Etwas war durch die Nasen der Haie und Rochen eingedrungen und hatte sich bis ins Gehirn durchgefressen. Die orientierungslosen Meerestiere strandeten zu Hunderten sterbend an den Stränden der San Francisco Bay, noch mehr versanken ungesehen im Meer.
Zwischen Februar und Juli dieses Jahres sind mehr als 1000 Leoparden-Haie (Triakis semifasciata), 200-500 Adlerrochen (Myliobatis californica), Hunderte von Felsenbarschen (Morone saxatilis) und Dutzende Glatthaie (Mustelus mustelus), Heilbutte (Hippoglossus), Nagelrochen (Raja clavata), und Geigenrochen (Rhinobatidae) in den flachen Küstengewässern der Bay gestorben, zu dieser Schätzung kommt Mark Okihiro, der Leitende Fischpathologe des CDFW (California Department of Fish and Wildlife), auf der Basis der dokumentierten Strandungszahlen.
Normalerweise überwacht Okihiro den Gesundheitszustand der Jungfische in Wolfsbarsch-Aquafarmen. In den letzten Jahren hatte er allerdings auch einige gestrandete Haie untersucht, damit war er einer der sehr wenigen Experten für Hai-Pathologie.
Im Mai schon schickten Freiwillige der Haischutzorganisation Pelagic Shark Research Foundation einen gestrandeten Leopardenhai an den Fisch-Pathologen – tiefgefroren und per Paketdienst.
Bei der Sektion fand Okihiro vor allem um und im Gehirn des Tieres starke Verletzungen: Etwas war über die Nasenöffnungen in den Kopf eingedrungen und hatte sich bis zum Gehirn durchgefressen. Schnell fiel sein Verdacht auf Mikroorganismen. Aber die Kulturen der Hai-Organe brachten zunächst kein Ergebnis. Nach über einer Woche spross ein Pilzgeflecht auf den Agar-Böden der Petrischalen. Aber auch der Penicillin-Verwandte passte nicht zu den Fraßspuren in den Knorpelfischköpfen.
Okihiro gab nicht auf, sondern entnahm dem Hai Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit und schickte die Probe an das Labor von Joseph Derisi, einem Genetiker für Infektionskrankheiten (University of California, San Francisco). Das Labor hat viel Expertise bei der Untersuchung von Rückenmarks-Flüssigkeit auf pathogene Erreger. Nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Tieren – oft unterstützen sie Ökologen bei der Suche nach Erklärungen von Massensterben.
Die PhD-Kandidatin Hanna Retallack untersucht normalerweise die Auswirkungen des Zika-Virus auf das menschliche Hirn, nun analysierte sie zur Abwechslung den Leopardenhai-Liquor spinalis. Zunächst isolierte sie die darin enthaltene DNA und RNA. 99 Prozent davon waren “Hai” – aber woher stammten die 1 Prozent „Nicht-Hai”? Der Abgleich der fremden Erbsubstanz mit der Datenbank des National Center for Biotechnology Information brachte einen Treffer! Den aus Fischfarmen gut bekannten pathogenen Parasiten Miamiensis avidus.
Jetzt hatte der mysteriöse Hirnfresser einen Namen.
Steckbrief eines gefräßigen Einzellers
Miamiensis avidus ist ein ciliater Protozoe – ein Wimpertierchen. Ciliaten, auch Ciliophora genannt, kommen in vielen Arten in nahezu jedem Gewässer vor, einige von ihnen sind Endoparasiten. Wie Miamiensis avidus, der bereits als Übeltäter für einige Todesfälle bei Fischen bekannt war. Erkrankte Flundern aus japanischen oder südkoreanischen Gewässern hatten ähnliche Symptome wie die vor San Franciso gestrandeten Haie gezeigt.
Retallack analysierte die Proben zur Überprüfung noch mit anderen Methoden – wieder kam sie zum gleichen Ergebnis: In allen in der San Francisco Bay gestrandeten Leopardenhaie fand sie Miamiensis avidus-DNA. Die Vergleichsproben von Leopardenhaien, die nicht aus der Bay stammten und in Netzen verendet waren, fand sie keine Spuren dieses gefährlichen Wimpertierchens.
Dann konnte Okihiro den Protozoen auch direkt mikroskopisch nachweisen. Er hatte mit dem Erreger auch schon vorher zu tun, bei einer Epidemie in einer Felsenbarsch-Zucht.
Nun hatte der Hirnfresser also einen Namen.
Allerdings blieben immer noch viele Fragen offen:
Haie sind evolutionsbiologisch weit entfernt von Knochenfischen wie Wolfsbarschen.
Wie konnte der Protozoe diese evolutive Schranke überspringen?
Und: Warum kam es jetzt und an diesem Ort zu diesem starken Befall?
Ursachenforschung
Wie es zu diesem massenhaften Parasitenbefall und dem Massensterben, vor allem unter den Knorpelfischen kam, ist bisher nicht vollständig geklärt.
Dabei scheinen einige besondere Umstände zusammengewirkt zu haben.
Kommentare (8)