Ökologische Implikationen – wer nützt wem? Und wie kommt es zu dieser neuen Dreier-Community?
Der Verlierer bei diesem nicht sehr flotten Dreier ist ganz klar der Fisch: Er verliert Nährstoffe an den Krebs und muss zusätzlich gegen den durch die Algen verursachten Wasserwiderstand anschwimmen, um mit seinem Schwarm Schritt zu halten. Der Ruderfußkrebs profitiert vom Fisch, die Alge ist ihm egal. Die Alge hat auf dem Parasiten einen festen Punkt, an dem sie sich verankern kann und wird durch den Fisch oberflächennah gehalten, so dass sie genügend Sonnenlicht tanken kann.

Bildergebnis für Lernaeenicus radiatus

Lernaeenicus radiatus (Wikipedia)

Interessant ist auch die Frage, wie es zu dieser ungewöhnlichen und offenbar neuartigen Dreier-Lebensgemeinschaft gekommen ist. Waldman vermutet, dass das besonders warme Wetter im Herbst 2015 und die große Anzahl des Menhaden-Nachwuchses dafür verantwortlich sein könnten. Fische schwimmen gemeinsam mit ihren Altersgenossen. Eine hohe Individuenzahl und Dichte an jungen Fischen begünstigt die Ausbreitung und Weitergabe von Parasiten innerhalb der Schwärme.
Normalerweise sollten die Menhaden, sowie die Meerestemperatur fällt, im Oktober von Long Island aus nach Süden ziehen.
Forschungsergebnisse aus der Chesapeake Bay haben allerdings ergeben, dass parasitierte Menhaden eher in den flacheren Gewässern der Bay bleiben und nicht-parasitierte eher in die Gewässer des offenen Nord-Atlantiks ziehen. Die Sichtung der silbrigen Fischschwärme im Dezember vor Long Island könnte also im Kontext mit einem besonders starken Parasitenbefall der ganzen Population stehen.

Bei weiteren Untersuchungen in 2015 und 2016 fanden Biologen auch an anderen Stellen um Hempstead Harbor Menhaden mit Copepoden und Algenaufwuchs. Waldman geht davon aus, dass solche Trios im gesamten Long Island Sound unterwegs waren.
Aber was ist die Ursache für diese neue Lebensgemeinschaft?
Waldman postuliert dafür zwei möglcihe Erklätungsansätze: Bei den ungewöhnlichen Trios kann es sich um eine einmalige Erscheinung handeln, die bald wieder verschwindet. Es kann aber auch der Beginn einer neuen ökologische Entwicklung sein! Evolutionsbiologen werden sehr hellhörig, wenn aus einer ökologischen Interaktion zwischen zwei Arten auf einmal eine Interaktion aus drei Arten wird. Eine solche signifikante Veränderung könnte ein Zeichen für schwerwiegende Änderungen in einem ganzen Ökosystem sein. In diesem Fall könnte sie möglicherweise der Vorbote der Klimaveränderung und ihrem Einfluss auf den Ozean sein. Schließlich sind die Trios in einem sehr warmen Jahr aufgetaucht.
Aufgrund der großen Bedeutung der Menhaden-Schwärme für das gesamte Ökosystem – auch für von Menschen befischte und beliebte Speisefische – sollte man diese Veränderungen unbedingt im Auge behalten!

Dieses Video gibt einen guten Einblick in das Leben und die Bedeutung von Brevoortia tyrannus. Deutlich ist zu sehen, warum sie auch „Gelbschwänze“ heißen.

Foraging the High Seas: a Menhaden story from Red Vault Productions on Vimeo.

Quelle:
A novel three-way interaction among a fish, algae, and a parasitic copepod”; Ecology. Ecological Society of America. Volume 98, Issue 12. December 2017 . Pages 3219–3220; DOI: 10.1002/ecy.1993

Ein herzliches Dankeschön an Dr Tommy Leung (@TheEpsiarch), über dessen Tweet ich auf diese Publikation aufmerksam wurde und der sie mir freundlicherweise zuschickte. Er ist Parasitologe und bloggt auf dailyparasite.blogspot.
Und ein herzliches Dankeschön an Dr. John Waldman (@DrJohnWaldman) für die Erlaubnis, die Photos zu benutzen.

