Was haben kardio-pulmonäre Forschung, Angiogenese und Epigenetik miteinander zu tun?
Ziemlich viel.
„Volks“krankheiten wie Fettleibigkeit oder Diabetes können epigenetisch verankert und vererbt werden.
Der Mensch als Marionette seiner Gene – diese Weltsicht stimmt nicht mehr!
Die Gene prägen den Menschen UND der Mensch prägt die Wirkung seiner Gene.
Das Epigenom ist also eine weitere Informationsebene neben dem schon bekannten Genom!

„Die Erforschung epigenetischer Prozesse findet auf molekularer Ebene statt. Ihre Ergebnisse haben Einfluss auf den ganzen Organismus: Epigenetisch erworbene und vererbte Erkrankungen wie Adipositas oder Diabetes betreffen immer mehr Menschen und haben einen direkten Einfluss auf die kardio-vaskulären Funktionen.“ erklärt Dr. Christian Fork dazu.
Der Molekularbiologe forscht in einem interdisziplinäre Team unter der Leitung von Herrn Professor Dr. Brandes  an molekularen Fragestellungen, die im Kontext mit weit verbreiteten kardio-vaskulären Erkrankungen stehen. Diese Forschungsergebnisse können die Basis für neuartige Konzepte der Diagnose, Vorbeugung und Therapie kardio-vaskulärer Erkrankungen bilden. Die Arbeitsgruppe gehört zum Exzellenzcluster Kardio-Pulmonäre Systeme (Excellcence Cluster Cardio-Pulmonary System = ECCPS) der Goethe-Universität.

Was ist Epigenetik?

Der Begriff „Epigenetik“ ist zusammengesetzt aus „Genetik“ und „Epigenese“ (Entwicklung).
Die Genome, also die Gesamtheit aller Gene, werden von den Eltern vererbt und unterliegen i. d. R. keinen starken Veränderungen. Das Epigenom aber formt sich im Laufe des Lebens durch Umwelteinflüsse aus – es ist veränderlich!
Und reversibel!
Chemische oder physikalische Umweltfaktoren können epigenetische Veränderungen verursachen. Aber auch biologische, psychische und soziale Faktoren wie Emotionen oder Ernährung können das Epigenom modifizieren.
Die Epigenetik ist das Bindeglied zwischen Umwelteinflüssen und Genen: Sie bestimmt mit, unter welchen Umständen welches Gen an- oder ausgeschaltet wird.
Epigenetik ist also eine Regulation der Genexpression!

„Die Gene mehrzelliger Organismen sind mit zellspezifischen, entwicklungsgesteuerten, epigenetischen Kodierungen „überzogen“: Epigenetik ist also „um das Gen herum“.“
sagt Herr Dr. Fork. „Der epigenetische Code schaltet ein Gen an oder aus. Dies verändert die morphologischen und physiologischen Eigenschaften eines Organismus – unabhängig von seiner DNA-Sequenz.
Die epigenetischen Kodierungen strukturieren die Chromosomen und steuern dadurch die Gen-Aktivität. Sie können Gene oder Genomabschnitte stumm schalten (geändert, 05.03.meertext).“

Wie kann sich das Epigenom verändern?

Die Epigenetik ist noch ein sehr junges Wissenschaftsgebiet: Erst vor etwa 10 Jahren wurde die erste Demethylase entdeckt, die Histone demethylisiert.

Methylierung und Acetylierung beeinflussen die Konformation des Chromatins.
Chromatin
ist das Material, aus dem die Chromosomen bestehen – ein Komplex aus DNA und spezifischen Proteinen, von denen etwa die Hälfte Histone sind.
Die Histone steuern die Zustandsformen Heterochromatin (inaktiv) und Euchromatin (=aktiv).
Heterochromatin ist der inaktive Anteil bzw. Zustand des Chromatins. Es ist so dicht gepackt, dass der Reader nicht andocken kann – darum gibt es hier keine Transkription.
Euchromatin ist der aktive Anteil – bzw. die aktive Zustandsform – des Chromatins. Das Chromatingerüst im Karyoplasma der Zelle ist aufgelockert, hier können dann Writer-Enzyme andocken. Im Euchromatin findet der überwiegende Teil der Genaktivität statt.

Verschiedene Katalysator-Enzyme steuern diese Aktivitäten dies können z.B sein:
– Histon-Methyl-Transferasen („Writer“)
– Histon-Demethylasen („Eraser“)
– Proteine („Reader“) zum Lesen und Interpretieren der Markierungen.
Abhängig an welcher Stelle die Markierungen im Chromatin durch „Writer“ und „Eraser“ gesetzt werden, werden Gene an- oder abgeschaltet.

„Die wesentlichen epigenetischen Modifikationen sind DNA-Methylierungen, RNA-Modifikationen und Histon-Modifikationen.“ erklärt Herr Dr. Fork. „Ich befasse mich mit Histon-Modifikationen, die mit einer Veränderung der Chromatin-Struktur einhergehen.“
Die DNA ist im Zellkern an Histone gebunden. Histone sind basische Proteine im Zellkern von Eukaryoten und als Bestandteile des Chromatins wichtig für die Verpackung der DNA. Man kann sie sich vorstellen als Spulen, um die sich die DNA windet. (Abb.)
“Es gibt vier verschiedene sogenannte „Core“-Histonproteine: Histon 2A, Histon 2B, Histon 3 und Histon 4.Jeweils zwei Moleküle jedes Proteins – also insgesamt acht oder ein Oktamer – bilden den Kern eines Nukleosoms, auf das 146 Basenpaare eines DNA-Stranges aufgewickelt sind.“
Ein Nukleosom ist die erste Verpackungsstufe der DNA höherer Zellen und besteht aus DNA, snRNA und Histonen. „Diese vier Core-Histone werden zurzeit intensiv erforscht.  Sie regulieren, ob ein Gen transkripionell aktiv ist oder nicht.“

