Bei „Pottwal“ denken die meisten Menschen an den größten aller Zahnwale, ein mehr als 15 Meter graues Ungetüm Zwergpottwal (Kogia breviceps)Zeichnung von G. B. Goode (1887)mit großen Zähnen, stetig auf der Laue r nach dem nächsten Tiefseekraken. Und von Melville in „Moby Dick“ unsterblich geschrieben.
Aber Pottwale können auch anders.
Neben dem genannten großen Zahnwal Physeter macrocephalus gibt es auch noch die Familie der Zwergpottwale mit dem Pottwal und dem Kleinen Pottwal.
Sie werden nur bis 3,30 Meter groß und leben in tropischen Gewässern. Über das Leben der Tiere ist extrem wenig bekannt, sie werden selten lebend gesichtet.

Fig 6.  Right lateral view of holotype skull of Nanokogia isthmia gen. et sp. nov. (UF 280000).2012 und 2013 hatten Paläontologen an der Karibik-Küste von Panama zwei fossile Pottwale entdeckt. Die wissenschaftliche Analyse ergab: Es handelt sich um zwei Exemplare einer neuen Art und neuen Gattung: Nanokogia isthmia.
Der Vergleich mit den bisher gefundenen Arten fossiler Zwergpottwale ergab eine noch größere Überraschung:
Das Spermaceti-Organ war bei diesen 7,5 Millionen Jahre alten Mini-Moby Dicks größer als bei den heutigen!

Das Spermaceti-Organ besteht aus Fett und Bindegewebe und kommt ausschließlich bei Pottwalen vor. Es ist eine Weiterentwicklung der üblichen Melone der Zahnwale, einer Fettlinse, die den hervorragenden Biosonar der Zahnwale ermöglicht. Warum und wann genau es zu dieser Sonderentwicklung kam, kann heute niemand erklären. Das Spermaceti-Organ und die Melone sind natürlich nicht fossil erhaltungsfähig. Aber es hinterlässt charakteristische Spuren im Schädel, so können Wal-Paläontologen sie rekonstruieren.
Mittlerweile ist bekannt, dass dieses namensgebende Organ im Laufe der Pottwal-Evolution zweimal schrumpfte. Es war groß, um dann wieder kleiner zu werden.
Der Name „Nanokogia“ ist gut gewählt: Die Maße der gefundenen Schädelknochen deuten darauf hin, dass die Tiere insgesamt nur 1.95–2.16 Meter groß waren.

Pottwal-Fossil-Geschichte im Überblick

Über den Fossilbefund dieser ungewöhnlichen Zahnwale mit der ausgeprägten „Nase“  ist nicht sehr viel bekannt, es gibt nur wenige Funde. Die Pottwale sind schätzungsweise wenig über 30 Millionen Jahre alt, wie die Bartenwale.
Wie es zu dem enorm vergrößerten Spermaceti-Organ kam, ist völlig ungeklärt. Alle Experten sind sich allerdings einig: Im Miozän gab es mehrere Gattungen und mehrere Arten Pottwale nebeneinander, die Funde stammen aus dem Atlantik und Pazifik.

Ursprünglich hatten Pottwale im Ober- und Unterkiefer Zähne. Ein Prachtexemplar mit dieser Bezahnung ist der schätzungsweise 13,50 bis 17,50 Meter lange Livyatan melvillei. Er gehört zu den „Orca-Pottwalen“, ist etwa 12 Millionen Jahre alt und soll die zahlreichen kleinen Bartenwale dieser Zeit gejagt haben.
Über Zwergpottwal-Fossilien ist noch viel weniger bekannt.
Die beiden jetzt entdeckten Nanokogia isthmus-Exemplare sind also eine neue Art und eine neue Familie und ergänzen den raren Fossilienbefund.
Und: Sie hatten eine größere Melone als ihre heutigen Verwandten.

Wozu könnte eine besonders große Melone nützlich sein?

