Ana Rodrigues und ein Team von Archäologen und Ökologen hat aufgrund einiger Knochenfunde rekonstruiert, dass Grau- und Glattwale in römischen Siedlungen verarbeitet worden sind. Die Knochen stammen von fünf archäologischen Grabungen, vier aus der Gibraltar-Region und einer von der asturischen Küste (Spanien); drei davon waren Produktionsstätten für gesalzenen Fisch und die legendäre Fischsauce (Garum). Nach der C 14-Datierung stammten die Knochen aus der Zeit des römischen Imperiums bzw. aus der Zeit davor. Bisher ist die Verarbeitung von Walen aus dieser Zeit nicht bekannt.
Die zweite Frage war, ob diese Wale möglicherweise aus dem Mittelmeer stammten. Das wäre neu, denn das Mittelmeer gilt aufgrund fehlender Funde und Dokumentationen bisher nicht als historisches Verbreitungsgebiet der Glatt- und Grauwale.
Das Team hatte DNA und Kollagene analysiert, um 10 mutmaßlich von Walen stammende Knochenstücke taxonomisch zuzuordnen: drei Knochen stammten von Glattwalen und drei von Grauwalen. Jeweils ein weiterer stammte von einem Delphin und von einem Elefanten.
Rodrigues et al meinen, dass die großen Walarten sehr wahrscheinlich in der Nähe der Straße von Gibraltar gelebt haben. Da beide Bartenwale flache Lagunen oder Flachmeere als Kinderstube nutzen, könnte man die Funde dahingehend interpretieren. Die Funde weisen jedenfalls darauf hin, dass Grau- und Glattwale in historischen Zeiten eine noch weitere Verbreitung im Atlantik nach Süden hatten, als bislang vermutet wurde.
Der Grund des Verschwindens der beiden Großwale aus dem Mittelmeer könnte mit den größeren ökologischen Veränderungen erklärt werden, die auch zum Verschwinden der Orcas und eine Reduzierung des Nahrungsangebots im Mittelmeer. Das Vorhandensein von Knochen dieser beiden küstennah lebenden, langsam ziehenden und somit erreichbaren Bartenwale wirft die Frage auf, ob das Römische Imperium möglicherweise schon eine Art Walfang-Industrie hatte, die historisch nicht überliefert ist.
Der Gedanke ist interessant, mir kommen die spärlichen Knochenfunde aber als Nachweis für ganze Wal-Populationen und -Kinderstuben etwas dünn vor.
Der Fund lässt nämlich mehrere Möglichkeiten offen:
- Die Wale können Irrläufer aus dem Nordatlantik gewesen sein. Dann wäre das Mittelmeer nicht ihr üblicher Lebensraum gewesen sein. Allerdings hätten sie dann noch erlegt werden müssen.
2. Die Wale können Strandungen gewesen sein. Dann hätten die Römer keine echten Walfangaktivitäten haben müssen.
In beiden Fällen wären sie willkommene Fleischberge gewesen, die sicherlich nicht ungenutzt geblieben wären.
3. Die Römer können Wale oder Teile davon im Handel erworben haben.
Dann müsste jemand anderes die Wale gejagt haben, der technisch auf keinem anderen Niveau gewesen sein dürfte.
Rodrigues verweist darauf, dass die Römer nicht die notwendige Technologie hatten, um Hochseespezies zu bejagen.
Da stellt sich für mich die Frage, welche Technologie es braucht, um in flachen oder Küstengewässern Gewässern einen Wal zu erbeuten? Vor den Azoren sind über lange Zeit hinweg mit Kanus Pottwale gejagt worden und Inuit erlegen schon immer auch Nordkaper mit Kajaks und Handharpunen.
Das Argument wäre also eher kein Ausschlussgrund.
Etwas ganz anderes spricht gegen die Vorstellung der römischen Großwal-Jagd:
Die Archäologin Dr. Erica Rowan, Royal Holloway, University of London, hat bei einem Interview zu dieser Publikation im “The Guardian” gesagt: Wären Grau- und Glattwale dort in großer Zahl vorhanden gewesen und hätten die Römer eine Walfangindustrie gehabt, würde es darüber sicherlich Aufzeichnungen geben. Schließlich wurde im Römischen Imperium eine große Bandbreite von Meerestieren verspeist und auch beschrieben (“I think that if these whales were present in such numbers and were being caught on an industrial scale that we would have more evidence, perhaps not in the zoo archaeological record but in the ceramic record and in the literary sources,” she said. “The Romans ate and talked about an enormous variety of fish and seafood, and if whale was widely exploited and exported, then it is strangely absent from many discussions.”
Da stimme ich Rowan zu: Auf römischen Mosaiken sind Delphine, verschiedene Fische und anderes Meeresgetier detailliert abgebildet, ein Beispiel dafür ist etwa das Vilbeler Mosail im Hessischen Landemsuseum Darmstadt. Ein größerer Wal als ein Delphin taucht nirgendwo auf. Die Römer haben ihre Umgebung sehr genau abgebildet, in Worten und Texten. Wenn sie nichts über Wale und Walfang geschrieben haben, dann dürfen wir davon ausgehen, dass es keine Bestände großer Meeressäuger und eine strukturierte Jagd auf diese aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gab. Das bedeutet nicht, dass nicht vereinzelt Glatt- und Grauwale aus der Nordatlantik-Population auch Abstecher ins Mittelmeer gemacht haben.
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