Unser 2. Urlaubsabschnitt lag, scheinbar nicht weit von New York entfernt, in Washington. Die Bustour von der Millionen-Metropole zur Hauptstadt hat nachdrücklich gezeigt, dass „Nähe“ in den riesengroßen USA ein relativer Begriff ist. Die Fahrt dorthin, vorbei an großen Städten und über große Flußmündungen hinweg ist eine Reise durch die Geschichte, denn viele der Namen beziehen sich auf die Indianerstämme, die dort einst lebte: Delaware, Chesapeake=Chesepiook (Algonquin: “great shellfish bay”), Susquehanna sind nur einige Beispiele.
Washington liegt an der Chesapeake Bay, einem riesigen Ästuar, wo das Süßwasser aus mehr als 150 Flüssen und Bächen auf das salzige Wasser des Atlantiks trifft. Die größten Zuflüsse sind Potomac River, Susquehanna River und James River, die Bay hat sich nach der letzten Kaltzeit im tief ausgepülten Bett des Susquehanna gebildet. Ein vor 35 Millionen Jahren, im Eozän, eingeschlagener Meteorit hat die Bay noch einmal nachdrücklich vertieft. Auch diese Küstenlinie mit ihren sandigen langen Stränden und ihrem dichten Bewuchs sieht verheißungsvoll aus für Strandgänger und Vogelbeobachter. Im Frühjahr und Sommer findet dort ein Naturschauspiel statt, das ich zu gern mal beobachten würden:
Dann kommen urwüchsige Gliedertiere, die Pfeilschwanzkrebse oder „Horseshoe“-Crabs (Limulus polyphemus) an die flachen Sandstrände und paaren sich. Auch wenn sie im Wasser leben und durch ihre Panzer zunächst an Krebse erinnern, sind diese Tiere ein alter Zweig der Spinnen-Verwandtschaft. Von oben blickt man auf den rundlichen Panzer, vorn mit Facettenaugen, hinten mit Stacheln und einem extragroßen Schwanzstachel mit Scharnier. Von unten sind bestachelte Krabbelbeine und eine große Mundöffnung mit Borsten und davor sitzenden Cheliceren sichtbar. Die Cheliceren oder Kieferklauen sind das verbindende Element mit den Spinnen und Skorpionen.
In Washington hatte ich im National History of Natural Museum der Smithsonian-Stiftung in der „Halle der Ozeane“ dann ein Rendez-vous mit einem echten Krebs: Mit Bathynomus giganteus, der Tiefsee-Riesenassel. Ich bin gespannt, ob die Riesenassel es wirklich zum nationalen Wappentier der Tiefsee schaffen wird.
Museums-Marathon auf “The Mall”
Unser Hotel lag sehr günstig in der Nähe der National Mall („The Mall“). The Mall ist eine übergroße Grünfläche zwischen dem Weißem Haus, Lincoln und Jefferson Memorial und dem Capitol. Washington wirkt deutlich prächtiger und irgendwie etwas europäischer als New York. Allerdings auch nur auf den 1. Blick. Der 2. Blick zeigt, dass auch in der US-amerikanischen Hauptstadt einfach viel mehr Platz ist als in europäischen Hauptstädten. Die weiten Straßen mit den breiten Gehwegen wirkten viel sauberer als New York, gleichzeitig aber auch viel leerer.
Die Mall bietet viele Wiedererkennungsmomente, wie der Blick auf das Weiße Haus oder das Capitol. Auch das Lincoln Memorial mit den Wasserbassins kenne ich aus unzähligen Filmen. Weniger bekannt waren mir die zahlreichen Museen mit ihren phantastischen Sammlungen. Kunst, Naturwissenschaft, Raumfahrt und politisch-historische Ausstellungen sind ein Parcours für laufwillige Wissenshungrige. Die offiziellen Regierungs- und Museumsgebäude wirken in einem Retro-Stil etwas griechisch, etwas napoleonisch-französisch, aber viel größer und irgendwie künstlich-kitschig.
Mein erster Gang führte mich natürlich ins National Museum of Natural History. Zu meiner sehr großen Enttäuschung war der Dinosaurier-Saal geschlossen, denn die Ausstellung wird gerade grundlegend überarbeitet. Das hatte ich bereits auf der Website gelesen. Die Ersatz-Dino-Ausstellung ist winzig klein und auf kleine Kinder ausgerichtet, für mich eher uninteressant.