Velez-Juarbe, der Kurator für Marine Säugtiere im Natural History Museum of Los Angeles County,  hat eine Idee: Vielleicht war eine große Melone zeitweise ein attraktives sekundäres Geschlechtsmerkmal?
„We really need to test this hypothesis“ erklärte er gegenüber Live Science. “We need to find more complete fossils.”
Sexuelle Attraktivität ist sicherlich immer eine gute Hypothese.
Ein anderer Erklärungsansatz könnte sein, dass die größere Melone leistungsstärker war und die Tiere aus irgendeinem Grund in dieser Zeit in diesem Meeresgenbiet ein leistungsstärkeres Biosonar brauchten. Meint Nicholas Pyenson, ein Kurator für fossile marine Säugetiere im National Museum of Natural History in Washington, DC, der an dieser Studie allerdings nicht beteiligt war.
Die Arbeit von “Evolutionary Patterns among Living and Fossil Kogiid Sperm Whales: Evidence from the Neogene of Central America” stellt nicht nur die neuen Fossilien vor, sondern bietet auch einen guten Überblick über den Stand der Wissenschaft der fossilen Zwergpottwale.

Ein Besuch in Dänemark führte zum Mini-Bericht über Mini-Pottwale

Zu diesem Beitrag hat mir ein Besuch im Walfossilien-Museum in Gram (Museum Sönderjylland Naturhistorie og Palæontologi)  vor einigen Wochen inspiriert. Meine Wal-Freundin Ilka und ich hatten einen Ausflug nach Sönderjylland gemacht und hinter dem idyllischen Schloß Gram (Gram Slot) endlich  mal das Wal-Museum besucht. Ein kleines, aber feines Museum mit didaktisch gut gemachter Ausstellung und wunderbaren rezenten und fossilen Walen.
Die Fundstelle liegt heute ca 30 Kilometer landeinwärts und war vor ca 9 Millionen Jahren Nordseeküste. Hier sind in einer Tongrube gleich eine ganze Reihe von gut erhaltenen fossilen Walen gefunden worden, Pott- und Bartenwale von rund 7 Metern Länge. Und jede Menge anderer Meereswesen aus der jüngeren Vergangenheit.
Das Fachsimpeln an so spannendem Material hat natürlich Riesenspaß gemacht. Dann erfuhren wir im Gespräch mit einem Museumsmitarbeiter noch, dass der ukrainische Wal-Paläontologe Pavel Goldin gerade im Museum arbeitet. Ilka kennt ihn persönlich, ich habe einige seiner Publikationen gelesen (der Mann hat RICHTIG Ahnung von fossilen Walen) – und so fragten wir, ob er Zeit für ein kurzes Hallo hätte.
Hatte er.
Und dann ging der Expertentalk nochmal einen Gang härter in die nächste Runde.
Ein außerordentlich gelungener Ausflug.

Quelle: “Evolutionary Patterns among Living and Fossil Kogiid Sperm Whales: Evidence from the Neogene of Central America”: Jorge Velez-Juarbe, Aaron R. Wood, Carlos De Gracia, Austin J. W. Hendy Published: May 20, 2015; DOI: 10.1371/journal.pone.0129186
https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0123909

Kommentare (13)

  1. #1 Dampier
    Holstein
    21. September 2015

    Hej, das Museum klingt spannend. Und man darf sogar selbst auf Fossiliensuche gehen. Das merk ich mir mal – muss eh mal wieder meinen alten Freund in Flensburg besuchen …

    Ich wusste gar nicht, dass es auch Mini-Pottwale gibt, aber die scheinen ja auch sehr selten und scheu zu sein (laut wikipedia). Niedlich sind sie jedenfalls :]

    Heute gabs auch einen Meertext im Schreibwettbewerb bei Florian, den fand ich auch spannend:
    https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/09/21/ficopomatus-enigmaticus/

