Gerade haben wir gehört, wie ein Oktopus seine Umgebung wahrnimmt – aus der Sicht eines Naturphilosophen.
Mir als Zoologin war das etwas zu hypothetisch, denn eigentlich haben wir zu dieser Frage schon viel mehr Fakten.
Biologen gehen bei dieser Fragestellung nämlich ganz anders vor: Sie untersuchen zunächst das Tier und versuchen herauszufinden, welche Sinnesorgane es hat und welche wie wichtig sind.
Bei den heutigen modernen Tintenfischen – Kraken, Kalmaren und Sepien – fallen die großen und leistungsstarken Augen auf. Der altmodische Nautilus hat, neben einer ohnehin völlig anderen Anatomie als seine modernen Verwandten, wesentlich einfacher gebaute Augen, er soll hier unberücksichtigt bleiben.
Das Tintenfischauge ist im Aufbau dem Wirbeltierauge sehr ähnlich, entwicklungsgeschichtlich allerdings anders entstanden.

Unabhängig möglicher anderer Sinnesorgane, etwa zum Riechen oder zur Wahrnhmung von Druck – ist das Auge für einen Tintenfisch sehr wichtig. Denn: Tintenfische kommunizieren über Farbveränderungen und Körperhaltungen. Das bedeutet, dass ihr Auge auch für die soziale Kommunikation innerhalb der Spezies die Basis ist.
Ein Neurophysiologe und ausgewiesener Tintenfisch-Experte ist Roger T. Hanlon. Er hat 1968 vor einem Riff in den Gewässern vor Panama einen Kraken getroffen und war von dessen Farbwechsel und Färbung fasziniert. Darum forscht er bis heute daran, das Gehirn und das Verhalten von Tintenfischen zu verstehen.

Dabei ist zunächst das Verständnis der farbigen und farbwechselnden Tintenfischhaut mit ihren Pigmenten und Reflektoren wichtig. Diese Farbwechsel sind bedeutsam für die Partnerwahl und Fortpflanzung. Sepien nehmen zur “Hochzeit” eine schwarz-weiße Zebrafärbung an. Manche Tintenfische wie der Kolibri-Bobtail-Squid enthalten sogar bioluminiszente Bakterien.
Dann geht es im Hanlon-Lab um Sinnes-Ökologie: Wie benutzen Tintenfische ihre Seh- und Geruchssinne und wie beeinflussen diese ihr Verhalten?  Dabei sind u. a. die Funktionsmorphologie und Neurobiologie des Chromatophoren-Systems sehr interessant, das Hanlon und sein Team an ganz unterschiedlichen Kopffüßern untersucht. Chromatoporen sind pigmenthaltige Zellen, mit denen die Tiere ihre Färbung aktiv verändern können, etwa bei Tarnfärbungen, zur Feindabwehr, bei der Jagd, im Rivalenkampf oder der Fortpflanzung. Hanlon beschreibt sogar, dass Tintenfische Artgenossen vor Feinden und Gefahren mit Farbveränderungen warnen und dass sie sich mit Farbanpassungen vor UV-Strahlung, Kälte und anderen ungünstigen Umwelteinflüssen schützen können. Dabei sind auch die neuronalen Anbindungen der Pigmentzellen an das Nervensystem wichtig.

Hier sind zwei Lehrvideos, in denen Hanlon seine Forschung zur Färbung, Tarnung und Interaktion der Kopffüßer mit ihrer Umgebung erklärt:

Es gibt noch weitere Vorlesungen von ihm im Netz.
Wem diese Vorlesungen zu speziell sind, dem sei das Stöbern auf den Seiten des Hanlon-Lab empfohlen. Es gibt viele kurze Videos mit herrlichen Tintenfisch-Sequenzen. Und phantastische weitere Bilder.

Auch durch jahrzehntelange Forschung wie die von Hanlon wissen wir immer noch nicht, wie es sich anfühlt,  ein Oktopus zu sein. Aber wir wissen, dass er seine dreidimensionale Umgebung beobachtet, sieht und teilweise versteht. Er hat ein gutes Auge für Formen und Farben, nimmt sie wahr und kann sie selbst situationsgerecht ändern. Er weiß, wenn er jagt und wenn er gejagt wird. Er weiß auch, wen er anbalzt und wer seine Rivalen sind. Trotz seiens oft kurzen Lebensalters erkundet neue Situationen aktiv und findet neuartige Lösungswege. Er steht in stetiger Kommunikation mit seiner Umgebung. Kalmare sind oft auch noch Teil ihres Schwarms. Ob ein Tintenfisch Angst empfindet, wenn er die schrillen Ortungsleute von Delphinen hört oder Leidenschaft beim komplizierten Balztanz und bei der Paarung, das wissen wir nicht. Und wahrscheinlich werden wir es auch nie herausfinden.
Aber wir dürfen davon ausgehen, dass er etwas empfindet.

