Die See ist nicht bleigrau. Eher grünlich-grau, kristallen durchscheinend und  ohne Schaumkronen. Das perfekte Wetter für Wal-Beobachtung im Nord-Atlantik!
Das magische Licht des Nordens bricht sich auf den Welle des Meeres vor der Vesteralen-Insel Andoya, 300 Kilometer nördlich des Nordpolarkreises, und sprenkelt die Oberfläche mit Lichtfunken. Nur der Pottwal-Bulle vor uns reflektiert das Licht nicht, sein Körper hebt sich stumpf und grau von den langen Wellen des Atlantiks ab. Regelmäßig und ungestört durch unsere Anwesenheit atmet er ein und schnaubt laut prustend aus, der Blas, die lungenwarme ausgeatmete Luft, sprüht nach links vorn aus dem einzigen Nasenloch. Typisch Pottwal.
Der gewaltige Kopf des Pottwals macht fast ein Drittel der Körperlänge des erwachsenen Bullen aus. In der stumpfen Walze des Kopfes, die an ein U-Boot erinnert, befindet sich das Spermaceti-Organ, das Sonar des größten aller Zahnwale. Der Rücken dahinter ist wesentlich schmaler, mit der schrumpeligen „Backpflaumenhaut“ bedeckt und trägt die flache Finne und eine Reihe von Buckeln.

Pottwal Glenn (Pm10) vor Andoya (Bild: Rainer Kresken)

Pottwal Glenn (Pm 10) vor Andoya (Bild: RKresken)

Der Wal ragt nicht weit aus dem Wasser, die Atemzüge krümmen den ganzen Körper leicht. Fast 10 Minuten schnaubt, „bläst“ und buckelt der Meeressäuger vor unseren Augen, und schwimmt dabei langsam weiter. Schließlich kommt der Kopf etwas höher aus dem Wasser und der Walrücken krümmt sich stärker für einen letzten, gewaltigen Atemzug. Dann winkelt der Wal den Kopf nach unten ab und taucht, langsam und Wirbel für Wirbel stellt er den 17 Meter langen Körper senkrecht und gleitet dann unter seinem eigenen Gewicht in die Tiefe. Beim Abtauchen hebt er die Fluke weit aus dem Wasser, so holt er Schwung für die Reise in die Tiefe. Der Bulle wiegt schätzungsweise 60 Tonnen, der massige Körper hat eine so große Wasserverdrängung, dass über dem abgetauchten Leviathan ein Fußabdruck zurückbleibt: Ein glatter Fleck auf der Wasseroberfläche.

Eine Whale-watching-Tour mit der „Reine“ von Andenes Whale-Safari hat eben eine Pottwal-Garantie. Vor der Nordspitze Andoyas befindet sich die Bleikdjupet, ein submariner Canyon. Dieser tiefe Einschnitt in den Kontinentalsockel fällt steil und sehr schnell tief ab, so dass Tiefwassergebiete sehr dicht an der Küste liegen. Das sauerstoffreiche Tiefenwasser vermischt sich dort mit Nährstoffeinträgen von Land aus und bietet so reiche Fischgründe. Alle trophischen Stufen der Nahrungskette tummeln sich dort, in Sichtweite des Leuchtturms von Andenes: Vom Phytoplankton bis zum Pottwal. Schließlich lassen sich die großen Wale nur ungern ein so gutes Angebot an Kalmaren und Fischen entgehen. Meistens jagen sie selbst, manchmal pflücken sie auch die Fische von den Langleinen der Fischer. Vor Andenes scheint das nicht sehr häufig vorzukommen wie etwa vor Alaska, aber gelegentlich doch.

Pottwal-Beobachtung vor Norwegen (Bild: RKresken)

Pottwal-Beobachtung vor Norwegen (Bild: RKresken)

Die Guides an Bord photographieren gewissenhaft die Fluke des Wals, die er beim Abtauchen so brav zeigt – das gibt gute Bilder für die Photo-Identifikation (Photo-ID), die Kartei des hiesigen Pottwal-Bestands. Die Fluke zeigt auf der linken Seite eine und auf der rechten Seite mehrere Einkerbungen – dieser Wal ist also Glenn, Pm 10!
Das war allerdings schon vorher klar, denn Glenn hat eine alte Verletzung auf dem Rücken. Vor der knubbeligen Rückenflosse heben sich weißlich vernarbte Verletzungen durch einen Schiffspropeller ab.
Dann warten wir an der Stelle des Abtauchens etwa 20 Minuten, bis der Wal wieder zum Atmen kommt. Der Kaptein horcht mit dem Unterwassermikrophon die Clicks des Wals: Beim Abtauchen ist er zunächst still, dann schickt er Echo-Ortungs-Clicks in die Tiefe. Über dem Meeresboden angekommen, bewegt sich der Pottwal hin und her, über einen Kopfhörer verfolgt der Kaptein die Sonarclicks des Wals. Schließlich ist die Jagd in der Tiefe beendet, der Wal kommt wieder nach oben. Kurz vor der Oberfläche stellt er die Clicks ein, alle halten gespannt Ausschau, an welcher Stelle der Meeresriese in einem perlenden Vorhang aus Gischt die Wasseroberfläche durchbricht.

