Vom Weltraum aus betrachtet, schwimmt Gill Rakers irgendwie krakelig. Ihr getrackter Pfad vor der kalifornischen Küste sieht aus wie ein Scribble.
Mary Lee hingegen durchpflügt das Meer eher geradlinig und patrouilliert offenbar gern parallel zur Küstenlinie von New York, New Jersey und Delaware. Beide Damen haben Flossen und Revolvergebisse mit vielen dreieckigen Zähne – sie gehören zur Spezies Carcharodon carcharias, Weißer Hai.
Erwachsene Tiere werden durchschnittlich etwa 4 Meter lang, in Einzelfällen erreichen Männchen bis zu 5 Metern, Weibchen bis zu 7 Metern Länge und bis zu 350 Kilogramm. Weibchen werden also größer als Männchen, bei Fischen generell nicht ungewöhnlich. Sie sind die größten Haie, die sich nicht von Plankton ernähren.
Weiße Haie ziehen ihre Bahnen im offenen Ozean und in tiefen Gewässern bis dicht an die Küsten. Ihre Sichtungen lösen oft hysterischen Hai-Alarm aus. Natürlich greifen manche Exemplare ab und zu Menschen an, was zu Kratzern, zum Verlust einer Extremität und in seltenen Fällen auch zum Tod führen kann. Für 2015 sind insgesamt 98 Hai-Angriffe weltweit für alle Arten dokumentiert, davon waren 6 tödlich. Ich könnte mir vorstellen, dass noch eine gewissen Dunkelziffer von nicht gemeldeten Hai-Attacken hinzukommt, aber die Größenordnung wird stimmen.
Zum Vergleich: Allein im deutschen Straßenverkehr sind 2015 sind 284 Menschen gestorben.
Was ein einzelner Hai so treibt, welche Entfernungen er zurücklegt, ob und wann er sich mit Artgenossen trifft, war lange Zeit ein großes Rätsel. Im Zeitalter der Satelliten-Kommunikation und Miniaturisierung elektronischer Gimmicks können Hai-Forscher nun endlich die Schwimmstrecken ihrer Lieblings-Knorpelfische verfolgen. Dazu bekommt der Hai einen Sender (Tag) in die Haut gesteckt. Kommt der Hai an die Oberfläche, gibt der Sender ein „Ping“ ab, das zu einem Satelliten im Orbit läuft. Mit diesen Positionsmeldungen können Biologen die Wanderstrecke dieser hochozeanischen Spezies verfolgen. Durch die Besenderung von Hunderten Weißer Haie im Nord-Pazifik haben die Hai-Forscher herausgefunden, dass es regelrechte Hai-Treffpunkte gibt. Die Männchen schauen dort jährlich vorbei, die Weibchen eher alle zwei Jahre. Dieses Zeitintervall entspricht der Dauer der Trächtigkeit: Ein Hai-Weibchen trägt seine Embryonen 18 Monate in einer plazentaähnlichen Struktur aus und gebärt dann lebende kleine Haie.
Die Satellitensignale werden durch Photo-Identifikation ergänzt und bestätigt. Auch dabei war bereits aufgefallen, dass viele Weibchen nur alle zwei Jahre dort auftauchten.
Manche Haie haben sogar einen eigenen Twitter-Account: Zurzeit folge ich auf Twitter den Carcharodon-Damen Mary Lee, Katherine, und Lydia. So kann ich ihrem Weg durch die Ozeane folgen, ohne nasse Füße zu bekommen. Und erfahre nebenbei immer wieder Neues über diese großen Meerestiere. Lydia halt zurzeit den Rekord für die längste Carcharodon-Wanderung: Sie ist im Nord-Atlantik an der US-Küste entlang mäandriert und hat nach 32187 Kilometern (20.000 Meilen) die europäische Küste erreicht. Lydia trägt einen Sender der Hai-Forschungs-Organisation Ocearch. Wer diese Forschung unterstützen möchte, kann über eine Spende bei Ocearch neue Sender finanzieren und so daran partizipieren.
Die Rekonstruktion der Wanderrouten wandernder Tiere ist eine immanent wichtige Grundlage für das Management von Beständen und für den Artenschutz. Der Schutz einer einzigen Art innerhalb eines eng gesteckten Areals ist fast nie möglich, stattdessen muss immer das gesamte Ökosystem betrachtet und geschützt werden. Umso wichtiger ist es, gerade bei den Wanderern in den Ozeanen zu wissen, wo ihre Routen verlaufen und wo die „Kinderstuben sind. Bei Spezies wie Haien, Walen oder großen Schwarmfischen kann nur die internationale Kooperation zu einem erfolgreichen Artenschutz führen.
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