Frage von @Hubert R.:
„Raumfahrtagenturen und Weltraum-Pioniere planen den Mars zu kolonialisieren. Dazu müssen natürlich Nutzpflanzen, Nutztiere zum Mars transportiert werden.
Die Strahlung im interplanetaren Raum beträgt (wie ich weiß etwa 500mSv – 2Sv).
Gibt es bez. “Überlebens-, Wachstums- und Fortpflanzungsfähigkeit von Pflanzen, Insekten bei Raumfahrten” schon Erfahrungswerte, um sagen zu können, ob es überhaupt möglich ist den interplanetaren Raum mit irdischem Leben durchqueren zu können bzw. welche Lebensformen kommen überhaupt in Frage eine derartige Reise antreten zu können?
Ich vermute, daß die dort herrschende Strahlung die größte Herausforderung darstellt um irdisches Leben auf den Mars bringen zu können.“
Dieser Fragenkomplex ist vielschichtig und sicherlich auch für ein breiteres Forum interessant.
Darum habe ich beschlossen, als Antwort einen Beitrag zu schreiben (@ Hubert R. hat der Veröffentlichung der Frage zugestimmt).
Hier meine Antworten.
Sie sind sicherlich nicht vollständig, vielleicht können weitere KommentatorInnen noch interessante Aspekte ergänzen oder mich korrigieren. Ich bin keine Expertin für Weltraummedizin, zu astrobiologischen Aspekten kann ich mehr sagen.
Meine Antwort an @ Hubert R.:
Die Strahlung ist ein sehr wichtiger Aspekt, genauso wichtig für eine potentielle extraterrestrische Kolonie dürfte allerdings auch die Versorgung mit Wasser, Sauerstoff, Nahrung und anderen Ressourcen sein.
Mir ist zurzeit kein konkretes Projekt einer Weltraumagentur bekannt, den Mars zu kolonisieren. Ich kenne nur Pläne für bemannte Marsflüge, die allerdings noch in einiger zeitlicher Distanz liegen. In der mittleren Zukunft besteht eine vage Möglichkeit der Einrichtung einer Forschungskolonie auf dem Mond – Herrn Wörners berühmtes Moon Village – oder einer Mars-Station. Aber dafür bräuchte es ganz erhebliche finanzielle und politische Anstrengungen, die bei der derzeitigen politischen Großwetterlage eher wieder in die Ferne zu rücken scheinen.
Projekte wie MarsOne halte ich für eine bereits geplatzte Medienblase.
ESA-Generaldirektor Jan Wörner hat klar gemacht, dass ESA für einen OneWay-Transport von Menschen ins Weltall unter keinen Umständen zur Verfügung stehen würde, das ist bei ESA Konsens.
Für die anderen Raumfahrtagenturen kann ich das nicht so sicher sagen. Menschen bewusst in den Tod zu schicken, würde aber eine Kaltschnäuzigkeit und Unmenschlichkeit voraussetzen, die keine Raumfahrtagentur sich für ihr Image leisten kann. AstronautInnen, KosmonautInnen und TaikonautInnen wissen, dass bemannte Raumfahrt Gefahren beinhaltet, und sie eventuell früher sterben können, als die durchschnittliche Lebenserwartung in Industrieländern es vorsieht. Aber sie sind nicht lebensmüde. Auch die Pioniere der bemannten Raumfahrt haben eher damit gerechnet, zu überleben, als zu sterben, wie Buzz Aldrin in einem Vortrag im Technik-Musuem Speyer erzählte.
Weltraum-Pioniere wie Buzz Aldrin propagieren eine Mars-Kolonie, auf der Jagd nach neuen Ressourcen. In den USA mag es dafür Stimmen geben, in Europa eher nicht. Europäer mahnen da eher zur Nachhaltigkeit und zum Recycling.
Ich sehe auch nichts, was Aldrins derzeitiges Lieblingsprojekt in die Nähe der Umsetzung rücken könnte.
Weltraumstrahlung
Die höhere Strahlung im Weltall außerhalb unseres schützenden Magnetfeldes und unserer Atmosphäre wäre auf jeden Fall ein Thema. Dabei unterscheidet man grundsätzlich die Strahlung der Sonne und die kosmische Strahlung.
Unsere Sonne ist, als Fusionsreaktor, eine starke Strahlungsquelle. Die Stärke der Strahlung im interplanetaren Raum unseres Sonnensystems ist kein fest stehender, sondern ein variabler Wert. U. a. hängt er auch vom Sonnenzyklus ab, die Aktivität kann unterschiedlich hoch sein. Ein Sonnensturm wäre für AstronautInnen eine extrem gefährliche Situation. Darum wird vor und während bemannter Missionen der Sonnenzyklus detailliert beobachtet, um die Gefährdung der Raumfahrenden zu minimieren – daraus wird die Weltraumwetter-Vorhersage erstellt.