Tatort: Histon-Seitenkette

Auch die Histon-Seitenketten in den Nukleosomen können enzymatisch verändert werden.
Die Enden der Histonstränge ragen aus dem Nukleosom heraus, hier können die Histon-modifizierenden Enzyme ansetzen (Abb.).
Modifizierungen sind möglich durch
– Methylierungen an den Aminosäuren Lysin, Histidin oder Arginin
– Acetylierungen an den Aminosäuren Lysin, Histidin oder Arginin
– Phosphorylierungen an der Aminosäure Serin.
Es gibt auch noch andere Modifizierungen, aber die sind seltener.

„Besonders wichtig sind die N-terminalen Enden von Histonen:  dort erfolgen die wesentlichen Modifikationen für die Genregulation. Eine Acetylierung blockiert die positive Ladung der Aminosäurekette und lockert so die Interaktion des Histons mit DNA. Daher erleichtert die Histon-Acetylierung die RNA-Transkription und ist ein fördernder Mechanismus der Genexpression.
Da die Methylierung – unser Forschungsgebiet – anders als die Acetylierung, die positive Ladung von Lysin und auch bei Arginin weniger stark beeinflusst, kann eine Histon-Methylierung die RNA-Transkription sowohl steigern als auch hemmen. Der letztliche Effekt ist eine Funktion des individuell modifizierten Aminosäurerestes in einem Histon. Er ist abhängig von der Zahl der Methylierungen an den entsprechenden Lysinen im Histon. Neben der einfachen finden sich auch zweifache und dreifache Methylierungen. So führt eine Histon 3 Di- und Trimethylierung an Position 4 (H3K4) zur Steigerung der Transkription, während eine Histon H3K9- und H3K27-Methylierung eher hemmend wirkt (Abb.1&2). Besonders die H3K4me3/2 Markierung ist häufig am Trankriptions-Startpunkt zu finden. Entsprechende Methylierungs-Änderungen werden dabei durch Histon-Methyltransferasen „Writer“ und Histon-Demethylasen „Eraser“ katalysiert. Andere Proteine, die sogenannte „Reader“, lesen  und Interpretieren diese Markierungen. Solche epigenetischen Vorgänge führen zum kompakten Heterochromatin und der Genrepression. Oder zum offeneren Euchromatin und der  Genexpression (Abb. 2).“

Video:

Wie läuft solche Forschung ab?

Wir untersuchen Gene von Zellen des Gefäßsystems (Vaskuläres System), die epigenetisch kontrolliert werden. Das können Gene sein, die für die Stickstoffmonoxid-Synthase codieren, das Enzym produziert NO (Stickstoffmonoxid). Dies beeinflußt die glatte Muskulatur und führt zur Erweiterung von Gefäßen (=Gefäßdilatation). Ein Mangel an NO führt zur Verringerung des Gefäßlumens (=Gefäßkontraktion) und somit zu einer Hypertonie. Auch Gene, die für die Bildung von neuen Blutgefäßen sehr wichtig sind, interessieren uns. Ein Beispiel dafür ist der vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktor (VEGF).
„Zuerst führen wir Experimente mit Zellkulturen durch: Welche Auswirkungen hat es, wenn einzelne epigenetisch modifzierende Enzyme ein- oder ausgeschaltet werden? Wenn wir dann einen „Kandidaten“ identifiziert haben, der bestimmte Gene des vaskulären Bereichs epigenetisch kontrolliert, publizieren wir dieses Ergebnis. Dann können auf der Basis unserer Forschungsergebnisse zu dem spezifischen Protein neue Wirkstoffe oder Medikamente entwickelt werden.“

Angiogenese – Schlüssel zu Herzerkrankungen und Tumorbildung

Angiogenese – die Gefäßneubildung durch Aussprossung von Endothelzellen aus bestehenden Blutgefäßen – ist ein Prozess von größter physiologischer Bedeutung!
Sie findet im Rahmen der Entwicklung eines Organismus und bei Heilungsprozessen nach Verletzungen statt.  Sowohl eine zu geringe Angiogenese, als auch eine zu starke Gefäßneubildung spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Krankheiten.
Die Gefäßfunktion regelt unter anderem den Blutdruck. Eine Störung – also eine  endotheliale Dysfunktion – führt oft zu vaskulären Erkrankungen wie Hypertonie, Herzinsuffizienz oder Arteriosklerose.“
Bei Arteriosklerose kommt es durch die Verengung der Gefäße zu Sauerstoffmangel in verschiedenen Geweben des Körpers. Letztendlich drohen Herzinfarkt, Schlaganfall, Belastungsschmerzen wie Angina Pectoris oder Gehschmerzen durch einen arteriellen Verschluss am Bein.
Durch eine Steigerung der Angiogenese könnte die Sauerstoffversorgung im Zielgewebe wieder erhöht werden – die unmittelbare Gefahr wäre gebannt!

