Halloween lebt von leuchtenden, schrecklichen Lebensformen, die sich aus dem undurchdringlichen Dunkel auf uns stürzen.
Das gibt es natürlich auch in den dunklen Abgründen des Ozeans!
Auftritt der blutroten Würfelqualle in der Tiefsee vor Hawaii!
Das gallertige, rote Wasserwesen ist eine Würfelqualle: „An alien from the deep…the deep ocean, that is.” Eine ungewöhnliche “Qualle” in 2400 Metern Tiefe, auf halber Tiefe des Deep Twin Ridge an der südlichen Seite des Johnston Seamounts im Pacific Remote Islands Marine National Monument. Eingefangen von einer NOAA-Kamera (National Oceanic and Atmospheric Administration) während der „Hohonu Moana: Exploring Deep Waters off Hawai’i expedition“.
Dieses Tier hält seine Tentakel über den Kopf gestreckt, was ungewöhnlich ist. Das Blutrot ist eine typische Tiefseefarbe. Die Kastenform des Schirms ist deutlich zu sehen, die Eingeweide und Geschlechtsorgane befinden sich hinter der Mundöffnung im Schirm. Die Wissenschaftler kommentieren die Erscheinung und diskutieren darüber, dass die Form des Tieres eine Vorlage für effektiv schwimmende Roboter ist.
Die Würfelqualle: Die Quadratur des Kreises
Die meisten Quallen oder Medusen sind radiärsymmetrisch, ihre Schirme sind rund und haben mehrere Symmetrieachsen. Die Tiere sind Hohlkörper von gläserner Schönheit und schweben und jagen in allen Meeren. Gemeinsam mit den Polypen wie Korallen bilden sie den uralten Tierstamm der Nesseltiere.
Würfelquallen oder Cubozoa sind eine Gruppe innerhalb der Nesseltiere mit einem mehr oder weniger würfelförmigen Schirm. In jeder Ecke des Schirms sitzt ein Tentakel oder ein Bündel Tentakeln, besetzt mit todbringenden Nesselzellen. Sie sind schnelle und gewandte Schwimmer, im Video ist der Rückstoß gut zu sehen. Die Ringmuskulatur zieht den Schirm zusammen, durch asymmetrische Kontraktion steuert die Cubozoe. Am Schirmrand haben diese angeblich so ursprünglichen Tiere hoch entwickelte Linsenaugen.
Cubozoen sind übrigens getrennt geschlechtlich und vollführen sogar Wasserballett-artige Paarungsrituale.
Die Art Copula sivickisi ist unter Quallenforschern in die Schlagzeilen geraten. Die winzigen Würfel sind zwar nur 10 Millimeter klein, praktizieren dafür aber einen gut choreographierten Balztanz.
Das kleinere Männchen packt das Weibchen an den Fangarmen und schwenkt sie im Wasser umher. Dann schiebt er ihr feierlich eine Spermatophore – ein gut verpacktes Bündel Sperma – auf einen ihrer Tentakel. Sie befördert sein Geschenk dann durch die kombinierte Mund- und Geschlechtsöffnung in ihr Innerstes udn produziert in nur wenigen Tagen Zehntausende von Embryonen.
Wie die Pärchen sich bei dieser Massenhochzeit finden, ist noch nicht sicher – allerdings haben sie 24 gut entwickelte Linsenaugen.
Cheryl Ames Beschreibung des nächtlichen Hochzeitstanzes der Copula-Würfel ist wirklich lesenswert. Die NOAA-Wissenschaftlerin hatte die Würfel-Winzlinge mit Licht angelockt und in Mixed-Dreiergruppen arrangiert: Männchen und Weibchen fanden jeweils sicher zueinander.
Die Mörderhand – Giftspritze am Märchenstrand
Die wichtigste Eigenschaft der „Quallen“ (Cnidaria) sind ihre Nesselzellen.
Nomen est omen.
Raffinierte Injektionsapparate mit hoher Durchschlagskraft und Giftladung.
