Europa ist ein kleiner Kontinent mit viel Küste(n). Ostsee, Nordsee, Mittelmeer, Europäisches Nordpolarmeer und ein schneller Zugang zum Nordatlantik; im Osten noch das Kaspische und Schwarze Meer.
Alle diese Meere werden seit Jahrtausenden intensiv befahren, befischt und anders (aus-) genutzt. Die Naturgeschichte ist hier eng verwoben mit der Kulturgeschichte, die Meere sind marine Kulturlandschaften. Welche Wale gab oder gibt es in den westeuropäischen Meeren? Und welche Beziehungen bestehen zwischen Walen und Menschen in Europa?
Ein Auftrag für „meertext“ – im Rahmen der Blogparade #DHMMeer „Europa und das Meer – Was bedeutet mir das Meer?“, ausgerichtet vom Deutschen Historischen Museum in Berlin und Tanja Praske.
Shifting Baselines
Oft wird behauptet, die kommerzielle Ausbeutung der natürlichen Ressourcen habe mit der Industrialisierung begonnen. Das trifft nicht so ganz zu und schon gar nicht auf die Wale, die Übernutzung ihrer Bestände geht wesentlich weiter zurück. Wir können es bloß schlecht nachweisen, denn für einen akzeptabeln Nachweis braucht es Zahlen. Und diese Zahlen gibt es nicht. Die gezielte Erforschung mit ihrer Benennung und Quantifizierung ist jünger als die Ausbeutung der Arten. Das bedeutet: Es gibt keine belastbaren Daten über Tierbestände vor 100, 500, 1000 oder 5000 Jahren. Je weiter es zurück in die Vergangenheit geht, desto dünner ist die Datenlage.
Eines dürfte für die Beziehung des Menschen zur Megafauna aber gewiss sein: Die Ausrottung vieler großer Säuger – ob an Land oder im Meer – und großer Vögel dürfte zu einem mehr oder weniger großen Teil auch auf menschliche Jäger (nicht nur in Europa) zurückgehen: ob Mammut und Wisent in Europa, Steller´sche Seekuh im Nordpazifik oder Riesenmoa in Neuseeland.
Die Ökosysteme, die dann von der beginnenden Wissenschaft ab dem 18. und 19. Jahrhundert erfasst und beschrieben wurden, waren bereits reichlich überstrapaziert. Die Industrialisierung auch des Walfangs gab den Walbeständen dann den Gnadenstoß. Den einstigen Artenreichtum und die Individuenzahl der Fauna vor der Vermehrung der Menschen und ihrer Inbesitzname immer neuer Landstriche können wir uns heute nicht mehr vorstellen. Ausgebeutet ist das neue „Normal“ – im Sinne der Shifting Baselines des Fischereibiologen Dr. Daniel Pauly (Sein Ted X-Talk dazu ist sehens- und hörenswert).
Aber was wissen wir über die historische Beziehung von Walen und Menschen in Europa?
In den letzten Jahren kam es im Zuge der Diskussion um historische Daten und der Rekonstruktion früherer Bestände neuen Wissenschaftszweigen: Die Historische Ökologie und die Historische Biogeographie. Sie werten alle erreichbaren archäologischen und historischen Daten aus, von der Höhlenmalerei über die Abfallgrube einer römischen Siedlung oder mittelalterlichen Latrine bis zu Schiffs-Logbüchern und Unterlagen von Fischmärkten zu Anlandungen (Nik Probst: K22 „Shifting baselines“ – Im Nebel der Vergangenheit; Erschienen im Fischerblatt 2013, Jahrgang 61(3): 18-20).
Im Folgenden zeige ich einige Beispiele, die die Ausbeutung der Wale in europäischen Gewässern bzw. durch europäische Staaten in archäologischer bzw. historischer Zeit plakativ abbilden. Gleichzeitig dokumentieren die Fangfahrten in immer weiter entfernte Gebiete den Niedergang der weltweiten Walbestände.
Im Anschluss geht es um die Veränderung der Beziehung zwischen Mensch und Wal und die Einstellung heutiger EU-Staaten zu Walen.
Römer auf Walfang?
Die Auswertung einiger Walknochen-Funde aus römischen und vorrömischen archäologischen Stätten in der Region der Straße von Gibraltar und einem Knochen von der asturischen Küste führte kürzlich zu einer sehr interessanten Publikation: Gab es in historischen Zeiten Vorkommen von Glatt- und Grauwalen im Mittelmeer? Gab es im antiken Rom einen strukturierten Walfang? (Ana S. L. Rodrigues et al: “ Forgotten Mediterranean calving grounds of grey and North Atlantic right whales: evidence from Roman archaeological records; Proceedings of the Royal Society; 2018; DOI: 10.1098/rspb.2018.0961).
Nordkaper (Nördlicher Glattwal, Northern Right Whale, Eubalaena glacialis) sind im westlichen Nordatlantik durch den kommerziellen Walfang ausgerottet worden. Grauwale (Eschrichtius robustus) sind ebenfalls aus dem gesamten Nordatlantik verschwunden, ihr Verschwinden ist noch nicht vollständig geklärt. Beide Walarten leben und ziehen küstennah, beide sind recht langsam und beide Arten bringen ihren Nachwuchs in flachen warmen Küstengewässern, gern Lagunen, zur Welt. Das nordwestliche Mittelmeer mit seinen Etangs wäre dafür ideal gewesen.
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