„Auf der anderen Seite ist die Angiogenese ein wichtiger permissiver (=durchlässiger) Faktor für Erkrankungen mit überschießender Zellneubildung. Dazu gehören etwa Tumorerkrankungen oder die Erblindung Retinopathie. In beiden Fällen kommt es aufgrund einer mangelnden Sauerstoffversorgung im Gewebe zur übersteigerten Gefäßneubildung. Diese verbessert die Ernährung des Tumors und ermöglicht darüber Tumorwachstum und Metastasenbildung. Und im Auge des Diabetikers werden Gefäße mit zu schwachen Wänden gebildet, die später platzen und schließlich zur Erblindung führen können. Darum wird seit Jahren intensiv an Therapien gearbeitet, die Angiogenese zu verstärken – z. B. bei KHK und diabetischem Fuß – bzw. zu hemmen – z. B. bei Tumorerkrankungen.
Diese Befunde belegen eindrucksvoll, dass die Angiogenese ein therapeutisches Ziel größter Wichtigkeit ist für eine Vielzahl an häufigen und medizinisch ausgesprochen bedeutsamen Erkrankungen.“

(Ein herzliches Dankeschön an Herrn Dr. Fork für das Interview direkt aus dem Herzen des Exzellenzclusters. Vor allem für seine geduldigen Erklärungen, was Epigenetik mit Angiogenese zu tun hat.
Dieses Interview ist schon 2017 entstanden, als ich am FB Medizin der Goethe-Universität den Fach-Blog “puls.” für die Medizinstudierenden und andere Fachbereichsmitglieder schrieb. Der Blog wurde eingestellt, die Texte sind auf meine domain meertext.puls umgezogen.)

Kommentare (42)

  1. #1 Gerhard
    8. September 2014

    Mir fehlt nat. die breite theoretische Basis, habe es dennoch mit Gewinn gelesen. Danke dafür.

  2. #2 Bettina Wurche
    8. September 2014

    @ Gerhard: ich bitte um Entschuldigung, der Beitrag war noch nicht ganz fertig (die Abbildungen fehlten noch), er sollte noch nicht online gehen.

  3. #3 tomtoo
    3. März 2017

    @Bettina
    Vielen Dank !

    Ich hab da mal was gelesen.
    https://www.scinexx.de/wissen-aktuell-12136-2010-08-20.html

    Dieses Zusammenspiel zwichen DNA und Epigenetig und Vererbung das erscheint mir sehr komplex.

  4. #4 Alisier
    3. März 2017

    Ich finde es sehr schön, Frau Wurche, dass sie uns den Beitrag trotz Unfertigkeit jetzt schon zu lesen geben. Und Epigenetik ist ja auch ein extrem spannendes Thema, wobei neben den bekannten Mechanismen noch einige Fragen offen sind. Ich denke, da kommt in den nächsten Jahren noch einiges an Erkenntnissen auf uns zu.

  5. #5 tomtoo
    3. März 2017

    Wenn über die Epigenetik auch nur kurzfristig (ein paar Generationen) verändertes Verhalten weitergegeben würde. Hätte es ja dennoch auch langfristig Einfluss auf die DNA. Dann würde ja wieder survival of the fittest zu tragen kommen. So eine Art System um sich beschleunigt an die Umgebung anzupassen ?

  6. #6 rolak
    3. März 2017

    beschleunigt an die Umgebung anzupassen ?

    Sich im Rahmen der durch das Genom vorgegebenen Grenzen auf zeitlich lokale und relativ schnelle Änderungen besser einzustellen, tomtoo – wie jede Wirkung nicht ohne Nebenwirkungen.

    Ein bißchen, ein ganz klein wenig reibe ich mich jedesmal am Begriff ‘Epigenetik’. Schon sehr früh in der Ära der genaueren Sequenzierung schien (mir) aus den Veröffentlichungen klar zu sein, daß neben den bekannten vier Buchstaben (zum Aussitzen) noch etwas mehr im Alphabet vorhanden sein müßte, um zu regeln, was wann wo gelesen/exprimiert wird. Doch als endlich ein Mechanismus (unter mehreren) dafür sauber belegt ist, bekommt das Ganze einen neuen Namen, obwohl imho klar Teilprozeß der Genetik, wird Zweiteilung propagiert, fachlicher Zwiedenk, künstliche Denkgrenzen auftürmend.
    ‘Ohne Quarks Quantenphysik, mit Epiquantenphysik’ klingt klar bananas, ist der andere Sprachunsinn einfach zu etabliert?.

  7. #7 Laie
    4. März 2017

    Sehr interessanter Beitrag!

    Wenn ich das richtig deute, werden die Menschen durch negative Einflüsse epigenetisch weiter degenerieren.

    Sind die Probleme der westlichen Welt, wie Unfruchtbarkeit (siehe niedrige Spermienqualität bei Männern) auch als epigenetische Einflüsse durch Umweltverschmutzung und Lebensweise zu werten?

  8. #8 tomtoo
    4. März 2017

    @Laie

    Du musst erst mal für einen kurzen Moment von dir selbst los lassen. Sehen (hören) wie ein Zahnwal. Und das hat nichts mit Esoterik zu tun.

  9. #9 Dr. Webbaer
    4. März 2017

    Die Epigenetik ist eine faszinierende Angelegenheit, auch für den Laien; Herr Dr. Courts hat dankenswerterweise, Ihnen sei ebenfalls gedankt, Frau Wurche, hierzu einiges geschrieben.

    Die Epigenetik macht evolutionär Sinn, weil sie generationenübergreifend Information übertragen könnte, es ergibt sich in der Evolutionstheorie (Mutation und Selektivität und so) nämlich dbzgl. eine Lücke.

