #1 BreitSide
    Beim Deich
    16. August 2015

    Danke für die Deeskalation!

    Ich fand die “Pufferchen” (der englische Name ist ja auch knuffig genug) schon immer “niedlich”, vor allem aufgeplustert. Natürlich nicht beachtend, dass das ja ein Tier in Todesangst war.

    Faszinierend natürlich, dass sich so ein kleiner Kerl gegen so riesige Fressfeinde wehren kann. So ein typisches David-gegen-Goliath 🙂

  2. #2 imNetz
    16. August 2015

    Hmm ….
    der Link zu “halbstarke Delphine im Kugelfischrausch” funktioniert bei mir nicht ….

  3. #3 BreitSide
    16. August 2015

    …Abo…

  4. #4 rolak
    16. August 2015

    funktioniert bei mir nicht

    Der funktioniert (und zwar bei allen) nur dann, wenn Du beim Ziel das Ziel entfernst, imNetz, hier gehts lang.

  5. #5 Alderamin
    16. August 2015

    Auf Curaao hat mich beim Schnorcheln direkt vor der Küste mal ein Kugelfisch angeschaut. Wenn der in der Karibik kein Problem für die Touristen ist, dann sicher auch nicht im Mittelmeer. Im Mittelmeer und auf den Kanaren gibt’s übrigens Drachenköpfe. Kann mich erinnern, dass Kinder auf Ibiza mal einen geangelt hatten und meinen ebenfalls angelnden Vater baten, den vom Haken zu nehmen. Da will man dann auch nicht drauftreten.

  6. #6 Bettina Wurche
    16. August 2015

    @ Danke, Alderamin.

  7. #7 Bettina Wurche
    16. August 2015

    @imNetz: Der link ist nun korrigiert.

  8. #8 Bettina Wurche
    16. August 2015

    @BreitSide: Wenn ein Tier nicht so sehr groß und langsam und auch noch schön bunt ist, bedeutet das immer: Finger/Flossen weg! Es gibt aber keine Zahlen darüber, wieviele Fische jährlich an Pufferfish sterben. Von Schweisnwalen in Nord- und Ostsee ist allerdings bekannt, dass zu große Plattfische im Schlund steckenbleiben und das dann die letzte Mahlzeit war.

  9. #9 Bettina Wurche
    16. August 2015

    @rolak: Danke! Ist jetzt aber auch repariert.

  10. #10 rolak
    17. August 2015

    🙂 ..schnelle Korrektur.

    Da es jetzt nicht mehr ersichtlich ist: an der url klebte hinten ein “%20target=” (oder so).

  11. #11 GabyRottler
    17. August 2015

    Tetrodotoxin …
    Vor 35 Jahren wurde ich in der Pharma-Prüfung aufgefordert, die chemische Formel von Tetrodotoxin aufzumalen. Mein Kommentar damals (das war eine Zeit weit vor Wikipedia): “Das halte ich nicht für notwendig, so etwas als Tierärztin zu wissen.”
    Ich sehe das immer noch so – der Prof fand das aber nicht witzig. Da ich aber doch noch Antworten auf ein paar andere Fragen wusste, habe ich die Prüfung trotzdem knapp bestanden.

  12. #12 Bettina Wurche
    17. August 2015

    @GabyRottler: : ) Im östlichen Mittelmeerraum hat es allerdings schon ein paar Kugelfisch-vergiftete Katzen gegeben. Angeblich.
    Für Deutschland dürfte das allerdings wirklich unwahrscheinlich bleiben.

  13. #13 GabyRottler
    17. August 2015

    @Bettina Wurche: Das mit den Katzen wundert mich nicht.
    BTW: Die Symptome der Tetrodotoxinvergiftung waren mir schon damals bekannt – allerdings die Formel nicht (auch heute nicht).

  14. #14 Onno Gross
    Hamburg
    17. August 2015

    Super Artikel.
    PS Für mich ist Mebs Buch Gifte im Riff eines der schönsten und spannendesten Bücher überhaupt , gleich nach Kunstformen der Natur oder Hans Hass 🙂
    So mancher Riffforscher (ich auch) hat sich Bromidvergiftungen bem Sammeln von Schwämmen geholt oder mit einer Seeschlange gekämpft. Aber das macht den Reiz der Meeresforschung auch aus. OG

  15. #15 Bettina Wurche
    17. August 2015

    @ Danke, Onno, dann muss ich es wohl auch endlich mal lesen. Bromid-Vergiftung durch Schwämme? Seeschlangen-Kampf? Und wann schreibst Du endlich Dein Buch? “Meeresforschung und Meeresschutz – die letzten echten Abenteuer auf dem blauen Planeten” – Bekenntnisse eines Überzeugungstäters. : )))
    Sowas habe ich nie erlebt. Ich bin bloss gebissen, gestochen, bekotzt, genesselt, verschrammt, … worden. So das Übliche….

  16. #16 Alderamin
    18. August 2015

    @Gaby Rottler

    Dem Prof in der Prüfung zu widersprechen ist generell keine gute Idee, sein Mitleid wird sich in Grenzen halten. Alternativ was anbieten, was man weiß. 😉

  17. […] Meertext klärt auf, was es mit dem Kugelfisch auf sich hat, der im Mittelmeer ansässig geworden ist. Für Touristen im Wasser ist er keine Gefahr, riskant könnte es eher im Restaurant werden – und wir reden nicht über Sushi und Co., sondern eher Frisch vom Grill. […]