Was haben kardio-pulmonäre Forschung, Angiogenese und Epigenetik miteinander zu tun?
Ziemlich viel.
„Volks“krankheiten wie Fettleibigkeit oder Diabetes können epigenetisch verankert und vererbt werden.
Der Mensch als Marionette seiner Gene – diese Weltsicht stimmt nicht mehr!
Die Gene prägen den Menschen UND der Mensch prägt die Wirkung seiner Gene.
Das Epigenom ist also eine weitere Informationsebene neben dem schon bekannten Genom!
„Die Erforschung epigenetischer Prozesse findet auf molekularer Ebene statt. Ihre Ergebnisse haben Einfluss auf den ganzen Organismus: Epigenetisch erworbene und vererbte Erkrankungen wie Adipositas oder Diabetes betreffen immer mehr Menschen und haben einen direkten Einfluss auf die kardio-vaskulären Funktionen.“ erklärt Dr. Christian Fork dazu.
Der Molekularbiologe forscht in einem interdisziplinäre Team unter der Leitung von Herrn Professor Dr. Brandes an molekularen Fragestellungen, die im Kontext mit weit verbreiteten kardio-vaskulären Erkrankungen stehen. Diese Forschungsergebnisse können die Basis für neuartige Konzepte der Diagnose, Vorbeugung und Therapie kardio-vaskulärer Erkrankungen bilden. Die Arbeitsgruppe gehört zum Exzellenzcluster Kardio-Pulmonäre Systeme (Excellcence Cluster Cardio-Pulmonary System = ECCPS) der Goethe-Universität.
Was ist Epigenetik?
Der Begriff „Epigenetik“ ist zusammengesetzt aus „Genetik“ und „Epigenese“ (Entwicklung).
Die Genome, also die Gesamtheit aller Gene, werden von den Eltern vererbt und unterliegen i. d. R. keinen starken Veränderungen. Das Epigenom aber formt sich im Laufe des Lebens durch Umwelteinflüsse aus – es ist veränderlich!
Und reversibel!
Chemische oder physikalische Umweltfaktoren können epigenetische Veränderungen verursachen. Aber auch biologische, psychische und soziale Faktoren wie Emotionen oder Ernährung können das Epigenom modifizieren.
Die Epigenetik ist das Bindeglied zwischen Umwelteinflüssen und Genen: Sie bestimmt mit, unter welchen Umständen welches Gen an- oder ausgeschaltet wird.
Epigenetik ist also eine Regulation der Genexpression!
„Die Gene mehrzelliger Organismen sind mit zellspezifischen, entwicklungsgesteuerten, epigenetischen Kodierungen „überzogen“: Epigenetik ist also „um das Gen herum“.“
sagt Herr Dr. Fork. „Der epigenetische Code schaltet ein Gen an oder aus. Dies verändert die morphologischen und physiologischen Eigenschaften eines Organismus – unabhängig von seiner DNA-Sequenz.
Die epigenetischen Kodierungen strukturieren die Chromosomen und steuern dadurch die Gen-Aktivität. Sie können Gene oder Genomabschnitte stumm schalten (geändert, 05.03.meertext).“
Wie kann sich das Epigenom verändern?
Die Epigenetik ist noch ein sehr junges Wissenschaftsgebiet: Erst vor etwa 10 Jahren wurde die erste Demethylase entdeckt, die Histone demethylisiert.
Methylierung und Acetylierung beeinflussen die Konformation des Chromatins.
Chromatin ist das Material, aus dem die Chromosomen bestehen – ein Komplex aus DNA und spezifischen Proteinen, von denen etwa die Hälfte Histone sind.
Die Histone steuern die Zustandsformen Heterochromatin (inaktiv) und Euchromatin (=aktiv).
Heterochromatin ist der inaktive Anteil bzw. Zustand des Chromatins. Es ist so dicht gepackt, dass der Reader nicht andocken kann – darum gibt es hier keine Transkription.
Euchromatin ist der aktive Anteil – bzw. die aktive Zustandsform – des Chromatins. Das Chromatingerüst im Karyoplasma der Zelle ist aufgelockert, hier können dann Writer-Enzyme andocken. Im Euchromatin findet der überwiegende Teil der Genaktivität statt.
