Der orangerote Stern schleudert seine Protuberanzen ins Weltall, Flammenzungen von mehreren Tausend von Kilometern lang. Einige schwarze Flecken heben sich von der feurig wabernden Oberfläche ab, wie ein Scherenschnitt.
Ein nicht sehr großer Stern in einem eher abgelegenen Spiralarm der Galaxis. Der Blick durchs Teleskop auf die Sonne ist immer wieder atemberaubend. Viel zu heiß brennt mir die Sonne auf den Kopf, während ich in Darwins Garten am Teleskop sitze. 7500 Kilometer weit weg von zu Hause, in Carbondale, Illinois.
Carbon –what? Warum fährt man für die Beobachtung der Sonnenfinsternis ausgerechnet nach Carbondale in Illinois?
Nun, unser Freund Billy ist dort geboren und hat vor fast 50 Jahren, als kleiner Junge, beschlossen, sich dieses Himmelsspektakel auch dort anzuschauen. Außerdem haben er und seine Frau Hillary dort auch studiert und noch alte Freunde vor Ort. Darum sind wir zu viert bei Billys altem Freund Darwin – die beiden haben gemeinsam in einer Rockband gespielt – eingefallen, als Sonnenfinsternis-Expeditionsparty.

St. Louis – das Tor zum Westen
Unsere Tour begann in St. Louis, dort hatten wir eine Verabredung mit Hillary und Billy. Sie waren zwei Tage zuvor in Südkalifornien mit dem Auto losgefahren, wir waren geflogen – innerhalb von nur 20 Minuten Abstand trafen wir im Hotel in St. Louis ein. Beide sind Astronomie-begeisterte  Dozenten am Mount Palomar-Observatory und Menschen, die viel zu erzählen haben und denen ich gern zuhöre. Unsere Tour durch den Mittelwesten begann also in St. Louis. St. Louis und auch unser späteres Zielgebiete liegen am nördlichen Rand der subtropischen Zone im Mittleren Westen der USA und haben ein schwül-warmes Klima. Sie liegen zwischen den großen Strömen Mississippi und Ohio. Ein für mich völlig unbekanntes Gebiet, über das ich viel zu wenig weiß.

Die erste Station war „The Arch“ – der Bogen -, das Wahrzeichen von St. Louis. Der silbrig schimmernde Bogen ragt hoch über das Ufer des Mississippi auf. Er symbolisiert das Portal, das St. Louis in der Vergangenheit war: Das Eingangstor zum Wilden Westen, durch das nahezu jeder Siedler mit seinem Planwagen kommen musste. Vor meinem inneren Auge zogen sehr viele Geschichten aus vielen Romanen vorbei, von der Levi-Strauss-Story bis zu den Daniel Boone-Geschichten.  Jetzt haben diese Geschichten einen geographischen Ankerpunkt in meinem Ortsgedächtnis bekommen. Außerdem habe ich noch die Zehenspitzen in den Mississippi  getaucht.
Die Grünanlage unter „The Arch“ steht natürlich unter der Aufsicht der bewährten National Park-Ranger, für die ich seit ihrem Einsatz gegen die ökologisch vernichtenden Einschnitte der Trump-Clique noch höher respektiere.

Carbondale – Sonnenfinsternis-Happening
Am 21. August 2017 wird die längste Dauer der Sonnenbedeckung nur wenige Kilometer von Carbondale entfernt sein. Nicht genug damit, wird die nächste Sonnenfinsternis, die quer über das Gebiet der USA laufen wird, auch wieder in dieser Region gut beobachtbar sein. Darum hat Carbondale dieses astronomische Großereignis als neuen Geschäftszweig und Begeisterungsquell entdeckt.
Carbondale ist mit ca 20.000 Einwohnern eine relativ kleine Gemeinde. Die schon mehrere Tage im Voraus voll auf die großen Besucherscharen eingerichtet ist! Die Hotelbetten sind seit etwa 2 Jahren ausgebucht, als die ersten Anfragen von Gästen eintrafen, wussten die Einheimischen noch gar nichts von dem astronomischen  Spektakel. Mittlerweile sind jedes Bett, jedes Zimmer und jede Rasenfläche  zu Wucherpreisen vermietet.

Die kleine Stadt ist Standort einer recht großen Universität: Die Southern Illinois University (SIU). Selbstverständlich nimmt die SIU aktiv an der Sonnenfinsternis teil, wie die ganze Stadt Carbondale.
Auf dem zentralen Campus der SIU wird die Bedeckung der Sonne um 11:52 CDT  beginnen, um 1:21 p.m. CDT vollständig sein und um 2:47 p.m. enden.
Im Vorfeld gab es ein kleines wissenschaftliches Symposium zur Vorstellung, was diese Eclipse 2017 für die Forschung bedeutet. Wir waren natürlich dabei und hatten im Anschluss noch ein Interview mit einem Nicholas St. Fleur,  Journalisten der New York Times.
Im Football-Stadion der Universität – „Home of the Salukis“ – wird ein großer, angeleiteter Event mit Public Viewing stattfinden. Drumherum sind mehrere Eclipsis-Markets aufgebaut, die vom Sonnenfinsternis-T-Shirt bis zum Liebesapfel ungefähr alles anbieten, was man brauchen und nicht brauchen könnte. In Carbondale sollen bis heute 50.000 Sonnenfinsternis-„Brillen“ verkauft worden sein.
Im gleichen Gebäude wie das Symposium fand zeitgleich auch noch die Eclipse-Comic-Con statt, was die Szenerie um einige ungewöhnlich gewandete Gestalten bereicherte.