    MFG
    Dr. Webbaer

  10. #10 Bettina Wurche
    4. März 2017

    @Laie: Im Moment sind vor allem die “negativen”, pathogenen epigenetischen Einflüsse untersucht. Ob die Unfruchtbarkeit dazu zählt, weiß ich nicht. Eine Anreicherung von schädlichen Chemikalien im Gewebe könnte sehr wohl zu epigenetischen Veränderungen führen, einige haben ja u. a. Auswirkungen wie Hormone. Dazu hab eich aber noch nie recherchiert. Neigungen etwa zu Krebserkrankungen, Depressionen (durch Kriegstraumata) etc sind sehr wohl im Genom nachweisbar.
    Ich bin sicher, dass wir in dieser Forschungsrichtung noch ganz am Anfang stehen und da noch viel herauskommt.

  11. #11 Bettina Wurche
    4. März 2017

    @tomtoo: Absolut. Wir haben bloß zurzeit einen verengten Blickinkel auf negative Einflüsse. Eigentlich müssten genauso im Laufe des Lebens erworbene positive Einflüsse Änderungen im Genom bewirken.

  12. #12 Bettina Wurche
    4. März 2017

    @Alisier: Fertig war er schon, da steckt auch sehr viel Arbeit ´drin. Ich war bloß mit dem Ergebnis nicht so zufrieden : )

  13. #13 zimtspinne
    4. März 2017

    @ Bettina

    Letztlich hängt es aber doch wieder von der genetischen Ausstattung ab, ob und wie stark sich Kriegstraumata epigenetisch auswirken/ins Genom “einschreiben”, ebenso führt bei dem einen eine bestimmte Exposition (zB Tabakrauch) zu Methylierungen, bei anderen aber wieder nicht.
    Mir kommt es fast so vor, als sei die Methylierung der DNA überwiegend von Nachteil für ein Individuum…. und gar noch möglicherweise für seine Nachkommen, die im schlechtesten Fall dreifach “bestraft” werden – genetisch durch ‘blöde’ Gene, epigenetisch durch ‘blöde’ Lebensweise der Eltern und drittens auch noch durch familiäre Prägung, also umweltbedingt. Na vielen dank auch! =)

    Weshalb werden stattdessen nicht im Sinne von schnellerer Anpassung Gene inaktiv oder aktiv, die Fettleibigkeit, Insulinresistenz, Diabetes verhindern?
    einige Menschen haben ja bereits einen veränderten Kohlenhydratstoffwechsel, zum Beispiel, die können futtern, was sie wollen, ohne dass ihr Blutzuckerspiegel bei jedem Keks Achterbahn fährt und ohne dass er sich sofort auf den Hüften niederschlägt.
    Ich denke aber eher, dass dies weniger mit epigenetischen Aktivitäten zu tun hat und mehr mit der genetischen Grundausstattung.
    Irgend einen Nutzen wird das Epigenom wohl doch schon haben, sonst hätte es sich nicht entwickeln können. In der Richtung sollte vielleicht auch mal geforscht werden.
    Ansonsten werden nur diejenigen Geschäftswitterer reich, die Produkte anbieten, welche angeblich die richtigen Genschalter umlegen – das erinnert mich fatal an das ewige Wunderdiäten-Murmeltier. Und Superfood, auch so ein Unding.

  14. #14 Bettina Wurche
    4. März 2017

    @rolak: Mir kommt es so vor, als ob für diesen erst mal unerwarteteten, neuen Vorgang ein neuer Arbeitsbegriff eingeführt wurde. Und dann ist es dabei geblieben. Vielleicht sollten wir auch die Psychologie nicht vergessen: Es bringt sicherlich mehr Ruhm, einen ganz neuartigen Vorgang zu bennenen und als dessen Entdecker zu gelten, als ein neues Teil eines bereits etablierten Begriffs zu beschreiben – ist ja im Bereich der Taxonomie früher genauso gewesen : ). Jedenfalls ist der Begriff jetzt da und mit spezifischem Inhalt gefüllt.

  15. #15 Laie
    4. März 2017

    @Bettina Wurche
    Danke. Ich las mal etwas über die schlechte Spermienqualität von Männern im Westen und dachte deswegen an einen möglichen Zusammenhang.

    @tomtoo
    Haha, sehr witzig! 🙂 Wenn ich ein Wal oder Fred vom Jupiter wäre, dann könnte ich das sicher auch! Fred ist gerade bei mir zu Besuch, er kann dich hören!

    @zimtspinne
    Vermutlich haben die Gestaltung des eigenen Lebenumfelds und eigene Aktivitäten einen positiven epigenetischen oder sonstigen Einfluss, der wieder einiges ausgleicht. Es wurde berichtet, wie positiv der Einfluß moderater sportlicher Aktivität auf einige der angesprochenen Zivilisationsleiden habe – die Zeit muss man sich wohl nehmen dafür.

