Mittsommer ist zwar schon ein paar Tage vorbei, aber es ist der perfekte Zeitpunkt für eine Reise ins Europäische Polarmeer. Die Sonnenuntergänge sind immer noch extralang, auch wenn es nun schon wieder ein kleines bißchen dämmert, so irgendwann zwischen 23:30 und 03:00 Uhr.
Für die Glückspilze, die gerade eine solche Reise planen, möchte ich hier noch ein paar Hintergrundinformationen zusammentragen, die ich im Laufe der letzten Jahre auf Meertext geschrieben habe.
Ein besonders empfehlenswerter Ort mit Pottwal-Garantie ist ein Unterwasser-Canyon vor dem nordnorwegischen Inselarchipel Vesteralen. Die Vesteralen sind eine flache Inselgruppe nördlich der Lofoten. Andoya ist eine dieser Inseln, 300 Kilometer nördlich des Nordpolarkreises. Der nördlichste Punkt Andoyas ist Andenes, der Ort hat einen geschützten Hafen und eine lange Fischerei-Geschichte.
Wo Fische sind, ist auch der Rest der Nahrungskette nicht weit – hier sind erwachsene Pottwalbullen (Physeter macrocephalus) die Endverbraucher. Sie sind allerdings eher an Tintenfisch als an Kabeljau interessiert.
Mit diesen Leviathanen in ihrem submarinen Canyon, der Bleiksdjupet, habe ich schon viel erlebt: “Die Pottwale – meine kleinen Lieblinge aus der Bleiksdjupet”.
Wir werden dort ganz sicher mindestens einen Pottwal sehen, vielleicht sogar verschiedene oder mehrere. Aber zumindest Glen Pm 10 sollte uns dort empfangen.
Moby Dick und die Jagd nach dem Kalmar
Das Lieblingsessen dieser größten aller Zahnwale sind Kalmare, zehnarmige Tintenfische. An dieser Stelle jagen sie ganz besonders gern den Köderkalmar (Gonatus fabricii). Sein Name sagt bereits, dass er nicht für den menschlichen Verzehr gefangen wird, sondern nur als Köder für Fische. Diese Kalmare haben immerhin Mantellängen von bis zu einem Meter und sind selbst furchtlose und intelligente Jäger. Hier ist ein Beitrag, in dem ein naher Verwandter unseres Gonatus fabricii einen Fisch attackiert: Das Gesetz von Schnabel und Kralle – Schwarzaugenkalmar versus Eulenfisch.
Lange Zeit war es rätselhaft, wie die Wale diese Kalmare erlegen, erst in letzter Zeit ist durch neue Technologie etwas Licht ins Dunkel der Tiefsee gekommen: Wie jagen Pottwale?
Die Nase des Pottwals ist die größte Nase im Tierreich, sie ist ein außergewöhnliches Organ – im Laufe der Jahrmillionen ist sie zu einem perfekten Echolot umgeformt worden, das die Wale durch die Dunkelheit des Ozeans leitet und zu ihrer Beute führt.
Übrigens: Vor den Vesteralen leben nur Pottwalbullen, die mindestens in der Pubertät oder älter sind. Die Damen dazu leben mit ihrem jüngeren Nachwuchs um die Azoren herum. Sie bekommen dort regelmäßig Herrenbesuch. Mittlerweile wissen wir, dass nicht ein Bulle einen Harem um sich versammelt, sondern dass die Pottwalmütter offenbar gezielt ihre Kälbchenväter auswählen und diese Fernbeziehungen über viele Jahre lang stabil bleiben. So wandern viele der Männchen jedes Jahr im polaren Winter nach Süden, die älteren allein, die jüngeren in Junggesellen-Gruppen (Bachelor groups). Leider kommt es immer wieder vor, dass einige von ihnen falsch abbiegen, manche geraten dann in die flache Nordsee und sterben dort an den flachen Sandstränden. Die letzte sehr große Pottwal-Massenstrandung war im Winter 2016.
Die Pottwalweibchen akzeptieren nur erwachsene Bullen, Männchen unter 30 haben kaum Chancen bei ihnen. In diesem Alter haben die Männchen nicht nur ihre endgültige Körperlänge von 15 bis 18 Metern erreicht, sondern auch eine gewaltige Masse – ein ausgewachsener Leviathan kann 60 Tonnen wiegen.
Ob die Pottwalbullen tatsächlich miteinander kämpfen und ihre Nase als Rammbock einsetzen, ist heute sehr umstritten – schließlich hängt ihr Überleben von ihrem funktionierenden Echolot ab. Der “Pottwal-Papst” Hal Whitehead hält dies darum für sehr unwahrscheinlich. Der Meeresbiologie-Professor der Dalhousie-Universität und passionierte Segler erforscht seit über 30 Jahren das Leben dieser großen Zahnwale. Er ist derjenige, der die Kommunikation der Pottwale entschlüsselt hat und zu dem Schluß kommt, dass diese Wale über Kulturen verfügen, die sich um die Mutter-Kind-Gruppen herum entwickelt haben. Ihre Klick-Sprache unterscheidet sich grundlegend von den Pfiffen der Delphinartigen. Bis jetzt ist nicht bekannt, wie und ob die Männchen kommunizieren, sie scheinen eher wortkarg zu sein. Oder klick-karg.
Trotz der Sorge um das empfindliche Näschen gibt es einige Nachweise, dass Moby Dicks Kumpel in mindestens drei Fällen ein hölzernes Schiff gerammt und versenkt haben.
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