Der gewaltige Blauwal taucht auf – zwischen den Wellen wird der ganze schlanke und bläulich schimmernde Körper immer deutlicher sichtbar. Schließlich durchstößt der höchste Punkt des Kopfes mit den äußeren Nasenöffnungen die Wasseroberfläche, dann atmet der Wal explosionsartig schnell aus. Die warme Atemluft kondensiert in der kühlen Meeresbrise zu einer Dampfwolke, dem Blas (engl.: Blow). Genauso blitzschnell füllt der Meeressäuger seine großen Lungen wieder mit sauerstoffreicher Luft, dann taucht er in der gleichen eleganten Schwimmbewegung schon wieder in den Ozean ein. Die über ihm schwebende surrende Drohne hat der Wal ignoriert. Der fliegende Roboter dreht um und fliegt zurück mit einem kostbaren Datenschatz: Dem Nasensekret des Wals.
Jeder Blauwal atmet aus der Tiefe der Lungen kommend bis zu 5000 Liter Atemluft aus.
Dieses ausgeatmete Gasgemisch ist auch mit Schleim durchsetzt, der Teile der Lungenfauna des Wals beinhaltet. Eine kostbare Probe für Biologen, enthält doch der Blas die einzigartige biologische Visitenkarte des Meeressäugers: DNA, das Mikrobiom (die Gesamtheit der nicht-pathogenen Bakterien, also Endosymbionten), Schwangerschafts- und Stress-Hormone sowie Ketone, die Rückschlüsse auf den Energieumsatz zulassen.
Dass das ausgeatmete Atemkondensat (exhaled breath condensate (EBC)), von Meeressäugern kostbare Informationen birgt, ist gar nicht neu. In Aquarien mit Robben oder Kleinwalen gehört so ein Lungenabstrich zum üblichen tierärztlichen Inventar zur Gesundheitsüberwachung der kostbaren Meeressäuger: Delphine und Robben lernen, auf Kommando zu husten. Bei den Vorführungen führen die aquatischen Stars diese antrainierten Verhaltensweisen dann auch stolz vor.
Nur: Für eine solche Probe muss man dicht an den Kopf des Tieres herankommen. Mit einem nicht dressierten Tier ist das nahezu ausgeschlossen oder stressig und gefährlich für alle Beteiligten.
Neben der Atemprobe fängt so eine Drohne auch noch die gleichzeitig geschossenen Fotos und Filme eines Tieres in seinem natürlichen Lebensraum ein, das nicht gerade durch ein Boot gestört wird. So kann der Wal durch die Photos aufgrund seiner Narben, Musterung, der Flukenform und anderer individueller Merkmale individuell zugeordnet werden. Ein Film kann außerdem noch verhaltensbiologische Erkenntnisse und eventuell sogar zur Interaktion innerhalb einer Gruppe Wale bringen, die sich völlig ungestört fühlt.
Technik hilft Walforschung und -schutz
Technische Neuerungen befeuern jede Forschungsdisziplin – mit jeder neuen Stufe der technischen Evolution können neugierige WissenschaftlerInnen neue Antworten auf Forschungsfragen bekommen, von denen sie bis daher kaum zu träumen wagten. In den letzten Jahren hat die Entwicklung erschwinglicher Drohnen in der Walforschung neue Dimensionen eröffnet. Der SnotBot – „RotzRoboter“ – ist solch eine handelsübliche Drohne, die für wissenschaftliche Zwecke modifiziert wurde, eine Kooperation der Wal- und Ozeanschutz-Organisation Ocean Alliance and dem Olin College of Engineering (Massachusetts).
“SnotBots are custom-built drones created in partnership between Ocean Alliance and Olin College of Engineering. They hover in the air above a surfacing whale and collect the blow (or snot) exhaled from its lungs. SnotBot then returns that sample back to researchers a significant distance away.”
Für die Tierschützer war dabei ein Aspekt besonders wichtig: der rosarote Wirbelwind ermöglicht eine nicht-invasive Beprobung. Bisher waren die meisten Biopsie-Probennahmen auf See mit einem physisch-invasiven Eingriff verbunden: der Wal erlitt durch das Ausstanzen eines Stückchens Haut eine kleine Verletzung. Ein Ethik-Konflikt für Biologen: um Aussagen über den Status eines Bestands und somit eine Datenbasis für den Walschutz zu erhalten, mussten sie einzelnen Walen eine Verletzung zufügen. Ein weiterer Stressfaktor für die Wale war das Heranmanövrieren der Wissenschaftler mit einem Motorboot, um den Biopsiepfeil überhaupt ins Ziel zu bringen. Der SnotBot hingegen ist klein und nähert sich mit leisem Surren von oben, das Schiff mit dem Drohnenpiloten mit der Fernsteuerung kann weiter entfernt sein. Die Drohne ist mit Petrischalen ausgerüstet, die die Atem-Bestandteile auffangen und festhalten.