Diese Nesselzellen sitzen vor allem auf den Tentakeln, wo sie zum Fang von Beute eingesetzt werden. Manche Quallen haben auch noch auf dem Schirm Areale mit Nesselzellen, wie ich im unfreiwilligen Selbstexperiment erfahren habe.
Würfelquallen gehören zu den allergiftigsten Meeresbewohnern und können sogar Menschen töten. Besonders berüchtigt sind die „Seewespen“ tropischer Gewässer: Erst Anfang Oktober ist in Thailand eine deutsche Touristin nach der Begegnung mit einer Würfelqualle gestorben – sie war in die langen Fangarmen des Nesseltieres geraten. Auch die Ärzte im Krankenhaus hatten ihr nicht mehr helfen können.
Cubozoen sind im Wasser sehr schwierig zu entdecken: eher klein und durchsichtig, schwimmen sie nicht direkt an der Oberfläche, sondern tiefer, dadurch sind sie nahezu unsichtbar. Die ebenfalls transparenten Tentakel sind oft mehrere Meter lang und noch weniger sichtbar.
An australischen und anderen Küsten, an denen sich viele Menschen im und am Meer tummeln, sind regelmäßig Strände gesperrt, außerdem sind an den Stränden Erste-Hilfe-Sets vorrätig. Denn nach der Begegnung mit einer Seewespe wie Chironex geht es um Sekunden! Innerhalb der ersten 10 Minuten nach dem multiplen Stich kann es schon zu Herz-Kreislauf-Versagen oder Atemstillstand kommen, nach mehreren Stunden treten schwere Gewebsverletzungen auf, die schlecht heilen. Die Tentakel mit den Gift absondernden Nesselzellen bleiben auf der Haut haften, und geben stetig weiter Gift ab. Sie ätzen sich durch alle Hautschichten durch.
Das Gift perforiert die Oberfläche Roter Blutkörperchen. Durch die „leckenden“ Erythrozyten geraten große Mengen Kalium ins Blut: “Wir haben herausgefunden, dass die zuvor unbeachtete Hämolyse eine Lawine an Reaktionen in den Zellen auslöst. Das beinhaltet eine fast augenblickliche, massive Freigabe von Kalium, die zu Herzversagen und Tod führen kann.” erklärt die Biochemikerin und Giftexpertin Angel Yanahigara der Universität Hawaii. Sie hatte nach einer schmerzhaften Begegnung mit Chironex die Wirkung des Giftes untersucht und ein Gegenmittel entwickelt: Zinkgluconat, ein Salz der Zinksäure. Zink stoppt den Kaliumaustritt aus den Zellen und würde so dem Herzversagen entgegenwirken. Yanahigara hat erste Patente angemeldet und hofft nun, dass ihr im Mausversuch erfolgreiches Gegenmittel bald für Menschen zur Verfügung steht.
Die vielfach empfohlene Erste Hilfe durch Essig oder Urin macht die Nesselzellen zwar auch unschädlich, sorgt aber auch dafür, dass aus den bereits abgefeuerten Nesselzellen das restliche Gift schnell ausgeschwemmt wird und die Giftmenge in der Wunde erhöht. Darauf sollte man also lieber verzichten.
Chironex fleckeri ist übrigens erst 1955 wissenschaftlich beschrieben worden – von dem Toxikologen Hugo Flecker. „Chironex“ heisst „mordende Hand“ (`cheiro’: Hand (griech.); `nex’ : Mörder (lat.)).
Zum Weiterlesen:
Thomas Heeger: „Quallen – Gefährliche Schönheiten“ (1998) mit phantastischen Abbildungen
(Vorsicht! Sportlicher Preis!)
Erich Haeckel: „Kunstformen der Natur“ (1899 – 1904) – der Klassiker unter den Bildbänden
https://biolib.mpipz.mpg.de/haeckel/kunstformen/natur.html
Matthias Bergbauer, Manuela Kirschner, Robert Myers: „Das Kosmos Handbuch Gefährliche Meerestiere: Erkennen, Behandeln, Notfallmanagement“ (2008)
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