Als Science-Bloggerin, Social Media-Anhängerin und Pädagogin an einem außerschulischen Lernort sehe ich die aktuelle Diskussion zum Thema „Computer“ und digitalen Medien unter unterschiedlichen Aspekten. Die rigorose Ablehnung der „Bildungsoffensive für die digitale Wissenschaft“ ist von Unsachlichkeit, ja von Hysterie geprägt. Ich wünsche mir eine kenntnisreichere Diskussion und statt dogmatischer Social Media- und Technik-Anfeindung eine zeitgemäße Bildung der Kinder und Jugendlichen als Ziel hat. Zu der auch angewendete Computertechnologie und Kenntnisse Neuer Medien gehören. Ich denke, dass auch Science-Blogs in einem zeitgemäßen Unterricht zu aktuellen Themen liefern könnten. Das Potential dazu haben sie.
Auch wenn dieser Post für „Meertext“ etwas Off-Topic ist, ist mir der Inhalt ein echtes Anliegen. Über konstruktiv-kritische Kommentare freue ich mich.
Essay: Neue Medien in der Schule – Medienhysterie versus Medienkompetenz
Aus dem Arbeitsalltag sind moderne Informations- und Kommunikationstechniken nicht mehr wegzudenken. Auch in der universitären Lehre an deutschen Universitäten ist der Einsatz neuer Medien längst selbstverständlich. Der Umfang des intermedialen Angebots ist zwar im Einzelfall immer noch abhängig vom dem Engagement der Dozenten und der Ausstattung des Fachbereichs. Aber das Angebot an e-learning-Einheiten und zeitgemäßer Mediennutzung nimmt stetig zu, und es wird von den Studierenden auch eingefordert.
Die Kompetenz zur Nutzung moderner Medien muss gelernt werden. Die Schule und die Zeit als Kind und Jugendlicher wären der ideale Ort und Zeitpunkt dafür. Allerdings sieht es damit in Deutschland nicht sehr gut aus. Die technische Ausstattung vieler Schulen ist veraltet und nicht alle Lehrenden sind im Umgang mit Neuen Medien erprobt und kompetent.
Am 12.10.2016 stellte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka die “Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft” vor – das Programm, soll den digitalen Wandel in der Bildung vorantreiben. Denn: “Zu guter Bildung im 21. Jahrhundert gehören IT-Kenntnisse und der souveräne Umgang mit der Technik und den Risiken digitaler Kommunikation ebenso wie das Lernen mittels der vielen neuen Möglichkeiten digitaler Medien. Deutschland muss diese Chancen viel stärker nutzen als bisher. Wir müssen bei der digitaler Bildung einen großen Sprung nach vorn machen. Diese Entwicklung wird das Bundesbildungsministerium mit seiner neuen Strategie vorantreiben und mitgestalten”, sagte Wanka. “Zentral für den Erfolg digitaler Bildung ist die Pädagogik – digitale Technik muss guter Bildung dienen, nicht umgekehrt.”
„Das BMBF bietet demnach an, über einen Zeitraum von fünf Jahren mit rund fünf Milliarden Euro die rund 40.000 Grundschulen, weiterführenden allgemeinbildenden Schulen und Berufsschulen in Deutschland mit digitaler Ausstattung wie Breitbandanbindung, W-LAN und Geräten zu versorgen. Im Gegenzug sollen sich die Länder verpflichten, die entsprechenden pädagogischen Konzepte, die Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern sowie gemeinsame technische Standards umzusetzen. Die Grundlage für eine solche Vereinbarung ist Artikel 91c des Grundgesetzes, der die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bereich der Informationstechnik ermöglicht.“
Die Initiative wird von einem ganzen Maßnahmenbündel flankiert, das bei der Umsetzung helfen und eine nachhaltige Wirkung generieren soll.
Dazu gehören u. a.
„ · Regionale Kompetenzzentren Digitalisierung: Das BMBF unterstützt Kommunen und Bildungseinrichtungen dabei, vor Ort Digitalisierungsstrategien für Bildung zu entwickeln, Erfahrungen auszutauschen und gute Praxis in die Breite zu tragen. Geplant sind deutschlandweit bis zu zwanzig dieser Kompetenzzentren.
· OER-Informationsstelle: Um Offene Bildungsmaterialien (Open Educational Resources OER) nachhaltig in allen Bildungsbereichen zu verankern, richtet das BMBF eine Informationsstelle ein, die Informationen bündelt und bereitstellt, sowie Fort- und Weiterbildung von Multiplikatoren zum Thema OER fördert.
