Über die angebliche Liebestollheit von Delphinen und größeren Waltieren ranken sich zahlreiche Legenden. Heißes Blut im kalten Ozean verspricht ganz große Gefühle in der uns fremden Welt des Meeres.
Eine Paarung mit innerer Befruchtung im dreidimensionalen Meer, ohne festen Haltepunkt und ohne Arme und Beine, mit schlüpfriger Haut ist schon eine Herausforderung der besonderen Art.
Aber wie genau funktioniert das eigentlich?
Und welche anatomischen Besonderheiten haben die Geschlechtsorgane von Walen unter diesen Umständen?
Dara Orbach ist Expertin für Meeressäuger an der Dalhousie University in Halifax, Canada und beschäftigt sich seit 7 Jahren mit diesem Thema. Mit ihren Forschungsergebnissen hat sie nun beim jährlichen Treffen der Experimental-Biologen in Chicago (Annual Meeting of Experimental Biology) ihre Fachkollegen schockiert – so der Blog des Science-Magazins in der Einleitung zu einem Interview mit der Biologin. Offenbar zu starker Tobak für prüdere Gemüter.
Empfindliche Gemüter, schamhafte Personen und minderjährige LeserInnen seien also vor dem Weiterlesen gewarnt.
Wie erigiert frau einen toten Penis? Eine hochsaline Lösung
Grundsätzlich haben Säugetiere eine innere Befruchtung. Bei der Kopulation führt das Männchen sein Geschlechtsorgan ins Genital des Weibchens ein und platziert dort sein Sperma. Das ist bei Walen nicht anders. Allerdings liegt bei männlichen Walen der Penis nicht außerhalb des Körpers, wie bei Säugern üblich, sondern wird zur Verringerung des Wasserwiderstandes nach innen eingezogen. Bei weiblichen Wale hingegen muss das Eindringen von Meerwasser in die Gebärmutter verhindert werden. Damit dann auch beim Geschlechtsakt kein Meerwasser mit eindringt und die Spermien wieder auswäscht oder abtötet, müssen die männlichen und weiblichen Genitalorgane bei Meeressäugern besonders akurat ineinanderpassen. Diese perfekte Paßform – “the perfect fit” – stand im Fokus der Untersuchung von Dara Orbach, Patricia Brennan und ihrem Team („Copulatory Fit of Common Bottlenose Dolphin (Tursiops truncatus) Genitalia”; FASEB Journal, April 2017, 31 (4)).
Dafür hatten Dara Orbach und ihre Kollegen die Geschlechtssteile von frisch und eines natürlichen Todes verstorbenen Walen und Robben gesammelt.
Walpenisse sind fibroelastisch, wie die aller Huftiere, sie haben keine Penisknochen. Das bedeutet, dass die Schwellkörper nur gering entwickelt und mit reichlich Bindegewebe durchsetzt sind. Der Penis im Ruhezustand s-förmig gebogen und wird bei der Erektion durch den Bluteinstrom gestreckt; er verlängert sich dadurch, wird aber kaum dicker. Die Formen der Wal-Penisse sind schon häufiger beschrieben worden, schließlich recken Waltiere ihre Erektionen im Freiland und in Aquarien häufig gen Himmel. Zum ersten Mal allerdings haben die Biologinnen auch die Form und Struktur der Vaginas detailliert untersucht und dokumentiert. Die Vaginas der unterschiedlichen Wal-Arten waren eine Überraschung: eine artspezifisch einzigartige Kombination und Ausformung von tiefen und flachen Strukturen, Falten und Spiralwindungen.
“They’re amazing just because of this diversity, which has never been documented before. You open them up and you’re not really ever sure what you’re going to see inside. Is it going to be relatively simple? Or will there be these spirals? Or will there be deep folds? Or shallow ones? Opening up each reproductive tract is unique, and you never know what you’re going to see with a new species.” erklärt Dara Orbach im Interview.
Durch diese tiefen und komplexen Strukturen wird u. a. das Meerwasser daran gehindert, in die Gebärmutter einzudringen.
Mit Präparaten des Genitaltrakts der Großen Tümmler (Tursiops truncatus) untersuchte das Team schließlich detailliert, wie tief der Wal-Penis die Wal-Vagina beim Geschlechtsakt penetriert. Durch computertomographische Aufnahmen wurde bei einer simulierten Kopulation sichtbar, wie sich der erigierte, aber flexible Penis durch die Windungen und muskulösen Falten Vagina der Weibchen bewegt.
Für eine erfolgreiche Kopulation müssen die Geschlechtsteile erigieren, also durch das Einströmen von Blut anschwellen. Wie sollte das bei dem Organ eines toten Tieres möglich sein? Erstens ist kein Blutkreislauf vorhanden und zweitens schrumpfen die Organe nach dem Tod schnell.
