Verne hat das geniale Tauchboot „Nautilus“ in „20.000 Meilen unter dem Meer“ eingeführt und detailliert beschrieben, allerdings eher die Technik und weniger das Design. Die Illustratoren des Verlages haben dann die „Nautilus“ entsprechend gezeichnet: sachlich, zeitlos, ohne die Spur eines Schnörkels. Die viktorianischen Schnörkel sind erst 1954 in der Walt Disney-Verfilmung aufgetaucht und werden seitdem mit der „Nautilus“ und Verne assoziiert.
Der Disney-Designer Harper Goff hatte sich aus verschiedenen Quellen inspirieren lassen und daraus etwas spektakulär Neuartiges geschaffen. Dass Goff damit den breiten Geschmack der Menschen getroffen hat, zeigt sich auch darin, dass sein Bild der „Nautilus“ fortan überall und immer wieder kopiert wurde und wird. Erst viel später, 2003, gab es in dem Film „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“, wieder ein Tauchboot „Nautilus“, das in seinem sachlichen Design eng an Vernes Original erinnert.
Kapitän Nemos berühmtes Tiefseevehikel trägt den gleichen Namen wie der urtümliche Kopffüßer Nautilus mit den 50 Tentakeln und seinen uralten Augen. Mit Absicht?
Das Tauchboot ist schnell, wendig und wehrhaft.
Der Kopffüßer Nautilus ist alles andere als schnell und wendig, sondern dümpelt seit Jahrmillionen durch die Ozeane, sanft auf- und abschwebend. Die Tiere haben sich seit den Zeiten der Dinosaurier nur wenig verändert. Leider sind sie auch nicht wehrhaft, sondern vielmehr durch die starke Befischung vom Aussterben bedroht. Der weiche Körper mit dem rätselhaften Blick und den 50 kleinen Tentakeln ist nämlich in einer Aufsehen erregenden Außenschale „verpackt“: Einer Spirale aus märchenhaft schimmerndem Perlmutt. Die Spiralform ist geometrisch perfekt und schmeichelt dem menschlichen Harmonieempfinden. Dadurch ist Nautilus das Symboltier der Renaissance geworden und bis heute leider ein begehrtes Sammlerobjekt.
Vernes stählernes Unterwassergefährt hat aber keine direkten inhaltlichen Bezüge zu dem urtümlichen Kopffüßer. Vielmehr hat der Autor sich bei der Namensgebung von Robert Fulton inspirieren lassen, der schon 1800 ein Tauchboot namens „Nautilus“ gebaut und erfolgreich erprobt hatte.
Dieses erdgeschichtlich altertümliche Tentakeltier in der Perlmutterschale taucht also weniger beabsichtigt, sondern eher zufällig auf.
Kraken und Kalmare: Acht oder zehn Arme?
Andere Kopffüßer hat Verne absichtlich in sein submarines Abenteuer eingeführt: Kraken und Kalmare.
Der Kampf mit dem Riesenkraken ist eine der einprägsamsten Szenen im „20.000 Meilen unter dem Meer“, die sich zusätzlich durch die Action-geladene Illustration ins Leser-Hirn einbrennt. Auch im späteren Walt Disney-Film wurde das eine Schlüssel-Szene: Der blutrünstige Riesenkrake ergreift die „Nautilus“, die U-Boot-Fahrer gehen mit Äxten auf das Meeresmonster los. Seine gewaltigen acht Arme sind der Körperkraft der Verteidiger weit überlegen, er ergreift sogar einen der zweibeiniger Verteidiger und schwenkt ihn über die Köpfe der anderen davon. Dann gelingt es dem listigen Kapitän Nemo mit seiner technischen Überlegenheit, den Kraken mit einem elektrischen Schock abzuwehren. Im Disney-Fim tut sich der Hau-drauf- und Harpunier Ned Land bei der Kraken-Abwehr hervor.
Ein anderes Bild mit nachhaltiger Wirkung ist die Silhouette des Prof. Arronax vor dem Bullauge der „Nautilus“, hinter dem ein kapitaler Oktopus seine Arme kringelt. Der Illustrator hat die Augen des Kraken detailliert ausgearbeitet. Mann und Krake stehen sich Auge in Auge gegenüber. Diese Illustration steht am Anfang des Krakenangriffs und baut Spannung auf das kommende Geschehen auf.
Die plakativen Abbildungen in „20.000 Meilen unter dem Meer“ zeigen die Tintenfische als exotisches Novum in der mitteleuropäischen Belletristik. Ihre Biologie war allerdings noch wenig erforscht. So kommt es dazu, dass Vernes Illustratoren Kraken und Kalmare verwechseln. Zudem wissen wir heute natürlich, dass Kraken und Kalmare keine Schiffe angreifen. Das tut der Spannung der packenden Action-Szenen aber keinen Abbruch, schließlich ist das Buch ein historisch bedeutsamer und spannender Roman und kein aktuelles Kraken-Lehrbuch.
Warum ausgerechnet Tintenfische?
Tintenfische sind Respekt einflößende und wehrhafte Wesen mit acht oder zehn Armen aus einem fremdartigen Lebensraum. Jules Verne hat aus den bis dahin nahezu unbekannten Wirbellosen mit den ausdrucksstarken Augen erstmals literarische Stars gemacht. Mit ihrem Gewirr an Tentakeln und der übermenschlichen Reaktionsschnelligkeit sind sie optimale Gegenspieler für wackere menschliche Helden.
Kopffüßer leben im Meer, das zu Vernes Zeiten noch viel unerforschter und Furcht einflößender war als heute, schließlich hatte die Erforschung des nassen Lebensraums gerade erst begonnen. Der Ozean war den Menschen des 19. Jahrhunderts fremder als es für uns heute das Weltall ist. Die Kopffüßer sind die damalige Version der heutigen Aliens aus dem All. Zum Beginn des 20. Jahrhunderts haben andere Autoren wie Sir A. C. Doyle mit den Airkraken in „The Horror in the Heights“ (1913) und P. H. Lovecraft in seinen Geschichten mit Cthulhu (“The Call of Cthulhu“, 1928″) und den „Flying Polyps“ („The Shadow out of Time“, 1936) die Kopffüßer erfolgreich wieder aufgegriffen.
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