  16. #16 zimtspinne
    4. März 2017

    @ Laie

    Dass sportliche Aktivität ein starker protektiver Faktor ist, war aber auch schon vorher klar und epigenetisch scheint der auch leider nur wenig relevant zu sein….. sonst könnte man ja einfach seinen Sportakku ein Jahr lang intensiv aufladen, bräuchte für den Rest seines Lebens nichts mehr tun und die nächsten Generationen würden auch gleich noch davon profitieren.
    Ich möchte ja nicht bestreiten, dass sich jahrzehntelange sportliche Aktivitäten gesunder Natur (also kein Leistungssport o.ä.) in jedem Fall später im fortgeschrittenen Alter mal positiv auswirken, auch wenn dann sportlich kürzer getreten werden muss.
    Das könnte aber auch einfach daran liegen, dass sich der Sport und die Bewegung über die Jahre positiv auf den gesamten Organismus auswirkten, im Hinblick auf Verschleißerscheinungen der Organe, Regenerationsfähigkeit des gesamten Organismus und nicht zuletzt macht es auch einen Unterschied, ob viele einzelne Erkrankungen über das Leben hinweg Ressourcen und Gesundheit “fressen”, denn jede Erkrankung hinterlässt ja auch ihre Spuren.

  17. #17 rolak
    4. März 2017

    Genau dieses zB von diversen Skatabenden in Erinnerung gebliebene “Wer schreibt, der bleibt” schien hier ebenfalls maßgebliche Motivation zu sein, Bettina.
    Und selbstverständlich war es kein Antrag auf Entsorgung, sondern ein Konstatieren (bzw Dahingrummeln) des ‘unter Protest akzeptiert’.

  18. #18 Dr. Webbaer
    4. März 2017

    Howdy, Zimtspinne :

    Irgend einen Nutzen wird das Epigenom wohl doch schon haben, sonst hätte es sich nicht entwickeln können.

    Die Epigenetik ist ein “heißes Eisen”,
    Dr. W merkte weiter oben eigentlich nur an, dass sie evolutionär Sinn zu machen scheint.

    Wie geschrieben, es machte evolutionär Sinn generationenübergreifend [1] Nachricht zu übertragen.

    MFG + allgemein schönes Wochenende noch,
    Dr. Webbaer

    [1]
    -> https://www.duden.de/rechtschreibung/generationenuebergreifend

  19. #19 Bettina Wurche
    4. März 2017

    @zimtspinne: Dass wir vor über die negativ epigenetisch vererbten Aspekte informiert sind, liegt sicherlich daran, dass in der Medizin krankheitsfokussiert geforscht wird. Welchen “Nutzen” ein solcher Vorgang hat, vermag ich nicht zu sagen. Ich betrachte es eher so, dass ein Organismus, eine Art, ein Ökosystem sich im kontrollierten Chaos irgendwie zu erhalten versuchen. Lebende Systeme sind ja nicht statisch, sondern hochgradig turbulent und stetig in Aktion und Veränderung begriffen. Diese gerichtete Aktivität ist das, was “Leben” ausmacht. Es ist der Übergang aus dem chemischen System (mit seiner Entropie) in ein biologisches System. Soweit ich es bisher verstanden habe, ist das noch nicht so ganz im Detail verstanden.

  20. #20 zimtspinne
    4. März 2017

    @ Bettina

    Mir fiel gerade doch ein Beispiel für einen Nutzen ein…. und zwar haben Raucher irgendwelche speziellen Methylierungen, die als Schutzfaktor wirken.
    Ich müsste aber für genauere Infos nochmal nachschauen, geredet wird stets nur über DNA-Methylierung und scheinbar ganz automatisch davon ausgegangen, dass diese schädlich sein muss.
    Das bezweifle ich aber ganz stark… wie du sagst, es wird viel zu krankheitsfokussiert geforscht (klingt nett;))

    @ Webbaer

    Also zweifeln wir jetzt am besten das ganze Konzept der Epigenetik an oder wie darf ich den Einwand verstehen?

  21. #21 Ernie
    4. März 2017

    Ein sehr gut geschriebener Artikel, vielen Dank dafür
    Frau Wurche, dass sie am Thema dran bleiben. 🙂

    Hier noch ein weiterer Link dazu, ist aber schon etwas angestaubt:

    F1 and F2 generations had an increased behavioral sensitivity to the F0-conditioned odor

    https://www.nature.com/neuro/journal/v17/n1/full/nn.3594.html

  22. #22 fritz
    5. März 2017

    @ Kommentatorenfreund ‘zimtspinne’ :

    Also zweifeln wir jetzt am besten das ganze Konzept der Epigenetik an oder wie darf ich den Einwand verstehen?

    Andersherum.

    Dr. W sieht’s in etwa so :

    Epigenetik ist also eine Regulation der Genexpression!

    MFG
    Dr. Webbaer

  23. #23 Dr. Webbaer
    5. März 2017

    Upps, sr, die Nachricht war von ;

    Dr. Webbaer,

    sorry noch einmal, irgendetwas mit der Vorbelegung im hier genutzten sog. Browser hat wohl nicht gepasst.

    Dr. W sieht auch nicht mehr so gut.

  24. #24 Balanus
    5. März 2017

    Danke für den anregenden Beitrag zu einem durchaus schwierigen Thema!

    Schwierig vor allem deshalb, weil der Begriff „Epigenetik“ nur schwer mit Inhalt zu füllen ist.

    Sie schreiben:

    Der Begriff „Epigenetik“ ist zusammengesetzt aus „Genetik“ und „Epigenese“ (Entwicklung) .

    Besser gefällt mir die Erklärung des Begriffs, die Cornelius Courts mal so formuliert hat:

    Das Wort „Epigenetik“ mit seiner griechischen Vorsilbe „Epi“ (für „um …herum“ oder „zusätzlich zu“) bezeichnet Vorgänge, Phänomene und Prozesse, die als zusätzlich zur „klassischen“ Genetik aufgefasst werden können, wenn man unter letzterer einmal die Kodierung von Aminosäuren in der Abfolge (=Sequenz) der Nukleotide der DNA und die Vererbung nach den Mendelschen Regeln versteht.

