Oktopusse sind KEINE Aliens.
Auch wenn diese Meldung und die Studie, die diese Aufregung ausgelöst hat, von 2015 ist, gibt es offenbar Klärungsbedarf. Der moderne Meeres-Mythos geistert immer noch durchs Netz. Ich bin jetzt innerhalb von drei Wochen dreimal darauf angesprochen worden.
Im Wortsinn bedeutet der lateinische Begriff „alienus“ nur „fremd“. Der Begriff „Alien“ ist heute – im üblichen Sprachgebrauch – die Bezeichnung für eine außerirdische Lebensform. Im juristischen Sinne bedeutet es „Ausländer“.
Ein Oktopus ist unbestreitbar ein irdischer Organismus. Ein achtarmiger Tintenfisch, der zu den Kopffüßern (Cephalopoden) gehört. Die sind wiederum eine große und evolutiv erfolgreiche Gruppe der Weichtiere (Mollusken). Andere Mollusken sind Muscheln, Schnecken und exotischere Weichtiere, die evolutiv eine andere Richtung als ihre Cousins mit den vielen Tentakeln eingeschlagen haben und heute teilweise ganz auf einen Kopf verzichten. Evolutiv betrachtet ist diese ganze Gruppe genauso alt wie wahrscheinlich die meisten anderen mehrzelligen Lebewesen auch. Die letzten gemeinsamen Vorfahren dürften sie – oder besser: wir alle – vor mehr als 600 Millionen Jahren gehabt haben, aber darüber ist nichts Genaueres bekannt. Fakt ist, dass vor 505 Millionen Jahren in der berühmten Fossilfundstelle Burgess Shale die großen Tiergruppen, wie wir sie heute kennen, bereits da waren: Mollusken, Chordaten (zu denen auch wir Säugetiere gehören), Nesseltiere (Cnidaria: Korallen und Quallen), Gliederfüßer (Arthropoda), Schwämme (Porifera) und Stachelhäuter (Echinodermata). Und irgendwie sind die alle miteinander verwandt, denn viele Zellgewebe, Organe und Organisationsstrukturen sind in ganz verschiedenen Tierstämmen zu finden. Und die moderne Genetik bestätigt immer wieder, wie erschreckend oder erstaunlich eng alle irdischen Tiere auch molekular miteinander verwandt sind.
Mit diesem Hintergrundwissen war ich über die Aussage, das Genom von Oktopussen sei wie das von Aliens, recht erstaunt. Ein rascher Blick auf den US-amerikanischen Science-Blog „Pharyngula“ beruhigte mich schnell: Der Pharyngula-Autor PZ Myers, der als Biologie-Professor an der University of Minnesota, Morris, lehrt, bezeichnete die Behauptung als Blödsinn. Nach seinem ersten Artikel schrieb er sogar noch einen zweiten dazu und beklagte sich noch einmal nachdrücklich über Journalisten, die über Dinge schreiben, die sie nicht gelesen oder jedenfalls nicht verstanden haben.
Ein Blick in die Original-Publikation “The octopus genome and the evolution of cephalopod neural and morphological novelties“ von Caroline B. Albertin, Oleg Simakov et al in Nature, 524, 220–224, (13 August 2015) doi:10.1038/nature14668
bringt Aufklärung. Ganz kurz zusammengefasst: Oktopusse haben ein Genom, das dem anderer Wirbelloser sehr ähnlich ist. Ungewöhnlich ist die nur starke Entwicklung in zwei Gen-Familien, von denen man bisher angenommen hatte, dass es sie nur bei Wirbeltieren gäbe. Diese Gen-Familien stehen in engem Kontext mit der Entwicklung des Nervensystems.
Hier die etwas längere Version: Die Autoren sind von Tintenfische (Coleoidea: Oktopus, Kalmar und Sepia) begeistert und haben ihr Genom unter die Lupe genommen, ihr Modelltier war der kalifornische Octopus bimaculoides. Diese aktiven Jäger mit dem großen Repertoire an Verhaltensweisen haben das größte Nervensystem aller Wirbellosen und einige andere besondere morphologische Merkmale. Wie etwa ein leistungsstarkes Linsenauge, extreme bewegliche Arme und eine ausgeprägte Kommunikation durch Farbwechsel.
“The core developmental and neuronal gene repertoire of the octopus is broadly similar to that found across invertebrate bilaterians, except for massive expansions in two gene families previously thought to be uniquely enlarged in vertebrates: the protocadherins, which regulate neuronal development, and the C2H2 superfamily of zinc-finger transcription factors.” schreiben die Biologen wörtlich. Also: Im Wesentlichen gleicht das Genom des Oktopus dem aller anderen bilateralsymmetrischen Wirbellosen. Nur in zwei Gen-Familien gibt es massive Erweiterungen. Von diesen Genen hatte man bis dahin angenommen, sie seien spezifisch für Wirbeltiere: Die Protocadherine, die vor allem die neuronale Entwicklung steuern und die Cys2His2-Zinkfingerproteine.
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