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Kommentare (12)

  1. #1 Alisier
    8. Dezember 2017

    Also…..hiervon hatte ich noch nie gehört. Das ist in der Tat hoch interessant und extrem spannend. Mal wieder.
    Dass die Fische den doppelten Befall so lange überleben, obwohl es sie viel Energie, auch durch den sehr viel höheren Widerstand beim Schwimmen kosten dürfte ist auch interessant.
    Vielleicht sind die Algen ja doch auch ein Schutz vor Fraßfeinden? Denn bei der auffälligen Dekoration und besonders der beschriebenen Auffälligkeiten beim Schwimmstil müssten Raubfische jeder Art eigentlich schnell aufmerksam werden.
    Vielen Dank für diesen Post und auch mal wieder ein Dankeschön für diesen ungewöhnlichen und guten Blog.

  2. #2 Bettina Wurche
    8. Dezember 2017

    @Alisier: Ich habe schon viele Fische und andere Meerestiere mit parasitischen Copepoden gesehen und von anderen gelesen, aber noch niemals über Algenaufwuchs darauf. Ich fand es auch wirklich ungewöhnlich.
    Einen Passus aus der Publikation beantwortet Deine Frage: “Survival of parasitized menhaden individuals into winter together with elaboration of the attaching algae may have
    been assisted by the completed outmigration of their primary autumn predator, striped bass Morone saxatilis, which were no longer visible preying on menhaden schools as they had been several weeks earlier.” Die Streifenbrassen hätten sich die schlecht schwimmenden Menhaden als erstes geschnappt. Ob in normalen jahren auch Menhaden mit Algenbewuchs existierten, aber sofort gefressen wurden, lässt sich im Moment nicht beantworten.

  3. #3 Alisier
    9. Dezember 2017

    Vielen Dank für das Zitat!
    Aber es gibt jenseits von Morone saxatilis doch wohl noch einige andere Fische, die einen leicht zu erbeutenden Happen zu schätzen wissen……wie gesagt, es bleibt spannend.

  4. #4 Roland B.
    10. Dezember 2017

    Wir wissen halt über Biotope wie das Meer (riesig) und die tropischen Regenwälder (dicht, mit hoher Artendichte) tatsächlich immer noch weniger als über den Mond. Jedenfalls was die Biologie betrifft 🙂
    Und das wird wohl auch so bleiben, so wie Steuergelder im Moment und sicher in den nächsten Jahrhunderten, die weiterhin kapitalistisch mitlitärorientiert bleiben werden, verteilt werden.

  5. #5 tomtoo
    11. Dezember 2017

    Oh, wie praktisch. Fisch,Krebs+Salat. Das gibt bestimmt eine Delikatesse. :/

  6. #6 RPGNo1
    11. Dezember 2017

    @tomtoo
    Jetzt noch ein wenig Reis dazu, und wir haben eine neue Variante der Paella. 🙂

    Spaß beiseite, das hier geschilderte biologische Dreier-Beziehungs-System ist hochinteressant. Da die Forschung diesbezüglich noch am Anfang steht, können wir eventuell bei weiteren Untersuchungen noch weitere Entdeckungen erwarten.

    @Bettina
    1) Kommt es häufiger vor, dass Algen auf diesen parasitären Ruderfußkrebsen leben?
    2) Ich habe in meinem Urlaub Shubins “Der Fisch in uns” gelesen. Das Buch ist spannend und sehr verständlich geschrieben. Meinem Vater hat es auch gut gefallen.
    Daher nochmals danke für den Lesetipp. 🙂

  7. #7 Aginor
    11. Dezember 2017

    Wieder ein sehr lesenwerter Artikel, danke!
    Ich bin von Parasiten sowieso irgendwie fasziniert. Oft spricht man in der Biologie ja vom besetzen von Nischen, bei Parasiten hat man manchmal fast den Eindruck, als hätten sie keine gefunden und deswegen selbst eine geschaffen. 🙂

