“When these deep-sea fish migrate, they ring a ‘dinner bell’ for predators“ las ich gestern auf dem Blog des Science-Magazins. Grob übersetzt: „Wenn diese Tiefseefische wandern, läuten sie die „Essensglocke“ für Räuber“. Die dazugehörige Illustration zeigt eine verschrammte Leuchtsardine.
Dahinter steckte ein Vortrag der Bioakustikerin Dr. Simone Baumann-Pickering (University of California San Diego, Scripps Institution of Oceanography, La Jolla, USA) bei der Ocean Science-Tagung Ende Februar: „Do top predators cue on sound production by mesopelagic prey?“ „Nutzen Top-Meeresräuber die Lautäußerungen ihrer mesopelagischen Beute?“.
Diese trockene wissenschaftliche Frage und der kurze Abstract des Vortrags stehen für dramatische Szenen in einem vor Leben sprudelnden ozeanischen System vor der kalifornischen Küste. Das Meer ist dort recht tief und erlaubt Meeresforschern, nahe vor der Küste das Leben im tiefen Ozean zu untersuchen.
Das Scripps Institution of Oceanography in La Jolla (bei San Diego) hat mit dem Scripps Canyon und dem La Jolla Canyon gleich zwei tiefe Gräben, die sehr dicht an die Küste heranreichen und die schnell auf unter 200 Meter Tiefe abfallen.
Das Mesopelagial ist der Wasserkörper zwischen 200 bis 1000 Metern Tiefe, zwischen der hellen und den dunklen Meeresschichten. Es dringt noch ein wenig blaues Licht von der Oberfläche hinein, aber es gibt keine Photosynthese und somit auch kein Pflanzenwachstum mehr. Im Mesopelagial fehlt also die Primärproduktion, was sich negativ auf das gesamte Nahrungsnetz auswirkt. Darunter beginnt dann die lichtlose und nahrungsarme Tiefsee. Viele Bewohner dieser tiefen Wasserschichten ziehen nachts nach oben, um das reichhaltige Nahrungsangebot an der Meeresoberfläche auszunutzen: Tierisches Plankton wie kleine Krebse oder große und kleine Quallen, viele Fische, Tintenfische und andere Tiere.
Die nächtlichen Aufsteiger sind eine solch massive, dicht an dicht schwimmende Biomasse, dass sie dem Meeresboden ähnelnde Sonarechos zurückwerfen und so bei ihrer Entdeckung während des 2. Weltkriegs zunächst für große Verwirrung gesorgt haben. Darum heißt diese Lebensgemeinschaft bis heute Deep Scattering Layer (DSL). „Scattering“ bedeutet hier „Störung/Trübung“ und bezieht sich auf das störende Sonarecho, das den Ozeanographen einen viel zu hoch liegenden Meeresboden vorgaukelte.
Diese wandernde Biomasse ist eine willkommene Beute für alle größeren Meeresbewohner und Jäger wie große Fische und Meeressäuger.
Die Bioakustik-Expertin Baumann-Pickering und ihr Team haben nun untersucht, ob die nächtlichen Migranten Laute produzieren. Über mehrere Nächte im Sommer 2015 haben sie zwischen Abend- und Morgendämmerung im San Diego Trough Unterwasser-Aufnahmen durchgeführt.
Dazu haben sie von einem driftenden Boot aus mit einer Aufnahme-Ausrüstung für hohe Frequenzen (HARP, 10 Hz bis 100 kHz) ins Meer gelauscht. Dabei haben sie die Geräuschkulisse des DSL mit einem kalibrierten Multi-Frequenz (38, 70, 120, und 200 kHz) Echosounder (Simrad EK60) erfaßt. Ihr Ergebnis: Die DSL-Meeresbewohner geben Laute zwischen 300 and 1000 Hz ab. Am lautesten sind sie zweimal täglich, beim Auf- und Abstieg.
Die DSL-Community ist bisher an verschiedenen Stellen weltweit nachgewiesen worden, viele Wissenschaftler vermuten, dass sie überall vorkommen. Die Laute sind über größere Entfernungen hinweg hörbar – sowohl für Artgenossen als auch für Räuber. Damit dürften sie massive Auswirkungen auf das Räuber-Beute-Verhältnis haben!
Mehr Fragen als Antworten – Wer? Was? Wie Und warum?
