Pünktlich zur sommerlichen Badesaison im offenen Meer fragte Mindy Weisberger: „How Much of the Ocean Is Whale Pee (and Worse)?“ in Living Science.
Ein interessantes Thema! Ich habe etwas umfangreicher recherchiert und so geht es in den nächsten beiden “meertext”-Beiträgen und Stoffwechselendprodukte von Großwalen und ihre ökologische Bedeutung.
Die türkis- bis tiefblauen Wellen des Ozeans sind ein Symbol der Reinheit. Die Verschmutzung des Ozeans durch menschlichen Abfall und andere Lebensspuren, von der Plastikflut bis zur Ölpest erscheint den meisten Menschen als Sakrileg. Zu Recht.
Wie aber sieht es mit dem Abfall von Meereswesen aus, die dort leben, fressen und exkretieren? Darüber machen sich nur wenige Menschen Gedanken. Der Darminhalt einer Seepocke ist sicherlich nicht sehr umfangreich. Wie groß aber ist der vereinte Blaseninhalt einer Herde von Finnwalen?
Und: Welchen Stellenwert haben diese organischen Abfälle im ozeanischen Ökosystem?
Pee – gelbes Bächlein im blauen Ozean
Für Wal-Forscher ist natürlich auch der Stoffwechsel der Wale ein spannendes Forschungsfeld. Schließlich können sie aus dem flüssigen Medium harte Fakten herauslesen.
Zunächst die Eckdaten: Ein 18 bis 26 Meter langer und bis 72 Tonnen schwerer Finnwal hat ein Blasenvolumen von 20,82 Liter oder 5,5 US Gallonen. Zum Vergleich: Ein 1,70 bis 1,90 großer Mensch hat ein Blasenvolumen von 0,9 bis 1,5 Litern.
Der Physiologe Matthias Kjeld schätzt aufgrund bekannter und extrapolierter Parameter in seiner Publikation „Salt and water balance of modern baleen whales: rate of urine production and food intake“ (Canadian Journal of Zoology, 2003, 81(4): 606-616, 10.1139/z03-041), dass ein Seiwal, der bis zu 18 Meter lang und bis zu 45 Tonnen schwer wird, täglich um 627 Liter Urin produziert. Ein Finnwal soll bis zu 974 Liter Urin täglich abgeben.
Die Menge der ausgeschiedenen Flüssigkeit ist bei Meeressäugern so schwierig zu ermitteln, weil der Urin so schwierig zu erkennen ist. Selbst bei Delphinariumsbewohnern ist das kaum möglich, bei größeren Tieren im Freiland wird es noch wesentlich komplizierter. Immerhin ist bekannt: Auch Wal-Urin ist gelb!
Ein männlicher Südlicher Glattwal (Eubalaena australis) war so zuvorkommend, vor den Augen der Whale-Watcher bequem auf dem Rücken schaukelnd eine gelbe Fontäne in den blauen Himmel zu entlassen:
Weitere Details über die Osmoregulation der Meeressäuger mit der Renculi-Niere, einem aus vielen kleinen Einzelnieren bestehendem Organkomplex, sind auf Cetacea.de zu finden.
Eher für Experten ist die Publikation „Osmoregulation in Marine Mammals“ von Rudy M. Ortiz (Journal of Experimental Biology 2001 204: 1831-1844).
Pooh – halbfest, rötlich-bräunlich und voller spannender Informationen
Walkot ist leichter zu erkennen und in seiner Menge auch besser abzuschätzen. Viele Wale entleeren nämlich vor einem tiefen Tauchgang den Darm. Der Darminhalt ist dann, vor allem wenn ein großer Wal wie ein Pottwal abtaucht, unter seinem „Fußabdruck“ gut erkennbar: Eine bräunlich-rötliche Wolke mit festen Bestandteilen.
Neugierige und geschickte Wal-Forscher können diese festen Partikel mit einem feinmaschigen Netz aus dem Wasser fischen, bevor sie ebenfalls in die Tiefe sinken.
So erzählte mir der Pottwal-Forscher Hal Whitehead (Dalhousie-University, Kanada) im Interview im vergangenen Jahr, wie er und sein Team die Speisekarte der Pottwale rekonstruieren: Die festen Kotbestandteile bestehen nämlich aus unverdaulichen Teilen wie den chitinigen Tintenfischschnäbeln. Mit diesen artspezifischen Schnäbeln können Biologen die Wal-Mahlzeit nach Art, Anzahl und Größe der gefressenen Kalmare rekonstruieren. Allerdings sinken sie auch schnell aus der greifbaren Nähe der Walforscher in die Tiefe ab, da muss man also schnell reagieren, „The sooner, the better“ sagte Hal in seiner leisen, lakonischen Art.
Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie Biologen sich blitzschnell Richtung Reling bewegen, um noch einige Schätze aus der großen braunen Pottwal-Pups-Wolke im Wasser fischen. Mich bringt diese Mischung aus einem profanen Vorgang seitens des Wals und exzellenter Wissenschaft seitens der Biologen zum Grinsen. Die Vorstellung eines Biologen oder Archäologen, der aus Verdauungsprodukten das Leben anderer rekonstruiert, ist so klischeehaft. Und gleichzeitig so zutreffend.
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