    Gruß
    Aginor

  8. #8 Bettina Wurche
    11. Dezember 2017

    @Aginor: Parasiten sind der Normalfall. Eigentlich ist jeder Organismus eine Ansammlung von ökologischen Nischen, die von anderen Organismen besiedelt werden. Ekto- und Endoparasiten, Ekto- und Endosymbionten, und manche sitzen einfachh so oben ´drauf. Dass unsere Parasitenfauna so dezimiert ist, verdanken wir der übertriebenen Hygiene der Zivilisation. Parasiten können sogar positive Nebenwirkungen haben und das Immunsystem stärken. Abgesehen davon verursachen sie natürlich überwiegend Schäden, oft sogar heftige und mitunter tödliche.
    Wenn man ein Wildtier ausnimmt oder autopsiert, wird man überrascht, was und wen man da alles so findet.

  9. #9 Bettina Wurche
    11. Dezember 2017

    @RPGNo1: Solche komplexen Dreierbeziehungen sind schon häufiger, aber wir entdecken sie ja nicht immer. Die Geschichte mit dem Aal-Schwimmblasenwurm als Passagier des Kratzwurms als Passagier der Schwarzmundgrundel war ja ähnlich gelagert.

    Und dann gibt es ja die heimischen flotten Feuchtwiesen-Dreier, wie die Sache mit dem Ameisenbläuling, der Knotenameise und dem Wiesenknopf.

    Das mit dem Algenbewuchs ist für John total neu gewesen und ich habe es auch noch nie gesehen. Auf einem lebenden Fisch kann schwerlich eine Alge wachsen, denn Fische hüllen sich in antibakterielle, antifungizide, antisonstwat-Schleimhüllen. Die Alge kann sich nur auf dem Copepoden festsetzen. Und eigentlich wäre der Menhaden dadurch extrem auffällig und anfällig für Fressfeinde. In diesem Jahr muss irgend etwas anders sein, als sonst – extrem viele Menhaden (mehr als Brassen fressen können), Freßfeinde schon abgewandert nach Süden oder was auch immer.

  10. #10 Aginor
    13. Dezember 2017

    Das stimmt! Da gibts eine Menge abgefahrenes Viechzeug, von Bakterien und Pilzen über Flöhe und dergleichen bis zu Bandwurm und Co.

    Was mir in dem Zusammenhang einfällt: Wo zieht man den üblicherweise eigentlich die Grenze zwischen Symbionten und Parasiten?
    Mache das mal am Beispiel der Schiffshalter (Echeneis naucrates zum Beispiel) fest: Diese Fische nutzen ja dem Wirt auch, aber wenn genügend davon dranhängen, u.U. in der Nähe der Augen oder so, dann schaden sie ja dem Wirt…

    Bei den Bakterien ist es vermutlich auch eine Frage der Häufigkeit. Ein paar Cholibakterien im Darm sind u.U. nützlich, aber bei zu vielen wird es halt doof…

    Ich weiss, evtl. zu stark vereinfacht, aber das interessiert mich sehr.

    Gruß
    Aginor

  11. #11 Bettina Wurche
    13. Dezember 2017

    @Aginor: Die Frage ist absolut berechtigt! In der klassischen Ökologie gibt es exakte Definitionen. Aus heutiger Sicht ist diese Unterscheidung in “nützlich” und “schädlich” aber sehr wertend und anthropozentrisch. Gerade mit unserem neuen und sich immer wieder weiterentwickelnden Blick auf das Immunsystem lässt sich das nicht immer so klar unterscheiden. Manchmal kommt es ja auch auf die Menge Unter den Suchbegriffen “Symbionten Parasiten Trennung” habe ich eine medizinische Publikation gefunden, die das ganz gut beschreibt:an, oder ob der Wirt geschwächt ist: (S. 10, unten)
    https://books.google.de/books?id=jKOoBgAAQBAJ&pg=PA9&dq=symbionten+parasiten+trennung&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwirxZGF8ofYAhUHyKQKHVHCDIwQ6AEIKDAA#v=onepage&q=symbionten%20parasiten%20trennung&f=false
    Es gibt also genügend Organismen, die sich nicht immer klar in “nützlich” und “schädlich”, also Parasit und Symbiont unterscheiden lassen.

  12. #12 Aginor
    14. Dezember 2017

    Vielen Dank für den Link, sehr interessant!

    Gruß
    Aginor