Die ersten Resultate aus dem marinen Lauschangriff in warmen kalifornischen Nächten werfen nun eine ganze Reihe weiterer Fragen auf:
Wie und warum haben die Mesopelagial-Bewohner einen eigenen Sound entwickelt? Welcher Fisch produziert wie und warum Geräusche?
Sind diese Lautäußerungen wirklich weltweit verbreitet oder kommen sie doch eher örtlich begrenzt vor, je nach Umgebung und Artenspektrum?
Abhängig von Salzgehalt, Temperatur und Wasserschichtung leitet das Meerwasser Gerusche unterschiedlich stark und weit – wie passen die Tiere ihre Lautäußerungen an die wechselnden Umweltbedingungen an?
Und: Kann die Analyse des ozeanischen Orchesters Auskunft über die Menge der Tiere, die Dichte und das Artenspektrum geben?
Kann man die akustischen Informationen möglicherweise sogar nutzen, um daraus Ökosystem-Modelle abzuleiten?
Mit diesen Fragen umreißt Baumann Pickering die weitere Richtung ihrer Erforschung des Tiefsee-Chors.
Ich würde übrigens zunächst damit beginnen, anhand gefangener Meerestiere herauszufinden, wer theoretisch welche Laute produzieren könnte. Knurrhähne, Preußenfische und viele andere Knochenfische trommeln mit speziellen Muskeln auf der Schwimmblase – dann knurren oder knattern sie. Clownsfische erzeugen knallende Laute mit spezialisierten Zähnen. Und Heringe drücken Luft aus der Schwimmblase in den Darm – sie können über drei Oktaven furzen. Über Lautproduktion bei Tiefseefischen habe ich noch nie etwas gelesen, das wäre sicherlich Neuland. Aber zumindest einige dieser Geräuschquellen am Fisch sind anatomisch nachweisbar und könnten erste Erklärungsansätze bieten.
Das Team um Dr. Simone Baumann-Pickering steht noch ganz am Anfang der akustischen Erkundung der mesopelagischen Community. Sie hatte bis jetzt überwiegend am anderen Ende der Nahrungskette geforscht und Wale – u. a auch die tief tauchenden Schnabelwale – abgehört. Nun ist die Beute der Schnabelwale an der Reihe. Wenn die Wale sich ein akustisches Bild ihrer ozeanischen Umgebung mit ihren Bewohnern machen, sollte es auch für Wissenschaftler möglich sein. Aber bis dahin wird es noch ein langer Weg sein. Schade, dass wir die Wale nicht einfach fragen können.
Tiefseebeile, Leuchtsardinen und Vampirtintenfische – die Mesopelagial-Community vor San Diego
Auch wenn die ersten Resultate des Lauschangriffs auf die DSL-Community noch mehr Fragen als Antworten geben, ist das Forschungsprojekt ein schöner Aufhänger, um einige Fische aus den Tiefen des Ozeans einmal näher vorzustellen.
Davison et al vom Farallon-Institut haben 2014 den Mesopelagial-Fischbestand im südkalifornischen Grabensystem sowohl mit dem Tiefseetrawl als auch mit dem Sonar untersucht und geben einen tiefen Einblick in diese lichtarme Welt: Hier lebt eine Community in Schwarz, Silber und Rot, mit Blinklichtern und sonderbaren Körperformen. Die meisten dieser Tiefenbewohner haben große Augen, um jedes erreichbare Lichtquäntchen auszunutzen. Viele Fische sind sehr klein, häufig wiegen sie weniger als 1 Gramm. Darum hatten die Fischereibiologen Murray und Hjort sie 1912 „Lilliput Fauna“ genannt. Trotz ihrer geringen Größe sind alle dieser Fische Jäger – wie ein Blick in ihre großen Mäuler mit den langen Zähnen schnell zeigt. Sie erbeuten noch kleinere Meerestiere wie Zooplankton.
Die Tiefe für die Trawls und den akustischen Survey hatte Davison auf durchschnittlich 523 Meter gelegt, weil in diesem Meeresareal in dieser Tiefe die unter DSL-Grenze liegt. Bei insgesamt 22 Trawls (21 tagsüber) in 438 bis 593 Metern Tiefe haben sie über 17 000 mesopelagische Fische gefangen. Die Fische leben also in großer Anzahl und Dichte: auf jeden Quadratmeter der Ozean-Oberfläche kommen 50 mesopelagische Fische. Die Biomasse beträgt in dieser Region schätzungsweise 25-37 g/m2.
