Und das ist er wieder da, der graue Körper wälzt sich ein weiteres Mal durch die Wellen des Nord-Atlantiks. Und atmet ein, und aus. Diesmal taucht er so ab, dass die Fluke seitlich zu sehen ist. Das gibt keine guten Photo-ID-Bilder. Aber für mich ist dieses Schwanzprofil atemberaubend: Der Schwanzstiel ist extrem dick! Das zeigt, dass dieser Bulle sehr massiv und weit jenseits der Geschlechtsreife ist. Der neben mir stehende Guide bestätigt mir das und erzählt, dass Glenn hier seit 1989, seit dem Beginn der Beobachtung von Pottwalen im Bleiks Canyon, bekannt ist. Ich überschlage schnell das Alter des Wals: Vor Andenes tummeln sich nur Männchen, die mindestens in der Pubertät, also mindestens 15 Jahre alt sind. Wenn Glenn 1989 mindestens 15 war, dann muss er heute mindestens 42 sein, wahrscheinlich eher älter. Dieser Veteran des Whale-watching taucht seitdem immer wieder auf – beziehungsweise ab – und hat sich als zuverlässiger Partner der Hvalsafari erwiesen.
1988 begann die Erforschung der Pottwal-Bullen-Population vor Andoya, am nahrungsreichen Rande des Kontinentalschelfs. Zur Finanzierung der Forschung bauten die Wal-Biologen eine der wenigen Whale-watching Möglichkeiten zur Pottwalbeobachtung weltweit auf: Die Hvalsafari Andenes.
Daneben warben sie als Sponsoren den Zigarettenkonzern Prince Denmark ein. Die Prince Denmark-Kino-Reklame zeigte dann auch Szenen aus dem Nord-Atlantik, gern mit Fluke-up. Mit dem Verbot der Zigarettenreklame in Norwegen zog der Sponsor sich zurück und die Wissenschaft in Andenes ist seitdem stark zusammengeschmolzen.
Weiterhin regelmäßig photographieren die Guides der Whalesafari – viele von ihnen sind Biologen oder Biologie-Studenten – die Fluken der abtauchenden Walbullen und vergleichen sie mit dem Photo-ID-Katalog oder ergänzen sie. So lassen sich manchmal Wanderungen der Pottwalmännchen zwischen Nordnorwegen und den Azoren nachweisen und die Wanderrouten dieser Wale rekonstruieren. Auch ein an der Irischen Küste gestrandeter Pottwal stammte aus der Population in der Bleiks djupet. Auch andere, kleinere Forschungsprojekte, werden weiterhin durchgeführt und erzählen immer wieder neue Geschichten aus dem Leben des Leviathans im Europäischen Nordpolarmeer.
Wie PM 10 zu seiner Propellerverletzung gekommen ist, ist nicht bekannt. Glücklicherweise verbindet er mit Schiffen heute keine schlechten Erfahrungen, sondern ist ein häufig beobachteter Star der Pottwal-Touren. Er fischt gern im nicht ganz so tiefen Wasser am Rand des Canyons und ist oft der erste Wal, der bei seinem kurzen Verweilen an der Oberfläche zwischen den Fischzügen erwischt wird.
Die Schiffe scheinen ihn nicht zu stören, er dreht nicht ab und taucht auch nicht ab, sondern bleibt meist etwa 10 Minuten an der Oberfläche und lässt sich geduldig photographieren und begucken.
Auch wenn ein Pottwal an der Oberfläche kein Aufsehen erregendes Verhalten zeigt, wie eine Gruppe Orcas oder springende Buckelwale, ist er ein unglaublicher Anblick. Der kleine Ausschnitt seines grauen Kopfes und Rückens und die hoch gereckte Fluke ergänzen sich im Kopf des Betrachters um die Mythen und Legenden um diesen größten aller Zahnwale. Auch wenn unsere Interaktionen heute kurz und friedfertig verlaufen und der Wal uns geflissentlich ignoriert, so stehen doch die Geschichten vom biblischen Leviathan und von Melvilles Moby Dick im Hintergrund und sorgen für Respekt vor dem grauen Riesen mit dem U-Boot-Profil.
Zum Weiterlesen:
Einfach bei “meertext” unter dem Schlagwort “Pottwal” stöbern.
Kommentare (12)