Unter dem Eis grönländischer Binnenseen wachsen große, rötliche Bälle. Grönländer nennen sie “See-Tomaten”. Natürlich haben die Gebilde mit Tomaten nichts zu tun, vielmehr sind es ausgesprochen große Cyanobacterien-Kolonien. Und vom Verzehr ist dringend abzuraten: Diese Bakterien geben Mikrocystin ab.
Arktische Seen sind extreme Ökosysteme: Im Sommer scheint die Sonne 24 Stunden täglich, das bedeutet auch ultraviolette Strahlung rund um die Uhr. Im Winter herrschen ganztägig Dunkelheit und Eiseskälte. Gleichzeitig ist der Nährstoffeintrag sehr gering. An diesen Orten und unter diesen harten Bedingungen gedeihen nur wenige Lebensformen. Extremophile Lebensformen.
Wie diese rundlich geformte Kolonien von Cyanobakerien („Blaualgen“).
Die Biologin Jessica Trout-Haney (Dartmouth College, Hanover, New Hampshire ) war bei einer Grönland-Expedition dabei. Sie und ihre Kollegen fanden dabei … See-Tomaten. Die Cyanobakterien-Kugeln wachsen aus einer einzigen Zelle zu einem softballgroßen Gebilde heran. Diese Kolonien werden von der Cyanobakterie Nostoc gebildet und sind in der Arktis weit verbreitet. Solche See-Tomaten waren zwar schon vorher bekannt, aber diese Fundstücke waren wesentlich größer als alles, was die Biologen bisher gesehen hatten. Sie sind schätzungsweise bis zu 25 Jahre lang ungestört herangewachsen.
Studierende und Wissenschaftler des Dartmouth College haben die großen Gelatinebälle von Nostoc in Grönland erstmals 2011 „entdeckt“ und von den Anwohnern der Region Hinweise dazu recherchiert. Am 18.12 stellten Trout-Haney und ihre Kollegen in San Francisco, Kalifornien, auf dem American Geophysical Union Fall Meeting ihre Expeditions-Ergebnisse vor.
Toxin-Expedition in die Arktis
Studien zu giftigen Cyanobakterien konzentrieren sich typischerweise auf die gemäßigten oder tropischen Zonen. Dort ist die Artenvielfalt groß, viele Arten müssen ihren Platz recht aggressiv gegen Nachbar-Arten verteidigen, etwa in Riffen oder Regenwäldern. Zu diesen Verteidigungsmechanismen gehören auch viele Gifte. Cyanobakterien in gemäßigten der tropischen Gewässern bilden bei besonders guten Wachstumsbedingungen oft „Blüten“. Solche Gift-Cyanobakterienblüten können, wie auch Giftalgenblüten, verheerende Massensterben von See- und Meerestieren zur Folge haben.
In polaren Seen haben die Forscher keine solchen hohen Giftkonzentrationen erwartet. Sie sind bisher davon ausgegangen, dass in den kalten Seen aufgrund ihrer geringen Produktivität gar nicht genügend Bakterien leben könnten, um große Mengen Toxin zu produzieren. Mit einer Grönland-Expedition wollten sie ihre Hypothese überprüfen.
Und: In den Wasserproben aus 19 Seen in der eisfreien Tundra um Kangerlussuaq fanden die Wissenschaftler Mikrocystin, das häufigste Cyanobakterien-Gift. Mikrocystin ist leberschädigend, allerdings waren die Toxin-Konzentrationen in den untersuchten Seen nicht sehr hoch. Aber auch die geringe Konzentration in den grönländischen Seen wären, über einen längeren Zeitraum aufgenommen, ungesund gewesen.
Mikrocystine sind leberschädigend – und arktische Seen nicht automatisch sauber
Mikrocystine sind cyclische Heptapeptide bzw. Oligopeptide und gehören im weiteren Sinne zu den Eiweißen, sie kommen in vielen Cyanobakterien vor. „Ihre toxische Wirkung beruht auf einer hemmenden Wirkung auf die Proteinphosphatasen PP1 und PP2A. Proteinphosphatasen sind dafür zuständig, andere Proteine zu dephosphorylieren. […] Durch diese Hyperphosphorylierung kommt es zu einem Abbau des Zytoskeletts, die Zellen runden sich ab und gehen zugrunde. Die Aufnahme von Microcystinen durch das Vieh kann in belasteten Gegenden zu einem Viehsterben führen, beim Menschen können sie Schleimhautreizungen und (zum Teil allergische) Entzündungsreaktionen hervorrufen. Nach Aufnahme größerer Mengen kann es zu Durchfall und Erbrechen kommen und es zeigt sich ein hepatotoxischer (lebertoxischer) Effekt.“ (Wikipedia: Microcystin).
Aufgrund der hohen Mikrocystin-Werte sollten Menschen das Seewasser nicht trinken. “I was really surprised at how high the microcystin levels were,” sagte Hilary Dugan, eine Limnologin der University of Wisconsin–Madison (sie war nicht an dem Forschungsprojekt beteiligt). Wissenschaftler trinken bei Feldforschungen in polaren Gebieten oft aus Oberflächengewässern, weil sie annehmen, dass diese Ökosysteme nicht verschmutzt sind und in ihnen aufgrund der klimatischen Bedingungen kaum Organismen leben können. Ein Trugschluß! Wasser sollte immer erst getestet werden, ob es für Menschen unbedenklich ist.
Literatur:
Benson, E. (2015), Giant balls of bacteria pile up on Arctic lake beds, ooze toxin, Eos, 96, doi:10.1029/2015EO042397. Published on 23 December 2015.
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