Kommentare (6)

  1. #1 tomtoo
    21. Juni 2016

    hi bettina,
    wie funktioniert das mit der farbänderung beim octopus. also ich meine physikalisch. haben die verschiedene farbpickmente die sie zeigen bzw. verstecken. oder ist es eine chemische reaktion. oder gehts über lichtbrechung.

    gruss
    tom

  2. #2 Bettina Wurche
    22. Juni 2016

    @tomtoo: Die Farbänderung erfolgt physikalisch. Für die Farbveränderungen in Sekundenschnelle setzt der Tintenfisch Chromatophoren, Reflektorzellen, innere Organe, Muskeln und Photophoren ein. Die Tintenfisch-Haut enthält ganz besondere Zellen, deren Aktivität neuromuskulär gesteuert wird: Chromatophoren. Das sind Zellen mit Farbpigmenten, der Dreh- und Angelpunkt der schnellen, situationsgerechten Farbänderungen. Chromatophoren tragen Pigmente von Farben mit langen Wellenlängen – Gelb, Orange, Braun, Schwarz. Reflektierende Zellen geben weiße oder irideszente Strukturfarben (Pink, Gelb, Grün, Blau, Silber) hervor. Reflektorzellen, die nur von Oktopussen bekannt sind, reflektieren Blau- und Grüntöne. Leucophoren reflektieren vor allem Weiß.
    Die Chromatophoren liegen dicht unter der Oberfläche, die Pigmente können aktiv in den Zellen verteilt oder versammelt werden. Wenn sie z. B. i d Zellmitte konzentriert werden, schimmern die darunter liegenden Strukturfarben hervorrufenden Reflektoren und Leucophoren durch.
    https://www.mbl.edu/bell/current-faculty/hanlon/skin-ultrastructure-neurobiology/

    Hie rist noch eine sehr gute Zusammenfassung: “Many thousands of color-changing cells called chromatophores just below the surface of the skin are responsible for these remarkable transformations. The center of each chromatophore contains an elastic sac full of pigment, rather like a tiny balloon, which may be colored black, brown, orange, red or yellow. If you squeezed a dye-filled balloon, the color would be pushed to the top, stretching out the surface and making the color appear brighter—and this is the same way chromatophores work. A complex array of nerves and muscles controls whether the sac is expanded or contracted and, when the sac expands, the color is more visible. Besides chromatophores, some cephalopods also have iridophores and leucophores. Iridophores have stacks of reflecting plates that create iridescent greens, blues, silvers and golds, while leucophores mirror back the colors of the environment, making the animal less conspicuous.”
    https://ocean.si.edu/ocean-news/how-octopuses-and-squids-change-color

    Und wesentlich mehr steht dann in dem Buch “Cephalopod Behaviour” von Hanlon und Messenger. Schon sehr spezieller Stoff : )

  3. #3 tomtoo
    22. Juni 2016

    hi bettina,

    vielen dank !

    oh diese tierchen sind echt der hammer, kein wunder das die so viele neuronen auf der haut haben.

    wie die sich fühlen ?

    auf jeden fall müssen die fŭr einen passenden dress nicht shoppen gehen 😉

    viel stoff zu lesen super !

  4. #4 Bettina Wurche
    23. Juni 2016

    @tomtoo: Ich finde sie auch einfach klasse.

  5. […] Kopffüßer sind extrem proteinhaltige Energy-Snacks darum jagen viele Zahnwale Kalmare in unterschiedlichen Größen, genau passend für die unterschiedliche Schlundkapazität. Ein Delphin braucht schließlich kleinere Portionen als ein Pottwal. Oktopusse sind keine so leichte Beute. Die glibbrigen Weichtiere werden im Ganzen geschluckt, beim Abbeißen würde ja der Rest der Beute verloren gehen. Allerdings haben Oktopusse sehr kräftige acht Arme mit Saugnäpfen und Arm“gehirn“. […]

  6. #6 Deine Mum
    Deutschland
    3. Februar 2022

    War sehr hilfreich danke