    (Morgen bin ich dran, aber da geht’s um Urwald ;))

    grz
    Dampier

  2. #2 BreitSide
    Beim Deich
    21. September 2015

    Livyatan melvillei, ein wunderbarer Tribut an einen großen Schriftsteller 🙂

  3. #3 rolak
    22. September 2015

    “Taschenformat”, “Zwerg-” und das nicht einmal die ganze ArtikelBreite benötigende Bild führten in Kombination mit den später folgenden “bis 3m30” zu einer schicken WiderspruchsAuflösung — blöde Mustererkennung…

    Spermaceti-Organ …. größer als bei den heutigen

    Darf ich davon ausgehen, daß relative Größe gemeint ist?

    Das Museum sieht wahrlich arg verlockend aus (diese Seite ist imho zum Stöbern geeigneter, wenn auch DK, nicht mehr D), doch arg weit ab vom Schuss – zumindest vom Rheinland aus gesehen. Selbst vom ab+zu-Reiseziel OL aus wärens noch pi mal Daumen 400km – da muß es wohl bis auf einen näherliegenden Urlaub warten…

  4. #4 Bettina Wurche
    22. September 2015

    @rolak: Ja, es ist die relative Größe gemeint. Ich persönlich habe etwas Bauchschmerzen mit der Schrumpfung des Spermaceti-Organs und einer “nutzorientierten” Interpretation. Mir geht die Möglichkeit durch den Kopf, dass der ganze Zwergpottwal kleiner geworden ist und das Spermaceti-Organ nicht im gleichen Verhältnis mitschumpfte. Aber um so etwas ernsthaft zu formulieren, kenne ich mich bei Zwergpottis zu wenig aus. Dafür müsste ich die Maße aller Arten vergleichen können, inkl. der Wachstumsparameter und Geschlechstdimorphismen.

    Das Museum in Gram ist recht klein und die Fossil-Ausbeute bestand bei uns nur aus Schill (mit Perlmutterhaltung) und Scaphopoden (Kahnfüßern). Bei einer Tour würde sich vielleicht auch das ausgezeichnete Museum für Natur und umwelt in Lübeck eignen, mit vielen Walen. Darunter die Funde aus Groß Pampau, der 2. großen Walfundstelle in Schleswig-Holstein bzw. Sönderjylland im Glimmerton.
    https://museum-fuer-natur-und-umwelt.de/
    https://blog.meertext.eu/category/fossile-wale/gros-pampau/
    https://museum-fuer-natur-und-umwelt.de/

  5. #5 Bettina Wurche
    22. September 2015

    @Dampier: Den Beitrag über Röhrenwürmer habe ich gelesen und mich richtig darüber gefreut. Spannendes Thema und gut geschrieben. Würmer sind in den Science-Blogs wirklich unterrepräsentiert : )
    Auf Deinen Urwald-Artikel bin ich natürlich auch gespannt! Deinen Beitrag über Dampier fand ich jedenfalls klasse.

  6. #6 Bettina Wurche
    22. September 2015

    BreitSide: : ) Finde ich auch.

  7. #7 MartinB
    22. September 2015

    Niedlich. Kann man die noch um nen Faktor 20 verkleinern, dann würde einer in mein Aquarium passen 🙂

    “Sexuelle Attraktivität ist sicherlich immer eine gute Hypothese.”
    Besodners, weil sie bei fossilen Tieren so verdammt schwer zu widerlegen ist…

  8. #8 Bettina Wurche
    22. September 2015

    @MartinB: Jagderfolg ist auch sehr schwierig nachzuweisen.
    Paläontologen übertragen heutige Sachverhalte auf die früheren Zeitalter – Aktualitätsprinzip. Ich halte das schon für legitim, nur manchmal wirken solche Erklärungen sehr bemüht. In diesem Fall finde ich es sogar zu bemüht und frage mich schon, ob es da noch pragmatischere Erklärungen geben könnte, s. Antwort 6.