Mary-Lou,  Makanda und Giant City
Um den optimalen Standpunkt für den Aufbau der Teleskope zu ermitteln und uns Touristen auch gleich noch die schönsten Punkte der Umgebung zu zeigen, starten wir zunächst eine kleine Rundtour.
Zuallererst gibt es eine Eggclipse zum Frühstück bei  Mary-Lou, einer Institution.

Hashed Brwons, vier Eier und noch´n Toast – danach bin ich satt bis zum Abend. Den Starter,  Biscuits und Gravy  -Brötchen in einer extrem nahrhafter Bratensauce – muss ich ablehnen. Das schaffen nur hungrige Studenten und Leute mit größerem Fassungsvermögen. Das Restaurant ist derartig typisch US-amerikanisch, das ich mir vorkomme, wie in einem Film. Kräftige Serviererinnen balancieren volle Teller und sausen mit der Kaffeekanne durch die Tischreihen. Bill und Darwin werden herzlich begrüßt, man kennt sich. Und für mich gibt es sogar Tee.
Die Mitarbeiter tragen „Eggclipse“-Shirts.

Weiter geht´s.  Makanda ist eine alte Bahnstation, heute steht hier nur noch das pittoreske Bahnhofsgebäude. Einst verfrachteten die Farmer dieser Region ihre Früchte und Gemüse über diese stählerne Lebensader nach Chicago. Heute ist es eine Hippie- und Aussteiger-Kommune. Von dem Städtchen sind nach Bränden und anderen Katastrophen nur noch das Bahngleis und das aus Backsteinen gebaute Bahnhofsgebäude übrig geblieben. Allerdings hält , aber hier hält schon lange kein Zug mehr.

Auf dem geschotterten Parkplatz kann man spottbillig für nur 5 Dollar parken, eine Parkwächterin kassiert, ihr Beisitzer spielt Banjo dazu. Die SoFi ist für die Hippies ein großer Event, in Makanda geht es zu wie in einem Bienenstock. Natürlich haben sich die Shops mit speziellen New Age-Sonnenfinsternis-Angeboten auf das astronomische Ereignis vorbereitet, im Mineralien- und Fossilien-Shop fange sogar ich an, zu stöbern. Auch die ersten Medien sind vor Ort. Mein Mann gibt sein erstes Interview dieses Events und ist sofort als „german scientist“ ortsbekannt (wie er am nächsten Tag im Baumarkt erfährt).

Weiter geht die Tour zum Giant City National Park.
Unterwegs sind die meisten Feld- und Waldränder abgesperrt: „ No Trespassing, no Parking“. An günstig gelegenen Stellen kostet Camping nur 40 Dollar.
Der Park ist wunderschön: Die gewaltigen Felsformationen im dichten Wald sind für Geologen und Archäologen ein Hingucker, die Geschichte der menschlichen Besiedlung ist hier bis ins Neolithikum zurückzuverfolgen.

Wenig verwunderlich, schließlich ist die Gegend fruchtbar und hat mir ihren Höhlen und Wäldern viel Unterschlupf für Menschen und Tiere geboten.  An einer Stelle ragt ein weißliches Kliff hoch über den niederen Wald auf. An dieser Stelle, so erklärt uns Bill, haben die Menschen längst vergangener Zeiten Büffelherden über die Klippen gejagt. In der Park Lodge steht auch noch ein Büffel und erzählt von Zeiten, als es hier noch eine nennenswerte Megafauna gab. Heute grasen hier nur noch Rinder.
Der Wald ist nicht sehr hoch, aber sehr grün, die meisten Bachbetten sind gefüllt, das Land ist wasserreich. Das freut zwar die Pflanzen, aber die Luftfeuchtigkeit ist enorm hoch.
34 °C, 89 % Luftfeuchtigkeit und kaum Wind. Die stechende Sonne, die hohe Temperatur und die hohe Luftfeuchtigkeit machen nicht nur mir zu schaffen.
Ein längerer Spaziergang oder gar eine Wanderung kommen daher leider nicht in Frage, das macht man hier besser im Frühling oder Herbst.