    Epigenetische Veränderungen betreffen daher nicht die Nukleotidsequenz, also den eigentlichen Inhalt des Genoms, sondern z.B. die Entscheidung, ob und/oder in welcher Reihenfolge bestimmte Passagen des Genoms abgelesen, ob und wann also ein Gen exprimiert wird oder nicht.

    Es geht also um die differentielle Regulation der Genexpression, wie Sie ja auch schreiben, allerdings leicht abgeändert:

    »Epigenetik ist also eine Regulation der Genexpression!«

    Was bedeutet das Wörtchen „eine“ in diesem Satz?

    Warum nicht einfach so: Epigenetik (als Forschungsdisziplin) beschäftigt sich mit speziellen Aspekten der Regulation der Genexpression.

    Damit ist doch im Grund e alles gesagt. Bliebe nur noch zu klären, was die speziellen Aspekte sind. Nun, damit sind die DNA-Methylierungen und Histon-Modifaktionen gemeint, die bei der Genregulation eine wichtige Rolle spielen und in ihrer Gesamtheit als „Epigenom“ bezeichnet werden können.

    Wenn man nun noch weiß, dass an der Regulation der Genexpression notwendig Signale aus der Umgebung beteiligt sind und dass in seltenen Fällen Teile des Epigenoms über die Keimzellen an die nächste Generation weitergegeben werden können, dann
    ergeben Formulierungen wie die im Beitrag:

    Die Gene prägen den Menschen UND der Mensch prägt die Wirkung seiner Gene

    und

    Das Epigenom ist also eine weitere Informationsebene neben dem schon bekannten Genom!

    eigentlich keinen Sinn.

    Denn dann ist klar, dass sämtliche epigenetische Marker Teil der gengesteuerten Entwicklungsprozesse sind. Und dass die Epigenetik nun wirklich kein Argument liefern kann für die Behauptung, der Mensch sei keine „Marionette seiner Gene“.

  25. #25 Bettina Wurche
    5. März 2017

    @Zimtspinne: So habe ich Dr. Webbaer nicht verstanden.

  26. #26 Balanus
    6. März 2017

    @tomtoo / 3. März 2017

    » Dann würde ja wieder survival of the fittest zu tragen kommen. So eine Art System um sich beschleunigt an die Umgebung anzupassen ?«

    Wohl eher nicht.

    Es hat schon seinen Grund, warum so wenige epigenetische Marker an die nächste Generation weitergegeben werden und nach wenigen Generationen wieder verschwinden. Wäre es anders, würde die evolutionäre Fitness langfristig darunter leiden.

    Und das hat nichts mit dem „verengten Blickwinkel auf negative Einflüsse“ zu tun, wie Bettina Wurche meint, sondern hat schlicht mit den bekannten Evolutionsmechanismen zu tun, die dem evolutionären Wandel zugrunde liegen.

    Positive Effekte der persistierenden epigenetischen Marker sieht man, wenn ich nicht irre, vor allem im Pflanzenreich, denn eine Pflanze kann ja nicht so einfach den Standort wechseln, wenn z. B. das Wasser knapp wird.

    Wenn also eine vererbte epigenetische Markierung die Wahrscheinlichkeit für das Überleben der nächsten Generation erhöht, dann bleibt die genetische Information im evolutionären Spiel und kann durch Mutationen verändert werden.

  27. #27 anderer Michael
    6. März 2017

    Frau Wurche
    Man merkt schon , dass Sie sich auch als Journalistin verstehen. Zum wiederholten Male ist es Ihnen gelungen, ein komplexes Thema verständlich darzulegen. Diese Äußerung bitte nicht als gönnerhaft interpretieren ( mit Ihrem Wissen kann ich nicht mithalten) und die folgende Kritik bitte nicht so verstehen, als dass ich Sie in die Pfanne hauen möchte.

    Ich verstehe etwas trotz längerem Nachdenken nicht . Wieso soll eine epigenetische Veränderung der KörperZellen die Keimzellen, also das fixierte Erbgut ,verändern. Das geht nicht. Wo liegt mein Denkfehler? Gibt es ein Beispiel? Sofern jemand die genetische Disposition zur Entwicklung eines Diabetes mellitus II hat und eine Lebensführung hin zum métabolischen Syndrom hat und daraus resultierend ein solchen Diabetes entwickelt ( wobei epigenetisch die entsprechenden Gene freigeschaltet werden), in einem solchen wird er als Vater im Vollbild eines Diabetes mellitus ein Kind zeugend diese Freischaltung nicht vererben. Sondern nur die Disposition zum Diabetes mellitus II.

  28. #28 tomtoo
    6. März 2017

    @anderer Michael

    Schöne Frage. So wie ich das bis jetzt verstanden habe werden die Keimzellen durchaus auch beeinflusst die Methylierung bei der Befruchtung aber eigentlich sozusagen “restet”.Und diese Prozess scheint nich immer vollstäntdig zu sein.

    https://www.mpibpc.mpg.de/151074/Epigenetische_Markierungen

    Aber ich schreie da auch gerade um Hilfe.

