Meine Wertung zum Hauptcharakter: Der Botaniker und Marsonaut Mark Watney agiert völlig glaubwürdig. Im Buch wie im Film.
Eine angenehme Abwechslung zum üblichen Bild des Wissenschaftlers im SF-Film!
Normalerweise reicht es Regisseuren, einem smarten, gut gebauten, nicht zu alten Typen eine auffallende Brille aufzusetzen, ihn pseudogelehrt und unter verschärftem Fremdwortmissbrauch daherschwatzen zu lassen. Fertig ist der Wissenschaftler. Inhaltlich bewegt sich dessen Output meistens auf einem Niveau, das den Intellekt der meisten Nerds beleidigt. Verschärfend kommt dazu, dass diese Film-Typen meist handeln wie absolute Vollpfosten. Für einen denkenden Menschen ist das qualvoll mitanzusehen, oft entsteht unfreiwillige Komik. Der Marsianer hingegen spricht, denkt und handelt stringent.
Teamwork in der Raumfahrt
Die psychologischen Interaktionen der einzelnen Personen finde ich extrem realistisch.
Das Mars-Explorations-Team interagiert wirklich als Team. Jedes Teammitglied hat seine/ihre Aufgaben und Kompetenzen und seinen/ihren Platz in der Gruppe. Sie erarbeiten gemeinsam Lösungen und setzen sie Hand in Hand um, sie kümmern sich umeinander, die besondere Beziehung eines solchen Expeditionstrupps, der einsam das Weltall durchquert ist realistisch.
Auch das Bodenteam der NASA ist ein guter Einblick in echte Abläufe.
Das Dilemma des Präsidenten der NASA, zwischen dem sicheren Tod eines Astronauten und dem möglichen Tod von sechs Astronauten zu wählen und sich dann für „nur“ einen Toten zu entscheiden, ist glaubwürdig. Er muss die politische Dimension und die Reaktion der Öffentlichkeit mit bedenken. Gleichzeitig wird er nicht zum bösen Gegenspieler derjenigen, die Watney retten wollen,um die Dramaturgie künstlich anzuheizen.
Dass bei einem großen Problem auf der Suche nach einer Lösung Ideen erst einmal gedacht, vorgetragen, angehört und weiter kommuniziert werden, auch über verschiedene Ebenen hinweg, ist realistisch dargestellt.
Dass ein junger Flugdynamiker eine Idee durchdenkt und entwickelt, sich darin festbeißt und sie noch einmal kontrolliert und auch der NASA-Direktor dann erst einmal ein offenes Ohr dafür hat, zeigt die unterschiedlichen Rollen der einzelnen Posten.
Ein Flugdynamiker bei der NASA hat eine spezifische Ausbildung und arbeitet auf einem Niveau, dass er theoretisch eine solche Lösung erarbeiten könnte. Natürlich ist er vollständig begeistert davon und denkt nur, dass seine Berechnungen klappen könnten. Gleichzeitig ist er professionell genug, seine Flyby-Rechnerei auch dem NASA-Direktor zu erklären.
Die Personen der Leitungsebene hingegen müssen sich die verschiedenen Lösungen anhören und dann abwägen, was der beste Lösungsweg aus technischer, politischer und vielen anderen Perspektiven ist. Die Rolle der Presseabteilung und des JPLs sind wieder andere, sie haben andere Aufgaben und Perspektiven. Ebenfalls absolut realistisch.
Allen gemeinsam ist: „Geht nicht, gibt´s nicht.“ Stattdessen wird immer noch einmal neu und aus anderer Perspektive gedacht. Und noch einmal neu gerechnet und an den Parametern gedreht.
Besonders gefreut habe ich mich über die Beteiligung der China National Space Administration (CNSA).
Das entspricht dem, was ich bisher von jedem Astronauten gehört habe: „Im Weltraum sind wir alle Freunde“.
Mobil zum Mars, auf dem Mars und wieder zurück
Die meisten technischen Fakten kann ich nicht ausreichend beurteilen.
Das technische Equipment wirkt auf mich allerdings glaubwürdig. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich den Eindruck, dass technische Gimmicks eingesetzt wurden, um über eine inhaltliche Leere hinwegzutäuschen.
Nach Meinung der Raumfahrtingenieure, Astrophysiker und sonstiger ExpertInnen aus meinem Bekanntenkreis ist der allergrößte Teil der Technik absolut realistisch und glaubwürdig.
Dass der schwere Marssturm zu Beginn unrealistisch schwere Auswirkungen hat, die wegen der dünnen Mars-Atmosphäre in dem Maße nicht auftreten können, ist wohl unbestritten
Dass das Ende des Films mit seinem Flyby-Ping-Pong reichlich überzogen ist, ist auch klar.
Aber: „Der Marsianer“ ist der erste SF-Film, in dem mir auffällt, dass Flyby-Manöver überhaupt ausführlich erklärt werden. Und Schub nicht einfach aus dem Raketentriebwerk kommt.
Die „Hermes“, das Mars-Mutterschiff, ist natürlich überdimensioniert. Sie wirkt auf mich so groß wie die ISS, nur mit Antrieb. Solch große Schiffe sollten wohl erst mit der Installation des Space-Elevators möglich werden. Gut gefallen hat mir hingegen die „Benennung“ – eine Reverenz an den europäischen Raumgleiter „Hermes“.
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