Schnell zog es mich weiter in die Halle der Ozeane, prallvoll mit Meeresgetümen aus der gesamten Erdgeschichte. Gut war die Reise durch die erdgeschichtlichen Epochen unserer Ozeane, denn sie zeigte ökologische und palökologische Zusammenhänge auf, die über das reine Bewundern eines gut erhaltenen Fossils weit hinausgehen. Außerdem sah ich zum allerersten Mal einen Basilosaurus in voller Länge, den schlangenartigen Urwal aus Ägypten und den USA. Mit bis zu 20 Metern war er eines der längsten Tiere seiner Zeit, vor 40 bis 34 Millionen Jahren in der subtropischen Tethys. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde sein gefundenes Fossil zur Seeschlange ernannt: Basilosaurus, der König der Echsen. Der englische Anatom Richard Owen untersuchte den Schädel und sortierte ihn von den Reptilien in die Säugetiere ein, und zwar vollständig richtig als Urwal. Der findige und vielleicht auch etwas windige Fossiliensammler Koch ließ sich durch diese taxonomische Meisterleistung nicht beirren, sammelte reichlich Basilosaurus-Fossilien ein und baute mit sehr vielen Wirbeln von mehreren verschiedenen Individuen eine 114 Fuß extralange Seeschlange unter dem Namen Hydrarchos zusammen, die sogar durch Europa tourte und erst später als Schwindel entlarvt wurde. Heute ist Basilosaurus cetoides das Nationaltier der US-Staaten Mississippi und Alabama, seine Verwandten in der Fayum-Oase Ägyptens heißen Basilosaurus isis. Das Tier unter der Decke des National Museum for Natural History soll das einzige Fossil in Originallänge weltweit sein und enthält die Original-Fundstücke, ergänzt durch Nachbildungen.
Insgesamt sind in der Halle der Ozeane viele wunderbare Exponate ausgestellt. Aber die Ausstellung gefällt mir trotzdem nicht. Sie ist sehr modern und multimedial aufgemacht, aber es fehlt an didaktischer Struktur. Die Exponate sind wenig strukturiert zusammengestellt. Original-Tiere schwimmen in ihrer konservierenden Flüssigkeit, aber die Gläser sind rund: Damit sind die so wunderbar authentischen Exponate nicht gut zu erkennen. Der Kontext zwischen den einzelnen Exponaten erschließt sich nicht immer, die Bedeutung der Ökosysteme geht wird nicht deutlich.
Dafür sind andere Ausstellungsbereiche umso besser: Eine Präsentation zur Vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere ist vom Allerfeinsten. Ich stand lange und immer wieder vor einzelnen Exponaten und habe viel gelernt. Meine wichtigste neue Information: Jetzt weiß ich endlich, wo der Kranich seine endlos lange Luftröhre läßt. Die Trachea liegt zusammengerollt im hohlen und wirklich großen Brustbein. In der Ausstellung „Sammlungswelten“ war ich erstmals mit diesem enormen Organ einiger Vögel konfrontiert worden, damals hatten wir uns gefragt, wie eine 2 Meter lange Luftröhre in einen nicht mehr als 20 Zentimeter langen Gänsehals passt.
Die Präparate sind jedenfalls erstklassig, so etwas wird heute viel zu selten geboten. So ein Fisch- Skelett mit seinen unglaublich vielen Schädelknochenplatten und den fragilen Flossenstrahlen kostet einen Präparatoren extrem viel Zeit und erfordert exquisite Anatomiekenntnisse. Dagegen ist das Montieren eines Säugetieres wesentlich weniger kompliziert, aber auch immer noch eine Herausforderung. Diesen Ausflug in die Anatomie habe ich wirklich genossen.
Weiterhin sehr positiv überrascht war ich von der ausgezeichneten Ausstellung zur Evolution des Menschen. Sowohl die Präparate als auch die Didaktik und Ästhetik sind erstklassig. Ein anderes Highlight ist die Meteoritenausstellung, immerhin gibt es hier einen Nakhla-Meteoriten, also einen Meteoriten vom Mars.