Daneben gibt die Milchstraße mit ihren vielen Strahlungsquellen die kosmische Strahlung ab, auch diese ist für Menschen gefährlich.
Strahlung besteht, sehr vereinfacht ausgedrückt, aus energetisch aufgeladenen subatomaren Partikeln, die Menschen oder Strukturen durchdringen können. Beim und nach dem Durchdringen menschlicher Haut können sie Zellen und Erbgut schädigen: „Schaden richtet die Strahlung an, indem sie Atome und Moleküle in unseren Körpern ionisiert: Durch die eingebrachte Energie kann zum Beispiel ein Elektron den Atom- oder Molekülverband verlassen und es bleibt ein positiv geladenes Ion zurück. Vorgänge dieser Art können chemische oder biochemische Reaktionen in den betroffenen Zellen auslösen und auf diese Weise – insbesondere im Erbgut – zu Schäden führen. Aufgrund ihrer Eindringtiefe haben die verschiedenen Strahlungsarten unterschiedliche Zielorgane.“
Bei niedriger Strahlungsdosis erhöht sich für ein menschliches Individuum das Risiko, an Krebs zu erkranken. Bei höherer Dosis besteht sogar die Gefahr der Strahlenkrankheit.
Mit absoluten Werten für die Strahlung bin ich etwas vorsichtig, da die Strahlungsdosis ja variiert, je nach Entfernung zur Sonne und in Abhängigkeit von deren Zyklus.
Für die Strahlungsbelastung auf der ISS wird allerdings ein Durchschnittswert genannt: „Durchschnittlich 0,8 mSv beträgt die Strahlendosis im Forschungsmodul Columbus auf der ISS.“
Auf der ISS befinden sich KosmonautInnen und AstronautInnen noch in den oberen Bereichen unserer Magnetfeld-Schutzhülle, darüber hinaus nicht mehr. Schon ein Flug zum Mond bedeutet eine höhere Strahlenbelastung.
Die Raumfahrtagenturen sind sich dieser Gefahr bewusst:
Die European Space Agency (ESA) erlaubt ihren AstronautInnen die Dosis von 1 Sievert (auf Lebenszeit), das erhöht die Wahrscheinlichkeit, irgendwann an Krebs zu erkranken, um 5 % ; die NASA erlaubt eine geringere Dosis, die das Risiko einer Krebserkrankung um 3 % erhöht.
ESA, NASA und andere Raumfahrt-Institutionen erforschen die verschiedenen Aspekte der Strahlenbelastung von Mensch und Technik im Weltall, ob auf der ISS oder darüber hinaus.
Das DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln, wo auch die ESA-AstronautInnen stationiert sind, erforscht interdisziplinär u. a. die Gesunderhaltung und Leistungsfähigkeit der Menschen im Weltraum, die Strahlenbiologie ist dabei ein wichtiger Bereich.
Auf Mond und Mars bzw. auf einem Flug von der Erde zum Mars wäre die Strahlenbelastung wesentlich höher:
„Anhand dieser Daten konnte auch die Strahlenbelastung berechnet werden, der Astronauten bei einer zukünftigen bemannten Marsmission unter der Zugrundelegung eines 500 Tage andauernden Aufenthaltes auf der Marsoberfläche ausgesetzt sein werden. Eine vergleichbare Sonnenaktivität vorausgesetzt würde diese bei etwa 0,32 Sievert liegen.“
„Im Rahmen einer früheren Studie wurde bereits die Strahlenbelastung für eine 360 Tage dauernden Hin- und Rückreise zum Mars ermittelt. In einem Raumschiff, welches über eine vergleichbare Abschirmung wie Curiosity verfügt, würden Astronauten während der Transferphase zwischen Erde und Mars einer Strahlenbelastung von 0,66 Sievert ausgesetzt sein.“
Eine dauerhafte Station auf einem anderen Himmelskörper, dem Mars oder dem Mond, würde wahrscheinlich eher unterirdisch angelegt sein, das ist der beste Schutz vor Strahlung.
Darum hat das Projekt Pangaea bei der ESA so eine große Bedeutung: Hier trainieren AstronautInnen, fremde Höhlensysteme zu erkunden und in ihnen zu überleben. Dieses Training zielt ab auf die mögliche Einrichtung unterirdischer Habitate auf dem Mond oder dem Mars.