Dann machen wir uns auf den Rückweg und erkunden noch den Supermarkt. Neben genügend Verpflegung brauchen wir noch mehr Sonnencreme und vor allem einen Insektenschutz!
Durch die plötzlich einsetzende Dämmerung werden die Insekten sehr munter und SoFi-Enthusiasten bekommen oft erst hinterher mit, dass sie gerade ein Buffet für Mosquitos und Freunde geworden sind.  Das soll uns nicht passieren.
Das ist fast genauso wichtig wie der richtige Augenschutz.
Wir werden die Teleskope morgen einfach in Darwins Garten aufstellen – gerade wegen der Hitze ist es besser, sich vielleicht einmal kurz ins Haus zurückzuziehen und die Getränke in Reichweite zu haben.
Die Sicht ist jedenfalls erstklassig: gerade eben haben wir die Ringstruktur des Saturns und seinen Mond Titan gesehen. Als I-Tüpfelchen sauste ein Satellit durchs Blickfeld.
Dann kann es morgen losgehen – wir sind gewappnet.

 

 

Kommentare (12)

  1. #1 RPGNo1
    21. August 2017

    @Bettina Wurche

    Mittlerweile sind jedes Bett, jedes Zimmer und jedeRasenfläche zu Wucherpreisen vermietet.

    That’s capitalism!

    Drumherum sind mehrere Eclipsis-Markets aufgebaut, die vomSonnenfinsternis-T-Shirt bis zum Liebesapfel ungefähr alles anbieten, was man brauchen und nichtbrauchen könnte.

    That’s more capitalism!

    Auf dem geschotterten Parkplatz kann man spottbillig für nur 5 Dollar parken….

    They are no capitalists! 😉

    Mein Mann gibt sein erstes Interview dieses Events und ist sofort als „german scientist“ ortsbekannt…

    Dann seid ihr jetzt lokale Berühmtheiten? 🙂

    34 °C, 89 % Luftfeuchtigkeit und kaum Wind.

    Stöhn! Mir haben schon die 30 °C plus im Juni/Juli im Schwabenländle vollauf gereicht.

    Wir werden die Teleskope morgen einfach in Darwins Garten aufstellen

    Viel Spaß bei hoffentlich strahlendem Sonnenschein ohne Wolken.

  2. #2 tomtoo
    21. August 2017

    Ich habs ja schon gesagt. Ich drücke mal Daumen. Bin ja nicht abergläubisch , aber schaden wirds wohl nicht. ; )

  3. #3 meregalli
    21. August 2017

    Ich erinnere mich an 1999. Am Interessantesten war die Reaktion der Tiere. Die Vögel verstummten, der Hund war verunsichert und ging lieber ins Haus. Im Schatten der Laubbäume sah man lauter mondsichelförmige Lichtflecken am Boden, hervorgerufen durch einen “camera-obscura-Effekt” der Lücken zwischen den Blättern.

  4. #5 RPGNo1
    21. August 2017

    SoFi 1999! Das ist schon wieder so lange her.

    Da ich damals mitten in meiner Diplomarbeit steckte, kam eine Reise in den Süden Deutschlands nicht in Frage. Ich habe somit an meiner TU in Clausthal-Zellerfeld “nur” eine partielle SoFi erlebt. Allerdings hatten wir an diesem Tag richtig gutes Wetter (Sonne mit nur wenigen Wolken), so dass es doch ein gutes Erlebnis wurde. Für Die Bayern und Baden-Württemberger sah es wettertechnisch nicht so gut aus.

  5. #6 tomtoo
    21. August 2017

    Ich war in der Pfalz auf einem der Hügel nahe am Wald.. War sehr spannen. Das ausbleiben der Wärmestrahlung , und auch das still werden der Vögel. Schon Gänsehaut.

  6. #7 DasKleineTeilchen
    terra
    21. August 2017

    alterfalter…beste sicht und wolkenfreisten himmel wünsche ich euch…yep, ich kann es nicht abstreiten, obwohl ich durchaus noch von der 1999ger sofie zehre (damals 600 km autofahrt und 24 stunden nicht gepennt), bin ich doch ein klein wenig neidisch 😉

  7. #8 tomtoo
    21. August 2017

    @DKT
    Lange nix mehr gehört. Grüße dich !

  8. #9 DasKleineTeilchen
    terra
    21. August 2017

    heyho tomtoo, ebenso & danke =)

    (ich hatte auch lange ziemliche talsohle, seh aber langsam wieder den pfad, die ersten hügel hab ich wohl erstmal geschafft…slowly but surely)

  9. #10 tomtoo
    21. August 2017

    @DKT
    Super ! Freut mich echt.

  10. #11 Dampier
    22. August 2017

    In der Park Lodge steht auch noch ein Büffel und erzählt von Zeiten, als es hier noch eine nennenswerte Megafauna gab.

    Das klingt interessant. Kannst du den mal interviewen?? ;))

    Wünsche gute Sicht gehabt zu haben!

  11. #12 Bettina Wurche
    22. August 2017

    @Dampier: prustgrunzschnaubMMÖÖÖÖÖÖHHHHHH—hufscharrgrunz.