Im ersten Teil dieses Beitrags ging es um anatomische und physiologische Grundlagen und Methoden. In diesem zweiten Teil stehen die ökologischen Auswirkungen der Wal-Fäkalien im Vordergrund. Und wie Wale mit ihrem Kot Algen düngen und Kohlendioxid im Meer binden.
Der offene Ozean weitab der Küsten ist eine nährstoffarme Wüste. Von den Küsten her schwemmen Regen und Flüsse Humus, Mineralien und Nährstoffe ins Meer. Wo dann noch kaltes, sauerstoffhaltiges Wasser über große Strömungssyteme dazukommt, wimmelt es vor Leben.
Wo dieser Nährstoffeintrag fehlt, also im offenen Meer, sind vor allem Stickstoff und Eisen begrenzte Ressourcen, die das Wachstum der Meeresalgen limitieren. Algen sind die Primärproduzenten, also die Basis der gesamten Nahrungskette. Sie sind als Phytoplankton die Nahrung für das Zooplankton, die dann wieder die Häppchen für die nächstgrößeren Zooplankter sind. In der Antarktis und Arktis weiden (nicht nur) Myriaden von Krillkrebschen die Algenrasen und –wolken ab, die zur wichtigsten Nahrung für Bartenwale gehören.
Wale sind nicht nur Konsumenten, sondern geben den marinen Ökosystemen gleichzeitig auch viel zurück. Als wichtige Vektoren tragen sie Nährstoffe und Materialflüsse zwischen den Wasserschichten umher, erklärt der Biologe Joe Roman. Joe Roman forscht und lehrt an University Vermont, unter anderem untersucht er die ökologische Rolle von Walen im ozeanischen System.
Große Meeressäuger sind, wie auch große Landsäuger „Megafauna“. Und mittlerweile wird in marinen und terrestrischen Ökosystemen weltweit, fossil und rezent, deutlich, dass diese Megafauna einen ganz erheblichen positiven Impact auf ganze Ökosysteme hat und durch ihre mechanischen und physiologische Einflüsse die Existenz ganzer ökologischer Netzwerks ermöglicht und bewahrt.
Zunächst sorgen sie rein mechanisch für die vertikale Durchmischung der Wasserschichten. Alle Wale tauchen mehr oder weniger tief nach ihrer Nahrung, sie durchqueren dabei Hunderte oder gar Tausende von Metern der Wassersäule. So durchmischen sie die Wasserschichten mit ihren gewaltigen Körpern von bis zu 100 Tonnen Gewicht und der entsprechenden Wasserverdrängung, rein mechanisch, jeden Tag mehrfach. In stabil geschichteten Wasserkörpern kann diese mechanische Durchmischung des Wassers schon eine erhebliche Bedeutung haben.
Stickstoff und Eisen in der „nutrition plume“
Der wichtigste Punkt dürfte ihr direkter Nährstoffeintrag über die Exkretion sein. Wal-Exkremente enthalten auch Stickstoff und Eisen, wichtige Düngestoffe für die Meeresalgen, die Basis des Nahrungsnetzes. Und, so Joe Roman, es sei wenig überraschend, dass besonders große Tiere auch einen besonders großen Beitrag zur “chemischen Suppe” des Ozeans beitragen. Auch wenn dieser Beitrag schwierig in absoluten Mengenangaben zu erfassen ist. Wissenschaftler bezeichnen den Walkot als „nutrient plume“, als aufsteigende Nährstofffahne. „Plume“ ist ursprünglich die Bezeichnung für einen Helmbusch, im modernen Sprachgebrauch beschreibt der Begriff aufsteigende Ströme (z. B. Magma im Erdmantel) oder Gase (z. B. in einer Planetenatmosphäre oder an einem Brandherd).
Die Meeressäuger tauchen zum Fressen ab, nehmen ihre Nahrung in tiefen Schichten auf, und transportieren dann die Nährstoffe an die Oberfläche, einfach indem sie atmen, verdauen und verstoffwechseln. In den obersten 200 Metern des Ozeans dringt das Sonnenlicht, nur dort ist Photosynthese und somit Pflanzenwachstum möglich. Darum ist die Anreicherung von Stickstoff und Eisen in dieser photischen Zone so wichtig. Und genau dort geben Wale, vor dem nächsten Tauchgang, Urin und Kot ab. Diese Wal-Pumpe hatte Joe Roman 2010 gemeinsam mit James J. McCarthy für den Gulf of Maine beschrieben (PLOS: „The Whale Pump: Marine Mammals Enhance Primary Productivity in a Coastal Basin“). Vor Maine ist, so Joe Roman, Stickstoff der limitierende Faktor ist.
Wale – Ingenieure oder Gärtner des Ozeans?
Wale liefern, wie in geringerem Umfang andere Meeresbewohner auch, mit ihren Fäkalien wichtige Beiträge zur Primärproduktion. Der Düngereintrag der Großwale ist so bedeutend, dass Joe Roman und einige andere Biologen die Meeressäuger als „Ingenieure des Meeres“ bezeichnet haben.
