Gerade geistert ein Geisterhai durch die unergründlichen Tiefen der Medienlandschaften.
Der Begriff “Geisterhai” ist mir unbekannt. Das Bild zeigt allerdings ganz klar eine Chimäre.
Die Gruppe, zu der das Tier gehört, sind die Chimaeriformes. Durch die Übersetzung der Pressemeldungen aus dem Englischen wurde auch der entsprechende Name mit übernommen: Im Englischen ist ghostshark der übliche Trivialname, im Deutschen sind Chimäre oder Seekatze die gebräuchlichen Namen.
Die Chimären-Art Hydrolagus trolli, die „pointy-nosed blue chimaera“, hat keinen regulären deutschen Namen, schließlich kommt sie normalerweise weder in deutschen Gewässern noch in deutschen Medien vor. Sondern entzieht sich unseren Blicken und Headlines, abgetaucht in den Tiefen des Pazifiks. Übersetzt wäre der Name dieses ganz speziellen Knorpelfisches „Blaue Spitznasen-Chimäre“ oder „Spitznasige Blau-Chimäre“.
Big ROV is watching you!
Für die Biologen sind die Filmsequenzen, die jetzt gehypt werden, so aufregend, weil sie der erste Nachweis einer „Pointy-nosed blue chimaera” in diesem Seegebiet vor der kalifornischen Küste sind. Und weil es Lebendbeobachtungen sind:
“The occurrence of Hydrolagus cf. trolli is reported for the first time from the central and eastern North Pacific Ocean. This is a geographic range extension for this species, as it was previously only known to occur in the southern Pacific Ocean off of Australia, New Zealand, and New Caledonia.” schreiben Amber N. Reichert, Lonny Lundsten und David A. Ebert in ihrer Publikation „First North Pacific records of the pointy nosed blue chimaera, Hydrolagus cf. trolli (Chondrichthyes: Chimaeriformes: Chimaeridae)”
Natürlich hat mal wieder ein Tauchroboter-Vehikel die mysteriöse Lebensform beobachtet und geknipst: “During a series of remotely operated vehicle (ROV) deep-sea surveys off the California coast and west of the Hawaiian Islands conducted by the Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI), a large, bluish, short-nosed Hydrolagus species was observed on several occasions. Here we report on the occurrence of these Hydrolagus specimens that we have identified as Hydrolagus cf. trolli.”
Genauer gesagt, geht es sogar um sechs Sichtungen. Die Biologen haben sich Filmaufnahmen mit noch nicht identifizierten Hydrolagus-Sichtungen noch einmal angeschaut und taxonomisch ausgewertet.
Die Tiere schwammen über Seamounts und anderen Fest-Substraten im tiefen Wasser vor dem zentralen und südlichen Kalifornien sowie westlich von Hawaii: “These records are of a large, bluish, short-nosed chimaera that had never before been observed previously in the central or eastern North Pacific. Surveys T0664-10, T0215-01, and, T0296-12 from the San Juan Seamount, Monterey Submarine Canyon, and from off the Hawaiian islands, respectively, were initially identified as H. cf. trolli by one of us (D.A. Ebert), and D.A. Didier (Millersville University) and L.A.K. Barnett (University California, Davis).” Die T-Codes benennen den jeweiligen Tauchgang.
Hydrolagus trolli ist erst 2001 wissenschaftlich beschrieben worden und jetzt erst sind die Aufnahmen der lebenden Tiere veröffentlicht worden. Das ist schon eine kleine Sensation, denn Lebend-Beobachtungen von Tiefseeorganismen sind auch heute noch rar. Wobei Hydrolagus trolli zwischen 612 – 1707 Metern Tiefe lebt, also eher im oberen Bereich der Tiefsee.
Hydrolagus: Lavendelblau und drei Fortpflanzungsorgane
Chimären sind nur von Experten zu identifizieren. Die exakten Abstände, Form und Abmessungen der Flossen, Position und Größe des Giftstachels in der ersten Rückenflosse, kleine Farbmarkierungen am Flossensaum und vor allem der exakte Verlauf der Seitenlinien auf dem Kopf sind taxonomisch wichtige Merkmale. Das Seitenlinienorgan nimmt Bewegungsreize auf, es verläuft einreihig über die Flanken und bildet im Kopfbereich mehrere Linien aus, die wie Nähte aussehen. Diese Poren-Bordüre hat eine art- und gattungsspezifische Form.
Die Entdeckerin der neuen Hydrolagus-Art und Chimären-Expertin Dominique Didier Dagit (Academy of Natural Sciences in Philadelphia) nannte als besonders wichtige Merkmale von Hydrolagus trolli die lavendelblaue Farbe und die überdurchschnittlich lange Nase sowie einige andere Details am Kopf, den Fortpflanzungsorganen und am Skelett: „The trolli has other different features on its head, the sex organs are different and the number of spines and its skeletal structure set it apart from other ratfish.”
Die Identifikation eines vorbeischwimmenden Tieres ist noch schwieriger als die eines gefangenen Exemplars, schließlich dreht und wendet sich das Tier im Licht und Dunkel zwischen Scheinwerferlicht und Tiefsee. Darum sind sich die Biologen auch nicht ganz sicher, ob eine der Sichtungen möglicherweise doch nicht Hydrolagus cf. trolli ist, sondern eine andere, neue Art. Das wird sich mit Sicherheit vielleicht erst nach einem entsprechenden Totfund herausfinden lassen, wenn die Biologen neben den äußeren Körper-Merkmalen auch innere Merkmale detailliert analysieren und noch die molekulare Signatur zum Arten-Abgleich nutzen können.
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