Daneben arbeitet zumindest die NASA an noch effektiveren Wegen, die AstronautInnen besser zu schützen. Der letzte Clou ist im Moment eine Art Wasserpanzer. Das Wasserstoffatom soll Strahlungspartikel nämlich besonders effektiv neutralisieren können.
Weiterhin experimentieren NASA-Experten mit hydrierten Bornitrid-Nano-Röhren (Hydrogenated boron nitride nanotubes—known as hydrogenated BNNTs), also Nanoröhren aus Kohlenstoff, Bor und Wasserstoff.
Neben der Strahlung sind übrigens auch die Mikrogravitation und die Isoliertheit Gefahrenquellen für RaumfahrerInnen, ganz zu schweigen von möglichen medizinischen Notfällen, die mit den vorhandenen Mitteln nicht behandelbar sind.
Auf einer russischen Antarktisstation hatte der Stationsarzt an sich selbst eine Blinddarm-OP vorgenommen, auf einer anderen hatte eine Ärztin sich selbst eine Biopsie entnommen und eine Tumorerkrankung diagnostiziert. Es sind allerdings viele Fälle vorstellbar, in denen eine Erkrankung die vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten übersteigt.
Versorgung einer außerirdischen Station mit Nahrung
Einer der Dreh- und Angelpunkte dabei sind zurzeit die astronomischen Transportkosten.
Mit der Inbetriebnahme des Weltraumfahrstuhls wäre das kein Thema mehr, dann könnte man große Nutzlasten kostengünstig ins Weltall transportieren.
Solange der Weltraumfahrstuhl noch nicht in Betrieb ist, sieht das leider ganz anders aus.
Dann müsste sich die Produktion von Nahrung in einer Weltraumkolonie grundsätzlich von der auf der Erde unterscheiden: Sehr wenige Ressourcen müssten möglichst effektiv eingesetzt werden, zumindest teilweise in geschlossenen Kreisläufen.
Zunächst einmal denkt sicherlich niemand an einen Transport von Nutztieren. Das wäre wesentlich zu aufwändig: Die hohe Nutzlast für das Tier und seine Versorgungsgüter würde den Output an Nahrung nicht rechtfertigen.
Der Gedanke an eine Kuh oder ein anderes übliches Nutztier in der Schwerelosigkeit wäre nahezu unvorstellbar: Ein Tierem, das gewohnt ist, auf dünnen, langen Beinen zu stehen, drohte neben der Raumkrankheit noch weiteres gesundheitliches Ungemach, etwas ein hohes Verletzungsrisiko. Die Vorstellung, die Fäkalien eines solchen Tieres in Schwerelosigkeit einzufragen und zu entsorgen, dürfte Herkules´ Leistung in den Ställen des Augias gleichkommen. Und auf dem Mars ginge es dem Tier dann wohl kaum wesentlich besser. Das hohe Gut des Tierwohls verbietet so etwas.
Interessanter wären schnell wachsende Fische oder andere Meeresbewohner: Sie sind die Orientierung im dreidimensionalen Raum eher gewohnt – obwohl auch Fische seekrank werden können, was der Raumkrankheit entspricht. Ein möglichst geschlossener Aquakultur-Kreislauf mit kleinen herbivoren Fischen oder Krebsen wäre dennoch für mich vorstellbar.
Auch terrestrische kleine Wirbellose könnten Nahrung liefern – dann bestünde allerdings wieder das Problem der kulturellen Schranken. Auch wenn Würmer, Maden oder Heuschrecken gute Proteinquellen sind, ist fraglich, ob jeder so etwas äße.
Eine andere Quelle für tierische Proteine wäre die Produktion von In-vitro-Fleisch, also Fleisch aus Zellkulturen von Nutztieren. Den derzeitigen Sachstand zur Produktion von In-vitro-Fleisch fasst diese Anfrage an den Bundestag vom Februar 2018 zusammen: Daran wird geforscht, es ist aber zurzeit noch kein serienreifes Produkt in Sicht.
Rein energetisch erscheint mir die Produktion von Nahrung auf der Basis von Bakterien, Pflanzen oder Pilzen effektiver als die Nutzung von Tieren oder auch In-vitro-Verfahren.
Die Idee, Pflanzen im Weltraum anzubauen, ist gar nicht neu: 1895 spekulierte der legendäre „Vater der Rakete“ Konstantin Tsiolkovsky über orbitale Gewächshäuser “Grezy o Zemle i Nebe” (Dreams of Earth and Sky).