Den Begriff „Ingenieure des Meeres“ finde ich nicht sehr passend. Denn nach heutigem Sprachgebrauch schafft ein „Ingenieur“ komplexe technische Werke, aktiv und zielgerichtet. Ein Wal hingegen setzt niemals komplexere Technik als einfache Werkzeuge wie Schwämme, Schnecken, oder ähnliches ein. Im vorliegenden Fall unternimmt er keine anspruchsvollere Aktivität als zu fressen und Stoffwechsel zu betreiben. Das reicht mir nicht für einen Ingenieur. Immerhin trägt ein Wal aber Nährstoffe zwischen den einzelnen Wasserschichten umher, das ähnelt dem Kompost umräumen und verteilen eines ursprünglichen Gärtners oder Farmers.
Der Meeresforscher Victor Smetacek vom Afred Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung nennt Großwale „Gärtner“ des Ozeans. Der Begriff trifft es eher, schließlich düngen die Meeressäuger das pflanzliche Plankton und lassen so Myriaden von Meeresalgen wachsen (Übrigens steht er auch Co-Autor von Joe Romans Publikation, ist aber wahrscheinlich nicht für den Titel verantwortlich).
Victor Smetacek forscht vor allem im Südpolarmeer. Das Meer um den sechsten Kontinent beherbergte in früheren Zeiten gigantische Wal- und Krillbestände, die sich heute kaum noch jemand vorzustellen vermag. Die Blauwale sind auf einen Bruchteil ihrer einstigen Bevölkerungsstärke geschossen worden, die Bestände dieser größten aller Wale haben sich bis heute nicht erholt.
Auch das Antarktische Krill ist nie wieder zu solchen Mengen angewachsen, wie in der Ära vor dem Antarktischen Walfang. Das erscheint paradox, denn nun sind ja nicht mehr so viele hungrige Wale da, um die kleinen Garnelen aufzufressen. Viele Wissenschaftler meinen, dass dies im Kontext mit dem Klimawandel stehe. Victor Smetacek hat allerdings eine andere Erklärung, die mit den Walen zusammenhängt. Die Erwärmung des Klimawandels sei im Südpolarmeer schließlich noch gar nicht angekommen.
Im Südpolarmeer ist Eisen der knappste Faktor, der das Algenwachstum und somit die Futterquelle für den Krillkrebs Euphausia superba limitiert. Und Walkot enthält Eisen. Viele Wale bedeuten viele Wal-Fäkalien, das führt zu viel Eisen im Wasser und ermöglicht mehr Algen- und somit Krillwachstum. Die kleinen Schwebegarnelen werden dann wiederum von den Walen geerntet.
Da die Walbestände nun aber auf einen Teil ihrer einstigen Größe zurückgegangen sind und sich vor allem die sehr großen Arten wie Blauwale nicht wieder erholen werden, bleibt der Eiseneintrag ins Südpolarmeer wesentlich geringer als vor der Walfang-Ära. Und damit fehlt auch die Nahrungsgrundlage für die Krillschwärme.
Die Internationale Walfangkommission gibt als geschätzten Blauwalbestand für die Südliche Hemisphäre 2300 Tiere an (Stand 1997/98), das Überleben der Art ist nicht gesichert. Andere Walarten haben sich besser erholt, werden wohl aber auch kaum jemals wieder ihre alte Populationsstärke erreichen und geben ebenfalls viel weniger Dünger ab.
Der Kot von Pottwalen soll besonders eisenhaltig sein, schreibt Trish J. Lavery (Department of Environment, Australia). Das liege an der bevorzugten Tintenfisch-Diät dieser großen Zahnwale. Sie schätzt die Eisenproduktion allein der Pottwale auf der Südhalbkugel auf 50 Tonnen jährlich (Trish J. Lavery, et al, Victor Smetacek: “Iron defecation by sperm whales stimulates carbon export in the Southern Ocean; 2010). Die tief tauchenden Pottwale holen die rare Ressource Eisen aus der dunklen Tiefe ihrer Jagdgründe in die durchlichtete Zone des Meeres, wo das Sonnenlicht die Photosynthese von Algen ermöglicht.
Übrigens: Abgesehen vom Walkot-Eintrag gelangt Eisen sonst vor allem über Saharasand, der von Staubstürmen in die Atmosphäre gewirbelt und dann über weite Strecken verdriftet wird, ins Meer. Dann lässt der rötliche Wüstenstaub Meereswüsten erblühen.
„Whale pump“ – der Wal als CO2-Umwälzpumpe
Wale transportieren Nährstoffe durch verschiedene Wasserschichten.
Außerdem hat die Eisendüngung der Wale auch noch einen weiteren Effekt: Sie ist von globaler Bedeutung für das Klima! “Algen liefern ebenso wie Landpflanzen die Basis allen Lebens; sie bauen aus dem Treibhausgas CO₂ Zucker, Eiweiße und Fette auf. Diese sonnenbetriebene Riesenpumpe und das Meerwasser haben rund die Hälfte des gesamten von Menschen emittierten CO₂ aus der Luft geholt.“ erklärt Victor Smetacek.