· Berufsbildung 4.0: Mit der bereits gestarteten Initiative Berufsbildung 4.0 unterstützt das BMBF den digitalen Wandel in der beruflichen Bildung. Wir entwickeln Ausbildungsordnungen weiter und fördern die digitale Ausstattung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten sowie den Einsatz digitaler Medien in der Ausbildung.“
https://www.bmbf.de/de/sprung-nach-vorn-in-der-digitalen-bildung-3430.html
Sofort meldeten sich kritische Stimmen zu Wort, die dem Projekt ablehnend gegenüber standen. Warum sollte es jetzt Geld für Computer geben, wo die Schulen doch erst mal renoviert werden müssten? Der Bund dürfe solche Sachen gar nicht vorschlagen, da Bildung Ländersache sei. Und überhaupt…die Schüler sollten jetzt nicht auch noch im Unterricht „daddeln“ können, sondern lieber was Anständiges lernen. Und: Wenn jetzt die Computer angeschafft werden, wer kümmert sich dann um die Wartung in den nächsten Jahren, da die Schulen dafür kein Geld haben?
Die Fragen, wer nach der Erstanschaffung für Pflege und Update des „Maschinenparks“ zuständig ist und woher die Mittel dafür kommen sollen, sind sicherlich opportun. Sie sollten aber nicht dorthin führen, dass das Projekt dann einfach nicht angenommen wird, sondern sie sollte vielmehr dazu führen, MEHR zu fordern und die Politik und Entscheiden in die Pflicht zu nehmen, neben dem existierenden „Fuhrpark“ an Lernmaterialien ZUSÄTZLICH auch Neue Medien anzuschaffen.
Oder Mittel für die Renovierung der Schule einzufordern, da die derzeitige Infrastruktur die Nutzung zeitgemäßer Technologien leider nicht in vollem Umfang zulasse.
Die Beherrschung des Werkzeugs oder besser Werkzeugkastens „Computer“ wird bei jeder Lehre und erst recht in jedem Studiengang vorausgesetzt. Kenntnisse i n Textverarbeitung und Tabellenkalkulation, Organisation und Recherche, die grundsätzliche Orientierung im WordWideWeb und die Beschaffung sowie Bewertung von Informationen sind heute Grundkenntnisse wie das Schreiben mit der Hand.
Wichtig dabei ist, Kinder und Jugendliche zu lehren, dass diese Neuen Medien nicht nur Freizeitgestaltung sondern auch Arbeitsmittel sind. Welche Möglichkeiten das WWW bietet und welche Grenzen es hat, ja sogar welche Gefahren dort lauern. Ein grundsätzliches Verständnis dafür, wie Daten entstehen und Problemlösungen erstellt werden können, ist ein Basiswissen.
Zu oft habe ich erlebt, wie Lernende einfach nur „googeln“ oder bei Wikipedia nachschlagen, weil sie meinen, dass dort alle Antworten stünden. Wir Lehrenden müssen ihnen beibringen, woher Daten ursprünglich kommen. Wie sie eigene Daten erstellen oder fremde Daten auf ihre Glaubwürdigkeit und Gültigkeit hin überprüfen müssen und können. Kinder aus allen gesellschaftlichen Schichten müssen ein Verständnis dafür bekommen, woher Daten und Informationen kommen und wie man sie überprüft und einordnet. Nur so können sie in einer zunehmend komplexer werdenden Welt mit immer verwirrenderen Informationsströmen bewusste und sinnvolle Entscheidungen treffen.
Umsetzung; Neue Medien im Unterricht
In diesem Fall wird, wie auch sonst gern, mal wieder Technik von Inhalt getrennt. Das ist aber nicht zielführend.
Natürlich ist es für einen konzentrierten Unterricht sinnvoll, dass Schüler nicht mit ihrem Handy beschäftigt sind. Und natürlich ist es in den Pausen sinnvoller, dass die Kinder und Jugendlichen sich bewegen und miteinander sprechen oder spielen, als dass alle nur aufs Handy starren. Darum gibt es an vielen Schulen Handy-Verordnungen, die sicherlich ihre Berechtigung haben. Schließlich gehört zur Medienkompetenz auch die Fähigkeit, ein Gerät abzuschalten.
https://www.medien-sicher.de/2015/05/handyregelung-an-schulen-hessen-was-geht/
Die grundsätzliche Ablehnung von neuen Medien hat eine lange Tradition.