An dieser Stelle möchte ich drei Fische mit kurzen Portraits vorstellen:
Laternenfische oder Leuchtsardinen (Myctophidae) beginnen bei Sonnenuntergang ihre Vertikalwanderung, sie folgen ihrer Nahrung, dem Zooplankton. Bei Tagesanbruch schwimmen sie zurück in die Tiefe. Die verschiedenen Arten halten sich in unterschiedlichen Tiefen auf.
Mit 250 Arten sind sie eine große Gattung und bilden einen großen Teil der Biomasse im Mesopelagial. Ihre Körper sind sardinenähnlich, über den Körper verteilt blinken Leuchtorgane. Ihre Eier werden durch Öltropfen im Plankton schwebend gehalten.
Laternenfische sind für Kalmare, andere Tiefseefische, große pelagische Fische wie Thunfisch und Haie, Seevögel, Pinguine, Wale eine wichtige Nahrungsquelle. In manchen Teilen der Welt werden sie kommerziell befischt. Vor Oman etwa sind Laternenfische eine bedeutende marine Ressource, sie werden zu Fischmehl verarbeitet. Der Iran importiert allein 130.000 Tonnen davon jährlich.
Tiefsee-Beilfische (Sternoptychidae) leben im Atlantik, Pazifik und Indik. Ihre Körper sind beilförmig mit stark abgesetztem Schwanzstiel, sie werden 2 bis 14 Zentimeter lang. Ihr Maul ist oberständig –nach oben gerichtet – wie auch die Augen. An der Unterseite des Körpers liegen große Leuchtorgane – sie lösen, von unten betrachtet, die Körpersilhouette auf. Die Eier sind planktisch und werden durch eingelagerte Öltropfen in der Schwebe gehalten.
Vipernfische (Chauliodus) werden bis zu 30, manchmal sogar 35 Zentimeter lang. Ihre Körper sind fast schlangenartig dünn, ihre Kiefer sind groß und mit gläsern durchscheinenden, dünnen und langen Zähnen besetzt. Sie jagen Leuchtsardinen und andere kleinere Fische. Die Zähne sind unterschiedlich groß, im Unterkiefer stehen vorn regelrechte Fangzähne. Abgebrochene Zähne werden sofort ersetzt, in der Mundschleimhaut warten schon die nächsten. Die großen silbernen Augen erlauben ihnen eine optimale Ausnutzung des spärlichen Lichts. Sie sind Lauerjäger und warten, bis ihnen die Beute vor die Fangzähne schwimmt.
Methodenvergleich bei der Tiefseeforschung
Neben einer beeindruckenden Artenliste und wichtigen Parametern zur Schätzung der Biomasse hat Davison auch noch einen methodischen Vergleich verschiedener Fangmethoden gemacht.
Er hat eine Vielzahl von Fisch-Familien, -Gattungen und –Arten gefangen und minutiös untersucht:
- Welche Arten kommen in wie großer Individuenzahl vor?
- Welche Fische werden wie lang und wie schwer?
- Welche Arten haben eine Schwimmblase und somit einen „Sonarreflektor“?
- Welche Arten nehmen an der nächtlichen Vertikalwanderung teil?
Die Laternenfische machen den größten Anteil der Biomasse aus.
Interessant ist, dass bei den meisten Laternenfisch-Arten nur die Jungtiere die gasgefüllte Schwimmblase haben, die Erwachsenen jedoch nicht mehr. Solche Details sind wichtig für die Interpretation der Sonarecho-Daten. Fische mit gasgefüllten Hohlräumen geben ein schwächeres oder anderes akustisches Echo als Tiere ohne mit Gas gefüllte Hohlräume im Körper.
Davis hat auch Hinweise dafür gefunden, dass er mit seinen beiden Methoden nicht alle Fische, die im Untersuchungsgebiet vorkommen, erfasst hat. Größere Fischarten sind mit einem Netz mit einer Öffnung von 1 Quadratmeter nicht oder selten zu fangen. Sie weichen aktiv dem Netz aus. Gleichzeitig geben diese größeren Tiere offenbar Sonarechos ab, die auf anderen Frequenzen liegen, als die von Davis belauschten. Diese größeren Tiere sind aus anderen Untersuchungen mit anderen Methoden bekannt. Falls sich jemand für die Methoden und ihren Vergleich interessiert: “Mesopelagic fish biomass in the southern California current ecosystem” lohnt sich zu lesen!
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