Cyanotypien sind Fotogramme – Fotos, hergestellt ohne Kamera und Film.
Die Cyanotypie – oder Eisenblaudruck – ist eine Methode zur naturgenauen Abbildung aus den Kindertagen der Bildgebungsverfahren mit einer typischen, cyanblauen Farbpalette.
1842 hatte der englische Naturwissenschaftler und Astronom John Herschel das Verfahren entwickelt.
Eine Mischung aus Eisen-Ammoniumcitrat und rotem Blutlaugensalz wird mit einem Schwamm auf Papier oder einen anderen Bildträger aufgetragen und getrocknet.
Dann kann das so behandelte Papier, etc. unter ein Negativ gelegt oder ein flaches Objekt darauf gepresst werden. Nach einer Belichtungszeit von 5 bis 15 Minuten wird das Objekt vom Papier gelöst. Die charakteristische blaue Farbe entsteht dann erst durch die Einwirkung von Wasser.
Die Cyanotypie ist neben der Daguerreotypie und der Talbotypie/Kalotypie das dritte Verfahren zur Herstellung beständiger fotografischer Abbildungen. Da der Blaudruck auf Eisen und nicht auf Silber basiert, war dieses Verfahren damals wesentlich kostengünstiger und daher recht verbreitet (Wikipedia: Cyanotypie).
Cyanotypien auf Seide: Emmanuelle Rapins Stillleben zum Tragen
Am Wochenende ist die Sonderausstellung SAUVAGE. Emmanuelle Rapin & Angelika Krinzinger im MUSEUM Jagdschloss Kranichstein und Kunstforum der TU Darmstadt eröffnet worden, eine Kooperation.
SAUVAGE zeigt zeitgenössische Kunst, bei einigen Stücken von Emmanuelle Rapin (*1974 in Épinal, Berlin) sind die Übergänge zum Kunsthandwerk der Oberklasse fließend. Die Künstlerin und diplomierte Haute-Couture Stickerin stellt u. a. auch Cyanotypien aus. Und zwar auf Seide, tragbar als Schal oder Tuch.
Sie stickt, druckt, zeichnet und schreibt ihre Phantasien auf verschiedene Materialien und verwebt dabei im wahrsten Sinne des Wortes Märchen und Mythen, Wald, Tiere und Menschen, Leben und Tod mit unterschiedlichen Methoden und Materialien. Als Tochter eines Jägers und aufgewachsen in einem kleinen Ort nahe des Waldes hat sie sich von frühester Kindheit an mit diesen Themen beschäftigt. Ihre Erlebnisse und Gedanken hat sie dann in selbst ausgedachten Gedichten weitergesponnen und schließlich darauf basierend Stillleben geschaffen. Manche ihrer Stillleben bestehen aus Stoffen, Garnen, Metallfäden und –teilen, Vogelfedern, Tierfellen und Fischschuppen, Rosendornen, Perlen, Glasperlen und Halbedelsteinen – sie sind als Haute-Couture-Accessoires tragbar.
Die Cyanotypien gehören zu diesen tragbaren Stillleben. Auf Seidentüchern und –schals sind Gerätschaften sind weiß auf Blau Nadeln, Fäden, Scheren und Keilerwaffen (Hauer des männlichen Wildschweins) arrangiert. Der blaue Farbschleier erzeugt eine trügerische Ruhe, die in scharfem Kontrast zum abgebildeten Arsenal des Zerstückelns und wieder Zusammensetzens steht.
Durch einen Kunstgriff hat sie die Instrumente und Werkzeuge auf zwei Ebenen abgebildet, die eine ist scharf umrissen, die andere hat verschwommene Konturen.
Mich hat es gefreut, dass sie diese alte Technik verwendet hat. Und beeindruckt, wie viele Techniken und Materialien sie virtuos kombiniert.
Anna Atkins und die Algen: Cyanotypien in der naturwissenschaftlichen Abbildung
Die britische Botanikerin Anna Atkins nutzte Cyanotypien zur Dokumentation von Algen, Farnen und anderen zarten Pflanzen. Dadurch gilt sie als erste Fotografin.
Aufgewachsen bei ihrem Großvater John George Children, einem Chemiker, Mineralogen und Zoologen, kam sie früh mit wissenschaftlichen Themen und Methoden in Kontakt. Über ihren Mann lernte sie dann Sir John Herschel und dessen Methode der Cyanotypie kennen.
Ideal für Atkins, die Pflanzen mit ihren zarten Strukturen naturgetreu abbilden wollte. Zwar konnte sie ausgezeichnet zeichnen und hat etwa für ihren Vater dessen Arbeiten mit Muscheln und Schnecken illustriert, aber das Zeichnen nahm viel Zeit in Anspruch. Mit einem Fotogramm konnte sie in der gleichen Zeit viel mehr natur- und detailgetreue Abbildungen produzieren.
Ideal für Atkins, die Pflanzen mit ihren zarten Strukturen naturgetreu abbilden wollte. Zwar konnte sie ausgezeichnet zeichnen und hat etwa für ihren Vater dessen Arbeiten mit Muscheln und Schnecken illustriert, aber das Zeichnen nahm viel Zeit in Anspruch. Mit einem Fotogramm konnte sie in der gleichen Zeit viel mehr natur- und detailgetreue Abbildungen produzieren.