Star Trek-Momente: Die echte “USS-Enterprise” und „Tea. Earl Grey. Hot.“
Unser nächster Gang führte natürlich in das Smithsonian National Air and Space Museum, ein Luft- und Raumfahrtmuseum der Extraklasse. Das Original-Kommandomodul von Apollo 11 und viele Exponate, die wirklich auf dem Mond waren. Das erste Flugzeug der Brüder Wright. Die Spirit of St. Louis, der erste Flieger, der die Atlantik-Überquerung geschafft hat. Auch das Treffen der Apollo-Vostok-Raumschiffe ist nachgestellt, mit zwei echten Raumschiffen.
Und dann ist da noch das frisch renovierte Studiomodell der echten “USS Enterprise“ aus den Filmen mit William Shatner und Leonard Nimoy. Nach einem lange unterschätzten Dasein als lieblose Dekoration im Gift-Shop erstrahlte das berühmte Raumschiff nach der sorgfältigen und umfassenden Restaurierung in neuem Glanz. Das Modell steht jetzt in einer eigenen Vitrine im Eingangsbereich des Museums. Tipp: Zur vollen Stunde gehen die Lichter an des Raumschiffes an, die rosa rotierenden Antriebsgondeln-Spitzen sind allerliebst.
Aus diesem Grund habe ich mir den Spaß erlaubt, in meiner Sternenflottenuniform gewandet und mit vollem Make-up mit spitzen Ohren ins Museum zu gehen. Die Sternenflottenuniform – ich trage „Classic“ – hat in den USA noch einen wesentlich höheren Bekanntheitsgrad als in Deutschland. Wir kamen deshalb mit etlichen Leuten ins Gespräch, natürlich wollten viele ein Photo haben. Star Trek steht aber für wesentlich mehr, als für eine gute SF-Serie: Star Trek hat das Ziel der friedlichen Erforschung des Weltraums, auf der Brücke der Enterprise arbeiteten in Zeiten des Kalten Krieges US-Amerikaner, Japaner und sogar ein Russe nebeneinander und waren ein Team. Und dann gab es zwischen all diesen männlichen Offizieren auch noch einen weiblichen Offizier, Lieutenat Uhura. Eine Afro-Amerikanerin, die mit weißen Männern zusammen arbeitete und Abenteuer erlebte. Eines der allergrößten Abenteuer im Star Trek-Universum war der erste angedeutete Kuß zwischen einem weißen Mann (James Tiberius Kirk) und einer afro-amerikanischen Frau (Nyota Uhura). Die Folge „Platons Stiefkinder“ haben mehrere Sendeanstalten im Süden der USA nicht ausgestrahlt, da sie gegen die Vorstellung der Rassentrennung verstieß. Als die Darstellerin Nichelle Nichols aufgrund ihrer doch eher kleinen Rolle keine Lust mehr hatte, nach der 1. Staffel noch weitere Folgen zu drehen, überzeugte der Bürgerrechtler Martin Luther King sie im persönlichen Gespräch, unbedingt Mitglied der Brückenbesatzung zu bleiben. Sie sei ein wichtiges Zeichen der Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die afroamerikanische Bevölkerung. Darum hat eine Star Trek-Uniform einen hohen Symbolwert.
Eine Afro-Amerikanerin schaute mich an, kam auf mich zu und sagte: „You are the first light I see since the election.“ Die Frau hatte Tränen in den Augen. Ich nahm sie in den Arm und sprach mit ihr, sagte ihr, dass auch viele Europäer entsetzt von der Wahl seien. Und musste erst einmal schlucken. Kurz danach ging eine Schulklasse an mir vorbei. Die afroamerikanische Lehrerin guckte mich an und befahl ihren Schülern, auf der Stelle stehen zu bleiben, weil sie jetzt sofort ein Photo mit mir machen müsse. Die Schüler blieben mitnichten stehen, sondern kamen alle zu mir und wollten ein Photo und knuddeln. Und so ging es weiter. So etwas habe ich noch nicht erlebt, es hat mich tief berührt.
Die Museen der Smithsonian-Stiftung kosten übrigens gar keinen Eintritt und sind dementsprechend extrem voll mit Menschen aller Altersgruppen. Diese Paläste des Wissens stehen in krassem Gegensatz zur Verbreitung der Kreationisten und Intelligent Design-Anhänger. Dabei war die Smithsonian Stiftung doch gegründet worden, um mit Humbug und Scharlatanerie aufzuräumen.