Im 19. Jahrhundert war es Frauen oft nicht erlaubt, Romane oder Zeitungen zu lesen, weil sie durch die schlechten Inhalte verdorben werden könnten. Stattdessen las das Familienoberhaupt ausgewählte Zeitungsartikel vor, die er als erbaulich und nicht zu aufregend für die Damen einschätzte. Mit dem Aufkommen des Fernsehens in den 60-er Jahren wurde dann wieder der Untergang des Abendlandes eingeläutet. Sendungen aus einem US-amerikanischen Slum erschienen Erziehungsexperten als vollkommen ungeeignet für deutsche Kinder, heute gilt die „Sesamstraße“ geradezu als Bildungsfernsehen. Das WWW und e-Mails, von Wissenschaftlern des CERN für die schnelle Kommunikation zwischen Wissenschaftlern auf der ganzen Welt erdacht, gerieten genauso in den Ruf des Teuflischen wie alle anderen medialen Innovationen, sowie sie die Welt der Intellektuellen und Universitäten verlassen hatten.
Dabei kann ja sogar ein Smartphone schon sehr nützliche Seiten haben: Es kann für eine gezielte Informationsrecherche eingesetzt werden. Mit Text und Bild ein Projekt dokumentieren. Oder bei einem Outdoor-Projekt als Karte fungieren. Genauso kann man auf einem Computer Computerspiele spielen oder über Facebook „chatten“. Aber man kann darauf auch seine Doktorarbeit schreiben und über ResearchGate mit anderen Forschern in aller Welt verknüpft sein.
Die Neuen Medien, egal ob über Laptop oder Smartphone empfangen, bieten eine Fülle von hochkarätigen Inhalten, von exquisiten Fach- und Science-Blogs wissenschaftlicher Institutionen bis zu den Inhalten ganzer Bibliotheken und noch 1001 anderer Informationen. Die interaktive Teilhabe an Wissenschaft, Forschung, Politik oder Kunst ist eine Bereicherung und sollte frühzeitig geübt werden.
Von einem konstruktiven und professionellen Umgang mit Neuen Medien und aktuellen Informations- und Kommunikationstechnologien könnte jeder nur profitieren. Bei der Verteufelung der Technik bleiben sie auf die Freizeit beschränkt und können ihren Wert nicht wirklich entfalten.
Dazu darf die Technik bzw. das Medium nicht als Selbstzweck stehen bleiben, sondern wir brauchen intelligente inhaltliche Konzepte, welche didaktischen Möglichkeiten die einzelnen Medien bieten und welche nicht.
Diese Konzepte sollten interdisziplinär und intermedial sein. Im Physik- oder Biologie-Unterricht könnten Tabellenkalkulationsprogramm Versuchsauswertungen vereinfachen und gleichzeitig wichtige Software für den späteren Berufsalltag egal in welcher Branche vorstellen. Im Sprachunterricht könnte das Schreiben einer korrekten Mail genauso auf den späteren Schriftverkehr in Studium und Ausbildung, im Beruf und Privatleben, vorbereiten.
Ein intermediales Projekt zu den Hintergründen und Mechanismen von Meinungsbildung, Empörungsbildung und Verschwörungstheorien könnte im gesellschaftskundlichen und gesellschaftspolitischen Unterricht zu einem echten Mehrwert führen. Bereits Goebbels hat virtuos auf der Klaviatur der modernen Massenmedien gespielt und dieser Umstand ist gerade jetzt, im Aufsteigen des neuen Rechtspopulismus, aktueller und brisanter als in den letzten Jahrzehnten. Nur wer etwas über Medien-Mechanismen weiß, kann plumpe Propaganda schnell erkennen. Ein weiteres Themenfeld ist die digital-soziale Verantwortung, die auszubilden wichtig wäre, um Kinder und Jugendliche vor digitalen Unbilden wie einem Facebook-Shitstorm zu schützen bzw. sie daran zu hindern.
Was wir – nicht nur – bei Lernenden und Lehrenden an deutschen Schulen brauchen, ist Medienkompetenz. Und nicht Medienhysterie.
Quellen:
https://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2014-11/digitale-medien-unterricht-schule/seite-2
https://www.ifib.de/publikationsdateien/2900_Endbericht_E-Learning_in_Hessischen_Schulen.pdf
https://www.hessen.ganztaegig-lernen.de/neue-medien-und-ganztagsschule
https://www.vielfalt-lernen.de/2013/07/16/chancen-und-herausforderungen-beim-einsatz-digitaler-medien-in-der-schule/
https://www.zeit.de/2016/44/lehrer-schule-computer-digitalisierung?page=4#comments
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