  29. #29 Bettina Wurche
    6. März 2017

    @anderer Michael, @tomtoo: Ganz schnell zwischendurch: bitte den “Keimzellen” nicht verwenden. Gene sind Gene oder Erbgut, ja? Keine Zellen. Das Ganze findet IN der Zelle statt, die Strukturen sind viel kleiner: “Die DNA ist im Zellkern an Histone gebunden. Histone sind basische Proteine im Zellkern von Eukaryoten und als Bestandteile des Chromatins wichtig für die Verpackung der DNA. Man kann sie sich vorstellen als Spulen, um die sich die DNA windet.”
    Vielleicht wird es hier noch deutlicher:
    https://www.simplyscience.ch/teens-liesnach-archiv/articles/epigenetik-es-steht-doch-nicht-alles-in-den-genen.html
    Ich bin in der Vorbereitung für den nächtlichen Sentinel-Start, darum mache ich an dieser Stelle Schluß. Später gern mehr.

  30. #30 tomtoo
    6. März 2017

    Korriegiere: natürlich meinte ich die DNA in den Keimzellen

  31. #31 zimtspinne
    6. März 2017

    Ihr müsst erstmal einen Grundkurs in Genetik machen, anderer Michel & tomtoo 😀

  32. #32 zimtspinne
    6. März 2017

    @ Bettina
    Ich bin aber dennoch mit dieser Schlussfolgerung “es steht nicht in denen Genen” nicht ganz einverstanden.

    Gerade die Zwilligngsforschung zeigt immer wieder sehr anschaulich, wie stark die genetische Determination (trotz unterschiedlicher Umwelteinflüsse) ist.

    Außerdem übt die genetische Ausstattung eines Menschen auch indirekt einen großen Einfluss aus auf die Wahl der Umwelt, dieser genetische Einfluss nimmt mit steigendem Lebensalter sogar noch zu.
    Man sucht sich immer mehr die “Umwelt”, die zu einem passt, und Persönlichkeit, Intelligenz etc zu einem Großteil auch genetisch bedingt sind, schließt sich der Kreis doch immer wieder beim Genom.

    Gene sind es auch wiederum, die Vorlieben und Abneigungen und “Anfälligkeiten” (zB für Sucht, aber auch Essensvorlieben) “verursachen”, was dann zu bestimmten Genmodifikationen führt (zB durch Rauchen, permanentes Überessen…)

    Da fiele mir jetzt noch mehr ein…. aber ich lasse es mal. 😉

  33. #33 tomtoo
    6. März 2017

    @Zimtspinne

    Na danke ! Sehr hilfreich dein Kommentar.
    Wenigstens einen Link bzgl. des Themas hättest du ja beilegen können.

  34. #34 zimtspinne
    6. März 2017

    Nun sei doch nicht so zickig, war doch nicht bös gemeint.
    einen link habe ich so auf die Schnelle nicht, sorry.

  35. #35 tomtoo
    6. März 2017

    @Zimtspinne
    Böse : ) ? Du kennst mich nicht.

    Nö aber das Problem das “@anderer Michael” ansprach hab ich ja auch.

    Bis jetzt verstehe ich nicht so richtig wann die Methylierung bei der Befruchtung zurückgesetzt wird und wann nicht. Der Prozess scheint nicht so einfach zu sein.

  36. #36 anderer Michael
    6. März 2017

    Frau Wurche
    Danke für den Link. Erbgut oder Gene sind eindeutigere Begriffe. Ich wollte nur Ausdrücke wie Gameten, haploid, diploid usw. vermeiden.
    Den Link habe ich gelesen. Ein Beispiel wird dort angeführt. Dass unterernährte Frauen am Ende des II Weltkrieges in den Niederlanden ( es gab dort auch Hungertote! Wenig bekannt in Deutschland), untergewichtige Kinder zur Welt bringen, leuchtet jedem ein. Dass diese Kinder später bei guter Ernährungssituation wiederum auch untergewichtige Kinder zur Welt bringen, erscheint zunächst nicht erklärlich.
    Aber wieso kann als Erklärung nicht auch dienen, dass der Utérus während ihrer Embroyonalzeit bedingt durch die Unterernährung ihrer Mütter nicht genügend sich entwickelte. Dadurch können sich plazentare Minderfunktionen einstellen( reine Vermutung meinerseits).

  37. #37 anderer Michael
    6. März 2017

    Ich habe mich ein wenig belesen . Epigenetik ist ein großes Thema geworden, auch populärwissenschaftlich.
    So wie ich es verstanden habe, ist die Vererbung epigenetischer Veränderungen eine Hypothese beim Menschen. Etwas anderes ist es , wenn im Mutterleib bereits durch Umwelteinflüsse epigenetische Phänomene auftreten. Das ist aber keine Vererbung.

    Bei Wikipedia gibt sogar auch ein Hinweis darauf, dass Homosexualität epigenetisch verursacht sein könnte. Die Urheber betonen ausdrücklich, es ist eine nicht bewiesene These.

    Wenigstens verstehe ich jetzt etwas mehr davon ( vorher eigentlich so gut wie nichts).
    🙂

  38. #38 Balanus
    6. März 2017

    @anderer Michael

    »Etwas anderes ist es , wenn im Mutterleib bereits durch Umwelteinflüsse epigenetische Phänomene auftreten. Das ist aber keine Vererbung.«

    Völlig richtig, die Möglichkeit, dass auch die Keimzellen des Embryos einer schwangeren Frau bei einer Hungerperiode epigenetisch markiert werden könnten, ist in Betracht zu ziehen. Das Hungern könnte so auf einen Schlag zwei Generationen epigenetisch modifizieren, Kind und Enkelkind—ganz ohne Vererbung.