Dara Orbachs Kollegin und Ko-Autorin Diane Kelley hatte dafür eine salzige Lösung: Sie pumpte mit Überdruck eine Salzlösung in die Penisse und ließ die Organe so zu ihrer vollen ursprünglichen Größe erigieren. Die Vaginas hatten nach dem Gefrieren und Antauen die richtige Konsistenz, das Gewebe wurde mit Iod angefärbt.
Die art-abhängige Genital-Anatomie erklärt auch, warum Delphin-Arten in so unterschiedlichen Stellungen kopulieren. Schwarzdelfine (Lagenorhynchus obscurus) etwa kopulieren Bauch an Bauch. Große Tümmler (Tursiops truncatus) hingegen nehmen eher eine T-Stellung ein: Das Männchen kreuzt das Weibchen genau auf der Mittellinie. Schweinswale (Phocoena) mache es etwas komplizierter: Das Männchen wartet, bis die Angebetete Luft holt. Dann schießt er nach oben und versucht, seinen Penis in sie einzuhaken.
Auf die Frage „Könnten die Wale das nicht auch einfach zum Spaß machen?“ antwortet Dara Orbach: Ja, schon. Wale paaren sich ja das ganze Jahr über, auch wenn die Weibchen nur während eines beschränkten Zeitraums fruchtbar sind. Durch die Analyse der Genital-Anatomie können die Biologinnen nun sagen, welche Positionen zu einer erfolgreichen Befruchtung führen können und welche eher nicht. Wale kopulieren nämlich nicht nur zur Fortpflanzung, sondern aus ganz unterschiedlichen Gründen: Zum Spiel. Zur Festlegung der Hierarchie. Um Dominanz zu zeigen. Eine erfolgreiche Befruchtung ist nur möglich, wenn sich das Männchen dem Weibchen in einem ganz bestimmten Winkel nähert – alles andere ist aussichtslos.
Sie und ihre Kolleginnen sind die ersten Biologinnen seit Langem, die sich explizit mit diesem expliziten Thema beschäftigen (die letzte anatomische Forschung am Genitaltrakt von Walen fand zu Zeiten des kommerziellen Walfangs statt und beschrieb nur den Ist-Zustand ohne funktionsmorphologische Analysen). Sexualverhalten und Genitalanatomie waren als anrüchige Themen lange tabuisiert, meint Dara Orbach und sie hat dafür kaum Gesprächspartner gefunden. Mit der Vorstellung ihrer Forschung auf dieser Tagung hat sie nun aber ein ganz neues Forschungsfeld eröffnet.
Die geniale genitale Forschung hat sogar noch praktische Aspekte und könnten in Zuchtprogrammen nützlich sein: “Die von uns entwickelten Techniken lassen sich auch bei anderen Arten anwenden und könnten zum Beispiel für den Erfolg von Zuchtprogrammen hilfreich sein. So zeigt unsere Methode unter anderem, welche anatomischen Strukturen beim Geschlechtsakt miteinander in Kontakt kommen. Werden diese im Zuge einer künstlichen Befruchtung gezielt stimuliert, steigt womöglich die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis.”
Sex und Evolution
Die Ausbildung der Geschlechtsorgane für die erfolgreiche innere Befruchtung im aquatischen Lebensraum der Wale ist faszinierend.
Die Evolution der Anatomie der Geschlechtsorgane und des Vorgangs der Kopulation ist ohnehin ein ganz eigenes Gebiet der Evolutionsbiologie, das übrigens schon bei Spinnen aufsehenerregend ist. Dort ist die Analyse des Geschlechtsapparats mitunter sogar für die Bestimmung der Art wesentlich.
Die Entwicklung artspezifischer genitalanatomischer Strukturen ist nur in Korrespondenz mit äußeren Einflüssen zu erklären. Gleichermaßen ist die artspezifische Ausbildung natürlich auch ein Schutz gegen überartliches Fremdgehen und die Verschwendung von Ressourcen wie Spermien und Eizellen. Sinnvoll erklärbar ist das nur mit komplexen evolutiven Prozessen.
Es könnte unterhaltsam werden, Evolutions-Leugner damit zu konfrontieren. Und sie zu fragen, ob sie ernsthaft glauben, dass ihre jeweilige Gottheit sich mit der aufwändigen Modellierung artspezifischer geschlechtsanatomischer Merkmale beschäftigt. Vielleicht nach dem 10. Feierabend-Bier am Freitagabend? Oder nach einem ausgedehnten Joint?
Ein herzliches Dankeschön an Frank, für den Denkanstoß zu diesem anstößigen Thema.
Kommentare (47)