Ocean Alliance CEO Dr. Iain Kerr stellte den SnotBot im Jahr des Meeres 2017 stolz der UN vor, bei der UN’s World Oceans Day celebration.
Sir Patrick Stewart, Star Trek und die Wale
Die Finanzierung des teuren technischen Gimmicks ist auch der Unterstützung von Sir Patrick Stewart zu verdanken: Er die Crowd-Funding-Kampagne mit seinem Video-Auftritt unterstützt und andere Menschen zur Spende aufgerufen.
Dieses Video mit Sir Patrick Stewart (bekannt als Captain Jean-Luc Picard in Star Trek Next Generation) zur Vorstellung und Bewerbung des SnotBot-Crowdfundings möchte ich meiner Leserschaft keinesfalls vorenthalten:
Ocean Alliance hat die neue Technologie bereits 2016 in gleich drei Projekten erfolgreich getestet und verfeinert: In der Cortez-See auf Pottwale, vor Patagonien auf Südkaper und vor Alaska auf Buckelwale. Bei diesen ersten Expeditionen ging es noch um das Kalibrieren und Testen der Ausrüstung der Drohne.
Patrick Stewarts Reaktion auf Dr. Iain Kerrs (CEO von Ocean Alliance) Erklärung, dass er damit „auf Pottwal“ gehen möchte, ist ein weiterer Star Trek-Wal-Kontext: Der großartige Theatermime hat nicht nur Captain Picard sondern auch Captain Ahab verkörpert.
Darum gibt es im Star Trek-Kinofilm „First Contact“ so viele Anspielungen auf Melvilles Moby Dick: Captain Picard verfolgt die Borg so verbissen, dass er sich vorwerfen lassen muss, er verhalte sich wie Captain Ahab auf seiner wahnsinnigen Jagd auf den weißen Wal. Nur dass Picards weißer Wal die Borg sind.
2017 vor Mexiko hat der Ocean Alliance-SnotBot sich dann an Blauwale herangepirscht und wieder spektakuläre Aufnahmen gemacht. So waren übrigens auch zuverlässige Größenschätzungen der Blauwale möglich, die mit über 30 Metern Länge die größten Tiere der Welt sind, ja, sogar aller Zeiten. Diese Meeresriesen haben unter dem industriellen Walfang entsetzlich gelitten, der heutige Bestand wir auf einige Tausend Tiere geschätzt. Experten meinen, dass die Blauwale weltweit damit auf 7% ihres einstigen Bestandes und an den Rand der Ausrottung getötet worden sind.
Ocean Alliance wurde übrigens von Dr. Roger Payne gegründet, dem Wal-Biologen, der die Forschung an lebenden Buckelwalen so bekannt machte. Er nahm ihre Gesänge auf und schaffte es, die Öffentlichkeit für ein Tier zu begeistern, das die meisten Menschen damals bestenfalls als Inhalt einer Dose Tierfutter oder als Margarine kannten. Payne gehört, wie der auf Meertext ebenfalls schon vorgestellte Pottwal-Forscher Hal Whitehead, zur ersten Generation Biologen, die es vorzogen, lebende Wale, ihr Verhalten und ihr Leben zu erforschen, anstatt die toten Körper geschossener oder gestrandeter Wale zu untersuchen. Paynes Forschung inspirierte auch den Film Star Trek IV „Zurück in die Gegenwart“, in dem es um die Rettung zweier Buckelwale geht.
NOAA: Buckelwale der Stellwagen-Bank und Orca-Intimitäten
Die Snotbot-Technologie hat sich natürlich schnell verbreitet!
Im Sommer hatten Wissenschaftler des Woods Hole Oceanographic Institution und von NOAA damit Buckelwale vor der Stellwagen Bank, Massachusetts, beprobt. Mit ihrem Hexakopter haben sie Atemproben von 36 Tieren bekommen. Sie wollen den Gesundheitsstand dieser Buckelwale mit dem von Tieren aus antarktischen Gewässern vergleichen. So könnten sie herausfinden, ob und welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen diese Wale in industriell viel genutzten Gewässern haben im Vergleich zu ihren Verwandten in den unberührten Gewässern der Antarktis.