Verschiedene Katalysator-Enzyme steuern diese Aktivitäten dies können z.B sein:
– Histon-Methyl-Transferasen („Writer“)
– Histon-Demethylasen („Eraser“)
– Proteine („Reader“) zum Lesen und Interpretieren der Markierungen.
Abhängig an welcher Stelle die Markierungen im Chromatin durch „Writer“ und „Eraser“ gesetzt werden, werden Gene an- oder abgeschaltet.
„Die wesentlichen epigenetischen Modifikationen sind DNA-Methylierungen, RNA-Modifikationen und Histon-Modifikationen.“ erklärt Herr Dr. Fork. „Ich befasse mich mit Histon-Modifikationen, die mit einer Veränderung der Chromatin-Struktur einhergehen.“
Die DNA ist im Zellkern an Histone gebunden. Histone sind basische Proteine im Zellkern von Eukaryoten und als Bestandteile des Chromatins wichtig für die Verpackung der DNA. Man kann sie sich vorstellen als Spulen, um die sich die DNA windet. (Abb.)
“Es gibt vier verschiedene sogenannte „Core“-Histonproteine: Histon 2A, Histon 2B, Histon 3 und Histon 4.Jeweils zwei Moleküle jedes Proteins – also insgesamt acht oder ein Oktamer – bilden den Kern eines Nukleosoms, auf das 146 Basenpaare eines DNA-Stranges aufgewickelt sind.“
Ein Nukleosom ist die erste Verpackungsstufe der DNA höherer Zellen und besteht aus DNA, snRNA und Histonen. „Diese vier Core-Histone werden zurzeit intensiv erforscht. Sie regulieren, ob ein Gen transkripionell aktiv ist oder nicht.“
Tatort: Histon-Seitenkette
Auch die Histon-Seitenketten in den Nukleosomen können enzymatisch verändert werden.
Die Enden der Histonstränge ragen aus dem Nukleosom heraus, hier können die Histon-modifizierenden Enzyme ansetzen (Abb.).
Modifizierungen sind möglich durch
– Methylierungen an den Aminosäuren Lysin, Histidin oder Arginin
– Acetylierungen an den Aminosäuren Lysin, Histidin oder Arginin
– Phosphorylierungen an der Aminosäure Serin.
Es gibt auch noch andere Modifizierungen, aber die sind seltener.
„Besonders wichtig sind die N-terminalen Enden von Histonen: dort erfolgen die wesentlichen Modifikationen für die Genregulation. Eine Acetylierung blockiert die positive Ladung der Aminosäurekette und lockert so die Interaktion des Histons mit DNA. Daher erleichtert die Histon-Acetylierung die RNA-Transkription und ist ein fördernder Mechanismus der Genexpression.
Da die Methylierung – unser Forschungsgebiet – anders als die Acetylierung, die positive Ladung von Lysin und auch bei Arginin weniger stark beeinflusst, kann eine Histon-Methylierung die RNA-Transkription sowohl steigern als auch hemmen. Der letztliche Effekt ist eine Funktion des individuell modifizierten Aminosäurerestes in einem Histon. Er ist abhängig von der Zahl der Methylierungen an den entsprechenden Lysinen im Histon. Neben der einfachen finden sich auch zweifache und dreifache Methylierungen. So führt eine Histon 3 Di- und Trimethylierung an Position 4 (H3K4) zur Steigerung der Transkription, während eine Histon H3K9- und H3K27-Methylierung eher hemmend wirkt (Abb.1&2). Besonders die H3K4me3/2 Markierung ist häufig am Trankriptions-Startpunkt zu finden. Entsprechende Methylierungs-Änderungen werden dabei durch Histon-Methyltransferasen „Writer“ und Histon-Demethylasen „Eraser“ katalysiert. Andere Proteine, die sogenannte „Reader“, lesen und Interpretieren diese Markierungen. Solche epigenetischen Vorgänge führen zum kompakten Heterochromatin und der Genrepression. Oder zum offeneren Euchromatin und der Genexpression (Abb. 2).“
Video:
Wie läuft solche Forschung ab?