Atkins stellte ihr Photopapier selbst her. Die mit den Chemikalien bestrichenen Papierblätter hängte sie in einer dunklen Kammer zum Trocknen auf – eine Dunkelkammer! Die gesäuberten Algen drapierte sie auf dem so vorbereiteten Papier, presste sie unter Glas und legte sie dann zur Belichtung durch die Sonne in den Garten.
Anschließend wusch sie die Salze unter Wasser aus, dabei entwickelte sich das charakteristische Cyanblau. Da die Pflanzen feste Objekte und lichtundurchlässig waren, erschienen sie geisterhaft weiß als Negative.
10 Jahre lang erforschte und dokumentierte Anna Atkins Algen.
Ihr Algen-Herbar „Photographs of British Algae: Cyanotype Impressions” (1843) hat sie berühmt gemacht, nur 13 Kopien des cyanblauen Folianten existieren heute noch. Danach wendete sie sich gemeinsam mit der Botanikerin Anna Dixon der Erforschung von Farnen zu, gemeinsam publizierten sie weitere Bücher: Cyanotypes of British and Foreign Ferns (1853) und Cyanotypes of British and Foreign Flowering Plants and Ferns (1854).
Atkins wurde 1839 Mitglied der Botanical Society in London, einer der wenigen wissenschaftlichen Gesellschaften, die Frauen aufnahm.
1871 starb sie, nach langer Krankheit und verkrüppelt. Ob sie an einer Vergiftung durch Blausäure gelitten hat, ist nicht bekannt.
Ihr umfangreiches Herbarium aus Cyanotypien vermachte sie dem British Museum.
Blutlaugensalz – eine Erfindung der Alchemisten
Der Name „Blutlaugensalz“ kommt aus der Herstellungsweise der Alchemisten für diese Substanz: „Sie erhitzten Blut mit Knochen, Horn und anderen proteinhaltigen Substanzen in Gegenwart von Pottasche. Der Rückstand wurde mit Wasser ausgelaugt. Daraus kristallisierte anschließend ein Salz aus, welches je nachdem, wie viel Luft man beim Erhitzen zuließ, rot (Rotes Blutlaugensalz) oder gelb (Gelbes Blutlaugensalz) war.
Die chemisch korrekte Bezeichnung für Blutlaugensalz ist heute Kaliumhexacyanidoferrat(III) mit der chemischen Formel K3[Fe(CN)6]. Damit werden Cyanotypien hergestellt. Bei unsachgemäßem Umgang kann sich aus Kaliumhexacyanidoferrat(III) durch verschiedene Reaktionen die sehr giftige Blausäure (Cyanwasserstoff) bilden.
Berliner Blau, Dippels Tieröl und der Frankenstein
Das lichtbeständige Cyanblau wird auch Berliner Blau oder Preußischblau genannt, und ist eines der ältesten chemisch produzierten Pigmente. Der Berliner Farbenhersteller Diesbach hatte es um 1706 erstmals produziert.
Neben Diesbach wird auch der Alchemist, Johann Konrad Dippel mit der Erfindung in Verbindung gebracht, das lässt sich heute nicht mehr verifizieren (Wikipedia: Johann Konrad Dippel).
Angeblich war Diesbach bei der Produktion eines roten Farbstoffs die Pottasche (Kaliumcarbonat) zur Ausfällung des Farbstoffs ausgegangen. Daraufhin orderte Diesbach von seinem Kollegen Johann Konrad Dippel einen Ersatzstoff. Dippel lieferte offenbar einen mit „Dippels Tieröl“ verunreinigten Ersatzstoff, der unerwartet einen blauen Farbstoff ausfällte – Berliner Blau!
„Das durch Destillation von Tierabfällen (Knochen, Blut, Klauen und so weiter) gewonnene Öl empfahl D. so nachdrücklich für medizinische Zwecke, daß es nach ihm benannt wurde (Oleum animale Dippeli). Nach G. E. Stahl wurde das Cyanverbindungen enthaltende Produkt der Anlass zur Entdeckung des Berliner Blaus, als ein von D. zur Ölreinigung benutztes Alkali nachträglich zur Bereitung eisenhaltiger Farbstoffe verwendet wurde (G. E. Stahl, Experimenta, 1731)“
Dippel arbeitete zeitweise auch als Prinzenerzieher am hessen-darmstädtischen Hof. Als Sonderling, Kirchenkritiker und Schmähpamphlet-Autor war er wohl einer der meistgelesenen Autoren des 18. Jahrhunderts, landete dafür aber auch zeitweise im Gefängnis. Aufgrund seiner Aktivitäten in damals dänischen Altona saß er im Gefängnis auf der dänischen Ostseeinsel Bornholm ein.
Angeblich hat Mary Shelley sind für ihren intellektuell brillanten Wissenschaftler in ihrem berühmten Stück „Frankenstein“ an Dippel orientiert. Shelleys Werk ist jedenfalls nach der Burg Frankenstein vor den Toren Darmstadts benannt.
Cyanotypien für jedermann und jederfrau
Wer selbst einmal Cyanoptypien ausprobieren möchte: Fertige Sets gibt es im Handel.
Was in Deutschland als Kinderexperiment zugelassen ist, sollte frei von Blausäureentwicklung und somit sicher sein.
Allerdings sollte man dabei umsichtig und sauber arbeiten. Emmanuelle Rapin erzählte im Gespräch, dass sie bei der Produktion ihrer Seidenschals versehentlich die Kacheln des Badezimmers mit cyanotypiert hätte.
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