  39. #39 Gerhard
    7. März 2017

    Was @tomtoo anfangs anführte, daß man starke Hinweise hat, daß Verhaltensstörungen epigenetisch weitergereicht werden (können), machte mich baff.
    Was heißt denn das?
    Ich habe es so “gelernt”, daß ein verhaltensgestörter Elternteil psychologisch prägend fürs Kind sein wird. In Aufstellungen etwa konnte man konfrontiert werden mit der inneren Wahrheit der Eltern bzw. sogar der Vorgängergeneration. Dieses sollte das Band der Weitergabe durchbrechen können. Wenn man die Wirkmechanismen kenne, könne man sich aus der Verstrickung befreien.
    Jetzt weiß ich nicht, wie stark epigenetische Einflüsse grundsätzlich wirken und wie modifizierbar sie sind. Nutzt dem Klienten die Erkenntnis, wie alles kam, dann auch, um durch seine Einsicht epigenetisch Änderungen zu erfahren?
    Was weiß man darüber?
    Sorry wieder mal für meine Fragen 🙂

  40. #40 zimtspinne
    7. März 2017

    Mir leuchtet die Sache der untergewichtigen Babys bei veränderter/guter Ernährungssituation überhaupt nicht ein.
    Würde Epigenetik so wirken, wäre das doch für die Menschheit in der Vergangenheit fatal gewesen, da Hungerzeiten, Nahrungsknappheit und Mangelzustände eher die Regel waren als die Ausnahme.
    Ebenso die Weitergabe von Traumatisierungseffekten…. immerhin waren kriegerische Auseinandersetzungen mit allem Drum und Dran genauso häufig wie Hungersnöte. Das hätte ja ständig zu Serien psychisch instabiler und unterernährt ins Leben startender Populationen führen müssen, auch unter längst wieder besseren Bedingungen.

    Müsste das im Tierreich dann nicht genauso ablaufen? Unterernährte Streunerkatzen haben ungewichtige, kleine Würfe und das geht so weiter, auch wenn sich ihre Situation zum positiven verändert? Das ist doch aber völlig kontraproduktiv im Sinne der Evolution – da wäre nämlich schnelles Anpassungsverhalten gefragt und erfolgreich.
    Nicht irgendwelche Modifikationen der DNA, die nachfolgende Generationen behindern und nicht ihre Möglichkeiten ausschöpfen lassen…. also das wäre ja eben genau das Gegenteil von Anpassungsfähigkeit.

    Ich kann mir eher vorstellen, dass die Startmäuse im Tierexperiment in tomtoos Beispiel schon von Natur aus unterschiedlich stressresistent waren.
    Jene Mäuse, die mit starken Stressreaktionen auf Vernachlässigung usw. reagierten, gaben dieses Stressverhalten an nachfolgende Generationen weiter. Oder wurden in der dritten Generation aus verhaltensauffälligen Mäusen plötzlich wieder umsichtige, angemessen agierende und reagierende Mäuse? Das wurde so nicht gesagt, nur, dass die Verhaltensauffälligkeiten bis in die dritte Folgegeneration zu beobachten waren….

    Das ganze epigenetische Dingens wird doch eigentlich schon immer durch die DNA Modifikation abgedeckt, also eine gewisse Bandbreite genetischer Programme zur Anpassung an die jeweiligen Umweltbedingungen.

  41. #41 Bettina Wurche
    7. März 2017

    @Gerhard: Was wir in der Schule gelernt haben, ist heute nicht mehr so aktuell : ) Soweit ich es aus Verhaltensbiologie und Psychologie aktuell verfolgt habe, ist die Weitergabe von “Verhaltensstörungen”, “Verhalten” sowohl genetisch als auch verhaltensbiologisch bedingt. Natürlich gibt es auch weiterhin wissenschaftliche Schulen, die nur das eine oder das andere gelten lassen wollen. Nach allem, was ich über Wissenschaft gelernt habe, ist die Erklärung meistens nicht “Entweder X” oder “Oder x” – wie ein schön einfacher Binärcode – sondern eher im Graubereich dazwischen zu finden.
    Allerdings hat man als Mensch ja immer noch als denkendes Individuum das letzte Wort. Wenn man also eine unangenehm auffallende Verhaltensweise wirklich ändern möchte, hat man oft die Möglichkeit, trotz allem daran zu arbeiten und nicht im Affekt zu handeln.

    Hier ist eine Publikation zu Verhalten und Epigenetik:
    https://www.zkpr.uni-bremen.de/fileadmin/user_upload/forschung/downloads/schmidt_petermann_schipper_2012-kue_21_4.pdf
    (Ich habe sie nicht gelesen und habe es auch nicht vor, andere Themen sind mir wichtiger)

  42. #42 Bettina Wurche
    7. März 2017

    @zimtspinne: Für Streunerkatzen würde es sich doch gerade anbieten, klein zu bleiben und mit weniger Nahrung auszukommen. Das wäre “survival of the fittest”.
    Solche epigenetischen Effekte, die auf Traumata basieren, scheinen auch wieder umkehrbar zu sein.
    https://www.spektrum.de/news/trauma-vererbung-kann-verhindert-werden/1414373
    Epigenetik vollzieht sich offenbar in beide Richtungen, zum Negativen (Trauma-Erinnerung im Genom) als auch zum Positiven (Keine Trauma-Erinnerung im Genom).
    Ich denke, dass die Epigenetik-Forschung noch ziemlich am Anfang steht und da noch einiges Neues zu erwarten sein wird.
    Ist aber nicht meine “Baustelle”.