Wir untersuchen Gene von Zellen des Gefäßsystems (Vaskuläres System), die epigenetisch kontrolliert werden. Das können Gene sein, die für die Stickstoffmonoxid-Synthase codieren, das Enzym produziert NO (Stickstoffmonoxid). Dies beeinflußt die glatte Muskulatur und führt zur Erweiterung von Gefäßen (=Gefäßdilatation). Ein Mangel an NO führt zur Verringerung des Gefäßlumens (=Gefäßkontraktion) und somit zu einer Hypertonie. Auch Gene, die für die Bildung von neuen Blutgefäßen sehr wichtig sind, interessieren uns. Ein Beispiel dafür ist der vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktor (VEGF).
„Zuerst führen wir Experimente mit Zellkulturen durch: Welche Auswirkungen hat es, wenn einzelne epigenetisch modifzierende Enzyme ein- oder ausgeschaltet werden? Wenn wir dann einen „Kandidaten“ identifiziert haben, der bestimmte Gene des vaskulären Bereichs epigenetisch kontrolliert, publizieren wir dieses Ergebnis. Dann können auf der Basis unserer Forschungsergebnisse zu dem spezifischen Protein neue Wirkstoffe oder Medikamente entwickelt werden.“
Angiogenese – Schlüssel zu Herzerkrankungen und Tumorbildung
„Angiogenese – die Gefäßneubildung durch Aussprossung von Endothelzellen aus bestehenden Blutgefäßen – ist ein Prozess von größter physiologischer Bedeutung!
Sie findet im Rahmen der Entwicklung eines Organismus und bei Heilungsprozessen nach Verletzungen statt. Sowohl eine zu geringe Angiogenese, als auch eine zu starke Gefäßneubildung spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Krankheiten.
Die Gefäßfunktion regelt unter anderem den Blutdruck. Eine Störung – also eine endotheliale Dysfunktion – führt oft zu vaskulären Erkrankungen wie Hypertonie, Herzinsuffizienz oder Arteriosklerose.“
Bei Arteriosklerose kommt es durch die Verengung der Gefäße zu Sauerstoffmangel in verschiedenen Geweben des Körpers. Letztendlich drohen Herzinfarkt, Schlaganfall, Belastungsschmerzen wie Angina Pectoris oder Gehschmerzen durch einen arteriellen Verschluss am Bein.
Durch eine Steigerung der Angiogenese könnte die Sauerstoffversorgung im Zielgewebe wieder erhöht werden – die unmittelbare Gefahr wäre gebannt!
„Auf der anderen Seite ist die Angiogenese ein wichtiger permissiver (=durchlässiger) Faktor für Erkrankungen mit überschießender Zellneubildung. Dazu gehören etwa Tumorerkrankungen oder die Erblindung Retinopathie. In beiden Fällen kommt es aufgrund einer mangelnden Sauerstoffversorgung im Gewebe zur übersteigerten Gefäßneubildung. Diese verbessert die Ernährung des Tumors und ermöglicht darüber Tumorwachstum und Metastasenbildung. Und im Auge des Diabetikers werden Gefäße mit zu schwachen Wänden gebildet, die später platzen und schließlich zur Erblindung führen können. Darum wird seit Jahren intensiv an Therapien gearbeitet, die Angiogenese zu verstärken – z. B. bei KHK und diabetischem Fuß – bzw. zu hemmen – z. B. bei Tumorerkrankungen.
Diese Befunde belegen eindrucksvoll, dass die Angiogenese ein therapeutisches Ziel größter Wichtigkeit ist für eine Vielzahl an häufigen und medizinisch ausgesprochen bedeutsamen Erkrankungen.“
(Ein herzliches Dankeschön an Herrn Dr. Fork für das Interview direkt aus dem Herzen des Exzellenzclusters. Vor allem für seine geduldigen Erklärungen, was Epigenetik mit Angiogenese zu tun hat.
Dieses Interview ist schon 2017 entstanden, als ich am FB Medizin der Goethe-Universität den Fach-Blog “puls.” für die Medizinstudierenden und andere Fachbereichsmitglieder schrieb. Der Blog wurde eingestellt, die Texte sind auf meine domain meertext.puls umgezogen.)
Kommentare (42)