  9. #9 MartinB
    22. September 2015

    @Bettina
    “agderfolg ist auch sehr schwierig nachzuweisen.”
    Stimmt schon, aber da kann man zumindest vielleicht irgendwie zeigen, dass ein Organ einen tatsächlichen Nutzen hat (also hier z.B. versuchen herauszufinden, wie sich die Größe auf die Leistungsfähigkeit auswrkt.
    Und ganz doof gefragt: Ist für nen Wal unter Wasser ein auf Sicht getrimmtes Attraktivitätsmerkmal ne gute Idee? Da muss man doch schon ziemlich dicht ran, um das zu sehen, oder?
    Ist so eine Melone eigentlich für andere Wale im Ultraschall besonders gut zu detektieren? Das wäre doch dann was…

  10. #10 Ludger
    22. September 2015

    Mittlerweile ist bekannt, dass dieses namensgebende Organ im Laufe der Pottwal-Evolution zweimal schrumpfte.

    Vielleicht braucht man für ein fortschrittlicheres Gehirn für dieselbe Empfangsqualität kleinere Sensoren?

  11. #11 Bettina Wurche
    22. September 2015

    @Ludger: Die Evolution macht keine Sprünge, darum ist das sehr unwahrscheinlich.

  12. #12 Bettina Wurche
    22. September 2015

    @MartinB: Pottwale (und andere Wale) können mit dem Sonar die äußere Form u Größe anderer Pottis scannen und auch unterschiedlich dichte Gewebeschichten erfassen. Der Pottwalpapst Whitehead hält es sgar für wahrscheinlich, dass Pottwalbullen ihre Größe gegenseitig abchecken und dann ggf. abdrehen (darüber gab es vor einigen Jahren eine Diskussion, s. u.). Insofern spricht mehr dafür als dagegen.
    Ich möchte abe rnicht ausschließen, das die größere/Kleinere Melone auch ein Artefakt aus den Messungen und relativen Vergleichen sein könnte. Oder dass das größere Organ keinen so wesentlichen Gewinn erbracht hat, dass es sich nicht durchgesetzt hat.

    “Der russische Pottwalexperte Berzin (1971, s. u.) hat in seiner sehr detaillierten Monographie „The Sperm Whale“ den damals aktuellen Stand der Forschung unter Berücksichtigung aller englischsprachigen, russischen und japanischen Quellen wiedergegeben. Er kommt auf gerade mal vier moderne Berichte von kämpfenden Pottwalbullen.
    Hal Whitehead bringt ebenfalls nur die historischen Augenzeugenberichte, moderne kennt er nicht. Und Whitehead hat Jahrzehnte seines Lebens mit den Tieren verbracht, er ist sozusagen der „Pottwal-Papst“ und eine sehr glaubwürdige Quelle.

    Der Biologe interpretiert die Seltenheit der Berichte über kämpfende Männchen so, dass sie selten und kurz sind (Whitehead 2003, s. u.: S. 280). Er selbst hat vor Chile eine solche kurze Begegnung gesehen: Ein einzelnes Männchen schwamm auf ein Pärchen zu, dann kam es zur Rangelei – größtenteils unter Wasser – zuletzt umschloss ein Bulle mit seinen Kiefern den Schwanz des Rivalen. Daraufhin zog sich eines der Männchen – vermutlich das unterlegene – schnell zurück.

    Whitehead meint, dass Pottwale, die sich gegenseitig beträchtlichen Schaden zufügen könnten, Kämpfen wahrscheinlich meistens aus dem Weg gehen. Über die Sonarortung könnten sie schon Größe und vermeintliche Stärke des Gegners abschätzen.”
    https://scienceblogs.de/meertext/2013/04/22/moby-dicks-supernase-ein-sturmbock/

  13. #13 rolak
    22. September 2015

    Vorab schon mal danke für den Tipp, ist schon verlesezeichent.