Neben den Tempeln des Wissens, den Regierungsgebäuden, dem Trump-Tower mit Bling-Bling-Goldflitter und anderen prätentiösen Palästen fallen die Obdachlosen in Washington noch stärker auf als in New York. Der Gegensatz von Arm und Reich und die Verbreitung der Armut sind viel offensichtlicher als in europäischen Großstädten. Wenn unter der Trump-Ägide die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter aufgehen soll, wie wird es dann erst in einigen Jahren aussehen?
Landesüblicherweise gingen wir zum Frühstücken in ein Etablissement, das die Kaffee- und Tee-Maschinerie sowie eine Frühstücks-Auswahl zu Wucherpreisen anbot. Auch die Frühstückskultur ist in den USA anders. Auf meine Bestellung „Tee“, kam die Nachfrage, ob ich meinen Tee heiß oder kalt wolle. Was für eine Frage. „Hot“, natürlich. Ich fühlte mich ähnlich genervt wie Captain Picard bei seiner Teebestellung am Replikator. Noch ein Star Trek-Moment.
Am Wochenende hatte die Mall noch eine weitere Attraktion: Die Karawane der schreibunt lackierten Food-Trucks. Eine Art Little-India-Pakistan-Mexico-and-something auf Rädern. Helal-Food, Falafel und Soft-Eis. Überlagert von strengem Frittenbuden-Geruch und akustisch bereichert mit Bollywood-Musik.
In Washington stehen diese Foodtruck-Reihen in dafür vorgesehenen Straßenabschnitten zu planbaren Zeiten und ersetzen die vielen kleinen Restaurants und Delis, die wir in New York so schätzen gelernt hatten. Was ich nicht schätze: Die Menge der Verpackung, die beim Essen anfällt und das Essen aus Pappe, Papier und Plastik. Meine Tischkultur sträubte sich dagegen und wurde mit jedem Tag zickiger.
Unser Rückweg führte uns zunächst wieder nach New York, von dort aus nach Europa. Während wir im Ronald Reagan Washington National Airport auf unseren verspäteten Flug warteten, fand eine Versammlung von Breitbart-Anhängern statt, wie wir hinterher aus der Presse erfuhren. Noch so eine Trump-Sache. „Breitbart“ ist eine Nachrichtenseite und steht für ein rechtsextremes, rassistisches, frauenfeindliches Weltbild rechts der Republikaner. Und der Breitbart-Chef Steve Bannon ist nun der Chef-Stratege des designierten US-Präsidenten Trump. Auf den ersten Blick sind die Breitbart-Seiten nur schreiend und hinterlassen ein unangenehmes Geschmäckle. Erst beim näheren Hinschauen wird die Rechts-Polemik deutlicher. Immerhin hat der Cornflakes-Produzent Kellogg’s seine Werbe-Anzeigen auf der rechtsextremen Breitbart-Website Breitbart storniert. Die Begründung der Frühstücksflocken-Produzenten: „Die Werte der frauenfeindlichen Seite würden sich nicht mit den Familien-Werten von Kellogg‘s decken.“
Ganz genau sagte die Kellogg Company: [the site wasn´t ]“aligned with our values”. Recent inflammatory stories include “Birth Control Makes Women Unattractive And Crazy”; “Data: Young Muslims In The West Are A Ticking Time-Bomb” and “Would You Rather Your Child Had Feminism Or Cancer?”. “We regularly work with our media-buying partners to ensure our ads do not appear on sites that aren’t aligned with our values as a company,” Kris Charles, a spokeswoman for Kellogg’s, told Bloomberg. “We recently reviewed the list of sites where our ads can be placed and decided to discontinue advertising on Breitbart.com. We are working to remove our ads from that site.”
Darum rufen Trump-Anhänger jetzt zum Boykott der uramerikanischen Traditions-Cerealien auf. „Breitbart“-Medienbeiträge erscheinen etwa so absurd wie „MAD“ oder die „heute-show“. Aber sie sind extrem aggressiv und planen auch den Start in Deutschland. Wir sollten das im Auge behalten.
Vielleicht sollte ich aus Solidarität gegen Trump mal wieder Cornflakes frühstücken?
Auf jeden Fall aber will ich zum Frühstück „Tee. Earl Grey. Heiß.“. Oder einen Ceylon, da bin ich noch unentschlossen. Und ganz bestimmt frühstücken wir von Porzellangeschirr, das auf einem Stoff-Tischtuch steht.
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