Einige Wissenschaftler sind der Meinung, dass man so große Mengen des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre ziehen und in Algen binden könnte, dass es zu einer weltweiten Abkühlung kommen könnte. John Martin, der Direktor des Moss Landing Marine Laboratory, hatte 1988 formuliert: “Give me a half tanker of iron, and I will give you an ice age.” (Diesen Satz soll er in seinem „besten Dr. Strangelove-Tonfall“ gesagt haben, möglicherweise war die Bemerkung teilweise ironisch gemeint.)
Der Bremerhavener Meeresforscher Smetacek und einige indische Fachkollegen hatten 2004 an Bord des Forschungsschiffes „Polarstern“ aus ein Eisendüngungsexperimenten im Südpolarmeer durchgeführt. So wollten sie erproben, ob, wo und wie sich die erhoffte Versenkung von CO₂ ökologisch verträglich durchführen lässt.
Dieser Feldversuch im Rahmen des Projekts EIFEX ist sehr kontrovers diskutiert worden, denn letztendlich kann natürlich niemand genau vorhersagen, was der Eiseneintrag in so einem komplexen Ökosystem bewirken wird. Eine solche großflächige Düngung des Ozeans wäre schon ein groß angelegtes Geo-Engineering und birgt Risiken. Die Düngung könnte nämlich auch das Wachstum giftiger Algen fördern, was dann nicht nur für Meeressäuger sondern die gesamte Meeresfauna tödlich enden könnte.
Trotz der Risiken haben große Firmen natürlich ein großes Geschäft gewittert, schließlich geht es um den Milliardenmarkt mit CO₂-Zertifikaten. Um mögliche unabsehbare ökologische Folgen zu verhindern, ist die Eisen-Düngung des Ozeans 2007 in der London Convention geächtet worden (CONVENTION ON THE PREVENTION OF MARINE POLLUTION BY DUMPING OF WASTES AND OTHER MATTER […]: Statement of concern regarding iron fertilization of the oceans to sequester CO2).
Im Moment bleibt die Düngung der irdischen Ozeane den Walen und anderen Wesen vorbehalten. Ob die Wale nun als Ingenieure, Gärtner oder Farmer des Meeres tätig werden. Fest steht, dass sie das Algen- und Krillwachstum nach Kräften unterstützen. Und vor allem die Pottwale, so schreibt auch Trish J. Lavery, helfen mit ihren besonders eisenhaltigen braunen Wolken, auch gehörig beim Versenken von Kohlenstoffdioxid im Meer: „We find that Southern Ocean sperm whales stimulate the export of 4 × 105 tonnes of carbon per year to the deep ocean and respire only 2 × 105 tonnes of carbon per year. By enhancing new primary production, the populations of 12 000 sperm whales in the Southern Ocean act as a carbon sink, removing 2 × 105 tonnes more carbon from the atmosphere than they add during respiration.” Und sie schlußfolgert: “The ability of the Southern Ocean to act as a carbon sink may have been diminished by large-scale removal of sperm whales during industrial whaling.”.
Mit anderen Worten: Die Pottwale machen´s mal wieder eine Nummer größer.
Einige persönliche Gedanken zu Walen, Fischen und Fischerei
Dass viele Wale zu einer höheren Produktivität des Meeres führen und somit auch reichere Fänge für die Menschen bedeuten, steht in krassem Gegensatz zu den üblichen Statements der Fischer und Walfänger, die großen und kleinen Meeressäuger mit und ohne Zähne würden uns Menschen den Fisch wegfressen.
Ich finde die Sicht der Ökologen deutlich überzeugender.
Die einziger Prädatoren, die Menschen, Walen, Robben, Seevögeln, Fischen und anderen Meereswesen das Seafood im gigantischen Umfang weg fangen, ohne etwas zurückzugeben, sind die Menschen selbst. Und zwar die gierigen, gigantischen Fangflotten der globalen Fischerei-Industrie, die ohne einen Gedanken an die Nachhaltigkeit ihrer „Ernte“ zu verschwenden, den Ozeanen ungeheure Mengen an Biomasse entnehmen und Bestand um Bestand Art gefährdend dezimieren. Das ist keine Ernte, sondern ein Raubbau.
Diese Erkenntnis ist gar nicht neu, sondern sehr alt. Der französische Historiker Michelet hat in seinem 1861 erschienen Buch „La Mer“ bereits den Niedergang der Kabeljau- und Walbestände im Zuge der Industrialisierung der Fischerei vorausgesagt und mit dieser düsteren Prognose leider recht behalten.
Jules Verne legt in „20.000 Meilen unter den Meeren“ Kapitän Nemo manche dieser kritischen Aussagen in den Mund. Mittlerweile sind zumindest die Großwal-Bestände vor der totalen kommerziellen Ausschöpfung geschützt. Das Essen von Walfleisch ist in den meisten heutigen Kulturen geächtet, der Wal ist vom „Fisch“ zum „Mitwesen“ erhoben worden. Das ist zumindest mal ein Anfang beim Meeresschutz.
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