Pflanzen haben ebenfalls erhebliche Probleme mit geringer oder ohne Schwerkraft, dazu gibt es bereits so einige Experimente auf der ISS. Arabidopsis thaliana, die Ackerschmalwand ist die Parade-Versuchspflanze und Lieblings-Modellorganismus der Genetiker, auch im Weltall. 1982 haben sowjetische Kosmonauten an Bord von Salyut 7 damit zum ersten Mal in der Raumfahrtgeschichte Pflanzen ausgesät und zum Wachsen gebracht.
Die NASA hat dann 1995 erstmals mit der Ackerschmalwand im Weltraum experimentiert.
In Prototypen für Mars-Habitate wie der Mars Desert Research Station gibt es auch bereits Treibhäuser im Experimentalstadium für den Einsatz auf anderen Planeten.
Aber eigentlich stehen im Vordergrund von Nahrungsproduktion im Weltraum weniger uns vertraute Lebensformen, sondern eher Einzeller wie Algen. Solche Algen werden bereits heute in geschlossenen Algenreaktoren gezüchtet, allerdings noch nicht als eigenständiges Lebensmittel vermarktet. Im Moment sind sie Nahrungsmittel-Ergänzungen, oft mit Mineralien und Vitaminen angereichert. Dabei können Algen noch viel mehr, mit und ohne ihren Eigengeschmack.
Algenreaktoren wären ideal für die Produktion von Nahrungsmitteln mit nur wenigen Ressourcen. Starten könnte solch eine Algenzucht mit wenig Algenmasse, die sich dann schnell vermehrt. Ihre Energie gewinnen Algen als Pflanzen aus dem Sonnenlicht, was auf dem Mars kein Problem wäre. Ein geschlossener Wasserkreislauf wäre wassersparend, außerdem brauchen die Pflanzen noch einige Spurenelemente und Mineralien zum Gedeihen.
2018 führt die NASA umfangreiche Experimente zur Algenproduktion auf der ISS durch, mit dem Ziel, den AstronautInnen frische Pflanzennahrung zur Verfügung zu stellen.
Algen produzieren, wie alle Pflanzen, als „Abfall“ auch noch Sauerstoff, was für die ISS oder gar eine Mond- oder Marsstation natürlich auch interessant wäre.
Hier erklärt „Astro-Sam“ Samantha Cristoforetti in einem Video, mehr dazu am Beispiel von Spirulina.
Spirulina ist keine Alge und somit Pflanze, sondern ein photosynthetisch aktives Cyanobacterium (früher als Blaualgen bekannt).
Bakterien vermehren sich sehr schnell bei oft bescheidenen Ansprüchen und dürften für den Einsatz im Weltraum außerordentlich interessant sein. Sie können Matrix für verschiedene Zwecke produzieren, ob als Nahrung oder Baustoff. Diese Matrix kann weiterverarbeitet und geformt werden, z. B. mit 3-D-Druckern.
Über Experimente mit Pilzen unter Mikrogravitation und zu Ernährungszwecken habe ich leider nichts gefunden – dabei sind sie eine wertvolle Proteinquelle, die Proteine liefert, die näher an tierischen als an pflanzlichen sind. Sie begnügen sich mit toter organischer Materie als „Treibstoff“, verbrauchen also keine frischen Ressourcen, sondern leben bescheiden von organischen Abfällen. Außerdem wachsen sie extrem schnell. Pilze halte ich für die derzeit am stärksten unterschätzte Organismengruppe, sie könnten sowohl auf der Erde als auch im Weltall einen wertvollen Beitrag zur Ernährung liefern.
Allerdings ist mittlerweile nachgewiesen, dass Pilze in Raumstationen ausgezeichnet gedeihen – die russische Raumstation MIR hatte ein ganz erhebliches Pilz-Problem und auch die ISS kämpft damit. Dabei handelt es sich in erster Linie um humanpathogene Pilze, die eher weniger zum Verzehr geeignet sind.
Für Informationen über das Leben in einer Mars-Station empfehle ich unbedingt die Lektüre des Buchs „Der Marsianer“ von Andy Weir oder die Verfilmung.
Das Leben auf einer Mondstation mit ihren knappen Ressourcen beschreibt Andy Weir in seinem 2. Buch “Artemis” (das weit hinter “Der Marsianer” zurückbleibt, aber immer noch ganz gut ist).
Zum Abschluß auf so eine spacige Frage noch eine Sequenz aus dem SF-Klassiker „Lautlos im Weltall“ – in lautlos dahindriftenden Gewächshäusern spielt sich ein Drama zwischen den Astronauten ab:
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