Ein entscheidender Vorteil der Drohnen ist der Faktor Zeit: “With biopsies, you’re lucky if you can get three or four in a day,” erklärt Iain Kerr gegenüber der Presse “With a drone, we could potentially get up to 50.” Ob man 3 oder 50 Wale pro Tag beproben kann, ist bei den teuren Schiffszeiten der Meeresbiologen ein entscheidender Aspekt!
Auch die Fortschritte der visuellen Drohnen-Gerätschaften bringen neue Forschungsergebnisse. Durch immer bessere Kameras können auch kleinere Wale wie Orcas immer besser und umfassender ausgespäht werden. 2016 erbrachte eine Kamera-Drohnen-Expedition von NOAA und dem Vancouver Aquarium erstmals eine vollständige und umfassende Vermessung der Länge und Breite der Mitglieder einer Orca-Familie – das lässt Rückschlüsse auf ihren Ernährungszustand zu und erlaubt sogar Mitmaßungen über Trächtigkeiten. Ein außergewönhlich knochiger Schwertwal verschwand in diesem Zeitraum aus der Gruppe, er dürfte aufgrund von Krankheit geschwächt und verhungert sein.
Die Bildauflösung ist jetzt so gut, dass auch Spuren von „Entanglements“ an den Walen sichtbar werden – also, ob sie sich in Fischereigeschirr verheddert haben. Manche Wale schleppen dann Leinen, Netze, Schwimmer und andere Fischereiausrüstung mit sich herum, andere verlieren durch die Abschnürung ihre Fluke, andere behalten Verletzungen und tiefe Narben; auch die Wunden und Narben von Schiffskollisionen sind auffallend genug für die scharfen Augen der Drohnen-Kameras.
Die kleinen Flugkörper scheinen die Wale nicht zu stören: Michael Moore, der Direktor des Woods Hole Oceanographic Institution Marine Mammal Center und Leiter der Stellwagen-Studie erzählte, dass er keine Reaktion der Wale auf die 10 Fuß über ihnen schwebenden Drohnen bemerkt hat, sie haben das surrende Fluggerät einfach ignoriert.
Sicherheit für die Forschenden und die Erforschten
Den Aspekt der Sicherheit für die Forschenden spricht Wayne Perryman, ein NOAA-Walforscher (NOAA’S Southwest Fisheries Science Center), der einen Hexakopter mit entwickelt hat, an. Flugzeugabstürze seien die häufigste Todesursache von Wildtierbiologen, gerade wenn sie mit kleinen Maschinen unter widrigen Umständen und in abgelegenen Regionen unterwegs sind.
Dazu kommt noch die Gefahr, vom Forschungsobjekt gebissen oder anderweitig verletzt zu werden. Große Robben etwa können sehr gefährlich werden: sie sind schwer, auch an Land erschreckend schnell und haben Raubtiergebisse, zudem sind ihre Bisse hoch infektiös. Perryman hatte bereits 2011 einen Hexakopter für seine Seeleoparden-Studie in der Antarktis ausprobiert. Seeleoparden bezeichnet er als “a thousand pound animal with a bad personality.” Im Vor-Drohnen-Zeitalter mussten Biologen Seeleoparden in Narkose versetzen, um sie näher zu untersuchen. Das war wegen der nicht einfachen Dosierung für die Robbe nicht ungefährlich. Ohne Narkose allerdings war die Gefahr eines Bisses zu groß: “If you give a leopard seal too much anesthesia, you’ll kill it. If you don’t give it enough, it’ll bite a graduate student.”
(Robbenbisse sind schauderhaft infektiös, nur wenige Antibiotika sind dagegen wirksam – Anmerkung Meertext).
Natürlich dürfen auch Wissenschaftler nicht einfach so überall Drohnen in den Himmel steigen lassen, sondern müssen Drohnen-Führerscheinen machen und sich an ein ganzes Bündel Vorschriften halten. Die neue, aufboomende Technologie entwickelt sich gerade beängstigend schnell. Um Missbrauch und gefährlichen Situationen vorzubeugen muss es Regelungen geben. Was sinnvoll und notwendig ist, wird sich in den nächsten Jahren herausstellen.
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