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Kommentare (12)

  1. #1 tomtoo
    24. August 2016

    @bettina
    das ist sehr schön geschrieben !

    danke !

  2. #2 tomtoo
    24. August 2016

    also mal luft schnappen und dann in seiner welt sein !
    dass ist achön !

  3. #3 tomtoo
    24. August 2016

    abtauchen 😉

  4. #4 Bettina Wurche
    24. August 2016

    @tomtoo: Danke für Deine Begeisterung! Diese Reise ins Reich der Mitternachstsonne und der Pottwale war phantastisch, es ist bloß nicht so einfach, diese Verzauberung auch in Worte zu fassen : ) Die Mitreisendne hatten bei solchen Erlebnissen oft einfach nur so dieses Strahlen im Gesicht.

  5. #5 RPGNo1
    24. August 2016

    @Bettina
    Ich muss mich tomtoo anschließen. Ein schöner Text und schöne Fotos. Von letzteren könnte ich auch noch weitere vertragen. 🙂
    Ein paar kurze Fragen habe ich noch: Wann hattest du denn die Gelegenheit, Pottwale in Norwegen zu beobachten? Jetzt im Urlaub? Oder im Rahmen deiner Arbeit?
    Und habe ich es richtig verstanden, dass die Fluke eines Pottwals ein eindeutiges Identifikationsmerkmal ist so wie beim Orca die Pigmentierung?

  6. #6 Bettina Wurche
    24. August 2016

    @RPGNo1: Ich war vom 04.08. bis zum 12.08 die meeresbiologisch versierte Reiseleiterin für eine kleine Reisegruppe von Colibri Travel auf Pottwaltour nach Andenes auf Andoya. Ich habe also gearbeitet. 1997/1998 habe ich von der Insel Langoya, von Nyksund aus , zwei arktische Sommer selbst als Whale-Guide mit genau diesen Walen gearbeitet. Für mich war es ein emotional aufgeladenes und lang ersehntes Wiedersehen : )
    Durch immer mehr Narben/Ausfransungen nehmen die Markierungen im Laufe de slangen Wal-Lebens zu.

    Zur ID: Ja, der Umriß und die Pigmentierung der Fluke sind der “Fingerabdruck” der Pottwale. In diesem Fall kommen noch die Schraubenverletzungen dazu.

  7. #7 RPGNo1
    24. August 2016

    @Bettina
    Vielen Dank für deine prompte Antwort. Und es freut mich, dass deine Arbeit als Reiseleiterin so erfolgreich war, dass sie nicht nur als bloße Pflichtübung betrachtet werden musste.

  8. #8 Christine
    Bern
    24. August 2016

    Toll geschrieben und gerne gelesen! Vielen Dank!

  9. #9 Bettina Wurche
    24. August 2016

    @RPGNo1: Auf keinen Fall! Das ist eine hochpreisige Reise an den Polarkreis, nahezu am Ende der Welt. Das muss man wollen und sich auch dafür interessieren. Mehrmals haben wir einfach gemeinsame Wanderungen durch die eiszeitlich geprägte, schroffe Landschaft gemacht, sind andächtig über Moorwiesen mit Sonnentau gestreift oder haben uns abends regelmäßig an der Mole zum Sonnenuntergang/Fischotter/Seehund-Gucken getroffen. Die Gäste waren reizende Leute, die interessante Fragen hatten, aber auch so einiges erzählen konnten. Diese Tour ist etwas ganz Besonderes.

  10. #10 Bettina Wurche
    24. August 2016

    @Christine: : )

  11. […] ich Anfang August vor der Insel Andoya auf einen großen grauen Walbullen schaute, fragte ich mich mal wieder, wie dieses Tier eigentlich seine Nahrung […]

  12. […] sicher mindestens einen Pottwal sehen, vielleicht sogar verschiedene oder mehrere. Aber zumindest Glen Pm 10 sollte uns dort […]